Städtische Landpartie
Bei einem kulinarischen Trip nach Holland denken die meisten Fressverrückten sofort an zwei Städte: Zwolle und Amsterdam. In Ersterer befindet sich das mit Abstand beste Lokal des Landes (De Librije), während die Grachtenmetropole gleich mit einer ganzen Reihe spannender Toprestaurants (Bord'Eau, Librijes Zusje...) lockt. Bringt man hingegen Eindhoven ins Spiel, wissen die meisten zunächst nicht einmal, wo genau sich diese Stadt eigentlich befindet. Tatsächlich fristet die Minimetropole im Süden des Landes das Dasein eines Mauerblümchens – zu Unrecht, denn sie ist zwar keine Schönheit, aber für Foodies von besonderem Reiz.
Durch die weltberühmte Designhochschule ist die Gastroszene relativ jung und am Puls der Zeit, die Bistronomie floriert mit Restaurants wie dem lässigen Galerie-Restaurant "Kazerne" und dem in einer alten Phillips-Fabrikhalle befindlichen "Radio Royaal"; die Barszene auf der Ausgehmeile "Kleine Berg" ist klein und fein, die Hotels sind stylish (und am Wochenende unschlagbar günstig); und nicht zuletzt haben wir in noch keiner Stadt dieser Größe eine solche Menge an individuell geführten Kaffeebars von exzellenter Qualität gefunden, allen voran das versteckt gelegene "Bean Brothers" – am Morgen nach einem langen Abend mit reichlich Wein und Digestifs ein nicht zu unterschätzender Faktor.
Was uns zu den kulinarischen Topadressen der Stadt bringt. Die drei besten Restaurants der Gegend, allesamt zweifach besternt, liegen im Speckgürtel Eindhovens: Das "Boreas", das "De Lindehof" (Bericht folgt!) und das "De Treeswijkhoeve" sind vom Zentrum in rund zehn Autominuten erreichbar. Den Auftakt unserer Tour bildete das "De Treeswijkhoeve", das sich – der Name deutet es an – in einem ehemaligen Bauernhof im Vorort Waalre befindet. Von dichtem Wald umgeben, wirkt das Gelände romantisch-malerisch, das Interieur gefällt durch eine unprätentiöse Mischung aus Rustikalität und Eleganz.
Wir sind an einem Mittwoch vor Ort und staunen: Der Gastraum ist mitten in der Woche voll besetzt, ein immer seltener werdender Anblick. Chef Dick Middleweerd begrüßt jeden Gast persönlich. Er übernahm das Haus im Jahr 2000 von seinen Schwiegereltern; im Michelin 2013 bekam er den zweiten Stern. Seine Frau Anne-Laure leitet den Service, und durch das fast ausschließlich einheimische Publikum (außer uns) herrscht eine familiäre Atmosphäre. Wir spüren sofort, dass wir uns für die nächsten Stunden hier sehr wohl fühlen werden.
Dazu passt auch die bemerkenswert gastfreundliche Preisgestaltung: Das größte Menü hat fünf Gänge und kostet 92,50 Euro, wobei das Dessert als ein Gang zählt, aber drei Gänge umfasst. De facto bekommt man also sieben Gänge zu dem Preis, in einem Restaurant mit 2 Sternen und 18 Punkten – wo bitte gibt es das noch? Natürlich fragen wir uns auch, ob angesichts solcher Schnäppchenpreise Abstriche bei der Qualität gemacht werden.
Doch bereits der erste Snack, der sich an einen holländischen Imbissklassiker anlehnt, ist vielversprechend: Am Tisch schneidet Küchenchef Middleweerd jedem Gast ein Stück von mit Wurst gefülltem Hefebrot ab. Das wirkt erst einmal unspektakulär, besticht aber durch das traditionsbewusste Understatement und eine absolut perfekte Umsetzung. Fluffiger Teig, würzige Füllung – genau das Richtige, um unseren ersten Hunger zu bändigen.
Sensationell geht es weiter: Das im Tabak geräucherte Mairübchen mit Dashi-Hollandaise bringt alles mit und ist knackig, süffig, überraschend komplex und einfach köstlich.
Es folgt ein kleines Bataillon weiterer Häppchen: dekonstruierte Paella mit Chorizo-Crème und Tintenfisch (im Bild), knusprige Hähnchenfiletstücke mit Sojabohnen und Piniensalz, japanischer Knöterich mit Tom-Ka-Gai-Aromen, sowie eine Meringue mit Curry und Curry-Zitrus-Füllung. Mit den durchweg fein gearbeiteten Asia-Bezügen als Leitmotiv sind sämtliche dieser Petitessen sehr wohlschmeckend, allen voran der würzige Paella-Cracker sowie das außen krosse, innen zarte Hähnchen. Wie erfolgreich wäre wohl ein Fast-Food-Laden mit dieser Köstlichkeit?
