Anzeige
Restaurantkritik 22.Oktober 2016

Fest im Sattel

Ach ja, die Villa Rothschild – wie oft waren wir schon dort, seit dem Jahr 2009, als noch Christoph Rainer sich anschickte, einer der ganz Großen im Rhein-Main-Gebiet zu werden (was ihm bekanntlich gelang). Mit seinem Namen bleibt das Haus für uns deshalb immer auch etwas verbunden – was Rang und Verdienst seines Nachfolgers Christian Eckardt in keiner Weise schmälern soll: Seit er im Frühjahr 2014 das Küchenzepter in der Villa übernahm, hat er sich mit zwei Sternen, 9 Gusto-Pfannen und 18 Gault-Millau-Punkten als eine führende Größe im Rhein-Main-Gebiet etabliert. Überraschen muss das nicht, denn erlesene Stationen bei Claus-Peter Lumpp im ‚Bareiss’, im Wolfsburger ‚Aqua’ unter Sven Elverfeld, bei Andreas Caminada im wundervollen Schloss Schauenstein und zuletzt als Souschef in Rainers Team sprechen eine klare Sprache. Unser erster Besuch im Sommer 2014 fiel denn auch überzeugend aus.

Über die Villa selbst müssen wir eigentlich nicht mehr viel sagen: ein Kleinod von Hotel, luxuriös, aber ohne Affektiertheiten, sondern von einer nahezu familiär anmutenden Gastlichkeit. Insbesondere die stimmungsvolle (leider eher spärlich frequentierte) Bar hat es uns angetan. Das Gourmetrestaurant wurde im Lauf der letzten Jahre behutsam modernisiert. Das Ambiente ist gediegen und ja, durchaus konservativ, aber nicht ungemütlich. Vor allem die Rundumverglasung mit Blick auf die üppigen Bäume des historischen Rothschildparks nimmt dem Raum jede Schwere. Das gefällt uns immer wieder aufs Neue. Jetzt aber ohne Umschweife zum Menü...

Anzeige
|

Bei den Apéros setzt Eckardt seine Idee fort, die Kleinigkeiten stets einem Land zu widmen – diesmal Spanien: Es gibt gegrillten Pulpo auf Sepiachip, Jalapeño-Churro mit Sobrasada, eine Mojo-Tomatensalsa, eine Gazpacho von Olive und geräuchertem Pimiento sowie ein würziges Tomatenbrot mit Jamón Ibérico de Bellota. Das ist alles makellos gearbeitet, bildet eine schöne Bandbreite an Texturen und Aromen ab und bleibt dabei stets klar in spanischen Gefilden. Insgesamt ein bemerkenswert intensiver Start, bei dem uns besonders gut der butterzarte Pulpo und das köstliche, leicht rustikale Schinkenbrot gefallen.

Weiter geht es mit einer knusprig eingefassten Cevice vom Big-Eye-Tuna, ein Happen, der vor allem vom Zusammenspiel der gut dosierten Würze, feiner Fruchtsäure und dem tollen Schmelz des Tuna lebt. Gut.

Große Klasse dann das finale Amuse: Paella, Safranrisotto, Meeresfrüchte und Salzzitrone. Wow, diese Kleinigkeit ist von einer geschmacklichen Dichte, als hätte man den Inhalt einer ganzen Paella-Pfanne auf ein paar Quadratzentimetern komprimiert. Trotzdem schmecken weder Sauce noch Reis zu intensiv ‒ dank der herben Säure der Salzzitrone. Exzellent auch die Meeresfrüchte-Stückchen, die zusätzlichen Biss und Komplexität geben. Das ist eine Einstimmung, die die Latte für das Kommende hochsetzt.

Das Menü startet mit Bio-Entenleber mit rotem Shiso, Abate-Fetel-Birne und Ingwer. Für sich genommen ist die Gänseleber hervorragend, sowohl in Sachen Würze als auch bei der Temperierung (nur ganz leicht kühl). Auch die Idee, die fette Leber mit Crème fraîche geschmacklich aufzuhellen, gefällt uns sehr gut. Insgesamt aber bewegt sich die Komposition durch die diversen Birnenzubereitungen für uns zu sehr auf der süßen Seite. Dagegen kommt auch die Beimischung würzigen Shisos nicht an. Gerade wenn man Eis und Gelee zusammen mit der Leber nimmt, hat man eher eine moderne Dessert-Anmutung. Dadurch wirkt das Ganze dann auch recht mächtig, was selbst durch das À-part Joghurt, Birne, Shiso und Sake nicht mehr aufgefangen werden kann.

