Kolumne  1.Mai 2014

Die kulinarische Kolumne: Restaurant-Hypes. Heute top – und morgen?

Ende April wird in London zum 14. Mal die Liste "The World's 50 Best Restaurants" veröffentlicht. Und egal, was man von dieser Bestenliste und ihrer Entstehungsweise halten mag – der Erstplatzierte hat allen Grund zur Freude. Nicht unbedingt, weil er zumindest auf dem Papier für wenigstens ein Jahr vor seinen Kollegen steht, sondern vielmehr, weil der Spitzenplatz dem Restaurant volle Reservierungsbücher und endlose Wartelisten, also finanziellen Erfolg, bescheren wird. Denn so viel ist sicher: Die internationale Szene der Essverrückten, der „destination diners“ und der gut betuchten Prestigefresser kann ein solches Lokal nicht ignorieren. Verstärkend mündet das gesteigerte Medieninteresse in zahllosen neuen Artikeln, Reviews, Portraits, Gourmetkritiken, Interviews und Blogger-Berichten, die allesamt das Geheimnis des nun „besten Restaurants der Welt“ zu ergründen versuchen und den aufflammenden Hype damit weiter anfachen.

Dass Hypes kein reines Neuzeitphänomen sind und auch schon ohne Bestenliste entstanden, zeigt das Beispiel Aubergine. Als Eckart Witzigmann 1978 sein legendäres Restaurant in München eröffnete, war die Aufregung auch jenseits eingeschworener Gourmetkreise deutlich spürbar: Sogar den großen Tageszeitungen war die neue Gourmetadresse eine Geschichte wert, und die Auszeichnung als Deutschlands erstes Drei-Sterne-Restaurant ab 1980 tat ihr Übriges – die Tische waren entsprechend begehrt. Witzigmanns Kurzzeit-Schüler Harald Wohlfahrt zeigte mit der "Schwarzwaldstube" später, dass eine über 30 Jahre hohe Nachfrage möglich ist. In Baiersbronn gab es bezeichnenderweise nie einen "Hype" im heutigen Sinn, sondern man baute sich über Jahre einen guten Ruf auf.

Vergleichbar dem Rummel um die Aubergine war die Eröffnung von Thomas Kellers Per Se in New York im Jahr 2004. Sämtliche relevanten Publikationen schenkten dem neuen Restaurant ihre Aufmerksamkeit; über Jahre hinweg galt es als die heißeste Adresse der Stadt. Angesichts der ständig besetzen Reservierungshotline brauchten Interessenten eine Menge Geduld und große terminliche Flexibilität, um einen Tisch zu ergattern. Ein Hype, der lange anhielt, wenngleich man heute mit etwas Vorlauf problemlos einen Platz zum Wunschtermin bekommt. Den Rang als bestes Restaurant der Stadt musste das Per Se ohnehin an das Eleven Madison Park abtreten – mal sehen, wie lange dieser Hype anhält.

Denn das Spiel hat deutliche Kehrseiten. Heutzutage vergeht Aufmerksamkeit schnell, und durch eine Vielzahl von Alternativen ist es entscheidender denn je, ob sich der Gästestrom halten lässt oder ob der Ansturm jäh abflaut, wenn die nächste Sau durchs gastronomische Weltdorf getrieben wird. Im Noma einen Tisch zu bekommen, war exakt so lange ein Ding der Unmöglichkeit, wie das Restaurant auf Platz 1 der Pellegrino-Liste stand. Davor war es ohnehin kein Problem, und seit es auf den zweiten Platz verdrängt wurde, kann man Termin und Uhrzeit wieder relativ frei wählen. In der öffentlichen Wahrnehmung ist es mehr denn je ein Lokal unter vielen – vielleicht sogar noch schlimmer: Für nicht wenige Fressverrückte ist es durch die schnöde Abwahl ein "has been", das seinen Zenit überschritten hat. Mit PR-Gags wie Ameisen auf dem Teller versuchte man zwar, eine andere Art von Hype anzufachen, erntete dafür aber vorwiegend Spott.