Als erstes Amuse schickt uns die Küche Gurke mit Jalapeño, Shiso und griechischem Joghurt. Das schmeckt zuvorderst frisch, könnte aber etwas deutlichere Schärfe vertragen. Nett.
Wesentlich besser gefällt uns das zweite Amuse, Spanferkel mit Avocado und Fenchel. Das Schweinestückchen ist zwar sehr klein, aber mit herrlich krosser Haut und butterweichem Fleisch. Dazu Avocado als cremig-nussige und Fenchel als auffrischende Beigabe – exzellent.
Das eigentliche Menü startet zweiteilig. Da ist auf der einen Seite eine gebratene Langustine mit provençalischer Gemüseterrine. Neben der leicht gerösteten Langustine begeistert uns vor allem die filigrane Terrine: Das schmeckt wie die Quintessenz des Begriffs "mediterran", leicht und doch vollmundig, elegant und doch süffig-bodenständig. Dazu etwas Artischocke und Tomatenkerne als feine Aromen- und Texturabstufungen. Klasse. Der zweite Teller dieses Gerichts besteht aus...
… einem Gazpacho-Salat, bei dem die spanische Gemüsesuppe als hervorragendes Eis serviert und mit einigen Salatelementen sowie einem Stück marinierter Langustine ergänzt wird. Zunächst wirkt die Eisnocke in Relation zum Rest etwas klein. Aber wir merken schnell, dass man sie am besten als eine Art Vinaigrette für die übrigen Komponenten einsetzt – mit dem Effekt, dass der Geschmack insgesamt voller und runder wird. Sehr gut.
Geradliniger dann der erste Fischgang, gebratener Seebarsch mit Mais, roten Zwiebeln, Avocado und Saft von Zuckererbsen. Der Umberfisch steht hier zu recht klar im Vordergrund, denn er schmeckt mit seiner superkrossen Haut und dem saftigen Fleisch schlichtweg großartig. Daneben gefällt das Gericht aber auch durch stimmige, mexikanisch angehauchte Kombinationen aus bitter-süßer roter Zwiebel, süßlichem Mais und nussiger Avocado. Ein schöner, in sich runder Wohlfühlgang – nicht mehr, nicht weniger.
Der zweite Fischgang besteht aus gebratenem Schollenfilet mit Kürbis, Sesam und Miso. Zugegeben, unsere erste Assoziation beim Anblick des Fischs ist "Schlemmerfilet Bordelaise". Nicht dass wir diesen Tiefkühl-Klassiker nicht gelegentlich als „Guilty Pleasure“ schätzen, aber hier sind wir doch froh, dass es um andere Qualitäten geht: Middleweerd unterstützt den eher milden Eigengeschmack des Fischs mit der markante Würze von Sesam, Miso und Kürbiskernen. Die Kürbisgemüse-Variation wirkt harmonisierend und rundet das Ganze mit leichter Süße ab. Bei dieser dezent japanisch beeinflussten Kreation führt eines zum anderen, nichts dominiert. Zumindest für einen von uns ist das einer der gelungensten Fischgänge der letzten Zeit.
Als Hauptgang lässt Middleweerd Entrecôte mit Sukkade, grünem Spargel und Pfifferlingen servieren. Am Tisch wird noch etwas Trüffel über das Fleisch geraspelt, der für eine schöne, erdige Würze sorgt. Das Fleisch sieht toll aus und hat angenehme Grillaromen, fällt allerdings nicht so zart aus, wie erwartet. Die kandierte Zitronenschale (Sukkade) im Jus bringt süßsäuerliche Frische, Spargel und Pfifferlinge sind klassische und stimmige Begleiter. Das ist alles hübsch und solide, wenn auch unspektakulär. Was diesem Teller dann den nötigen Kick gibt, ist das Stück geschmorten Rindfleischs mit seiner Mürbheit und seiner aromatischen Wucht – das schmeckt hervorragend und ist der Grund, wenn wir dieses Gericht noch länger in Erinnerung behalten.
Der Dessertreigen wird von roten Früchten mit Holunderblüten, weißer Schokolade und Basilikum-Minzeis eröffnet. Eine klassische Aromenkombination, die durch ihre souveräne Umsetzung einnimmt: ein wenig Fruchtcrème, ein paar frische Beeren, etwas Schokolade, dazu ein exzellentes Eis sowie ein paar Mini-Baisers für die Textur. Mehr braucht es manchmal gar nicht für eine gute Süßspeise.
