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Restaurantkritik  5.September 2017

Hinter der kleinen braunen Tür

Bei Paris denkt man als Fressverrückter natürlich an die großen Namen, die mondänen Speisesäle und die sündhaft teuren Menüs. Dabei vergessen aber auch wir allzu oft, wie gut es sich in dieser Stadt unterhalb der exklusiven Kategorien speisen lässt –nicht selten bei den besten Schülern der französischen und internationalen Stars, die ihre eigenen, lässigen Lokale eröffnen, in denen sie gute und sehr erschwingliche Menüs anbieten. Zum Beispiel Vincent Crepel, zu dessen Stationen unter anderem das ultraklassische Hotel de Ville in Crissier und das avantgardistische André in Singapur gehören.

Ende 2014 eröffnete Crepel mit seiner Lebensgefährtin und Sommelière Kerry Ann Chin das Porte 12 im schwer angesagten 10. Arrondissement. Obwohl die Meinungen über die Küche durchaus auseinander gehen, waren wir von Anfang an neugierig auf dieses Lokal. Nach mehreren Anläufen konnten wir beim letzten Paris-Trip endlich einen Besuch einbauen.

Wie so viele Pariser Restaurants gibt sich auch das Porte 12 von außen unscheinbar: Hinter einer schlichten Altbautür führt ein Gang in den kleinen, kaum 30 Plätze umfassenden Gastraum. Dunkelbau und grau sind die dominierenden Farben, aufgelockert durch Holztische und Designerlampen aus Kupfergestänge. Eine Wendeltreppe führt zu einer zweiten Ebene, die aber offenbar nicht als Gastraum dient. Hinter einer Glasscheibe werkelt eine Handvoll Köche in einer kleinen, offenen Küche. Insgesamt wirkt das alles vielleicht etwas zu gestylt, trotzdem ist die Atmosphäre sehr entspannt und auf eigene Weise gemütlich. Für ein kurzweiliges Late-Night-Dinner (nach einem Lunch bei Savoy) genau das Richtige.

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Als ersten Snack gibt es Scheiben von gebeizter und gegrillter Makrele – ein sehr gutes Produkt, aromatisch komplex aufbereitet, von einnehmender Dichte. Hervorragend.

Dazu kommt Meringue von Foie gras auf den Tisch. Die optisch an "Raffaello" erinnernden Kugeln haben einen schönen Schmelz und sind geschmacklich gut ausbalanciert zwischen Süße und Würze.    

Noch besser gefällt uns aber das letzte Amuse, eine Geflügelmousse mit Essig und Eigelb-Chips. Die Mousse schmeckt kräftig und sehr schön rein, bekommt durch die deutliche Essignote aber auch eine erfrischende Säure. Das ist bereits ein mehr als überzeugendes Wechselspiel. Dazu die delikaten Chips, welche neben Textur auch etwas Substanz an den Gaumen bringen. Prima.    

Nun startet das Menü, mit eingemachtem Butternusskürbis, Topinamburpüree, marinierter Jakobsmuschel und Kürbisvelouté. Das ist einfach nur "Wow"! Ein bestens austariertes Süßsauer-Spiel, mit dem Biss vom säuerlich eingelegten Kürbis, der Süße der Velouté und der herbsüßen Erdigkeit der Topinambur. Nicht zu vergessen natürlich die marinierten Jakobsmuschelscheiben, die mit ihrer jodigen Frische und einem Hauch Nussigkeit das i-Tüpfelchen bilden. Das löffeln wir weg wie nix.

Als zweite Vorspeise gibt es grünen Spargel mit Trüffelvinaigrette, "Mona Lisa"-Kartoffelcrips und Sabayon. Von Guy Savoy bis zum Le Cinq hatten wir dieses Jahr bei fast allen Pariser Restaurantbesuchen grünen Spargel im Menü – und wir müssen sagen: Nirgends war er so perfekt gegart wie im Porte 12. Genau richtig im (festen) Biss, wodurch der Eigengeschmack bestens herauskommt. Auch die feine Vinaigrette und die exzellente Sabayon brauchen den Vergleich mit den hochdekorierten Häusern nicht zu scheuen. Ein kleiner, feiner, richtig großartiger Gang.

Das Milchkalbscarpaccio mit Piquillo-Crème und Schalottenvinaigrette (ohne Foto) sieht in seiner rosaroten Farbgebung erstmal nicht so verlockend aus. Aber das täuscht, denn geschmacklich ist auch dieser Gang enorm gut. Das Kalbsfleisch hat einen so kräftig nur selten erlebten Eigengeschmack, welcher von der Vinaigrette noch ein wenig nach vorne gekitzelt wird. Entscheidend ist aber vor allem die Crème aus Piquillo-Paprika, die mit ihrer süß-scharfen Aromatik dem Kalb mächtig Beine macht. Trotzdem schmeckt das alles nie plump, sondern auf elegante Weise süffig.   