Bis zur Jahrtausendwende waren vor allem die Neuartigkeit und Qualität einer Küche in Verbindung mit prestigeträchtigen Auszeichnungen und großen Namen am Herd entscheidend für das Interesse von Medien und Gästen. Explosionsartigen Aufmerksamkeitszuwachs wie bei Witzigmann und Keller gab es – auch mangels Social Media – nur sehr vereinzelt. Die meisten der renommierten Chefs mussten sich ihren Ruf und Kundenstamm zwar über Jahre hinweg aufbauen, profitieren dann aber auch von dieser soliden Basis. Bezeichnenderweise sind es oft genau diese Köche, die sich über Dekaden hinweg und allen Moden zum Trotz im Spitzensegment halten können. Selbst das Marketing-Genie Paul Bocuse bildet da keine Ausnahme.

Eine Sonderstellung nimmt auch hier einmal mehr Ferran Adrià ein: Lange vor der Pellegrino-Liste generierte er einen bis heute einzigartigen Kult um sein Restaurant el Bulli. Das gelang ihm nicht durch einen künstlich heraufbeschworenen Hype, sondern mit nichts Geringerem als einer Revolutionierung der Kochkunst. Adrià tat das, womit ein Koch nachhaltige Aufmerksamkeit erlangt: Er beschritt völlig neue Wege. Selbstredend wollte alle Welt bei diesem "Genie" essen. Die drei Sterne hätte er dazu vermutlich nicht gebraucht, die Pellegrino-Liste konnte Adria sowieso egal sein. Mehr als bei den meisten anderen Hype-Lokalen wollten die Menschen tatsächlich die Kreationen des Maestros erleben. Unbestritten, Adria erwies sich als Meister darin, den Mythos um sein Lokal immer weiter anzuheizen, verlor dabei aber die Innovation auf den Tellern nie aus den Augen. Bei ihm war die kulinarische Substanz der eigentliche Hype.

Heute läuft das gleichwohl anders. Bisweilen sind Restaurants schon in aller Munde, bevor es dort überhaupt etwas zu essen gibt. Grant Achatz war einer der ersten, die das Internet strategisch nutzten, um Neugier zu schüren. Im Online-Forum der kulinarischen Community „eGullet“ streute er über Monate hinweg Informationen über den Aufbau seines Alinea. Parallel dazu wurden erste Bilder seiner futuristisch anmutenden Gerichte lanciert. Seitdem wurde diese Methode oft kopiert. Zumindest bei Achatz war der Erfolg durchschlagend: Bereits vor Eröffnung war das Restaurant auf Monate hinweg ausgebucht. So blieb es einige Jahre, und heute kann Achatz es sich leisten, die Plätze wie Theatertickets zu verkaufen. Der Gast zahlt den vollen Preis des Menüs bei der Buchung, Rückerstattungen gibt es – wie im Theater – nicht. Womit sich das Problem der "No shows" auch erledigt hat.

Geradezu kontraproduktiv wirkt das Phänomen der Hypes jedoch abseits der Auslastungsfrage. Denn nicht selten zieht der Hype eines Restaurants auch eine kulinarische Inflation nach sich. Was einst neu- und einzigartig war, findet nun Nachahmer, die getreu dem Motto „Lieber gut kopiert als schlecht selbst gemacht“ kochen. Ähnliche Produkte, ähnliche Anrichteweise, ähnliche Stilistik – die Spielarten der Inflation sind vielfältig, und viele Gäste wollen oft auch einfach das bekommen, was gerade „hip“ ist, ohne dafür nach Kopenhagen, San Sebastián oder Chicago reisen zu müssen. Die negativen Folgen sind absehbar. Denn letztlich sorgt das Ganze nach und nach für kulinarische Einöde – stets verbunden mit dem Warten auf „the next big thing“: den nächsten Hype.

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