Kulinarische Leuchte
"Location, location, location!" – dieser alte und oftmals bewahrheitete Wahlspruch zur Immobilien-Wahl scheint seit geraumer Zeit auch für internationale Spitzenrestaurants zu gelten. Besondere Küche an besonderen Orten: Es gibt Gourmetrestaurants in Museen ('t Zilte), in ehemaligen Kirchen (The Jane) und prunkvollen Bankpalästen (Eleven Madison Park), von pittoresken Schlossgemäuern (Schauenstein) ganz zu schweigen. Okay, in Antwerpen, New York oder den Schweizer Voralpen erwartet man so etwas irgendwie auch. Aber den wohl ungewöhnlichsten Ort für ein Gourmetrestaurant findet man in der süddeutschen Provinz: Das zweifach besternte "Ammolite" liegt im Europapark-Rust. Das klingt schräg, denn hier vermutet man eher Familienväter, die mit ihren Sprösslingen in die Geisterbahn steigen und beim gigantischen Dreifach-Looping aufpassen müssen, dass ihnen nicht die Currywurst aus dem Gesicht fällt. Aber Besucher mit Lust auf herausragendes Essen? Nun, es scheint sie zu geben.
Die Anfahrt hat etwas Kurioses, denn die künstliche Welt des riesigen Vergnügungsparks schließt praktisch nahtlos an ein vorstädtisches Wohngebiet mit adretten Reihenhäusern an. In welcher dieser beiden Welten, fragen wir uns in Philosophierlaune, ist das Leben wohl artifizieller?
Wer keine Lust auf den Trubel zwischen Riesenrad und Achterbahn hat, den können wir beruhigen: Das Ammolite kann direkt angesteuert werden. Es befindet sich, nomen est omen, in einem Leuchtturm am Rande des Parks (leider nicht im Obergeschoss mit Ausblick) und verfügt über einen eigenen Parkplatz und Zugang. Wir hätten vor dem Mittagessen gerne noch eine Runde gedreht, so aber geht es direkt ins Restaurant.
Das Interieur ist weniger verspielt, als wir angesichts der Location erwarteten, hat aber durchaus etwas von "Kapitän Nemo": viel Dunkelblau, samtige Stoffe und transluzent-silbrige Vorhänge als Raumteiler. Ungewöhnlich auch das Rund des Speisesaals – klar, wie befinden uns schließlich in einem Turm.
Küchenchef Peter Hagen, Jahrgang '77, hat in der Schwarzwaldstube, in der Villa Joya und bei Peter Knogl im Cheval Blanc gearbeitet. Im 2012 übernahm er die Küchenleitung im Ammolite – und innerhalb von nur zwei Jahren kochten er und sein Team das Restaurant auf zwei Sterne. Beeindruckend.
Unsere Wahl fällt auf das Degustationsmenü, welches maximal sechs Gänge (plus Käse) umfasst. Ein für heutige Zeiten recht geringer Umfang, mit dem die Küche, wie man uns erläutert, jenen Gästen Rechnung trägt, die nach einem anstrengenden Tag im Park keine Lust mehr auf ein vierstündiges Dinner haben. Gut nachvollziehbar, und auch uns gefällt es, mal wieder in den Genuss einer klassischen Menüfolge zu kommen.
Die ersten Apero-Häppchen können überzeugen: ein schön gewürztes Lachstatar im Chip, ein verblüffend vollmundiges Apfel-Meerretticheis und vor allem ein Lachs-Meerrettich-Röllchen, das weich aussieht, dann aber mit einer inneren Knusperschicht überrascht. Sehr schön.
Das Amuse, Carabinero mit Fenchel, Orange und Zitronenbutter, greift eine klassische sizilianische Aromenkombination auf und bringt sie wunderschön auf den Punkt: Frucht, Meeresfrucht, ein wenig Anis vom Fenchel, alles mit Biss – Klasse.
