Restaurantkritik 27.Juni 2014

Purple Haze in Pempelfort

Ein Restaurant mit dem Vornamen der Besitzerin? Gar mit Apostroph geschrieben? Ein Stern gut ein Jahr nach der Eröffnung? Wir wollen nicht verhehlen, dass wir die Reise in die nordrhein-westfälische Landeshauptstadt etwas skeptisch antraten.

Dass aber nicht der nächste hippe Hotspot mit geringen kulinarischen Ansprüchen eröffnet wurde, wird schon beim Küchenchef deutlich. Der 32-jährige Jörg Wissmann war zuvor Souschef bei Yoshizumi Nagaya im gleichnamigen Restaurant im „Little Tokyo“ von Düsseldorf. Auch Christian Dietrich, der noch sehr junge Restaurantleiter (26 Jahre), der auch die Aufgaben eines Sommeliers übernimmt, ist ihm von dort gefolgt. Die sympathische Besitzerin Agata Reul packt in der Küche mit an.

 

Die Beleuchtung eines Restaurants sollte dem Essen eine Bühne bieten und nicht die Schau stehlen. Daher sorgt das Lichtkonzept in der ehemaligen Eckkneipe im Düsseldorfer Stadtteil Pempelfort für etwas Irritation bei uns. Ist das Interieur noch gediegen schlicht gehalten, changiert die Innenbeleuchtung zwischen rosa und violett. Ein Flachbildfernseher an einer der Wände war wohl als Live-Übertragung aus der Küche á la Thomas Keller gedacht, wirkt jetzt aber etwas deplatziert. Dafür schafft das Altbier-Fass der Hausbrauerei auf der Theke zumindest eine Atmosphäre, die dem berüchtigten Düsseldorfer Schickimicki-Gehabe entgegengesetzt ist. Die Richtigstellung des Maîtres, dass dies lediglich für die bierdurstigen ProWein-Besucher gedacht sei, enttäuscht uns ein wenig. Nichtsdestotrotz stürzen wir uns umgehend ins das Menü...

Der Tomatenmarshmallow mit Pecorinokäse gefällt uns durch seine Leichtigkeit und Fluffigkeit, wobei der kräftige Hartkäse den „Hauch“ von Tomatenaroma dominiert. Besser das Dry Aged Beef auf einem Reiscracker mit Chinakohl. Es stammt aus dem eigenen und prominent im Restaurant platzierten Reifeschrank und setzt herzhaftere und klarere Akzente mit leicht asiatischen Anklängen.

Mit Purismus und einer tollen Produktqualität punktet im Anschluss das Amuse Gueule: Der roh marinierte Genfer Felchen mit Gurke und Melone ist sogar für ausgesprochene Hamachi-Freunde ein Gewinn. Ein angenehm natürlicher, aber dennoch intensiver Gurkenschaum korrespondiert sehr gut mit einer Kugel reifer Charentais-Melone und erfüllt somit den Anspruch an ein zeitgemäßes Amuse: Appetit machend, aber sensorisch nicht überfordernd.

Es folgt Taschenkrebs-Cannelloni mit Pulpo, Romana-Salatherz, grünem Apfel und Koriander. Hiermit steigert die Küche die Komplexität und somit das aromatische Spektrum sachte, aber merklich. Dabei erfährt das süßliche und feinwürzige Krebsfleisch im Geleemantel durch die Scheiben vom gegarten und in Form gepressten Pulpo eine herbe Erdung, die von der Süße und Säure des Apfels umspielt wird. Knackige Frische und grüne Aromen bringt der feingeschnittene Salat, zusätzliche Schärfe steuern die Scheiben von Radieschen bei.

Beim 60-Minuten-Bio-Ei mit rotem Spinat, Champignons und Chorizo überlegten wir kurz, ob aufgrund der herzhaften Begleiter des Hühnereis dem Ei nicht die aromatische Verliererposition zufallen könnte. Probieren wir dann aber das Ei mit seinem cremigen Eigelb und dem gebratenen Eigelb obenauf, werden auch wir glücklich wie ein Bio-Huhn. Denn Geschmack und Konsistenz können sich mehr als behaupten. Gut auch, dass Wissmann die Pilzscheiben roh belassen hat, da sie dem Gang so einen weiteren aromatischen Reiz verleihen.

Beim folgenden Suppengang ist unsere Begeisterung augenblicklich groß: Viel zu selten gibt es in der Sternegastronomie mittlerweile Suppengänge im Menü. Vielleicht versteckt sich deswegen die gut abgeschmeckte Topinamburcréme schüchtern hinter ihrem pompöser klingenden Künstlernamen Jerusalem-Artischocke. Geschmacklich fügt sich das perfekte Lammbries sehr gut ein. Die Säurespitzen der Kapern halten den Gang davon ab, ins Süßliche oder Beliebige zu kippen. Nur mit Mühe können wir uns zügeln, einen Nachschlag zu erbitten.

