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Restaurantkritik 18.März 2019

Feudaler Genuss

Obwohl Hamburg wunderschön ist und eine Reise immer rechtfertigt, zieht es uns nach dem heutigen Lunch weg vom Großstadttrubel der Hansestadt an die Ostsee. Genauer gesagt: nach Wangels ins Weissenhaus Grand Village Resort & Spa am Meer. Dieses Schlossgut – direkt an einem drei Kilometer langen Naturstrand gelegen – öffnete 2015 seine Tore und besteht aus 40 historischen Gebäuden, die einen schicken Neuanstrich erhalten haben und sich auf einer Fläche von 75 Hektar verteilen, so dass sich der betuchte  Gast ungestört ausbreiten kann und  Nachbarn nur selten begegnet. Es ist wahrlich malerisch hier, und man fühlt sich vom Moment der Ankunft fast schon genötigt, zu entschleunigen. Das viele Grün, das nahe Wasser, die Weite, die Architektur – es gibt viel zu sehen und wesentlich weniger zu tun.  

Nach einem kurzen Ausflug an den Strand und der Feststellung, dass man im gesamten Resort zwischen 17.00 und 18.00 nirgends auf ein Bier einkehren kann, besinnen wir uns auf den eigentlichen Grund unserer Reise. Natürlich sind wir nicht zur Entspannung in den hohen Norden gefahren, nein, es wartet Arbeit auf uns. Seit Juni 2016 kocht im Courtier, dem kulinarischen Vorzeigerestaurant des Hauses, ein alter Bekannter: Christian Scharrer. Er hat im Buddenbrooks in Travemünde zwei Sterne erkocht und ist nach einem Ausflug an den Lago Maggiore wieder an die Ostsee zurückgekehrt. Dort hat ihn der rote Guide im vergangenen Spätherbst erneut mit zwei Macarons bedacht. Das Courtier ist im ehemaligen Schloss des Gutes untergebracht und besticht durch großzügige Räumlichkeiten und einen feudalen  Charme. Hohe Decken, Stuck, riesige Gemälde, viel Weiß gepaart mit königlichem Grün. In dieser Umgebung sitzen wir automatisch etwas gerader am Tisch. 

Die Küche jedenfalls lässt uns heute sowohl das Menü „Momente“ als auch das Menü „Elemente“ probieren – das verspricht eine Tour de Force zu werden. Doch zuerst starten wir mal ganz gemütlich mit den Apéros ...

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Zur Einstimmung erreicht uns ein vegetarisches Quartett bestehend aus "Unsere Frankfurter grüne Sauce" (Buchweizencracker mit Kräuter-Chlorophyll-Sphäre, Kräutermayo und gebeiztem Eigelb), grünem Reis mit Mango (Reis-Chip und -Crème mit Koriander, Mango und Chili), Rote-Bete-Macaron mit Wasabi-Crème-fraîche und Rote-Bete-Gel sowie Arancino mit Steinpilz und Aprikose, das aus gebackenem Risotto mit Safran, Steinpilz, Aprikose, Buchenpilz und Kresse besteht. Die kleinen Canapés sind fein gearbeitet, besonders überzeugt uns jedoch die Interpretation der „Grie Soss“ – eine schöne Reminiszenz an die Heimat zweier Sternefresser.

Als Amuse Gueule wird ein dünn aufgeschnittener Pulpo auf Kartoffelcrème mit Olivenöl-Sorbet und Paprika-Sud serviert. Dazu gesellen sich wilde Paprika-Drops (was auch immer dahinter steckt), eine Sauce Rouille, diverse Kartoffel-Darbietungen sowie Chorizo-Öl und Basilikumkresse. Ein unkomplizierter, wenn auch etwas schwerer Teller zu Beginn, der aber sicherlich ein Crowd-Pleaser ist.

Das Menü „Momente“ wird mit einer Kreation namens „Gänseleber Waldorf“ eröffnet, die aus diversen Leber-, Sellerie und Apfel-Zubereitungen, unterschiedlichen Nüssen, Preiselbeeren, sowie einem Balsamico-Nussöl-Split und einem kleinen Waldorfsalat besteht. Scharrer zeigt hier eindrucksvoll, dass ein klassischer und kleinteiliger Menüauftakt mit Foie gras noch immer Spaß machen kann. Die Leber ist von bester Qualität, hat einen schönen Schmelz und auch das Handwerk ist über jeden Zweifel erhaben. Der Clou sind die verschiedenen Sellerieelemente. Sie steuern eine Knackigkeit, Frische und Erdigkeit bei und erweitern den Dreiklang von Leber, Nuss und Obst genau um das fehlende Puzzlestück, das aus einem guten ein exzellentes Gericht macht. Klasse!