Der erste Gang des Menüs bringt Makrele, Tomate, Kopfsalat und Passionsfrucht zusammen. Ein exzellenter Auftakt, bei dem die lauwarme Makrele von der mediterranen Fruchtigkeit der Tomate und der exotischen Säure der Passionsfrucht kongenial eingefasst wird. Die Salatblätter bringen etwas "Knack" und wirken als verbindend-harmonisierendes Element. Klug gedacht, clever gemacht und köstlich schmeckend.
Dagegen wirkt das Gänseleberparfait mit Pflaumen, Schokolade und Joghurt sehr viel traditioneller. Das Parfait ist gut gemacht, die süßlich-herbe Kombi mit Schoko und Pflaume schmeckt stimmig, der Joghurt bringt eine wohltuende (und wichtige) Frische. Alles gut, aber auch ziemlich konservativ. Es gibt nichts zu meckern, aber auch nichts zu jubilieren.
Umso überraschender ist dann der zweite Teil dieser Vorspeise: Gebratene Gänseleber mit Brokkoli, Pflaumen und Aal gehört zu den originellsten Foie-gras-Kreationen seit langem. Der Clou ist hier der Brokkoli, der sich als Crème, als Röschen und als "Spaghetti" auf dem Teller findet. Mit seiner feinen Nussigkeit und den ganz eigenen Kohlaromen setzt er die Leber in einen völlig neuen Kontext. Der Aal wirkt dabei wie ein Aromenverstärker, die Pflaume als bittersüßer Kontrapunkt. Das Gericht sieht vielleicht nicht sehr fotogen aus – aber es schmeckt göttlich. Darauf kommt es an!
Die Seezunge mit Kürbis, Haselnuss und Ras el-Hanout ist ein durch und durch harmonischer Gang mit einer dezent eingebundenen Orientalik. Der Fisch wird von der Würzmischung gerahmt, aber nicht übertüncht; eine leichte Schärfe gibt dem Ganzen den nötigen Pep. Schön.
Ein echter Knaller ist die Alternative für unseren Nuss-Allergiker. Zugegeben, Blauer Hummer mit Petersilien-Polenta und Avocado klingt eher langweilig. Aber mit der ersten Gabel ist klar, dass wir so eine Speise auf diesem Niveau tatsächlich seit Jahren nicht gegessen haben – was im allerbesten Sinne zu verstehen ist. Wann hatten wir in der Sternegastronomie zuletzt Polenta auf dem Teller? In dieser wunderbaren Form und vor allem in einer Menge jenseits erbsengroßer Tupfer? Eben. Hier gibt es zarte Hummerstücke, nussige Avocadoschnitze, kraftvolle Hummerbisque und jede Menge dickflüssige, aber bissfeste, mit Petersilie, Butter und Parmesan bestens gewürzte Polenta. Das ist eine Art von hochfeiner Rustikalität, die es außerhalb Italiens kaum noch gibt. Im Ammolite wird sie ganz lässig auf den Teller gebracht. Wunderbar.
Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert der Hauptgang, Rinderfilet mit Steinpilzen, Zwiebeln und Fregola Sarda, wenn auch nicht ganz so rund. Für sich genommen sind das Fleisch, die Pilze und die Zwiebeln sehr gut, aber auch recht konventionell. Besonders wird das Ganze jedoch durch den separat gereichten Tiegel mit geschmortem Rind und Fregola Sarda, dieser herrlich knackigen Sorte winziger Nudeln. Auch diese wieder in einer schönen Menge, bei der man richtig zulangen kann.
Also mischen wir beherzt Elemente des Haupttellers mit dem Nudel-Fleisch-Ragout, und siehe da: Auf einmal macht das Ganze richtig Freude. Es entsteht eine aromatische Tiefe, die diesen Gang über die oft anzutreffende Hauptgang-Langeweile hinaushebt. Dennoch könnte man durch kleine Verschiebungen sicher dafür sorgen, dass auch schon der Hauptteller für sich begeistert.
