Urige Freuden
Eine besonders interessante Phase in der Karriere von Spitzenköchen ist die Zeit nach den ersten wichtigen Auszeichnungen, wozu natürlich der erste Stern gehört. Immer wieder beobachten wir, dass diese Bestätigung des eigenen Könnens den ersten Druck nimmt und einige Chefs freier aufkochen lässt. Auch vor diesem Hintergrund fiebern wir dem 6. November entgegen, wenn die Veränderungen im Michelin Deutschland 2015 in Berlin vorgestellt werden, doch dies nur am Rande.
Benjamin Peifer begeisterte uns bereits Ende 2012 im Restaurant Urgestein, wo er nun seit gut zwei Jahren kocht. Seine eigenständige, bisweilen unkonventionelle, aber immer zeitgemäße Küche sorgte dafür, dass er für uns die „Entdeckung des Jahres“ war. Und es kam, wie es kommen musste: Im November 2013 erhielt das Haus den ersten Stern. Seitdem waren wir gespannt, wie sich Peifers Stil entwickeln und ob es zu großen Veränderungen im Haus kommen würde – eine oft übereilte Maßnahme, die sich für manche Spitzenköche als Stolperstein entpuppt hat.
Doch derlei Bedenken sind unbegründet, da sich an den Rahmenbedingungen – herzlicher Service und rustikales Ambiente, das durchaus zur Intensität der Küche passt – augenscheinlich kaum etwas verändert hat. Dass es auch in der Küche seit 2012 keine Veränderungen gegeben hat – Peifer kocht zusammen mit der Frau des Besitzers – lässt uns hinsichtlich der stilistischen Entwicklung aufmerken, stößt doch die Kreativität in der Spitzenküche irgendwann an Grenzen, wenn das Team stark begrenzt ist. Dennoch, oder gerade deshalb, waren wir umso gespannter, was der Abend bringen würde.
Den Auftakt bildet ein Macaron, der als wohlbalancierte Verbindung von gebeizter Forelle, Sauerkraut, Zwiebel, Meerrettich und Kartoffel zu Recht den Titel „Hommage an die Pfalz“ trägt: deftig, kraftvoll im Geschmack und dennoch differenziert.
Auch der knusprige Reischip mit Alge und Jalapeño gefällt, wobei es hier vor allem die Würze ist, die Lust auf mehr macht.
Bevor das eigentliche Menü startet, wir diese Lust mit der Rhabarbergazpacho ‒ kalt und eiskalt zusätzlich befeuert: Die süßlich-saure Gazpacho verbreitet eine schöne blumige Note, welche durch das ungleiche Duo von Ziegenfrischkäse und schwarzem Knoblauch um geschmackliche Substanz und Fülle angereichert wird.
Den Auftakt des eigentlichen Menüs macht dann ein junger Klassiker von Benjamin Peifer, der uns bereits bei unserem ersten Besuch im Jahre 2012 begeisterte: Schweinebauch mit asiatischen Aromen kombiniert. In der aktuellen Fassung steht der butterweiche Schweinebauch nicht mehr im Mittelpunkt, sondern fungiert mit seinem rustikalen Charakter als Teil eines Ensembles, das zwischen Umami, Süße (Karotte), Exotik (Kokosnuss) und Säure (Limone) pendelt. Zusätzlichen Schwung erhält das Spiel der Aromen durch die Räuchernote der Kaffirlimone und die gepoppte Schweineschwarte, die texturell für Abwechslung sorgt.
Da kann der zweite Gang nicht mithalten. Zwar sind die vom Orient inspirierten „Mezze“ geschmacklich ohne Fehl und Tadel, dennoch fehlt uns zwischen Baba Ganousch, Taboulé, Rosenwasser-Gel und geeistem Joghurt jene Verbindung, die aus der Vielfalt der Aromen ein klares Ganzes entstehen lässt. So wirkt dieses Gericht eher wie ein Potpourri verschiedener Snacks. Schade.
Nach dieser kleinen Enttäuschung schwenkt Peifer mit Süsswasser-Aal gebeizt, geräuchert und in Miso glasiert mit Röstkartoffel „Intense“, Daikon und japanischem Senf wieder in Richtung großer Küche. Nicht nur ist das Gericht sehr schön angerichtet, auch gefällt es mit einer sehr feinen Balance von rustikalen Aromen. Tragendes Element ist hier die fettig reiche und zugleich dezent süßliche Aromatik des Aals, der bei jedem Bissen durchschimmert und mal mehr durch Schärfe (Senf), mal durch Erdigkeit (Kartoffel) oder mehr durch Frische (Daikon) akzentuiert wird.
Ungleich minimalistischer ist dann der Kabeljau aus Norwegen mit Fenchelsalat, Sesam, Koriander und leichter Dashi-Bouillon - zumindest optisch. Geschmacklich gelingt der Küche dank der gekonnten Feinjustierung ein weiterer hervorragender Gang: subtil und doch aromatisch die Dashi-Brühe, der Fisch wunderbar glasig, einige knackige Fenchelstreifen als Texturelement und Sesam sowie Koriander als nussig-würziger Kontrapunkt, der dem Ganzen Komplexität verleiht.