Mit dem zweiten Gang startet die Küche dann voll durch: Kaisergranat (gebeizt & gebraten) mit Fenchel, Dill-Aromen und Skyr ist als Aromenkombination absolut schlüssig, in den Proportionen perfekt austariert – und vor allem ungemein köstlich. Die leicht süßliche Nussigkeit des gebratenen, knackig-fleischigen Granats wird vom Anisgeschmack der abwechslungsreichen (aber nicht überspreizten!) Fenchelvariation wunderbar harmonisch eingefasst. Die gebeizten Stücke vom Granat bilden mit ihrer noch ganz leicht cremigen Jodigkeit einen schönen Gegenpol, fügen sich aber trotzdem harmonisch ins Gesamtbild ein – nicht zuletzt dank des Skyr, einer Art isländischem Joghurt, und des Dilleises, die eine Brücke zwischen den einzelnen Komponenten schlagen. Eine rundum runde Sache – großartig!

Etwas braver wirkt danach der confierte Taunussaibling mit Blumenkohl, Wildkräutern und Kaviar. Keine Frage, das schmeckt alles sehr harmonisch und gut. Der Saibling hat einen wundervoll buttrigen Schmelz und eine feine Nussigkeit, die insbesondere mit dem gerösteten Blumenkohl bestens zusammengeht. Dazu die Kräuter und ein paar Knusperchips, passt alles. Trotzdem ist uns das Gericht auf Dauer etwas zu, nun ja, nett. Es fehlt der aromatische Querschläger, der einen beim Essen kurz aufmerken und tiefer in die Aromenwelt des Gerichts einsteigen lässt. Ganz sicher kein Flop, aber auch kein Superhit.

Wuchtig wird's dann wieder bei der bretonischen Seezunge mit grüner Mango, Kichererbse und Curry. Schon die Hauptzutaten deuten an, dass es hier in eine Richtung geht, die ordentlich "Wumms" hat – und das ist gut so. Curry und Kirchererbse wecken bei uns immer die Assoziation zur indischen Küche. Klingt scharf und schwer, ist es aber nicht, da die Sauce bei aller Intensität schaumig-leicht ist und genau den richtigen Scoville-Wert hat, um unsere Papillen angenehm zu kitzeln, aber nicht zu betäuben. Zudem federt die säuerliche grüne Mango die Currywürze prima ab. Die Kichererbsen machen das Ganze schön vollmundig, ein paar Erdnussstückchen obenauf geben Textur. Ein Gang, der einfach Freude macht, dabei aber nicht trivial asiatisch schmeckt.

Weiter geht's mit Brust und Keule vom Schwarzfederhuhn mit Zuckermais, Erbsen und Senfaromen. Hier setzt Eckardt auf das Wechselspiel zwischen natürlicher Süße von Mais und Erbse und dem leicht scharfen Biss von Senfaromen. Das funktioniert prima, auch weil das zarte Hühnerbrustfleisch sich bestens als harmonisierender Geschmacksträger eignet. Andererseits bringt dieses Fleisch aber auch nicht allzu viel an Eigengeschmack mit. Das kann man mögen ‒ oder eben nicht. Wir jedenfalls könnten uns dieses Gericht mit Taube oder Ente noch besser vorstellen. Beim Huhn fänden wir auch ein wenig knusprige Haut am Fleisch selbst schöner, als den in runder Chipform. Von würziger Intensität ist dafür das Hühnerkeulenfleisch in Form einer knusprigen Praline. Da kommt Freude auf.

Ein absoluter Knaller ist dann der finale Fleischgang: Limousin-Lamm mit Aromen aus Fernost, Erdnuss, Shiitake, Dashi und wildem Brokkoli. Was leicht zu einem Overkill gerinnen könnte, erweist sich als bestens austarierter "Haupt"-Gang, der tatsächlich auch den Höhepunkt des Menüs bildet – was selten genug ist. Das Fleisch hat Kraft (vor allem das kleine Schmorstück) und viel Eigengeschmack, kann also die intensiven Aromensprender drumherum sehr gut vertragen. Würztechnisch changiert das alles großartig zwischen leichter Süße und dunkler Würze und hat dabei eine klar chinesisch anmutende Prägung. Es schmeckt gefällig, ohne banal zu sein, sprich es ist herrlich süffig (vulgo: lecker).
Insbesondere die feine Knusperauflage, die Shiitake-Duxelles und der konzentrierte Jus versetzen uns mit ihrer geballten Wucht in einer Art Umami-Ekstase. Dazu ein bisschen Mais und wenig wilder Brokkoli als gemüsiger Ausgleich – fertig ist einer der besten Fleischgänge dieses Halbjahres.

Doch damit nicht genug: Christian Eckhardt flankiert den exzellenten Teller mit einem À-part aus kleinen Lammfilet-Würfeln, Mais, Shiitake und einem Miso-Espuma, von dem wir nicht genug bekommen können. Erneut punktet das Team mit üppiger, aber dennoch balancierter Süffigkeit. Zusammen genommen ergeben diese beiden Teller eine blitzsaubere Götterspeise.

