Es ist Gold, was Silver glänzt
Da soll noch einer sagen, das Drumherum spiele beim Essen keine Rolle. Als wir von der Märchenkulisse des Vierwaldstättersees in Richtung Vals aufbrechen, wird uns schnell klar, dass die Anfahrt zum Restaurant "Silver" irgendwie dazugehört: Über eine kurvenreiche Bergstraße manövrieren wir unseren Mietwagen ins 1250 Meter hoch gelegene Vals. Eine Wagenseite stets nah am Abgrund, die andere fast auf der Gegenspur der schmalen Fahrbahn. Unser Staunen gilt dabei nicht nur den auf nassem Fels glitzernden Sonnenstrahlen und den imposanten Gesteinsformationen in den engen Schluchten, sondern auch der Todesverachtung der Bergjugend, die mit selbstbewusstem Tempo an uns vorbeischnurrt.
Vals selbst ist eher unscheinbar. Ein winziger Ort, der vor allem für sein Mineralwasser bekannt ist – und für eine Therme, die sich aus der gleichen Quelle speist. Von Stararchitekt Peter Zumthor gestaltet, bietet die seit 1998 unter Denkmalschutz stehende Therme zahlreiche Badebecken und Ruhezonen in einem gleichermaßen futuristisch wie archaisch anmutenden Bau aus Valser Gneis-Gestein.
Aber auch das direkt angeschlossene Hotel "7132" (nach der Valser Postleitzahl), in dem das "Silver" sich befindet, wirkt wie aus der Zeit gefallen. Von außen ist es ein wenig ansehnlicher 70er-Jahre-Bau, im Innern fühlt man sich dagegen eher wie in einem alten James-Bond-Film. Alles wirkt ein wenig nostalgisch, puristisch-elegant, aber doch zeitlos-modern. Die Zimmer sind zwar eher klein, bekamen aber von berühmten Architekten wie Tadao Ando, Kengo Kuma und natürlich Peter Zumthor einen sehr individuellen Stempel verpasst. Klare Formen sowie eine unverkitschte, überschaubare Möblierung (eine Kleiderstange ersetzt den Schrank) mit berühmten Designklassikern von Mies van der Rohe und Le Corbusier sorgen für eine ganz eigene Atmosphäre zwischen lässigem Herbergsfeeling und intellektueller Luxushotellerie.
Auch im "Silver" gibt es vom biederen Gourmetrestaurant-Einerlei keine Spur. Mit seinen kräftigen Farben, der klaren Formensprache und den pointierten Designakzenten herrscht eine eigentümlich "filmische" Atmosphäre, irgendwo zwischen 60er-Jahre-Bond und Stanley Kubrick. Hier merkt man, dass ein wahrer Meister für die Gestaltung verantwortlich zeichnete: Peter Zumthor hat mit dem "Silver" eines der in unseren Augen geschmackvollsten Toprestaurants Europas geschaffen.
Küchenchef Sven Wassmer trafen wir das erste Mal, als wir 2012 in London das "Viajante" besuchten, wo er gemeinsam mit Nuno Mendes am Herd stand. Schon dort war Wassmer maßgeblich in den kreativen Prozess eingebunden. Dort wie auch beim CookTank No. 5 begeisterte er uns unter anderem mit einer sensationellen Erbsenvariation. Weitere Stationen hat Wassmer bei Andreas Caminada, Markus G. Lindner (damals "Mesa", Zürich) und zuletzt bei Nenad Mlinarevic im "Focus" absolviert. Ziemlich gute Voraussetzungen für eine überzeugende Küche. Kein Wunder also, dass der Schweizer Gault Millau ihn ein halbes Jahr nach seinem Antritt im "Silver" mit 17 Punkten zur "Entdeckung des Jahres" kürte.
Aber genug der Vorschusslorbeeren. Schauen wir, was das Menü zu bieten hat...