Vor dem Dessert noch eine kleine Käsevariation von Maître Affineur Antony – wie immer ohne Fehl und Tadel. Von diesem Produzenten oder vielmehr Veredler gibt es demnächst bei uns mehr zu lesen...
Das Pré-Dessert besteht aus Birne, Fenchel und Safran. Und genauso schlüssig, wie diese Kombination klingt, schmeckt sie auch. Leicht, fruchtig, frisch mit einem Tick gemüsiger Prägnanz und genau dem richtigen Maß an Safran als i-Tüpfelchen.
Hervorragend dann das finale Dessert aus Gerste, Holunderbeeren, Apfel und Malz. Hier kombiniert Pâtissier David Mahn relativ typische Dessertprodukte (Holunderbeere, Apfel) mit den ungewöhnlichen Getreidearomen von Gerste und Malz, unter anderem in Form von Eis und eines großartigen "Riegels", unter dessen knackiger Hülle sich eine köstliche Crème verbirgt. Das Ergebnis ist ein exzellent zwischen Süße und Bitterkeit, Frucht und getreidiger Herbheit austariertes Dessert. Originell, aber nicht verkopft.
Die durchweg köstlichen Petit Fours von Pâtissier David Mahn.
Nein, eine Achterbahnfahrt war das Essen im Ammolite sicher nicht. Peter Hagen (Mitte) und seine Crew beeindruckten uns mit einer Küche, die souverän zwischen kleinen Experimenten und hervorragend umgesetzter Klassik changiert. Man spürt durchaus, dass das Lokal sowohl Sterne-Novizen, die durch den Park neugierig werden, als auch erfahrene Fressverrückte, die von zwei Sternen gelockt werden, glücklich machen muss. Diese Gratwanderung gelingt glänzend. Hagens Küche macht rundum glücklich, ohne geübte Esser zu unterfordern. Sicher, im Detail dürfte es hier und da noch etwas wagemutiger zugehen – die Makrele mit Passionsfrucht und die Foie gras mit Brokkoli zeigten, welches Potenzial in dieser Richtung vorhanden ist. Andererseits möchten wir gelassen-großartige Gerichte wie den Hummer mit Polenta um keinen Preis missen.
Gelassen ist auch der Service unter Maître-Sommelier Marco Gerlach (rechts), der stets souverän und äußerst herzlich agierte. Auch seine Weinbegleitung war hervorragend auf die Gerichte zugeschnitten.
Fazit
Im Europapark-Rust serviert Peter Hagen eine Küche, die spielend mehrheitsfähig ist, dabei aber trotzdem spannend und vor allem köstlich schmeckt.
Wein
Bollinger Special Cuvée Brut (zum Amuse)
2013 Cuvée Black Ball "Foudre" Riesling, Pearl Morissette, Kanada (zum Carabinero)
2014 Auxerrois, Wöhrle, Lahr (zur Makrele)
2003 Burkheimer Feuerberg Spätburgunder Auslese, Bercher, Burkheim (zum Parfait)
2008 Imperial Chardonnay & Sauvignon Blanc, Schloss Halbturn, Burgenland (zur Leber)
2008 Pechstein Riesling, Geheimer Rat Dr. von Bassermann-Jordan, Deidesheim (zur Seezunge)
2011 Fontanasanta Manzoni Bianco, Elisabetta Foradori, Südtirol (zum Hummer)
2010 Schlatter Maltesergarten Spätburgunder trocken, Martin Waßmer, Bad Krozingen (zum Rind)
2013 350 N.N. Weißburgunder trocken Odinstal, Wachendem (zur Birne)
1975 Kanzemer Altenberg Riesling Auslese, Weingut Kanzemer Berg – Maximilian von Othegraven, Kanzel (zur Gerste)
Fressfreunde
Küchenreise
"Ungewöhnlich die Location, doch die Küche basiert auf gekonnten klassischen Tugenden und ist modern und ansprechend umgesetzt. Somit auch für Nicht-Vergüngungspark-Besucher definitiv einen Abstecher von der A5 wert!"
Hinweis
Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.