Intensitätssteigerung und aromatische Verdichtung sind in einem umfangreichen Menü sinnvoll, ja essenziell, und von einem Koch mit Omakase-Erfahrung erwarten wir dies. So klingt die Zusammenstellung von Rascasse du Nord, einer Spezies des Drachenkopffisches, Perlgraupen, Bärlauch, roter Paprika und Aubergine auch durchaus schlüssig. Da die Küche hier aber Süße, Salzgehalt und Bitternis besonders bei den Zubereitungen von Paprika und Aubergine überdosiert hat, geht das tadellose Stück Fisch leider unter.

Mit dem Bergamotte-Sorbet kühlen wir unsere zuvor arg geprüften Geschmacksnerven, die entzückt auf die wohltuende Kühle reagieren. Wunderbar diesmal das ausgewogene Spiel von Süße, Säure und Bitternis zwischen Fenchel und der salzigen Zitrone. Nicht immer treffen wir auf derart überzeugende und erfrischende Sorbet-Gänge.

Das Bavette (ein Cut vom Bauchlappen, auch bekannt als Flank Steak) vom Wagyu-Beef ist schlicht von hervorragender Qualität – eventuell hätte es die tief dunkle und konzentrierte Jus gar nicht gebraucht. Einen Sternefresser plagt zudem ein frühkindliches Alete-Trauma, so dass er mit der Variation von Mohrrüben ob ihrer weichen Konsistenz und des süßen Geschmacks wenig anfangen kann. Die Säure des Rhabarbers und die Vegetabilität des Lauchs liefern aber einen guten Kontrapunkt, so dass der Fleischgang in Summe Freude bereitet.

Der Titel Comté, Trauben, kandierter Kohlrabi und Kale-Salat lässt uns eine Käsezubereitung als nächsten Gang erwarten. Von dem Selbstbewusstsein, ein pures, wenn auch ausgezeichnetes Stück Käse vom Käsegeschäft Tischdame um die Ecke zu servieren, sind wir doch einigermaßen überrascht. Neben der Traubensüße sind es der köstliche Kohlrabi und der marinierte Salat, eine Art Grünkohlblätter, die das Ganze etwas aufmöbeln. Spektakulär wird das Gericht allerdings erst durch den im diesem Fall kongenialen Partner in der Weinbegleitung, den Sake Dewazakura "Blüte des Nordens" aus Yamagata in Japan. Eine Speis- und Trank-Kombination, die auch uns noch überraschen kann und den simplen Gang auf ein höheres Niveau hebt.

Im ersten Dessert-Gang begegnet uns erneut Topinambur, diesmal unter seinem geläufigen Namen, als Crème und als durchaus widerspenstige getrocknete Textur. Mit dem Bananeneis und Stücken reifer Banane geht die Sonnenblumenart jedoch eine hervorragend süße und erdige Synthese ein. Die Nuss- und Cru-de-Cacao-Stücke lassen sich als Würzung einsetzten. Sehr gelungen.

Schwieriger hat es im Anschluss die Deklination von Kokos. Das Aroma ist zwar schön herausgearbeitet und die Kokosnuss wird auf dem Teller in verschiedenen Aggregatzuständen präsentiert. Optisch und sensorisch irritieren und stören uns dann aber die Tapiokaperlen, da wir wegen gewisser Ähnlichkeit – wie auch das Foto zeigt – das Kopfkino einfach nicht abstellen können.

Die durchweg gelungenen Petit fours.

Einmal mehr erlebten wir im Agata‘s eine entspannte Atmosphäre und locker-professionellen Service. Die Weinkarte ist ansprechend, wenngleich die begleitenden Weine noch optimaler mit der Küche abgestimmt werden könnten. Der Sake zum Käse war ein Volltreffer, der Schwächen bei einigen anderen Kombinationen ausmerzte.

Fazit

Jörg Wissmann präsentierte uns eine moderne Küche mit individueller Handschrift und einem guten Aromenverständnis. Optimierung bei einigen kleinen Ungenauigkeiten könnte den positiveren Gesamteindruck verstärken. Manchmal würde es unserer Meinung nach schon reichen, den Fuß ein wenig vom Gas zu nehmen und nicht in jedem Gericht alles zeigen zu wollen.

Sehr positiv fällt auch der gastfreundlich kalkulierte Menüpreis für die gebotene Qualität auf.

Weinbegleitung

Blanc de Blanc, Pascal Doquet

2007 Grüner Veltliner Smaragd, Piewald, Wachau

2008 Schoffweg, Marcel Deiss, Elsass

2011 Manzoni Bianco, Elisabetta Foradori, Trentino

2010 Gans Horn im Sonnenschein, Hansjörg Rebholz, Pfalz

2009 Auditori, Bodega Acustic, Montsant

Sake Dewazakura, „Blüte des Nordens“, Yamagata, Japan

2010 Bernkasteler Badstube, Riesling Spätlese, Dr. Thanisch, Mosel

Duval Leroy Rose Brut

Marille von Gölles

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