Restaurantkritik  1.Februar 2019

Graffiti und Genuss

Endlich passiert mal was! Okay, klar, jährlich eröffnen einige Restaurants in Deutschland, aber nur wenige entfachen solche Aufmerksamkeit wie das Mural in München. Zugegeben: Auch wir wurden nur deshalb auf das Restaurant aufmerksam, weil Freunde und Bekannte in sozialen Netzwerken in höchsten Tönen schwärmten. Keine Frage, dass wir herausfinden mussten, was (und wer) diesen Hype ausgelöst hat.

Aber der Reihe nach. Das Mural befindet sich im MUCA, dem Museum of Urban and Contemporary Art, dem ersten deutschen Street-Art-Museum - daher auch der Name: Mural=Wandmalerei. Das ist ja schonmal ziemlich lässig, zumal Spitzenküche in Museumslokalen zumindest in Deutschland noch immer Seltenheitswert hat. Die Eröffnung war bereits 2017, doch der Start war zwar ambitioniert, aber holprig: Innerhalb des ersten Jahres gab es mehrere Wechsel in der Küchenleitung. Schließlich kam eine Doppelspitze: Seit September 2018 führen Joshua Leise und Johannes Maria Kneip die kulinarischen Geschicke. Die beiden lernten bei Johannes King, danach arbeitete Kneip im Berliner Facil und Leise im Atelier bei Jan Hartwig. Das Spannende bei der Sache: Die beiden sind gerade Mal 23 und 24 Jahre alt. Wohl deshalb fiel bei Erzählungen immer mal wieder der Begriff "Wunderknaben". Der langen Rede kurzer Sinn: Das mussten wir uns anschauen.

Passend zum Thema des Museums ist das Mural in einem urbanen Industrial-Stil gestaltet: Estrich-Betonboden im Vintage-Look, grob verputzte Wände, metallene Tischgestelle mit weißen Kunststoffplatten und klassische Bistrostühle; die Decke durchzogen von Lüftungsrohren. Ein gewaltiges Wandbild im hinteren Bereich bildet praktisch die einzige Dekoration. Eigentlich wirkt das Ganze eher wie eine studentische Skater-Kneipe als wie ein Spitzenlokal - nennen wir es eine radikale Form des Casual-Fine-Dining-Gedankens. Und wenn der Gastraum wie bei unserem Besuch gut gefüllt ist, weicht die etwas kühle Atmosphäre schnell einer warmen, angenehm lebhaften Stimmung. Zu Essen gibt es abends nur ein Menü in fünf bis sieben Gängen, und das nehmen wir auch, komplett.

Als Snack zum Aperitif gibt es ein Huchentartar mit Dillmayo, kandierter Gurke, versteckt in einem knusprigen Teigkissen. Das schmeckt gut, ohne spektakulär zu sein.

Das Amuse kombiniert Lauch, Birne und Walnuss. Konkret ist das eine sehr feine Lauchrcrème, deren würzige Süßlichkeit bestens zu den knackigen, eingelegten Birnenwürfeln mit ihrer frischen Säure passt. In einer Art Umkehrung dazu gibt es ein süßsäuerliches Birnengel und das knackige Innere von gegrilltem Lauch. Das funktioniert ganz hervorragend. Über allem als bindende Komponente die röstig-herbe Lauchasche. Die Kornblüten sehen hübsch aus, haben aber keine nennenswerte gustatorische Wirkung. Dafür bringt die Walnuss (als Salat und Mayo) eine angenehm dunkle und volle Aromatik ins Spiel (wie der nicht-nussallergische Sternefresser anmerkt). Zugegeben, von der Optik wirkt das wie ein typisch deutscher Teller, mit den Crèmetupfen, der Asche, den Blüten und dem aufgestellten Lauch. Aber geschmacklich ist das alles stimmig, abwechslungsreich und sehr fein.

Das eigentliche Menü wird mit einem Knaller eröffnet: Saibling, Ei, Senf und Petersilie. Die imposante Fischtranche wurde in Zitronenöl mild gegart und ist mit Saiblingskaviar, gebeiztem Eigelb und Senfkorn-Crunch belegt; außerdem mit etwas Petersilienkresse, Bronzefenchel und Kerbel. Alles ist exakt so dosiert, dass es den Fisch unterstützt, texturell erweitert (der ploppende Kaviar!) und ihm Komplexität verleiht - aber nicht erdrückt. Die dichte Ei-Emulsion macht, ganz dezent dosiert, jeden Bissen cremig, während die Petersilien-Vinaigrette mit kräutriger Frische dagegenhält. Ein ganz hervorragender Gang, fokussiert und verdammt köstlich.