Zum Aperitif gibt es in paar Snacks: Navetten mit Miso, Bergkäsecrème mit Sauerteigchip, Gambero Rosso mit Kopfpaste sowie Entenleber mit Rotkohl und hausgemachtem Joghurt. Wow, diese vier Happen haben es bereits in sich. Filigran gearbeitet, komplex im Geschmack und mit bestens justierten Texturspielen. Vor allem der Gambero, in einer hauchdünnen Teighülle gebacken, und die Leber-Rotkohl-"Praline" begeistern uns nachhaltig mit ihrer Balance aus Wucht und Eleganz.
Weiter geht es mit einer Blumenkohlcrème, Tatar und Granita von Tannenöl. Auch hier gelingt wieder das feine Spiel zwischen Kraft und Geschmeidigkeit, zwischen leichter Süße, Kohlnoten und herben Tannenaromen.
Das eigentliche Menü startet mit pochiertem Lumare-Saibling mit Shoyu-Dashi und Aubergine. Was für ein Knaller zum Auftakt: butterweicher Fisch in unglaublicher Qualität, von Dashi mildwürzig eingefasst, durch kross aufgepuffte Haut texturell erweitert. Dazu im Schälchen ein frittiertes Auberginenpüree mit in Dashi eingelegtem Saiblingskaviar. Diese Zusammenstellung ist so pointiert, hat eine solche Reinheit der Aromen und lebt von so einer sensationellen Produktqualität, dass wir nicht nur wegen der Optik an japanische Meister denken müssen.
Es geht sensationell weiter: Rote Bete und Geflügel sieht unspektakulär aus, hat es aber in sich. Die Knolle sitz in einem dicken Jus aus Roter Bete und intensivstem Geflügelgeschmack – eine Essenz fürwahr. Mit der süßlichen Erdigkeit der Knolle und den knusprigen Geflügelchips ergibt das Vollmundigkeit, die ihresgleichen sucht. Wahnsinn.
Etwas dezenter, aber nicht weniger überzeugend die Rotbarbe mit Wurzelgemüse und Lorbeer. Der Fisch ist von hervorragender Qualität und hat eine schöne knusprige Haut; der für Rotbarbe typische, würzige Eigengeschmack wird von der natürlichen Süße der Gemüseröllchen wundervoll ausbalanciert, der Lorbeerjus bringt eine gut passende, leicht herbe Würze. Eine sehr elegante Kreation, bei der lediglich die Röllchen deutlich wärmer hätten sein dürfen.
Auch der nächste Gang klingt äußerst vielversprechend: Kobe-Entrecôte, Schwarzer Knoblauch und gerösteter Brokkoli. Doch leider hat die Küche hier ihren ersten Hänger: Der Brokkoli hat durch die starke Röstung eine solche Intensität (und Bitternoten), dass er selbst bei sparsamster Dosierung alles andere überlagert. Nimmt man noch etwas vom Schwarzen Knoblauch hinzu, hat das Fleisch überhaupt keine Chance mehr. Schade um das schöne Kobe.
Gleich mit dem nächsten Gang sind Wassmer und seine Crew aber wieder voll da. Das Raclette aus Schweizer Bergkäse mit Bündner Bergkartoffel und Trüffel schmeckt schlichtweg grandios. Dabei ist es im Grunde so simpel: beste Kartoffeln, die Biss haben und wirklich nach 'Kartoffel' schmecken, bester Käse, der durch den Schmelz erst seine ganz wohlige Wonne entfaltet, und geraspelter Trüffel, der dem ganzen eine ätherische Fülle gibt. Fertig ist eine Götterspeise.
Weiter geht es mit norwegischer Jakobsmuschel und Pilzen. Die zerteilte St. Jacques erhält durch die kräftig Flämmung eine Eigengeschmacksverstärkung, die sie angesichts der Begleitung gut gebrauchen kann: Eine knackige Pilzmischung und ein dichter Pilzfond verbinden sich zu einer Umami-Bombe sondergleichen. Selten sind Wald und Meer wohlschmeckender aufeinandergetroffen.