Mit dem geflämmten Black Cod aus Alaska mit Zuckermais in Texturen, Apfelchutney mit Curry und geröstetem Brokkoli folgt anschließend eine Weiterentwicklung eines Gerichts, dass wir auch 2012 schon genießen durften - lediglich die Protagonisten wurden ausgetauscht. Waren es damals Skrei und Jakobsmuschel, ist es diesmal eine Tranche des Zackenbarschs. Dessen aromatisches Fleisch verbindet sich mit der Süße des Maises und der würzig-sauren Fruchtigkeit des Chutneys zu einem überaus gefälligen Wohlgeschmack, die Röstaromen des Brokkolis steuern neben der Textur auch einen herb-kohligen Unterton bei, der aromatische Tiefe erzeugt.
Konzeptionell ähnlich, aber in der Produktkombination ungleich exotischer ist dann der folgende Gang: Glattbutt und Taschenkrebs aus der Bretagne, Quinoa mit eingewecktem Pfirsich, Artischocke und Harissacrème. Die Protagonisten sind von bester Garung und ergänzen sich auch in ihrem dezent süßlichen Geschmack sehr gut, welcher durch den Pfirsich eine fruchtige Nuancierung erfährt. Das röstige Quinoa und die erdige Artischocke sorgen für Textur und geschmackliches Volumen. Heimlicher Star des Tellers ist aber die Harrisacrème, die mit ihrer würzigen Schärfe für den nötigen Kick an Komplexität und damit an Spannung sorgt.
Bevor es zu den Fleischgängen geht, serviert uns die Küche eine wahre Geschmacksbombe: glasierten Sellerieraviolo mit Parmesan, Haselnuss und brauner Butter. Einmal durch die hauchdünne, al dente gegarte Pasta gedrungen, vermengt sich die Füllung aus süßlicher Selleriecrème mit der nussig-deftigen Allianz von Parmesan, Haselnuss und Butter zu einer süffigen, intensiven und schier dekadenten Liaison.
Diese Intensität greift der erste Fleischgang auf und führt ihn in mit Bravour auf ein noch höheres Niveau. Dabei handelt es sich um eine doppelte Inszenierung der Taube aus der Anjou (Provinz in Frankreich). Einerseits serviert Peifer die perfekt gegarte, hocharomatische Taubenbrust mit Sommerbete, Kirsche, Hafercrème und Kaffeeschaum. Andererseits haben wir einen Salat aus Bete mit Kirschgel, Haferkrokant, Stopfleber und der geschmorten Keule der Taube. Die Verbindungslinie zwischen beiden Teilen bildet die Intensität der Aromen, wobei die räumliche Trennung hier durchaus Sinn ergibt. Während die Keule und die reiche Leber in der Frische des Salats und der Textur des Haferkrokants ihren idealen Konterpart finden, ist es der sämig dichte Jus mit dem Kaffeeschaum, der zusammen mit der erdigen Bete das ideale Fundament für das delikate Brustfleisch der Taube bilden. Das ist schwer zu toppen,…
…und dennoch gelingt Benjamin Peifer dieses Kunststück, und er serviert mit dem Hauptgang Urlamm – Streetfood, serviert wie in Japan, Korea, Singapur und Thailand eine Götterspeise ersten Ranges. Dabei ist es nicht allein die geschmackliche Qualität des Gerichts, die uns begeistert, sondern ebenso die Abkehr von der auch in der Spitzengastronomie nicht unüblichen Gleichung "Hauptgang ist gleich Fleisch mit Beilage und Soße".
Stattdessen nimmt uns Peifer mit auf eine Reise durch Asien und serviert nicht weniger als 4 Gerichte vom Lamm, in denen man genüsslich schwelgen kann. Großartig die deftigen Dim Sum mit Lammbries (ohne Bild) und einer perfekten Balance aus Schärfe, Süße und Säure von Yuzu und Togarashi-Pfeffer (Japan)! Traumhaft das gehackte Lammfleisch mit Fischsoße, verfeinert mit Gemüse, Kräutern, Chili (Thailand). Himmlisch die butterzarten Rippchen mit Erdnusscrème und Limette (Singapur). Und göttlich dieses Schmorfleisch vom Lammnacken mit scharfem Kimchi, knackiger Edamame und intensiver Lammbouillon (Korea).
Danach kommt dem ersten Dessert Bienenstich „Intense“ mit Mandelkrokant, Vanilleschaum, Streusel und Hefe-Honigeis die undankbare Aufgabe zu, im überstrahlenden Licht des vorherigen Gangs selbst zu leuchten. Eine Bürde, dem diese Rekonstruktion des klassischen Bienenstichs nicht gerecht werden kann. Zwar schmeckt alles "gut", doch fehlen uns etwas das Überraschungsmoment und die Finesse.
