Restaurantkritik 24.Juli 2024

Sühring, Bangkok – Deutsche Botschaft

Das ist schon außergewöhnlich: zwei deutsche Köche mit erstklassiger Vita ziehen nach Bangkok und eröffnen dort ein Gourmetrestaurant, dessen Menü deutsche Traditionsgerichte adaptiert. Die Rede ist von den Berliner Zwillingsbrüdern Mathias und Thomas Sühring, die nach Stationen bei Heinz Beck und Sven Elverfeld in der thailändischen Hauptstadt heimisch wurden. 2016 eröffneten sie hier das Restaurant ‹Sühring›. Der erste Michelin-Stern kam umgehend, der zweite folgte im Guide 2019. Platzierungen auf den relevanten »Bestenlisten« ließen nicht lange auf sich warten.

Bevor nun der Einwand erhoben wird, man müsse nicht nach Bangkok fliegen, um »deutsch« zu essen: Nach drei Wochen strikter Thai-Diät steht mir der Sinn durchaus wieder nach europäischer Kost. Davon abgesehen erübrigen sich solche Gedanken in einer Weltstadt. Man verspeist auch Pasta in Paris und Sushi in San Francisco. Vor allem aber weckt eine explizit »deutsch« geprägte Spitzenküche stets meine Neugier, so fern der Heimat umso mehr.

Das Restaurant befindet sich in einer zentralen, aber ruhigen und augenscheinlich gehobenen Wohngegend. Von außen wähnt man sich eher an einem eleganten Privatanwesen, aus dem warmes Licht durch den üppig begrünten Garten dringt.

Innen setzt sich der Eindruck eines geschmackvoll eingerichteten Privathauses fort, ein nicht seltenes Stilmerkmal in Bangkoker Spitzenrestaurants, hier aber besonders gelungen umgesetzt. Der Gastbereich verteilt sich auf mehrere, mit viel Holz eingerichtete Räumlichkeiten und einen luftigen Wintergarten. Der Empfang ist auf herzliche Weise professionell, unsere sympathisch-lockere Kellnerin stammt aus Deutschland, der charmant-kundige Sommelier aus Frankreich.

Zu Tisch, ein Schluck Wasser, erstmal ankommen. Ein kühles Glas Pinot Noir Rosé von Eva Fricke steht auch gleich bereit – erst jetzt merke ich, wie sehr ich das in den letzten Wochen vermisste. Das Menü steht ohnehin fest (es gibt nur eines), beim Wein lasse ich mich nach drei Wochen Singha-Bier gerne auf eine breit gefächerte »Reise« ein (heute ohne Sidebottle).

Zum Aperitif werden »Tableside« die ersten beiden Snacks angerichtet, sprich: mit Altonaer Ossetra-Kaviar vollendet. Im Detail sind das ...

… Eine Interpretation von Labskaus, dem Klassiker der norddeutschen Seemannsküche. Traditionell besteht er aus Corned Beef, Wurzelgemüse und eingelegtem Hering. Hier nun sind dünne Scheiben Corned Beef mit einer Masse aus Rote Bete und Kartoffeln gefüllt und sitzen auf kross geröstetem Brot; Kaviar ersetzt den Hering. Das Resultat ist ein gleichermaßen vollmundiger und delikater Happen zwischen erdiger Süße, jodiger Salzigkeit und Umami, dem Original sehr nahe und doch völlig anders. Mehr als hervorragend.

Etwas leiser kommt der zweite Happen daher. Auf einer quadratisch geschnittenen Scheibe Mehrkornbrot sitzt ein Päckchen aus geräuchertem, in Buttermilchgelee gewickeltem Stör, obenauf eine großzügige Nocke Kaviar. Die milden Räuchernoten des Fischs, die Frische der Buttermilch und die maritime Salzigkeit des Kaviars verbinden sich zu einem eleganten, sehr köstlichen Geschmacksbild. Nicht zu vergessen die Getreidigkeit des Brots, die dem Ganzen Fülle und Bodenständigkeit verleiht. Exzellent.