Danach wird es wieder fleischig: Maldonado-Schwein mit Muskatkürbis und Holunderbeeren. Wassmer verwendet die "Presa", eines der delikatesten Teile des Ibérico-Schweins. Es sitzt im oberen Bereich des Schulterblattes, ist sehr gut marmoriert, butterzart und hat einen vollen Geschmack. Viel mehr als etwas süßlich-würzigen Kürbis und säuerlich eingemachte Holunderbeeren braucht es gar nicht, um daraus ein exzellentes Gericht zu machen. Oder doch: Etwas heißer hätte alles sein dürfen.
Als finalen Fleischgang lässt Sven Wassmer Schweizer Wagyu mit Gemüsepaste und Zwiebel servieren. Und auch diese Kreation überzeugt durch die Kunst des Weglassens: eine in jeder Hinsicht hervorragende Tranche Fleisch, dazu ein ebenso guter Jus, etwas überkrustete Röstzwiebel – und als wichtiges i-Tüpfelchen eine Nocke Gemüsepaste, welche für einen aromatischen Ausgleich zur Zwiebel und für eine geschmeidge Mundfülle sorgt. Unaufgeregt, souverän, köstlich.
Der Käsegang besteht aus hausgemachtem Ziger mit Baumnuss (Walnuss) und Birne. Hier muss man etwas aufpassen, dass der Ziger, ein dem Ricotta ähnlicher Schweizer Frischkäse, zwischen der kräftigen Nuss und der Birne nicht untergeht. Das wäre auch schade, denn er besticht durch seine seidige Beschaffenheit und einen milden, leicht säuerlichen Geschmack. Sehr schön.
Danach gibt es eine kleine Showeinlage: Dem Grapefruitsorbet mit fassgereiftem Negroni wird am Tisch der letzte Schliff bzw. Schuss (Negroni) verpasst. Die fruchtig-süße Bitterkeit des Sorbets passte bestens zu dem Cocktailklassiker aus Gin, rotem Wermut und Campari. Ein toller Muntermacher, bevor es an die süßen Sachen geht...
Das erste Dessert heißt auf der Karte schlicht Sauerklee. Was für ein Understatement! Es besteht aus einem Sauerkleesorbet mit Yuba und salzigen Kakaostreuseln. Dazu frische und kandierte Steinpilze sowie ein Pulver von Steinpilzen, obenauf und drumherum frischer Sauerklee. Das klingt vielleicht etwas spröde, schmeckt aber unglaublich eingängig und kein bisschen "verkopft": Alles hält eine perfekte Balance aus säuerlich, süß und salzig, aus cremig (Eis), vollmundig (Yuba) und leicht knusprig (Steusel). Neben dem sensationellen Sorbet begeistern uns vor allem die Steinpilze: Nicht nur passt deren erdige Süße (kandiert!) ganz exzellent in den Klee-Kontext, ihr geschmacksverstärkendes Umami bringt auch die Aromen der anderen Zutaten zum Blühen. Dazu lässt Wassmer einen alkoholfreien Sauerklee-Drink servieren, der dem Kraut nochmal Nachdruck verleiht, den es für unseren Geschmack aber gar nicht zwingend gebraucht hätte. Viel spannender finden wir es, innerhalb der Menüdramaturgie zweimal Pilze zu servieren: zunächst in einem würzigen Gericht (Jakobsmuschel) und nun in einem Dessert – und beide Male schmeckt es großartig.
Grandios auch das zweite Dessert, bestehend aus Milcheis mit Dillgranité, getrocknetem Milchschaum und Fenchelpollen. Auch hier arbeitet die Pâtisserie mit einem Wechselspiel aus klassischen Dessertkomponenten und herben Akzenten, wenngleich die Süße hier deutlich ausgeprägter ist als zuvor beim Klee-Dessert. Das ist auch gut so, nicht nur wegen der Dramaturgie, sondern auch, weil der Zucker den Anisgeschmack des Dills sehr schön einbindet. Das i-Tüpfelchen sind allerdings die Fenchelpollen, auch "Gewürz der Engel" genannt. Sie schmecken höchst delikat nach Fenchel, leicht zitronig und mit Anklängen an Honig, Koriander und Dill.
