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Restaurantkritik 15.Februar 2017

Experimente gefällig?

Wie in vielen anderen Städten sind auch in Zürich viele der besternten Restaurants in Hotels untergebracht – Stichwort Quersubventionierung. Doch dieses Mal zieht es uns in der Limmatstadt nicht in eines dieser Restaurants in einem mondänen Hotel auf den Hügeln oder am See, sondern in den urbanen Stadtteil Wiedikon. Hier sorgen seit 2013 zwei junge Typen namens Miguel Ledesma und Fabian Spiquel im Maison Manesse für kulinarische Furore. Sie waren mit die Ersten, die die etwas angestaubte Fine-Dining-Szene Zürichs auf Vordermann bringen wollten. Ein unkonventioneller Treffpunkt für Gourmands, Städter, Touristen – schlichtweg für Jedermann sollte es sein. Mit ihrer Idee trafen die beiden den Nerv der Zeit und avancierten recht schnell zum „Talk of Town“. Nicht nur beim Publikum kam der Laden gut an, auch die Guides ließen nicht lange mit entsprechenden Auszeichnungen auf sich warten. Nachdem einer der Sternefresser dem Haus an der Manessestraße im letzten Jahr privat und inkognito einen Besuch abgestattet hatte und das Restaurant eher unbeeindruckt verließ, war es nun an der Zeit für einen offiziellen Besuch.
Beim Betreten des Restaurants fühlen wir uns im ersten Moment wie im falschen Film. Kleine Tische mit Karo-Muster wie bei Omma in der Küche, schummriges Licht und laute Musik. Das erinnert alles eher an ein hippes Bistro als an ein besterntes Restaurant der „üblichen“ Kategorie. Uns gefällt’s. Nachdem uns der freundliche Service an den Tisch begleitet hat – so viel Etikette muss wohl dennoch sein –, richten wir uns erst mal ein, nippen am Billecart-Salmon Rosé und lassen die juvenile Atmosphäre auf uns wirken. Wir sind bereit.

Los geht’s mit einem Szechuan Button, einer essbaren Blüte, die uns bereits vor zehn Jahren bei Juan Amador das erste Mal begegnet ist. Auf die Erinnerungsauffrischung mit halb tauber, halb prickelnder Zunge, gefolgt von übermäßigem Speichelfluss, hätten wir heute allerdings gerne verzichtet. Die Idee verfolgt natürlich einen gewissen Sinn, doch aufgrund der Größe des Buttons ist der Effekt zu extrem und hält zu lange an. Ein schwieriger Start.

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Mit "Five Tastes" stellt uns die Küche ein flüssiges Rätsel. Jede der kleinen Vertiefungen im Porzellan ist einem der fünf Grundgeschmäcker gewidmet (süß, sauer, salzig, bitter und umami) und muss mit einem Keramikröhrchen geleert werden, um danach den Inhalt zu erraten. Um den Überraschungseffekt für künftige Gäste nicht zu mindern, verraten wir den Inhalt an dieser Stelle nicht. Gar nicht so einfach, aber mit vier Treffern platzieren wir uns recht gut. Eine nette Idee, die uns auch noch schult.

Mit einem Lachslolli startet nun das Kaumuskeltraining. Eine verwirrend süße und dicke Knusperhülle gibt unter beträchtlichem Krachen ein Stück Lachs frei, dessen Qualität wir bestenfalls durchschnittlich nennen können, was auch der Einsatz von Wasabi nicht kaschieren kann. Der Kontrast der Geschmäcker und Texturen ist gut gemeint, funktioniert hier aber leider auf keiner Ebene. Schade.

Der nächste Gang klingt bodenständiger und etwas weniger verspielt: Kalbskopfterrine. Die einen Tick zu feste Terrine überzeugt durch ein volles Aroma, das von der angenehmen, gelatinösen Fettigkeit optimal transportiert wird. Kombiniert mit der großzügig portionierten Mangosauce wird das klassische Geschmacksbild einer Terrine mit willkommener Exotik versehen. Vor allem aber schmeckt es einfach sehr gut. Ein perfekt gepufftes Stück Achillessehne (!) vom Kalb erweitert den Teller nicht nur texturell, sondern sorgt auch für einen weiteren Salzkick, der mit den herrlichen, in Kaffirlimetten sauer eingelegten Zwiebeln richtig Abwechslung bringt. Sehr schön.