Der vorzügliche Rosé-Sekt wird großzügig nachgeschenkt, als spüre der Sommelier mein wochenlanges Darben. Dann steht auch schon der nächste Snack auf dem Tisch: Eine Tartelette vom Brathering, der in klassischer Manier erst gebraten und anschließend für zwei Tage eingelegt wurde. Ein säuerliches Gelee aus eingelegten Gurken und Senf, sowie eine Garnitur aus würzigen Shisoblüten und Dillcreme komplettieren diese abermals hervorragende Interpretation eines deutschen Küchenklassikers.

Es folgt eine Tartelette von knackigen Gartenerbsen. Sie wurden über Holzkohle gegrillt, was den süßlichen Hülsenfruchten einen reizvoll-rauchigen Touch verleiht. Trotz Holunderblüten, Zitronenmelisse und Pilzcreme wirkt dieses hochfeine Törtchen zwar eher französisch oder spanisch als »deutsch«, schmeckt aber trotzdem (oder deshalb?) gigantisch.

Das abschließende Amuse macht die obligatorische »Kindheitserinnerung« zum Thema. Der Klassiker »Hanuta« wird hier zu »Enleta«: Aus der berühmten »Haselnusstafel« machen die Sührings eine Entenlebertafel, bestehend aus einer mit Entenleberterrine und Aprikosengelee gefüllten Waffel. Das schmeckt sehr klassisch und sehr gut, bleibt aber vor allem ein hübscher Gag.

Zusätzlichen Reiz gewinnt die Idee durch einen dazu servierten Trinkessig vom Pfälzer Doktorenhof, hergestellt aus Weißburgunder, den man zehn Jahre in Eichenfässern gelagert und abschließend mit Vanille und Honig verfeinert hat. Die durchaus kräftige Säure bricht das Fett und die Süße, und verleiht der »Entenlebertafel« aromatische Spannung. Ganz austrinken kann ich das trotzdem nicht.

Das eigentliche Menü startet mit einer Interpretation von »Aal Grün«. Im Original kombiniert der Klassiker gekochte Aalstücke und Spreewaldsauce (eine sahnige Kräutersauce). Die Sührings hingegen schneiden den gekochten, mildgeräucherten Aal in hauchdünne Scheiben, die zu kleinen Röllchen geformt und mit Petrossian-Hechtrogen getoppt werden. Dazu gibt es marinierte Gurke und eine leichtere Version der Spreewaldsauce aus Gurkenwasser und Dill. Es ist erstaunlich, wie kleine Abweichungen eine so handfeste Hausmannskost in ein Gericht der avancierten Küche verwandeln können. Es schmeckt filigran und vollmundig, das Original wird nicht negiert, sondern abstrahiert. Nur der Dill wirkt mir auf Dauer zu dominant und tönend. Trotzdem bleibt das mehr als sehr gut.

Nach einem »deutschen« Brot-Intermezzo (kein Bild) mit Vollkornbrot, Mehrkornbrot, Brezelbrot und leicht gesalzener Bordier-Butter, folgt ein Gang um Jakobsmuschel und Königskrabbe. Dünne Scheiben von kurz gepökelten Jakobsmuscheln aus dem japanischen Miyagi sind mit Scheiben von Kombu-Gelee zu einer Rosette drapiert, darunter findet sich eine leichte Algenmayonnaise, gekrönt wird das Ganze von gedünsteter Königskrabbe.
Soweit mutet das eher japanisch an, unterstrichen durch den sehr klaren Geschmack und die Exzellenz der Produkte. Den Clou – und die Verschiebung in eine europäischere Geschmackswelt – bildet indes eine leichte Sauce aus sanft schärfendem Meerrettich und ätherischem Estragonöl. Die Aromen sind intensiv, doch alles bleibt leicht und transparent. Hervorragend.