Im zweiten Menü „Elemente“ steht als erstes ein Langostino mit Kohlrabi und Apfel auf dem Programm. Der Kaisergranat aus Neuseeland wurde 4 Minuten bei 130°C temperiert, mit Limettenvinaigrette verfeinert und abermals finden sich allerhand Zubereitungen des Kohlrabis und des Apfels auf dem Teller. Ein gelungenes, abwechslungsreiches Ensemble, bei dem ein exzellentes Grundprodukt ins Rampenlicht gestellt wird. Denn obwohl die Langustinen etwas kleiner sind als die üblichen Exemplare und zusätzlich eine weite Reise hinter sich haben, zeichnen sie sich durch die typische Süße aus, die sie zusammen mit dem tollen Biss zur Delikatesse macht. Die kleinteilige Einfassung arbeitet bei jeder Gabel dem Edelkrebs zu, dessen Aroma vor allem durch die subtile Säure des Apfels akzentuiert wird. Der Kohlrabi steuert etwas Erdigkeit sowie weiteren Biss bei und erweitert das Geschmacksspektrum. Schön.

Wir bleiben im Wasser und kommen zur Jakobsmuschel mit Topinambur und Brot. Die St. Jacques aus Kanada wurde gebraten und wird von einer Brotcrème, Schwarzwurzel, geschmorten, frittierten und pürierten Topinambur sowie Löwenzahn und Vogelmiere begleitet. Am Tisch wird zusätzlich ein Topinambursud angegossen. Die einzelnen Komponenten sind alle tadellos gearbeitet, jedoch sind wir uns nach der zweiten und dritten Probierportion sicher, dass die ohnehin süßliche Muschel von dieser Flankierung nicht profitiert. Zwar versucht Scharrer, mit der Vogelmiere und dem Löwenzahn Kontrapunkte zu setzen, jedoch sind diese Elemente nicht ausreichend portioniert, als dass sie der süßen Breitseite wirklich Paroli bieten könnten. Der Gesamteindruck bleibt lieblich und wird durch die Verwendung des Brotes zusätzlich in eine plump-üppige Richtung gelenkt. Anders gesagt: Es fehlt dem Gericht an Ausgewogenheit. Hier müsste man an ein paar Stellschrauben drehen, um aus einem schwachen Gang einen guten zu machen.

Beim Kabeljau mit Bete und Brandade hingegen scheint uns die Portionierung bereits beim Einsetzen der Schale sehr groß. Eine Vorahnung, die sich bewahrheiten soll. Doch von vorne: Der sanft gegarte Kabeljau ist von einem Meerrettichschaum bedeckt, darunter befinden sich eine Bacalhao-Brandade, diverse Rote Bete-Zubereitungen und etwas Kaviar. Das schmeckt grundsätzlich ganz gut, auch wenn es sich – ähnlich wie bei der Jakobsmuschel – zu stark auf der süßen Seite bewegt. Weiteres Manko, und damit wären wir wieder am Anfang, ist die Portionsgröße: grundsätzlich viel zu üppig bemessen und durch die fast durchgehend weiche bis schaumige Textur auf Dauer zu langweilig. Irgendwie sehen wir dieses Gericht eher in kleinerem Rahmen als Gruß aus der Küche, denn als eigenständigen Gang im Menü.

Richtig deftig wird’s beim Saibling-Rauchfisch-Fumet. Der Fisch aus Island wurde mit einer dünnen Schicht karamellisiertem und mit Dill aromatisiertem Aal belegt. Dazu gibt es geschmorte Oxalis, weitere Kressen und die Brühe aus einem Rauschfischfond. Obwohl hier viele potenziell frisch-kräuterige Elemente für Balance sorgen sollen, ist es der Aal, der das Gericht dominiert. Uns gefällt die Kombination aus Aal mit dem delikaten Saibling und der grünen Einfassung grundsätzlich, allerdings fehlt es – einmal mehr – an Ausgewogenheit. Rein handwerklich gibt es nichts zu mäkeln, dennoch holt uns dieser Teller nicht ab. Schade.