Einmal mehr haben wir hier eine Kreation, die einerseits sehr rein und betörend natürlich schmeckt, nach Bergweiden, Alpenluft und Kräuterwiesen, zugleich aber komplex und durchdacht wirkt.
Das letzte Dessert besteht aus Butter und Pastinake: Ein Buttereis wird mit einer Cheescakecrème, Pastinakenquark und in Milch sous-vide gegarten Pastinakenscheiben serviert. Das ist für sich schon verdammt gut, eine tolle Deklinierung des Themas Butter/Pastinake und bei weitem nicht so schwer, wie es sich vielleicht liest. Der Clou sind allerdings die Streusel, bestehend aus Spekulatiuscrumble, getrockneten Pastinakenbröseln, Mandelstreuseln, geröstetem Milchpulver und Salz-Schokostreuseln. Wirken Eis und Quark für sich genommen eher cremig-mild, bekommen sie durch diese Ballung an Buttrigem und Geröstetem eine ungeheure Wucht. Das ist ein Dessert, bei dem man mit Wonne in die Vollen geht – herrlich.
Und es bleibt sogar noch Platz für die köstlichen Petits Fours: Cannelé und Tanne, Milchschaum und Apfel, Lorbeer und Chiasamen.
Was für ein Abend! Waren wir im Vorfeld noch etwas unsicher, ob sich die langwierige Anreise in die Schweizer Berge lohnen würde, fügte sich auf einmal alles ins Bild: die Fahrt, die Landschaft, das Hotel, die Therme, das Menü – all das formte sich zu einem Gesamterlebnis, wie wir es viel zu selten erleben.
All die sinnlichen Eindrücke unterschiedlichster Art – von den Sonnenstrahlen am Berghang über die dampfende Hitze in der Therme bis zu den Düften der Speisen – versetzten uns peu à peu in einen Zustand gesteigerter Wahrnehmung. Freie Natur und absoluter Gestaltungswillen treffen hier in jeder Hinsicht zusammen. Die Frage, ob das Essen für sich genommen und an anderem Ort genauso genial geschmeckt hätte, lässt sich zwar mit einem sicheren "Ja!" beantworten. Zugleich wird diese Frage hier endgültig ihrer provinziellen Tester-Mentalität überführt: Man is(s)t nicht im theoretischen Woanders, sondern immer im konkreten Hier und Jetzt.
Passend zum Umfeld verwebt Sven Wassmers (Mitte) Küche Lokales und Internationales, Tradition und Innovation. Die Produktqualität ist dabei ebenso beeindruckend wie die Ideen, mit denen sie in Szene gesetzt werden. Wassmers japanisch anmutender Purismus wirkt nicht spröde. Seine Gerichte haben bei aller Durchdachtheit eine herrliche eingängige Süffigkeit. Und es kommt selten vor, dass wir in einem so umfangreichen Menü nur eine einzige wirklich schwache Kreation erleben (das Kobe mit Brokkoli), umgekehrt aber selbst Monate später noch fast alle Gerichte förmlich nachschmecken können. Auch das macht große Küche aus.
Nahtlos knüpft daran der Service und vor allem der Auftritt von Sommelière Amanda Bulgin (4.v.r.) an. Selten haben wir eine derart spannende, aber dennoch harmonische Weinbegleitung erlebt, die zudem derart passioniert vorgestellt wurde. Beeindruckend.
Fazit
Der Besuch in Vals bescherte uns einen Alprausch der besonderen Art, ausgelöst vor allem natürlich durch Sven Wassmers herausragende Küche. Wir können den nächsten Trip kaum erwarten!
Fressfreunde
Das Filet
"Sven Wassmer ist unzweifelhaft einer der talentiertesten Schweizer Köche seiner Generation, hat gute Ideen und Geschmack. Beim Testing-Menü fand ich nicht alle Gerichte gleich stark, aber sehr viele sehr stark. Und von den Kräutern, Pilzen und Beeren, über die man gerne spricht, weil man sie selbst an den steilen Hängen der Umgebung gepflückt hat, und dem Rindfleisch, das aus Nebraska eingeflogen wird, gibt es für mich einen nicht ganz leicht zu überwindenden Widerspruch. Abgesehen davon: unbedingt hingehen!"