Als kleine "Brotzeit" zwischendurch kommt unerwartet ein Malzbrot mit Kartoffelkas, Röstzwiebelmayo und Perlzwiebel auf den Tisch. Ein tolle Edelvariante des Biergarten-Klassikers, fein und vielschichtig, aber trotzdem mit einer Menge Kraft.

Es bleibt vegetarisch mit Kürbis, Waldpilzen, Pumpernickel und Sauerklee. Zu einem sehr gut gewürzten Kürbisrelish gesellen sich kräftig geröstete Steinpilze und Totentrompeten, außerdem hauchdünne, geröstete Kürbisröllchen, etwas Pilzcrème und Pumpernickelchips. Als Grundierung ein intensiver Pilzsud, leicht mit Zitronenöl aromatisiert. Das schmeckt nach herbstlichen Feldern und Abenden am Kamin, nach Waldspaziergängen und dem Zubereiten der gesammelten Beute. Es hat Säure und Umami, dunkle Würze und leichte Frische. Erneut ein Teller, der zunächst recht simpel wirkt, dann aber mit Vielschichtigkeit überrascht. Sehr gut, einmal mehr.

Kaum weniger gelungen finden wir den Zander mit Kalbszunge, Estragon und Erdnuss. Zander gehört zu unseren Lieblingsfischen, und hier kommt er als dicke, saftige Tranche auf den Teller, wohlig thronend auf einer intensiven Estragon-Hollandaise. Damit könnte man uns schon ausreichend begeistern. Aber wie beim Saibling sitzen die entscheidenden Details auf dem Fisch (eine Anrichteweise, der man die Hartwig-Schule ansieht). Nämlich glasierte Kalbszunge, Erdnusscrème, gebackene Kapern und Estragon-Mayonnaise. Das klingt mach einem wilden Potpourri, schmeckt aber erstaunlich harmonisch. Der kräftige Zander kann die durchweg kraftvollen Beigaben gut vertragen, zumal sie sehr präzise dosiert sind - nichts ist zu viel, nichts schmeckt übermäßig vor, alles greift ineinander. Eine ambitionierte Kreation, keine Frage, aber sie geht auf.

Der erste Fleischgang besteht aus Poltinger Lammbauch, Radieschen, geräuchertem Sonnenblumenöl und Dashi. Auf dem butterzarten Lammbauch liegen gepickelte Radieschen und Algenchips; dazu gibt es rohe und glasierte Radieschen. Soweit, so gut. Probleme bereiten uns die geräucherte Mayonnaise und vor allem der Sud aus geräuchertem Sonnenblumenöl. Beide sind so intensiv und präsent, dass es das Fleisch und die Radieschen sehr schnell überlagert. So gut es geht picken wir das Fleisch aus dem Fond, dann schmeckt es gut. Aber ideal ist das natürlich nicht.

Als Hauptgang gibt es Brust vom Maishendl mit Wacholder, Kohlrabi und Speck. Das Fleisch ist saftig und zart, die Kruste hat exzellenten Crunch - vielleicht einen Tick zu viel Wacholder, aber das wird von den Kohlrabi-Beilagen gut aufgefangen. Das Gemüse kommt in drei Varianten, nämlich fermentiert und dehydriert, mariniert sowie als warmer Kohlrabi-Speck-Salat (unter den Scheiben versteckt). Nicht zu vergessen der sehr gute, dichte Jus, der dem insgesamt eher deftigen Teller Eleganz verleiht.

Das erste Dessert besteht aus Gerstengras, gestockter Wintermilch und Kürbiskernöl. Bei nahezu reinweißen Desserts auf Milchbasis müssen wir natürlich immer an die sensationellen Kreationen im Le Cinq und im La Bouitte denken. Aber geschmacklich geht man im Mural ganz andere Wege als die Franzosen: Durch das Gerstengras (als Puder und als Sud) und das nussige Kürbiskernöl (als Eis) bekommt dieses Dessert eine mildherbe, beinahe würzige Note. Zusammen mit den diversen Milchzubereitungen (Gelee, gestockt und als Crème-Pad) schmeckt das ebenso harmonisch wie originell. Sehr gut.

Etwas konventioneller wirkt das zweite Dessert aus Haferwurzel, Sanddorn, weißer Schokolade und Tahiti-Vanille. Da gibt es viel Puder und Crumble und Knusper, dazwischen die typische, recht penetrante Sanddorn-Säure von Eis, Gel und eingelegten Beeren. Eine weiße Vanillecrème macht das Ganze texturell etwas geschmeidiger und aromatisch weicher. Ein ordentliches Dessert, keine Frage, aber nichts, was uns in Verzückung versetzt.

Und dann natürlich noch ein paar Petits Fours.