Das sieht bei der Seezunge mit Entenleber, Champignon und Kerbel ganz anders aus.Der aus der Bretagne angereiste Meeresbewohner ist wie der Saibling zuvor nur leicht gegart – in diesem Fall aber adäquat begleitet. Hauchdünne Portobello- und Champignonscheiben bringen eine feine Erdigkeit ins Spiel, während eingelegte Buchenpilze und ein schwarzes Champignon-Pürée reichlich Umami beisteuern. Zusätzlich liefert der Kerbel eine feine Süße, während die roh gebeizte Foie für Schmelz und eine gewisse Opulenz sorgt. Einige Croutons, ein Champagneressig-Gel und eine Brühe runden das Ganze schön ab. Ungewöhnlich und verdammt gut. 

Beide Hauptgänge werden in zwei Teilen serviert. Wir beginnen mit Teil eins des Lamm-Gangs. Genauer gesagt gibt’s ein Häxle (das hört man im hohen Norden selten) mit Kreuzkümmel und Aubergine. Der Kreuzkümmel lässt es erahnen: Das junge Schaf wird orientalisch in Szene gesetzt. Hummus, Kichererbsen, ein Dattel-Carpaccio, Ziegenkäse und -milch, mehr Kresse sowie eine Lammschmorsauce mit Kreuzkümmel und Sumach sind allesamt kräftige Komponenten, die die geschmorte Haxe aber problemlos vertragen kann. Das alles wirkt überraschenderweise nicht plump, sondern ist in sich stimmig und vor allem enorm lecker.

Beim zweiten Teller wird der gebratene Rücken des Lamms mit Artischocke und Zwiebel serviert. Das ist eine relativ klassische Angelegenheit, bei der sowohl die Artischocke (confiert, püriert, als Ragout und gebratene Poveraden) als auch die Zwiebel (Schalottenpurée, Zwiebelscheibe, Perlzwiebel, gefriergetrocknete Zwiebel) durchdekliniert werden, um das durchaus breite Geschmacksspektrum beider Gemüse zu zeigen und dem Gericht eine gewisse Tiefe zu verleihen. Das funktioniert bis hierhin ganz gut, allerdings stoßen wir dann auf die gefriergetrocknete Zwiebel! Diese ist geschmacklich ultraheftig und legt sich wie ein Film komplett über unsere Gaumen, so dass wir kurz Panik schieben, ob wir bis zu den Desserts nur noch diese penetrante Zwiebelwolke schmecken werden. Dem ist zum Glück zwar nicht so, dennoch bleibt diese Komponente eine Zumutung.

Das Menü „Elemente“ setzt im Hauptgang auf Kalb. Es geht los mit einem Stück Bries mit Trüffel aus dem letzten Jahr (ohne Foto). Die Milke wurde in Trüffel-Jus glaciert und lässt dadurch ein wenig von der Knusprigkeit vermissen, die wir normalerweise an dieser Delikatesse schätzen. Eine Zwiebeltarte, ein ebensolches Püree, Trüffel, Perlzwiebeln sowie erneut eine penetrante gefriergetrocknete Zwiebel komplettieren das Gericht. Wir sind noch von der letzten Erfahrung sensorisch gezeichnet und verzichten auf diese Komponente, so dass dieser Teller dann gut funktioniert. Nicht mehr, nicht weniger.

Der zweite Teil des zweiten Hauptgangs gefällt uns aber geschmacklich besser. Es gibt ein aufgeschnittenes Kalbskotelett mit jungem Gemüse: Erbsen, Kohlrabi, Karotten und Morcheln bringen den Frühling auf den Teller. Im Karottenzylinder befindet sich eine Kräuter-Hollandaise, und am Tisch wird ein Rotweinjus angegossen. Das saftige Fleisch ist für ein Kalb erstaunlich kräftig im Geschmack, akkurat gegart und wird von den eher süßlichen Beilagen gut ergänzt. Damit das Ganze nicht zu lieblich daherkommt, setzt Scharrer mit dem kräftigen und angenehm säurebetonten Jus einen passenden und vor allem auch notwendigen Kontrapunkt. Sehr klassisch, stimmig und gut. 

Zur Einstimmung auf den süßen Teil des Abends gibt es einen Mango-Trüffel mit Chili

Wie die Hauptgänge werden auch die Desserts in zwei Gängen serviert. Den Anfang macht ein Rüblikuchen mit Zitrusfrüchten, dessen erster Teil aus Rüblikuchen mit Passionsfrucht-Parfait und Karotten-Sorbet besteht. Ergänzt um Haselnuss, Quinoa, Kumquat, Kerbel, Zitrone sowie Kikuna Leaves (ein Gewürzkraut, das ebenfalls nach Möhre schmeckt). Das ist animierend kräftig – der Geschmack der Karotten sehr präsent – und abwechslungsreich. Gut. 