Wein
Mit Notizen der Sommelière Amanda Bulgin
Equipo Navazos, La Bota de Florpower Más Allá #53, Jerez, Spanien
"Ein fantastisches Projekt von Equipo Navazos, ein quasi nicht angereicherter Sherry. Jeder Wein ist einzigartig und hat seinen eigenen Charakter. Hier die Intensität eines guten Manzanilla-Sherrys, aber mit mehr Feinheit im Abgang. Ich bin Britin, also habe ich Sherry im Blut, und ich versuche, unseren Gästen Sherry stärker ans Herz zu legen. Zu diesem Gericht habe ich viele Weine probiert, aber nichts paßte perfekt; auch Sake nicht. Der Gedanke an meine Wurzeln führte mich dann zu dieser Wahl, die zu meinen liebsten gehört."
2014 Pinot Noir, Weingut Eichholz, Schweiz
"Einer der besten Produzentinnen in der Gegend, und wir haben viel gemeinsam, da Frau Wachholz auch eine entschlossene Frau in einer männerdominierten Industrie ist. Pinots sind das, was wir am besten können, und dieser leichte Wein erinnert mich immer an wildwachsende Valser Erdbeeren."
2012 Sauvignon vom »Opok«, Weingut Muster, Steiermark
"Was für ein Wein, welche Energie! Ich habe diesen Wein, damals den 2007er, vor ein paar Jahren entdeckt und seitdem war es Liebe auf den ersten Blick. Der Charme von Maria und Sepp Muster geht in den Wein über. Der Wein ist auf seine Art komplex, so dass ihn jeder anders interpretieren wird – je nach Stimmung oder Jahreszeit. Das Wort das ich am meisten verwende, wenn ich über diesen Wein rede ist "Energie". Ich weiß nicht, wie Familie Muster es macht, aber dieser Wein ist so lebhaft und energiegeladen, toll!"
2011 Montepulciano d’Abruzzo, Emidio Pepe, Italien
"Er ist für mich ein Hersteller dessen Philosophie ich sehr respektiere und bewundere. Gerade sind natürliche Weine ein großer Trend, was toll ist, aber es gibt einige wenige echte Winzer, die schon immer an diese Philosophie geglaubt haben, und Emidio ist einer davon. In den 60ern, als ganz Italien wie verrückt Pestizide versprüht hat, wusste Emilio, dass dies nicht richtig ist und hat angefangen, Wein auf natürliche Weise herzustellen. Damals hat ihn jeder ausgelacht, vor allem in Abruzzo wo Massenproduktion die Norm war. Tja, wer lacht jetzt? Seine Weine haben viel mehr Feinheit und Charme als gewöhnlicher Montepulciano, sie erzählen eine Geschichte. Sie sind jeden Tag anders. Eine wunderschöne Reinheit der Frucht. Sie filtern sogar per Hand und seine Frau gießt den Wein von einer Flasche in eine andere um das Depot so gering wie möglich zu halten. Was ich ebenfalls bewundere, ist seine Geduld. Wein braucht Zeit wie wir, um zu reifen und einen eigenen Character zu bekommen. Emidio gibt seine Weine nicht frei, bis er das Gefühl hat, dass sie bereit sind, geschätzt zu werden."
1997 Blauburgunder Barrique, Weingut Ruth & Georg Fromm, Malens, Schweiz
"Perigord-Trüffel und umgegrabene Erde. Das ist das Erste, was ich rieche. Gefolgt von einer süßen Säure die mich an Loganbeeren aus den Valser Bergen erinnert, die wir im September gesucht und eingelegt haben. Der Stil unterscheidet sich sehr von heutigem Schweizer Pinot. Ich würde sagen, er ist maskuliner, aber perfekt zu unserem Schweizer Raclette. Georg Fromm war einer der allerbesten Winzer die ich getroffen habe, als ich anfing, in der Schweiz zu arbeiten. Ebenfalls sehr inspirierend, hat er sehr früh angefangen, mit Steiner’s Philosophie der Biodynamik zu arbeiten, was vor allem in einem Schweizer Bergdorf nicht sehr einfach war. Sein Sohn übernimmt langsam die Leitung, und ich freue mich darauf, zu sehen, was als nächstes passiert."