So geht ein ziemlich beeindruckendes Dinner zu Ende. Um es kurz zu machen: Ja, der Hype um das Mural ist absolut gerechtfertigt. Was hier zwei blutjunge Chefs in ihrer ersten eigenen Küche und mit kleinem Team auf die Teller bringen, nötigt nicht nur Respekt ab – es schmeckt auch einfach verdammt gut. Das Menü war originell, ohne überambitioniert zu sein, raffiniert, aber trotzdem sehr zugänglich. Am besten gefielen uns die Gänge mit einem klaren Thema: Saibling, Ei und Petersilie zum Beispiel, oder Kürbis, Pumpernickel und Pilze - klassische Kombinationen, modern umgesetzt. Beim Anrichten und den teils sehr intensiven Aromen sahen und schmeckten wir zuweilen die große Hartwig-Schule. Aber es gibt sicherlich schlechtere Einflüsse, und wir sind sicher, dass Joshua Leise (2.v.r.) und Johannes Maria Kneip (links) nicht lange brauchen werden, um sich gänzlich freizuschwimmen und eine eigene Linie zu entwickeln.

Schon jetzt ist ein Essen im Mural lässig und köstlich – und das in einer cool-urbanen Atmosphäre, die wir im Laufe des Abends immer mehr zu schätzen lernen. So sitzen wir nach dem Dinner noch eine ganze Weile am Tisch, vor uns ein paar Flaschen aus der exzellenten Natural-Selektion von Maître-Sommelier-Geschäftsführer Wolfgang Hingerl (rechts). So ein Abend, so eine Entdeckung will zelebriert werden. In München passiert was. Wie schön wäre es, würden andere nachziehen.

Fazit

Eines der vielversprechendsten neuen Restaurants in Deutschland. Reservierungsbefehl.

Text: Kai Mihm

Wein

Die Weinbegleitung im Münchner Mural

Judith Beck Bambule Pet Nat M (Muskat) 2017

Peter Wetzer, Furmint 2017, Sopron

Elisabetta Foradori, Fontanasanta Manzoni Bianco 2015, Mezzolomardei

Can Tiques, Joan Rubio Essencial Xarel-lo 2015, Catalunya

Franz Weninger, Rosa Petsovits 2017, (Syrah, Sankt Laurent, Blaufränkisch), Ungarn und Österreich

Milan Nestarec WTF (What the flor/F++k), Grüner Veltliner 2015, Moravien

Prnzegg, MArtin Gojer, Miau! 2017

Heinrich, Roter Traminer Freyheit, 2016

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Wolfgang Hingerl

Anzahl Positionen auf der Weinkarte:
Wir haben aktuell 250 Positionen auf der Karte.

Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Handwerklich, nachhaltig hergestellte Weine, autochthone Rebsorten, reduzierte Schwefel- und Kupferzugabe, Handlese, Verzicht auf Reinzuchthefe und synthetischen Pflanzenschutz.

Die ungewöhnlichste Rarität?
Domaine Chammonard Morgon Gamay 1997.

Welches sind die preiswertesten und teuersten Flaschen auf Ihrer Karte?
Der Günstigste: Franz Weninger, Faß 7 2017 für 32 Euro. Die teuerste Flasche ist der Clos Rougeard Saumur-Champigny 2013 für 750 Euro.

Welches ist der meistverkaufte Wein der letzten 12 Monate?
Definitiv die Weinbegleitung. Bei den Einzelflaschen ist es Dominique Catherine et Dominique Bourgogne 2017 (weiss) und Judith Beck Bambule Sank Laurent 2015 (rot). 

Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Das sind unglaublich viele. Hier ein paar Ausreißer:
-Joan Rubio Essencial Xarel-lo 2015 (Ex-Kellermeister von Recaredo), Catalunya
-Peter Wetzer Furmint 2017 aus Ungarn
-Enderle & Moll Rotling 2016 aus Baden ("Rosé")
-Catherine et Dominique Derain, Gevrey Chambertin En Vosne 2014 aus dem Burgund

Besonders begeistert hat mich zuletzt immer wieder Franz Weninger, der natürlich kein Unbekannter ist. Seine ganze Kollektion ist so stark wie noch nie – Hut ab. Bei den Rebsorten komme ich aktuell nicht an Xarel-lo vorbei.

Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Fabrice Dodane, Domaine Saint Pierre, Savagnin Autrement 2015 aus dem Jura. Dieser Wein ist saftig, straff, salzig, voller Spannung, elegante Reduktion gepaart mit viel Halt und Energie. Ideales Gleichgewicht, nicht überladen, eher leicht tänzelnd und animierend. 

Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie je konfrontiert wurden?Reinzuchthefenallergie. Spass beiseite, obwohl dies tatsächlich so angemerkt wurde. Konfrontationen sind erwünscht und jeder Gast muss und darf gelesen werden, um seinen idealen Wein geniessen zu können.
Zaubertricks beherrschen wir, Magie aber nicht. 

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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