Vegetarisch geht’s weiter mit einem Kartoffelsalat. Der sous-vide in Öl gegarte Erdapfel aus dem Albulatal wird mit fermentierter Gurke, Joghurt mit Currykraut, einem fruchtigen Dressing sowie mit etwas, das uns an kandierte Zitruszesten erinnert, ungewöhnlich kombiniert  –  und sorgt im ersten Moment für Stirnrunzeln. Jeder Bissen verstärkt dieses Gefühl, und wir fragen uns, welche Absicht hinter diesem Gericht steckt. Vor allem, da man den eigentlichen Hauptdarsteller kaum wahrnimmt, was unter anderem auch an der zu kühlen Temperierung liegt. Wir taxieren das Ganze mal als Experiment und lassen es dabei bewenden.

Mit einem stattlichen Stück Rock Lobster bewegen wir uns wieder in etwas ruhigere kulinarische Fahrwasser. Der in Noributter pochierte Hummer dürfte zwar gerne ein paar Grad wärmer sein, doch die Grundqualität macht schon mal Spaß. À part finden sich eine Kartoffel-Tomaten-Mayo, eingelegte Tomatillos und geräucherter Heringskaviar. Zum munteren Kombinieren angeregt, basteln wir uns viele unterschiedliche Gabeln, um dann beim zweitletzten Bissen festzustellen, dass es am besten schmeckt, wenn man alle Elemente zusammen nimmt – würde die Präsentation von Beginn an dazu animieren, etwa indem alles auf dem gleichen Teller serviert wird, wäre dies ein richtiges Highlight.

Nun folgt ein Onsenei, das für eine Stunde im Wasserbad gegart wurde, was eine optimale, halbflüssige Konsistenz des Eigelbs garantiert. Die klassische Kombi von schlotzigem Ei und reichlich Trüffeln wird im Maison Manesse durch die eher ungewöhnlich anmutende Zugabe von Quinoa-Nudeln ergänzt. Eine clevere Idee, wie sich herausstellt, da die Nudeln den Gast nicht nur dazu zwingen, länger zu kauen und damit die Aromen am Gaumen zu intensivieren, sondern zusätzlich als Texturgeber fungieren. Das ist zwar konzeptionell simpel, aber auch saulecker.

Als nächstes wird uns ein Glas Sherry mit der Aufforderung eingegossen, den leckeren Oloroso zu probieren. Da lassen wir uns natürlich nicht zwei Mal bitten. In der Annahme, dass es sich um einen Teil der Weinbegleitung handelt, trinken wir munter drauf los, bis der Service plötzlich mit einer Thermoskanne vor uns steht. Darin befindet sich eine Entenconsommé, die zum Sherry gegossen wird. Das Ergebnis ist ein hocharomatisches, dichtes Elixier, in dem der Alkohol perfekt eingebunden ist und als wärmende Umamibombe perfekt in diese kalte Zürcher Nacht passt. Zudem zeigen diese paar Schlucke, dass das Küchenteam um den „handsome Aussie“ Fabian Spiquel nicht auf Teufel komm raus experimentieren muss, um dem Gast ein unvergessliches Fresserlebnis zu bieten. Sehr, sehr gut.