2010 St. Aubin, 1er Cru en Remilly, Philippe Pacalet, Frankreich
"Ich habe das Gefühl, dass ich das Wort "inspirierend" viel zu oft in meiner momentanen Weinbegleitung verwende. Aber wenn ich ehrlich bin, inspirieren mich all meine Weine auf die eine oder andere Weise. Dieser Hersteller ist für mich in vielerlei Hinsicht wichtig. Jedoch vor allem dadurch, dass er wissenschaftlich bewiesen hat, dass der einzig zukunftsträchtige Weg der Produktion darin besteht, die Natur und den Konsumenten zu respektieren. Fast ein Widerspruch der Begrifflichkeiten, Wissenschaft dazu zu benutzen, sich selbst zu wiederlegen. Er stellt einen grandiosen weißen Burgunder mit fantastischer Klarheit her. Er benutzt sehr wenig Schwefel, aber seine Weine sind immer noch die Essenz der Reinheit. Dieser St Aubin 1er Cru de Remilly ist gerade an der Grenze zu Chassagne Montrachet und bringt ein würziges Aroma mit sich, das mich komischerweise an Pinien und versteckte Noten von Kamille erinnert. Ein fantastischer Ausdruck des Burgunders!"
2014 La Transparente Demi Sec, Cidrerie du Vulcain, Freiburg, Schweiz
"Ich trinke Cidre seit ich 16 bin (vielleicht schon früher, aber psst). Ich komme aus dem Südwesten Englands, welcher zusammen mit der Normandie, berühmt für Cidre von alten Sorten britischer Äpfel ist. Mit diesem Gang war die Begleitung einfach. Maldonado Presa. Was würde ich in den UK zu einer seltenen Züchtung Gloucestershire Old Spots Pork trinken? Ein Glas Cidre. Ich liebe es, wie die Süße des Cidres die Süße des Fleisches reflektiert. Und genau wie bei Champagner sind die Perlen ein toller Übermittler von Geschmack, der das Gericht fast noch verbessert. Die liebliche Apfelsäure hilft, das fettige Fleisch unter Kontrolle zu halten und fügt eine gewisse Leichtigkeit hinzu. Die Schweiz hat mit über 1000 Sorten geradezu ein Erbe an Äpfeln, also dachte ich es wäre sehr passend, das zu unterstützen."
2011 Finca el Peruco, Goyo García Viadero, Ribera del Duero, Spanien
"Das war meine Entdeckung des Jahres. Ein Wein mit Burgunder Elegant aus Ribera Del Duero. Endlich ein Produzent, der mutig genug ist, dem modernen Trend der Überextraktion von Weinen entgegenzugehen und den Blick in die Vergangenheit zu richten, um sich inspirieren zu lassen. Alte Weine. Die ist eine Mischung aus roten und weißen Trauben. Ich bin ein großer Liebhaber von altem Nebbiollo und Pinot Noir und dieser Wein vereint die Essenz dieser beiden Trauben in sich. Wildbeeren mit Spuren von wildem Thymian. Ein lang andauernder Wein. Eingehende Tannine die den Wein dezent unterstützen. Und nur 13 Vol.-% Alk., was toll ist! So zart und frisch."