Nach einem ähnlichen Prinzip – klassische Kombination in frischer Präsentation – ist das zweite Dessert aufgebaut, eine dekonstruierte Version des Klassikers "Pêche Melba". Der pochierte Pfirsich wurde mit Vanille zu einer Art Flan verarbeitet und wird mit diversen Himbeerzubereitungen (Gel, Coulis, Sorbet) serviert; hauchdünne, karamellisierte Teigblätter sorgen für den nötigen Crunch. Das schmeckt mit seinem klaren Aufbau, den bewährten Geschmackskombinationen und den kleinen Abweichungen bei der Umsetzung einfach hervorragend. Ein wohlschmeckender Klassiker bleibt eben in jeder Form ein wohlschmeckender Klassiker.
Den Abschluss bildet ein zweiteiliges Dessert. Vorne steht ein Zitronen-Geranien-Sorbet mit Kirschgel und Teigcrumble, im hinteren Töpfchen befindet sich eine Kreation aus Schwarzkirsche mit Cabernet-Sauvignon-Essig. Am Eis scheiden sich die Geister, denn einem von uns ist das Geranienaroma viel zu parfümiert, während der andere gerade diese zunächst irritierende Aromatik spannend findet. Einhellig überzeugt sind wir von der geschmacklich sehr dichten Kirsch-Essig-Kreation. Von dieser hätte es ruhig eine größere Portion sein dürfen.
Unser Besuch im De Treeswijkhoeve gehörte zu jenen selten gewordenen Erlebnissen, wo wir auf sehr hohem Niveau speisten, aber nicht das Gefühl hatten, uns durchgehend voll konzentrieren zu müssen, andererseits aber auch nicht von braver Klassik unterfordert wurden. Über das gesamte Menü hinweg gelang Dick Middleweerd die Gratwanderung einer leichten Zugänglichkeit, die aber keineswegs langweilt und mit feinen in Details überrascht. Seine Küche ist leicht, frisch und manchmal verspielt. Wie bei Sergio Herman und Jonnie Boer kommt auch in Middleweerds Kreationen der historisch bedingte asiatische Einfluss auf die niederländische Küche zum Tragen. Das verleiht ihr eine Weltläufigkeit, bei klarer Verortung in einer konkreten kulinarischen Tradition.
Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Garmethoden: Fisch und Fleisch wurden durchweg gebraten oder gegrillt. Und es zeigte sich, dass diese "altmodische" Methode den jeweiligen Charakter des Produkts wesentlich besser zur Geltung bringt, als die (zum Glück seltener werdende) Sous-Vide-Manie, die jedem Stück Fisch oder Fleisch die immer gleiche, gummiweiche Konsistenz verleiht.
Der sympathisch-bodenständige Ansatz des Hauses zeigt sich auch in der Tatsache, dass kein riesiges Degustationsmenü angeboten wird, sondern sich die Küche auf eine kürzere Menüfolge beschränkt. Dies ist sicher auch den Wünschen des fast ausschließlich lokalen Gästekreises geschuldet: Die Menschen kommen hierher, um hervorragend zu essen und miteinander eine gute Zeit zu haben. Und so gut und modern die Kreationen auch sind, steht die Geselligkeit im Vordergrund, das Essen bietet dazu den Rahmen. Und erst wenn man, wie wir, so etwas in Zeiten globetrottender Fressverrückter auf der Suche nach dem neusten Kick wieder einmal erlebt, merkt man, wie selten dieses "Konzept" geworden ist – und wie wohltuend es sein kann.
FAZIT
Tolles Essen, faire Preise, familiäre Atmosphäre. Ein Besuch hier macht einfach richtig Freude.
Weine
Champagner Charles Heidsick, Grande Cuvée
2013 Riesling, Robert Weil, Rheingau, Deutschland (zur Langustine)
2012 Acústic Blanc, Acústic Celler, D.O. Montsant, Spanien (zum Seebarsch)
2011 Crozes-Hérmitage Blanc, Domaine Alain Graillot, Rhone, Frankreich (zur Scholle)
2013 Boom Boom! Syrah, Charles Smith, Washington Estate, USA (zum Rind)
Noble Late Harvest, Delaire Graff Estate, Stellenbosch, Südafrika (zu den Desserts)
FRAGEN AN DEN SUFFMEISTER
1. How many different wines are on the list?
+/- 600
2. Are you focusing on certain regions or styles?
Burgundy wines
3. What is the least and what the most expensive bottle?
28,50 to 1400,00
4. The most unusual rarity on the list?
Pedro Ximenes 1939
5. Which wine did you sell most frequently last year?
Generally White burgundy wines
6. Your most memorable discovery of last year?
Aroha pinot noir te murra from Martinsborough New Zeeland
7. What is your personal favorite bottle? And why?
Grüner Veltliner Loibner Vinothekfüllung Smaragd by Weingut Knoll, i like the complexity of this wine
8. What was the most uncommon wine-related request you ever received from a guest?
A wine from burgundy made of the merlot grape....
Hinweis
Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.