Schon wieder Trüffel? Na gut, wenn’s denn sein muss, lassen wir uns gerne dazu überreden. Diese Exemplare stammen aus dem nahegelegenen Wald um den Züricher Hausberg „Uetliberg“. Das Gute liegt eben oft ganz nah. Geschmacklich punkten die Edelpilze durch ihr erstaunlich kräftiges Aroma, das sich zwar nicht mit den Brüdern und Schwestern aus dem Burgund vergleichen lässt, doch zweifellos für zufriedene Gesichter am Tisch sorgt. Diverse Zubereitungen von Blumenkohl gehen mit dem schwarzen Gold eine kongeniale Verbindung ein, wenngleich wir konstatieren müssen, dass die gebratenen Stücke Kohl etwas zu lange in der Pfanne gewesen und dadurch etwas bitter geraten sind. Abgemildert werden die Bitterstoffe durch eine cremige Sauce Béarnaise, die zusammen mit knusprigen Erdmandeln doch noch ein richtig rundes Gericht entstehen lässt.

Eine Erfrischung vor den Hauptgängen kommt in Form einer „Frozen Air“ auf den Tisch. Der herb-fruchtige Geschmack der Schwarzen Johannisbeere ist von einer beeindruckenden Intensität und zeigt dem Szechuan Button, wie es richtig geht: Speichelfluss dezent anregen bei gleichzeitigem Wohlgeschmack. Noch dazu ist das eine Luft, die ihren Namen auch wirklich verdient, da sie sich unmittelbar nach dem ersten Mundkontakt auflöst. Experiment gelungen.

Fabian Spiquels Liebe zu Südamerika scheint während des Abends immer wieder in einzelnen Zutaten durch. Am offensichtlichsten wird sie im simpel betitelten Gericht Muscheln zur Schau getragen. Ausgelöste Miesmuscheln werden andisch-mediterran eingefasst. Der ungewöhnlichste der vielen Protagonisten ist sicherlich die Chuno. Diese aus dem Andenraum stammende Konservierungsmethode für Kartoffeln beinhaltet ein mehrmaliges stampfen, anfrieren und sonnentrocknen der Erdknolle. Das Resultat ist eine herbe, nach Fermentation schmeckende Paste. Zusammen mit einer richtig Dampf machenden Sauce aus der Anden-Chilisorte Aji Amarillo, etwas spanischem Manchego und einigen Koriandertrieben ergibt das ein komplexes Sammelsurium an Geschmäckern, das den Gaumen zwar fordert, ohne dabei aber übers Ziel hinaus zu schießen. Gar nicht so einfach bei so vielen unterschiedlichen, eigenständigen und dominanten Aromaten von Meer, Bergen und Feldern. Surf’n’Turf für Fortgeschrittene.

Dry Ageing ist mittlerweile in so ziemlich jeder Kaschemme angekommen, die sich Steakhouse schimpft. Doch Dry Aged Luma Chicken ist selbst für weitgereiste Fresser wie uns ein Novum. Eine französische Rasse namens „Sasso“ wird im Schweizer Kanton Appenzell gezüchtet, um nach der Schlachtung für 12 Tage an der Luft zu reifen. Das Ergebnis ist ein vollmundiges Geschmackserlebnis, das sich vom nichtssagenden Hühnereinerlei in Textur und Intensität massiv abhebt. Da vermisst man ganz sicher kein rotes Fleisch. Doch nur mit dem Geflügel ist es zum Hauptgang natürlich nicht getan. Eine schlotzige, nicht zu süße Maiscrème kontrastiert das Poulet und verleiht dem Gericht eine simpel-süße Eleganz. Etwas frittierter Federkohl bringt willkommene texturelle Abwechslung auf den Teller und sorgt durch seine grün-herben Töne für einen tollen Kontrast. Zumindest für einen von uns der Teller des Abends. So geht Hauptgang!

Der in der Schweiz angesagte Käser Willi Schmid liefert den Käse aus dem Toggenburg für das Maison Manesse. Heute Abend finden vier Sorten den Weg aufs Käsebrett (von links nach rechts): Jersey Blue, Waldgeheimnis, La Nazareth und Nicola. Jedes Stück ist ein perfekt gereiftes Beispiel dafür, warum wir Käse so lieben. Wundervoll! Dazu gibt es eine Nuss mit Aprikosenkaramell und Rosinen sowie ein Traubenchutney. Einfach und sehr gut.

