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Restaurantkritik 21.September 2019

HAEBEL-WIRKUNG

Die Mischung aus Kneipe und Casual Fine Dining, quasi "Kneipen Dining" auf die Spitze getrieben, begegnet uns immer häufiger. Sei es nun die ehemalige Berliner "Cordobar", das "TISK" oder auch die "Clown Bar" in Paris – ein legerer Abend ohne gestärkte Tischdecken ist für uns genau dann gelungen, wenn es tatsächlich nur um das Essen, die Gesellschaft und den Abend geht und keine Kronleuchter, Käse- wie Digestifwagen oder langes Annoncieren des Tellers ablenken oder unterbrechen können. Das funktioniert derzeit – aber sicherlich auch langfristig – besser in den Groß- als in den Kleinstädten. So ist es nicht verwunderlich, dass sich Fabio Haebels Kneipenfresser-Modell in Hamburg niedergelassen hat. Zu später Stunde fallen wir in die äußerst belebten Räume des Restaurants ein.

Der 33-jährige gebürtige Freiburger Fabio Haebel ist kein Unbekannter in der Hansestädtischen Gastrolandschaft, gründete und leitete er doch 2010 das Catering-Unternehmen "Tarterie St. Pauli", das ein Jahr darauf unter gleichem Namen auch als Bistro und Restaurant in der Paul-Roosen-Straße des hippen Bezirks das Licht erblickte. Doch aus einem dreigängigen wurde schnell ein vier-, fünf- und später siebengängiges Menü, so dass sich das Lokal 2017 dem eigenen Ehrgeiz beugte und von da an "Haebel" hieß

Das Konzept soll sich bewusst von allen Dogmen verabschieden, mit der die Spitzengastronomie konnotiert wird. Der durchaus nordische Ansatz liegt da ganz passend bereit; regionale Zutaten in informeller, moderner Atmosphäre, weitestgehend ohne Chichi. Auf den Tellern führen dann französische Einschläge zu der etwas holprigen Selbstbezeichnung "Nordic-French casual dining bistronomy". Eine À-la-carte-Auswahl gibt es nicht, auch eine Speisefolge im klassischen Sinn sucht der Gast vergebens. Stattdessen listen Haebel und sein Team die Zutaten, die für die Gerichte des Menüs verwendet werden, stumpf auf. Wie dann was auf den Teller kommt, bleibt bis zum Verzehr Geheimsache – ein Überraschungsmenü quasi. Wir entwickeln schnell Freude am Geräuschpegel, der schon bei unserer Ankunft im vergleichsweise winzigen Restaurant ordentlich ist. Der eine oder andere Gast wird wohl nicht beim ersten Glas Wein sein – und wir fühlen uns auf Anhieb inspiriert, aufzuholen.

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Wir starten mit einem etwas unorthodoxen Gruß, nämlich salzig-süßen Madeleines mit weißer Schokolade und Kaviar. Die Kombination schmeckt ungewohnt, aber funktioniert – vielleicht gerade im Rahmen dieses lässigen Surroundings – ziemlich gut.

Der erste Gang, Lammrücken mit Rosenkohl, Haselnuss, Kartoffelstroh und Café-de-Paris-Sauce, ist unprätentiös angerichtet und dreht ordentlich am Herzhaftigkeits-Potentiometer. Stellt hier etwa noch jemand die klassische Menüfolge auf den Kopf? Die Intensität des wohlproportionierten, zarten Stücks Lamm kommt hervorragend mit der eher bitteren Nussigkeit des restlichen Tellers klar, die säuerlich-süße Crème verbindet alles zu einem überzeugenden Ganzen, dem die Kartoffel – ganz beiläufig – Knusper beigibt. Das ist einfach, lecker, durchaus rustikal ... und würde andernorts auch als Hauptgang durchgehen.