Es folgt eine Karottencrème (ohne Foto) mit Haselnuss-Eis, Karotten-Granité, Tonkabohnen-Mousse, Haselnuss-Crumble und -Sponge, Kerbelsteinen, Karottenscheiben, karamellisierten Haselnüssen, Zitronen-Gel, Filets von Zitrone und Orange, Kerbel, Atsina-Kresse und Amaranth. Auch hier macht die Pâtisserie alles richtig. Trotz Nüssen und Amaranth (dessen Einsatz wir gustatorisch nicht wirklich nachvollziehen können) ist dieser Teller dank des Eises angenehm leicht. Geschmacklich geht es dagegen relativ komplex zu, so dass unsere bereits leicht müden Gaumen noch einmal richtig gefordert werden. Insgesamt zwei tolle Süßspeisen.

Rhabarber, Erdbeere und Topfen sind die Hauptzutaten des Desserts aus dem Menü „Elemente“. Wir starten mit einem erfrischenden Weißkäse auf Rhabarbersüppchen mit Erdbeerscheiben, Olivenöl, Rhabarberstückchen, Erdbeergelée, Verveine-Gel und Erdbeer-Verveine-Kaviar. Ein schöner kleiner Muntermacher. 

Der substanziellere Teil dieses Gangs besteht aus einem Rhabarber-Sorbet mit Erdbeer-Quark-Mousse auf Rhabarber-Kompott. Dazu gibt’s weitere Zubereitungen des Knöterich- und des Rosengewächses. Eine gelungene Melange aus saftig-kräftiger Erdbeerfrucht, die von der Frucht-Säure lebt. Dazu die Cremigkeit der Mousse, die zusätzlich etwas Substanz auf den Teller und an den Gaumen bringt. Kurzum: schmackhaft.

Wir sind sowas von pappsatt, probieren die Petits Fours aber dennoch: Cassis-Marshmallow, Shortbread mit Whisky-Ganache und Karamell-Gelée, Praline von Kocks und Passionsfrucht sowie ‘Paris-Brest’: Windbeutel mit Limetten-Basilikum-Schaum. Einwandfrei.

Jetzt geht’s runter in die Bar zum dringend benötigten Absacker und um den Abend Revue passieren zu lassen. Was uns als erstes auffällt: Christian Scharrers Küche passt wunderbar zum Ambiente des Courtier und dem Weissenhaus. Unverkennbar klassisch, dezent modernisiert und auf Konsensfähigkeit ausgelegt. Scharrer und seine Mannschaft kochen handwerklich sauber, und wagen sich nicht zu weit auf unbekanntes Terrain vor. Die Produkte kommen aus der ganzen Welt, an Luxus fehlt es nicht. Das ist einerseits verständlich und wie gesagt vom Stil her passend. Andererseits ist dieses durchgehende Spielen der sicheren Karte wenig spannend. Das muss es natürlich auch nicht zwingend sein, jedoch würde dem Courtier etwas mehr Wagemut – wie er ansatzweise bei der Seezunge und der Foie gras zu erkennen war – gut zu Gesicht stehen. Hinzu kommt gerade bei den Fischgängen (Kabeljau, Saibling und Jakobsmuschel) eine deutliche Süße, die die Sättigung im Mittelteil des Menüs erheblich ansteigen lässt. Neben einer gewissen "Würzigkeit", die die Kreationen aus der gepflegten Langeweile befreien könnte, fehlte hier schlichtweg auch Säure für eine gewisse Leichtigkeit. Die Hauptgänge hingegen wurden durch die gefriergetrockneten Zwiebeln torpediert, wobei die Desserts uns wieder versöhnten – ebenso wie der herzliche Service unter Nathalie Meyer. 

Zusammenfassend stellen wir fest, dass Christian Scharrer im Kern noch genauso kocht, wie in Zeiten des Restaurants Buddenbrooks. Allerdings hat sich in der Spitzengastro seither einiges getan. Etwas mehr Mut beim Kombinieren, der Kreativität einen etwas größeren Platz einräumen, das würden wir uns wünschen. Dann wäre der ohnehin lohnenswerte Besuch in Weissenhaus sicherlich noch genussreicher und könnte auch eine Klientel ansprechen, die sich sonst wahrscheinlich nicht dorthin verirrt.

FAZIT

Modernisierte Klassik in feudalem Ambiente. Christian Scharrers Küche im Courtier dürfte für viele Gäste eine sichere Bank sein – bei uns sprang der Funke dieses Mal nicht über.

Weine

Die Weinauswahl im Restaurant Courtier in Weissenhaus an der Ostsee

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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