Sehr viel milder wird es beim Seesaibling. Der Fisch stammt aus dem Lac Leman in der Schweiz, wurde in geräucherter Butter pochiert und ruht auf samtigem Blumenkohlpüree. Diese mutig reduzierte Kombination lebt vor allem vom tollen Hauptprodukt und dessen exakter Garung. Das entscheidende i-Tüpfelchen besteht diesmal in einem Schaum aus thailändischem Reis mit Mandelöl, dessen duftige Exotik eine Brücke zum Standort des Restaurants schlägt. Alles schmeckt mild und fein, aber nicht fad.

Als Ergänzung zum Hauptteller wird noch …

… eine Tartelette mit ‹Kaviari› Ikura- und Kristal-Kaviar sowie gerösteter Mandelcreme, Meerrettich und Sauerrahm serviert. Man soll die funkelnde Preziose zum Abschluss verspeisen, was angesichts der gesteigerten Intensität besten Sinn macht. Allein das feine Texturspiel aus unterschiedlichen Kaviarsorten, cremigem Unterbau und hauchdünnem Teig ist eine Wucht.

So nimmt ein Menü seinen Lauf, das bisher nicht nur deutlich besser ausfällt, als ich es erwartete, sondern sich auf Weltklasse-Niveau bewegt.

Es folgt eine Variation vom »Leipziger Allerlei«, doch anstelle von Flusskrebsen mit gegrilltem bretonischem Hummer. Dazu gibt es – ganz klassisch – Spargel, Erbsen und Morchel. Die Besonderheit bilden drei Saucen, nämlich eine sehr gute Hummerbisque, eine noch bessere Morchel-Beurre-Blanc und ein Schuss Krustentieröl. Das ist an sich alles tadellos, trotzdem will der Funke nicht recht überspringen, wirkt das Ensemble nach dem milden Saibling ein bisschen zu brav. Am Ende ist das dank der Qualität des Hummers und der süffigen Saucen zweifellos sehr gut, bleibt aber vergleichsweise konventionell.

Zwischendruch schiebt die Küche den Klassiker des Hauses ein: Original-Currywurst von ‹Curry 36› in Berlin, dazu statt Pommes ein hauchdünner, mit Curry bestäubter Kartoffelchip. Das ist ein amüsanter Gag und hat durch das pikante Curry sogar einen gewissen Thailand-Bezug. Geschmacklich ist es, was es nun mal ist: eine Currywurst.

Bereits eine Weile vorher hatte man den Star des Hauptgangs am Tisch präsentiert: Ente von der »Klong Phai Farm«, einem der renommiertesten Geflügelzuchtbetriebe Thailands. Nach zehntägiger Reifung wird sie mit Reisstroh und Kräutern geräuchert, langsam am Knochen gebraten und kurz vor dem Servieren noch mal über Holzkohle gegrillt.

Auf den Teller kommt ein Stück der Entenbrust, appetitlich goldbraun gebraten. Zum saftigen, bemerkenswert ausdrucksstarken Fleisch serviert man eine knusprige Tartelette mit süffigem Keulenragout und Wurzelgemüse. Ein seidiger Entenjus und ein Schnitz auffallend aromatischer Kakipflaume runden den sehr klassisch gehaltenen, wohltuend reduziert und ganz auf die herausragende Ente hin inszenierten Gang ab. Sonderlich »deutsch« mag das nicht sein, doch an der Exzellenz der Küche lässt sich nicht rütteln.

Als Käsegang serviert man eine Tartelette vom Epoisses, wobei der Käse als eine Art Sphäre auf dem feinst getrüffelten Törtchen ruht. Ich bin für gewöhnlich kein großer Freund von verarbeitetem Käse, aber hier funktioniert die Idee sehr gut: der Effekt des kraftvollen, flüssigen Käses in Verbindung mit dem Tarte-Teig erinnert an besonders gutes Käsefondue – und genau das ist auch die Idee, wie man im Nachgang erläutert. Stark, sehr.