Das folgende Pré-Dessert aus Banane, Kiwi, gepopptem Reis, Kokosnuss und einem Limetten-Mars Mellow erfrischt und bringt zum richtigen Zeitpunkt eine Leichtigkeit ins Menü.

Das erste Dessert besteht aus weißer Erdbeere "pure Frucht" mit Sauerampfer, Wermut und grünem Pfeffer. Das mutet optisch hübsch puristisch an und ist auch geschmacklich von einer angenehm unverstellten Konzentration auf das Hauptprodukt Erdbeere – die tatsächlich als Frucht auf dem Teller liegt! Wir können nicht genug betonen, wie leid wir es sind, bei Desserts köstliche Früchte annonciert zu bekommen, die sich dann aber ausschließlich in verfremdeter oder nachgebauter Form auf dem Teller finden. Gegen Abstraktion ist ja nichts zu sagen, aber gerade exzellente Früchte und Beeren sind so selten, dass man diese immer auch (!) in ihrer natürlichen Form darbieten sollte.
Hier jedenfalls erweist sich vor allem der Wermut als kongenialer Begleiter der feinsüßen, leicht nussigen Beeren. Der Sauerampfer, als sehr gute Mousse, bringt herbe Würze und damit Spannung; nur der Pfeffer hätte ruhig etwas mutiger eingesetzt werden dürfen.

Zum Abschluss gibt es Dulcey-Schokolade "exotisch & frisch" mit Passionsfrucht, Mirabelle und Sesam. Ein angesichts der Zutaten überraschend mildes, dabei aber sehr elegantes Dessert. Hier gefällt uns nicht zuletzt die Verwendung der selten genutzten Mirabelle, einer gleichermaßen edlen wie bodenständigen Pflaumenfrucht, deren intensive Süße ganz wunderbar zu den leicht röstigen, fast schon gebäckartigen Aromen der hellen Dulcey-Schokolade passt. Das i-Tüpfelchen kommt übrigens, wenn man den Schokomousse-Würfel ansticht: Darin verbirgt sich nämlich ein köstliches Kompott. Das passt auch symbolhaft gut zu diesem Understatement-Dessert, das es in sich hat.

Und dann noch ein paar exzellente Petits Fours unter dem Motto "Süßer Kräutergarten": Pfirsich-Rosmarin, Gurke-Himbeere-Zitronenmelisse (unser Favorit), Kirsche-Sauerampfer, Stachelbeere-Lavendel und Aprikose-Zitronenthymian.

Das war eine sehr überzeugende Performance. Christian Eckardt und sein Team haben in den letzten zwei Jahren nochmal eine ganze Portion Souveränität draufgelegt. Wenngleich man hier unbeeindruckt vom Regionalhype kocht, wirkt das Menü trotzdem nicht wahllos. Man setzt sich nur andere Vorgaben, die rein kulinarischen Gedanken folgen: sei es bei den hervorragenden Amuses, die von einer konkreten Länderküche inspiriert sind, oder bei den originellen Petits Fours, die mit der Idee von Kräuterdesserts spielen. Solche Ansätze gefallen uns sehr gut, denn sie zeigen, dass sich jemand Gedanken macht. Beim Menü selbst spielt Exotik eine nicht unwesentliche Rolle. Und der Einsatz fernöstlicher Aromen, die wir schnell als penetrant empfinden, funktioniert hier bemerkenswert stimmig (und erinnert natürlich auch an Eckardts Lehrmeister Elverfeld und Rainer).

Hier und da waren die Geschmacksbilder vielleicht etwas konventionell (etwa bei der süß eingefassten Foie gras) oder es fehlt an Mut zum letzten Kick (beim Saibling). Dafür waren Kreationen wie die Seezunge und das Huhn von einer lässigen Souveränität, ohne langweilig zu wirken. Und bei meisterhaft abgestimmten Gerichten wie dem Kaisergranat und dem Lamm spielt die Küche sowieso in der Spitzenliga.

Der Service unter Maître-Sommelier Benjamin Birk ist freundlich-souverän und bietet keinen Grund zur Klage. Die Weinbegleitung beinhaltete einige großartige Pairings, wobei die große Überraschung des Abends ein alkoholfreier Gin Tonic nach Rezept des Hauses war.

Fazit

Christian Eckardt baut sein Standing als einer der Top-Köche in Rhein-Main stetig aus: mit einer raffinierten Gourmetküche, die ungeübtere Esser locker abholt und erfahrene Fresser trotzdem nicht langweilt – genau diese Balance bekommen nur wenige hin.

Weine

Weine im Restaurant Villa Rothschild in Königstein im Taunus

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Eure Meinung?

Im Menü einmal um die Welt – für Euch noch zeitgemäß?

 

Das könnte dich auch interessieren