2014 Sämling 88 Auslese, Markus Stärker, Maisfeld, Schweiz
"Einer der wenigen Produzenten von Scheurebe in der Schweiz. Dieser Wein erinnert mich an aufgeschnittene Grapefruit. Eine perfekte Ausgewogenheit zwischen süß und sauer. "
2008 Schlossböckelheimer Kupfergrube, Riesling Spätlese, Dönnhoff, Nahe
"Eine Legende unter den großen Winzern Deutschlands. 2008 war ein feuchtes Jahr, so dass nur geringe Mengen an Auslese und Trockenbeerenauslese produziert wurden. Schönerweise hatte die Spätlese jedoch eine lebhafte Säure, welche in Kombination mit unserem ersten Dessert mit Milch und Dill wirklich Wunder wirkt."
2006 Grain Noble de Marsanne, Marie-Thérèse Chappaz, Fully, Schweiz
"Diese Frau braucht keine besondere Vorstellung. Eine der besten Süßwein-Herstellerinnen auf dem ganzen Planeten. Sie schafft es, Säure in ihre Weine zu bekommen, was bewundernswert ist, da dies nicht einmal die besten Sauternes immer hinkriegen. Das Wallis ist berühmt für seine Aprikosen und dieser Wein erinnert mich immer an diese fantastischen Früchte. Ihre Weinkellerei ist winzig und wir müssen um jeden ihrer Weine kämpfen, aber das ist es definitiv wert!"
Fragen an die Suffmeisterin (a.k.a. Sommeliére) Amanda Bulgin
Anzahl der Positionen?
Circa 500.
Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Die Schweiz, besonders die Bündner Herrschaft und alten, klassischen Bordeaux. Wir versuchen auch eine Sammlung von Louis Roederer Cristal aufzubauen, aber daran arbeiten wir noch.
Welches ist ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Obrecht | Riesling Silvaner | Jenins | Schweiz für 45CHF (41€)
Louis Roederer | Cristal | 2002 3litre für 22.000CHF (20.160€)
Die ungewöhnlichste Rarität?
Wir haben eine umfassende Kollektion an Süßweinen von Marie Thérèse Chappaz aus dem Wallis in der Schweiz, die für mich zu den Weltbesten in dieser Kategorie gehört. Deshalb bin ich über diese Sammlung sehr glücklich, da diese Weine nicht sehr leicht zu bekommen sind. Wir haben außerdem einen 1997er Pinot Noir von Georg Fromm aus Malans. Das finde ich sehr schön, denn es ist toll, ein paar ältere, lokale Weine auf der Liste zu haben. Eine andere Besonderheit ist der fantastische La Fauquette Chardonnay 2004 von Michel Gahier. Älterer Jura ist wunderbar und ich liebe Michel Gahier’s ehrliche Arbeit.
Welches ist ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Die meisten Gäste entscheiden sich für meine ausgesuchte Weinbegleitung, was mich sehr freut.
Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Goyo Garcia, ein wunderbarer Winzer aus Ribera del Duero – eine neue spanische Hoffnung! Er hat die klassischen Züge des Burgunders genommen und sie quasi nach Ribera del Duero gebracht. Kein neuer Kork, für ihn dreht sich alles um die Säure, und nicht darum die Frucht überreifen zu lassen, wie das mit Ribera heutzutage in Verbindung gebracht wird. Er verwendet auch fast keinen Schwefel.
Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Das ist unfair! Das hängt ab von der Stimmung, der Gesellschaft und dem Gemütszustand. Mit einem alten Philipponnat Clos de Goisses Champagne kann man nichts falsch machen, genauso wenig wie mit irgendeinem älteren Chardonnay von Roulot. Ich bin auch besessen vom Madeira, vor allem von D’Oliveiras Verdehlo. Aber an manchen Tagen liebe ich die Reinheit eines schweizer Pinot Noir, von Leuten wie Markus Ruch und Tom Litwan oder den Unique 2013 von Donatsch. Welch ein Wein!
Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden?
Vor einiger Zeit als ich noch in Zürich gearbeitet habe, hat ich ein Gast gebeten, die Weinflasche zu schüttlen, weil er überzeugt davon war, dass die Geschmacksnoten in dem Depot am Boden sammeln. In Wirklichkeit jedoch verhält sich das Depot eher wie ein Schwamm und entzieht den Geschmack.
Hinweis
Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.