Ohne Umschweife herausragend ist ein süßsaures Sanddorn-Sorbet mit fruchtig-scharf kitzelndem Rosa Pfeffer und mildherben Lorbeeröl. Originell, erfrischend, exzellent.

Das Hauptdessert nennt sich »Omas Käsekuchen« und basiert auf dem Originalrezept der Sühring-Großmutter Christa. Der Kuchen sitzt in einem Schokoladenring und bekommt durch die Beigabe von waberndem Trockeneis die Konsistenz eines Parfait. Am Tisch wird das Törtchen mit allerlei Gefrostetem bedeckt, unter anderem Erdbeerstücke, Sauerklee und Vanille-Baiser.

Bei der ersten Gabel ist das alles noch sehr kalt und ziemlich eishart. Sehr schnell aber normalisieren sich Temperatur und Konsistenz, und man hat einen hervorragend gemachten Käsekuchen vor sich, üppig, cremig, nicht zu süß und nicht zu mastig, sondern leicht fruchtig und angenehm kühl. So »einfach« kann ein exzellentes Dessert sein. Ob Großmutter Christa sich je hat träumen lassen, dass ihr Käsekuchen einmal in Thailand für Furore sorgen würde, darf bezweifelt werden.

Separat werden an einem Spieß noch mit Yuzu verfeinerte Erdbeeren serviert, die für sich bereist ein Hochgenuss sind (kein Bild).

Die Pralinen zum Abschluss lasse ich mir gerne noch zeigen, zum Probieren bin ich definitiv zu satt. Es gibt Yuzu und Mandel (gelb), dunkles Toffee und Rye-Whisky (rot), Karamell und Haselnuss (blau), Vanille und Erdnuss (grün) sowie Aprikose und brauner Rum (schwarz).

Den Sührings gelingt in Bangkok etwas, das hierzulande immer noch zu selten versucht wird: rustikale deutsche Klassiker in die Spitzenküche zu überführen. Ein wesentlicher Einfluss dürfte dabei ihr einstiger Lehrmeister Sven Elverfeld gewesen, der so etwas im »Aqua« schon vor vielen Jahren umsetzte (man denke an seine Frankfurter Grüne Soße). Trotzdem wirkt die Idee nicht epigonal, sondern originell. Ein Alleinstellungsmerkmal ist sie sowieso. Dass man erst 9.000 Kilometer reisen muss, um derartiges in derartiger Qualität zu erleben, sagt vor allem etwas über den Stand der deutschen Spitzenküche.

Dass man im ‹Sühring› auch in Sachen Bewertungen so hoch hinaus will, wie im ‹Aqua›, steht außer Frage – bereits die Verwendung absoluter Spitzenprodukte, von ‹Kaviari› Kaviar bis zu japanischen Jakobsmuscheln, spricht eine eindeutige Sprache. Die notwendige Handwerkskunst ist selbstredend vorhanden, und das heutige Menü hatte keinen Durchhänger, alles schmeckte mindestens sehr gut, einiges mehr als herausragend.

Gleichwohl erschienen mir manche Gerichte noch etwas zu »vorsichtig« und auf harmonische Mehrheitsfähigkeit ausgerichtet. Anstelle solcher Gefälligkeit würde ich mir noch mehr Wagemut und aromatische Herausforderung wünschen. Auch dürfte (oder sollte) gerne jeder Gang einen konkreten Bezug zur deutschen Küche aufweisen. Der persönliche Stil ist da, der Erfolg auch – warum also die Möglichkeiten nicht noch konsequenter ausleben?

Und weil der Abend unter deutscher Ägide begann, lassen wir ihn auch »deutsch« ausklingen, im ‹BKK Social Club›, der glamourösesten Cocktailbar der Stadt, wo mit Barchef Philip Bischoff ein weiterer »Berliner Botschafter« Akzente setzt. Der Laden ist voll, die Stimmung bestens und die Drinks sind exzellent, insbesondere der Manhattan … in Bangkok. Die Klassiker funktionieren nun mal weltweit, ob im Glas oder auf dem Teller.

Kai Mihm

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