Nicht so überzeugend fällt leider der Kabeljau mit Schwarzwurzel, XO-Sauce und eingemachtem Seegras aus. Das liegt vor allem an den Texturen: Durch die Sous-vide-Garung ist der Fisch sehr weich, beinahe gelatinös. Begleitet wird er von einer sehr stark gebundenen Sauce und einem Schwarzwurzelpüree. Das ist uns alles zu gleichförmig, auch aromatisch, und wirkt am Gaumen unangenehm breiig. Nicht gut, schade.    

Vor dem Hauptgang gibt es eine Foie gras Royale mit Portwein-Schalotten-Reduktion und Haselnussöl. Hier zeigt sich wieder Crepels präzises Gespür für aromatische Feinabstimmung. Die Royale ist ideal gewürzt, von sehr feinem Schmelz und nicht zu reichhaltig; die Portweinreduktion obendrauf steuert genau die richtig Dosis Säure und Süße bei, die Schalottenwürfelchen bringen Biss und einen Hauch Schärfe. Passt, sitzt, schmeckt klasse. 

Unscheinbar – wie so manches Gericht hier – kommt der Hauptgang daher: Kalb, Sellerie, Mangold. Unter dem Mangold verbirgt sich ein butterzartes Stück vom Kalbsbrücken, dazu gibt es lediglich etwas Selleriepüree und einen dunklen Jus. Das ist nicht weiter aufregend, funktioniert als klassisch gehaltenes Hauptgericht aber sehr gut. Nicht zuletzt dank der bemerkenswerten Fleischqualität und der Sauce.    

Als Käsegang gibt es eine Art Törtchen aus Käse und Portwein. Auch hier wird eine Simplizität vorgeführt, die nicht simpel wirkt. Man nehme sehr guten Hartkäse und schichte ihn mit einem dünnen Portweingelee – fertig ist ein sehr gelungenes Käsegericht. 

Auf zu den Desserts! Nummer ein besteht aus Tapioka in Kokosmilch und grüner Zitrone, Thai-Milch-Tee-Sorbet, Mango, Meringue von Bergamotte, gedörrter Kokosnuss und Fleur de Sel. Das klingt je nach Haltung entweder komplex oder überfrachtet. Beim Probieren erweist sich das Sammelsurium als überraschend leicht zugänglich – sämtliche Komponenten harmonieren prima, schmecken aber auch für sich genommen gut.  Es hat Biss und Schmelz, Süße und Herbheit. Und so modernistisch es aussehen mag, haben wir mit der Kombination von Kokos-Zitrus-Mango ein im Grunde sehr klassisches Exotik-Dessert vor uns – und als solches ist es sehr gelungen.

Das zweite Dessert kommt als Duo von Schokolade mit Rote-Bete-Sorbet (ohne Foto) auf den Tisch. Wir sind keine großen Schokodessert-Fans, und auch hier wird es uns bald etwas zu mächtig. Es schmeckt gut, ja, gerade auch mit dem erdig-süßen Sorbet – Rote Bete und Schoko ist inzwischen ja beinahe eine klassische Kombi. Aber der Abwechslungsreichtum und die Originalität beim Kokos-Dessert waren mehr unser Fall.    

Zum Schluss noch eine Art Muffin-Madelaines als Petits Fours. Sehr gut.

Ja, das war wirklich ein sehr, sehr befriedigendes Menü. Durchdacht und spannend, wohlschmeckend und mit Finesse. Man merkt, dass Vincent Crepel eine klassische Grundlage hat, aber auch Erfahrungen aus der modernistischen Spitzenküche mitbringt. Am besten gefielen uns jene Kreationen, die näher an der Klassik waren (Kürbis mit St. Jacques, Spargel mit Sabayon). Einzig der stark an die spanische Avantgarde erinnernde Kabeljau-Gang war ein Ausreißer nach unten. Gleichwohl waren ansonsten alle Gerichte von bemerkenswert überzeugender Qualität – da erlebten wir in manchem Drei-Sterner schon größere Schwankungen.

Insgesamt strahlte das Menü eine lässige Bodenständigkeit aus, ohne dadurch plump zu wirken, im Gegenteil: Immer wieder überraschte Crepel mit feinen Details. Oder anders gesagt: Im Porte 12 fährt man eine Mischung aus Bistronomie und Casual Fine Dining, die prima aufgeht. Warum der Michelin hier noch keinen Stern vergeben hat, ist uns jedenfalls ein Rätsel.

Fazit

Kein Geheimtipp mehr, aber immer noch ein Empfehlung – im Porte 12 gibt es tolle Küche zu fairen Preisen in Paris. Ein Restaurant das uns einfach Freude macht.

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