Das ist auch insofern verwunderlich, da wir den Prototypen dieser Süßspeise im Jahr 2012 als Teil unseres Dinners serviert bekamen. Seitdem hat sich diese Kreation zum süßen Klassiker des Hauses entwickelt, wobei es zu einigen Veränderungen in den Proportionen kam. Wir können nicht sagen, woran genau es liegt, aber die Urversion wirkt in der Rückschau spannender.
Versöhnlich dann aber das zweite Dessert, Bananensplit mit dunkler Schokolade, marinierter Banane, Ingwer, Kaffirlimone und Koriander. Diese thailändische Adaption des Süßspeisenklassikers erweist sich Dank der würzigen, säuerlichen und scharfen Elemente als äußerst vielschichtig am Gaumen und wirkt in seiner exotischen Fruchtigkeit kurzweilig und geradezu beschwingt. Ein schöner Abschluss für unser Dinner, …
… das in den Petits Fours einen ebenso würdigen Ausklang findet: Urgestein-Trüffel, Macaron-Jelly, Zitrusfrüchte und Holunderblütentonic, Pfälzer Erdbeere, Joghurt und erfrischende Minze.
Benjamin Peifers (2.v.l.) Küche bleibt auch 2014 deutlich asiatisch inspiriert, wobei sie aber wesentlich wuchtiger wirkt, als die der anderen besternten „Deutsch-Asiaten“. Er versteht sich sehr gut auf das Spiel mit Säure, Süße und Umami, ohne dass es im Laufe des Menüs zu anstrengend wird. Auch zeigt der gebürtige Speyerer Mut und Nonkonformismus gegenüber tradierten Menüstrukturen (siehe Hauptgang). Dennoch könnte er insgesamt noch reduzierter und fokussierter agieren. Besonders deutlich wird dies bei den orientalisch inspirierten Mezze, welche zwar geschmacklich ohne Fehl und Tadel waren, jedoch kompositorische Konzentration haben vermissen lassen. Ganz anders da der Black Cod, ein Gericht, das erkennen lässt, welches Potenzial in der Urgestein-Küche steckt, die mit 2 Köchen bereits derart brilliert.
Der Service im Urgstein wird weiterhin vom Besitzer des Hotels, Hanno Rink, geleitet und ist stets herzlich, bisweilen etwas unkonventionell. Aber all das passt zum rustikalen bis schrägen Ambiente und der ungewöhnlichen Peifer-Küche. Wir sind gespannt, wie sich der Umbau des Restaurants im Januar auf die Atmosphäre auswirken wird...
Die Weinkarte und auch die Weinbegleitung spiegeln die hohe Identifikation mit der Region wieder – hier ist man stolz auf die Pfalz und die Gläser stets gut gefüllt.
Fazit
Benjamin Peifer mischt die Pfalz seit 2012 kulinarisch gehörig auf – von ihm wird noch einiges zu erwarten sein. Hinfahren und hingeben!
WEINE
2011 Blanc de Noir Brut, Sektkellerei Andres & Mugler, Ruppertsberg
2012 Sauvignon – Blanc I, Weingut von Winning, Deidesheim
2013 Grüner Silvaner, Weingut Nicole Graeber, Edenkoben
2012 Viognier, Aus Versuchsanbau, Oliver Zeter, Diedesfeld
2012 Urgestein Cuvée, Gemischter Satz, Wein – und Sektgut Winterling, Niederkirchen
2012 Kallstadter Spätburgunder, Weingut am Nil, Lallstadt
2012 „Quintesenz“, Weingut Rings, Freinsheim
2009 Neustadter Lercheböhl, Riesling Auslese, Weingut Kraiselmeier, Lachen Seyerdorf
2013 Sweetheart, Sauvignon Blanc, Oliver Zeter, Diedesfeld
Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Hanno Rink
1. Anzahl der Positionen
Über 300
2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
100% Pfalz
3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Diverse ab 20 Euro
"Breumel in den Mauern" Müller-Catoir / Haardt-Dopplemagnum für 280 Euro
4. Die ungewöhnlichste Rarität?
Cuvée Tinaja / Amphorenwein von Heiner Sauer, Böchingen
5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Cuvée Urgestein vom Weingut Winterling in Niederkirchen
6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
2009er Grauburgunder***** vom Weingut Knipser in Laumersheim
"Xperiment" vom Weingut Rebholz in Siebeldingen
7. Ihr Lieblingswein...
Das kommt auf die Gelegenheit an, im Moment sehr gerne 2010er Rieslinge u.a. Von Winning "Ungeheuer 500". Der Jahrgang war in der Presse recht schnell verrufen – "Arschjahr". Hat aber ein ungeheures Potenzial!
8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden?
Wir hatten neulich einen Tisch mit großem Menü und unserer Weinbegleitung. Die Herren haben tatsächlich nach jedem 2ten Gang noch zusätzlich eine Flasche "Reparaturwein" bestellt!