Etwas filigraner kommt dann der auf den Punkt gegarte Pulpo mit geräucherter Kartoffel-Lauch-Creèe, Lauchvelouté, Fenchelsalat mit Fenchelpollen und getrockneter Rinderschulter an unsere Papillen. Zuerst dominieren präsente, aber dann doch flüchtige Fenchelnoten in der Nase, der vegetabile Begleiter des Meerestiers. Lauch und Kartoffel gesellen sich in flüssig-cremiger Darreichungsform zum Tintenfisch, aromatisch geht es in Summe in Richtung eines süffig-herzhaften Fisch-Eintopfs. Das funktioniert prima!

Überaus französisch dann der Skrei aus dem Ofen mit Kohlrabi, Imperial-Kaviar, Schnittlauch-Velouté und Kalbszunge. Besonders gefällt uns die hohe Temperierung, bekommt man doch gerade Weißfische eher lauwarm bis kalt auf den Tisch. Als Star des Tellers darf die Samtsauce mit Schnittlaucheinlage glänzen; einer Beurre-blanc ähnlich ummantelt sie jedes Stück des schneeweißen Fischs, ohne ihn aromatisch zu überfrachten. Die jodig-salzigen Kaviar-Akzente stehen dem ohnehin gelungenen Duo sehr gut – die Rogen-Dosen, die an diesem Abend über die Theke gingen, haben wir übrigens irgendwann aufgehört zu zählen...

Simpel wie funktional auch das Kalbsfilet mit Macadamia-Kruste, Püree aus Roscoff-Zwiebeln und Maronen sowie geschmorter Schwarzwurzel. Auch hier gibt es wenige Spielereien, viel eher überrascht uns der helle, säuerliche Sud, der – gerade nach den in Summe eher herzhaften Gängen – Leichtigkeit in das Gericht bringt. Als etwas überdimensioniert empfinden wir die Nusskruste auf dem Kalbsfilet, und vielleicht wird der eine oder andere Gast Probleme mit dem Garpunkt haben, der durchaus als "rare" bezeichnet werden kann. Davon abgesehen geht auch hier die Formel "Keep it simple" auf.

Ebenfalls unkompliziert, aber zur Stimmung und dem Lokal absolut passend das Dessert: in brauner Butter gebackenes Mohnfinancier mit Mohn-Mousse und gegrillter Birne. Das nicht zu süße, weiche, lauwarme Küchlein reiht sich unverkopft in die Kette von Kneipenwohlfühltellern ein.

Zum Kaffee – oder seien wir ehrlich, zum Digestif – eine gute Praline aus Kongolesischer Schokolade und Granola.

Wie eine kleine, aber laute Perle in St. Pauli gibt sich das Haebel gastronomisch ungestüm und definiert eine Küche, die man wohl – im übertragenen Sinne – als "dirty" beschreiben könnte. Eng an eng sitzt man hier, wie wir, direkt an der Küche. Spricht der Nebentisch laut, spricht man eben noch lauter oder lässt sich von der belebten Kneipenatmosphäre unterhalten und anstecken; zu glotzen und zu trinken gibt es hier mehr als genug. Die Küche unterwirft sich ebenjener Ausgelassen- und Ungezwungenheit und tut gut daran, die Stimmung nicht mit verkopften Aromenkonstruktionen zu unterbrechen. Viel eher stehen Gerichte wie Lammrücken und Skrei mit ihrer scheinbaren Simplizität exemplarisch für Fabio Haebels kulinarischen Ansatz, die langen Nächte in seinem Laden mit guten, schmackhaften Gerichten zu verlängern, die nicht mit überbordendem Ehrgeiz (und falls doch, nicht vordergründig) nach Sternen ringen. Fabio Haebels Bistronomie-Modell mag nicht für Jedermann sein, funktioniert für uns aber prächtig. Diesen gastronomischen Mut, laut mit lecker zu verbinden, wünschen wir uns häufiger – nicht zuletzt aufgrund der tollen Weinkarte.

FAZIT

Ambitionierte aber unprätentiöse Küche, viel Atmosphäre und tolle Weine – das Haebel ist der ideale Ort für lange Nächte in der Hansestadt.

Weine

Die Weinbegleitung im Hamburger Haebel

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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