Die Überleitung zum süßen Teil des Menüs macht ein -40-Grad-Macaron. Der erste Eindruck ist nicht süß, sondern kalt. Richtig kalt. So kalt, dass wir die Zutaten nur erahnen können. Noch dazu ist der gar nicht so kleine Happen selbst für unsere großen Klappen ein gutes Stück zu groß geraten. So können wir aufgrund der stumpfen Kälte, die uns den Atemdampf wie dem Drachen Grisu aus der Nase stäuben lässt, nicht nur nichts schmecken, nein, auch unsere Zungen befinden sich kurz vor dem gustatorischen Gefrierpunkt. Wir hoffen auf eine Steigerung beim Hauptdessert,...

... das heute aus einer Schokotarte besteht. Der erste Bissen erinnert uns mit seinen knusprigen Haselnüssen und dem Karamellschmelz an die einschlägigen Werbeclips eines gewissen Riegelherstellers. Ein deutlich besserer Bissen als beim Vorbild, wohlgemerkt. Doch damit, einen Riegel nachzubauen, begnügt sich die Küche im Maison Manesse natürlich nicht. Getoppt wird das rechteckige Küchlein von einem gelungenen Rohmilcheis und weihnachtlich anmutenden Orangenzesten, die das Gericht auch aufgrund ihrer Größe ziemlich dominieren. Zupfen wir uns eine angenehme Portion der Zeste zurecht, so schmeckt sie in Verbindung mit den restlichen Komponenten zweifellos gut, doch gebraucht hätten wir sie nicht. Die Tarte mit dem Eis hätte uns vollkommen gereicht.

Im eh schon spärlich beleuchteten Restaurant wird zum Schluss für richtig Lagerfeuerromantik gesorgt. Feuer auf dem Tisch, ein aufgespießtes Marshmallow in der Hand – unweigerliche Erinnerungen an unsere ersten selbstorganisierten Grillfeste kommen auf. Wie damals verbrennt auch heute noch das erste Marshmallow. Einer von uns findet durchaus Genuss an der verkohlten Zuckerbombe, doch als wir vom Service angewiesen werden, es erneut zu versuchen, lenken wir natürlich ein. Beim zweiten Versuch klappt’s dann auch besser. Jugenderinnerung dankbar aufgefrischt.

Zeitgleich wandern noch Pralinen gefüllt mit Ingwer, Limette und Chili (ohne Foto) auf unseren Tisch, die durch ihre fein austarierten Aromen richtig Spaß machen. Bevor wir das Lokal verlassen, gibt’s noch ein kleines Goodie für den Heimweg. Der Lippenstift mit Rande und Himbeere ist vielleicht auch dazu gedacht, unsere feminine Seite anzusprechen, aber in erster Linie ist es originelles und dazu schmackhaftes Leckerli für zu Hause.

Nach einem etwas holprigen und in unseren Augen zu verspielten Start hat die Küche den Abend schnell in genussvollere Bahnen gelenkt. Fabian Spiquel und sein Team punkten vor allem dann, wenn sie sich beim Experimentieren etwas im Zaum halten, die Produktqualität gekonnt in Szene setzen und sich auf eine überschaubare Komponentenzahl auf dem Teller beschränken. In diesen Momenten entstehen schmackhafte bis köstliche Gerichte wie die Entenbrühe mit Sherry oder das Luma Chicken. Der Service ist lässig, beantwortet all unsere Fragen aus dem Effeff und lässt im richtigen Moment auch gerne mal einen kleinen Spruch fallen. Passend zum Lokal und genau nach unserem Gusto.

Fazit

Im Maison Manesse sorgen Küche und Service gleichermaßen für einen spaßigen Abend. Die Atmosphäre ist locker und ungezwungen, die Gerichte bieten in großen Teilen unkompliziertes Essvergnügen und werden von interessanten Weinen begleitet. Der etwas andere Einsterner in Zürich.

Weine

Weine im Restaurant von Miguel Ledesma und Fabian Spiquel in Zürich

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Eure Meinung?

Was haltet Ihr von kulinarischen Experimenten?

 

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