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Restaurantkritik  1.November 2017

Emanzipation

In einer der schönsten Regionen Österreichs, dem Unesco-Weltkulturerbe der Wachau, steht eines der profiliertesten Restaurants des Landes. Seit mehr als 40 Jahren kehren im Landhaus Bacher Gourmets von nah und fern ein. Lisl Wagner-Bacher hat das gemütliche Restaurant in Mautern an der Donau seit der Übernahme von ihren Eltern 1979 weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht. 2002 hat ihr Schwiegersohn, Thomas Dorfer, den Küchenchefposten übernommen. Die Küche des jungen Kärntners war dem Michelin für Österreich bis zu seiner Einstellung zwei Sterne wert. Die 18 Punkte im Gault & Millau, die seine Schwiegermutter erkocht hatte, konnte er durchgehend halten.

Zu Beginn war der Einfluss der berühmten Schwiegermutter Lisl Wagner-Bacher noch stark spürbar. Auch heute gibt neben den Eigenkreationen Dorfers noch ein Klassikermenü, das gespickt ist mit Gerichten der Frau Schwiegermama, und alteingesessene Stammgäste bestellen immer noch die Klassiker ‒ da ist nichts Verkehrtes dran. Doch Dorfer hat sich in den vergangenen Jahren merklich emanzipiert und zieht mit seinem Namen und den erkochten Auszeichnungen schon lange auch "seine" Gäste an.

Nach einer kurzen Anfahrt von Wien aus sitzen wir unter dem Schatten spendenden Baum im Garten des Landhauses. Die Ruhe, die frische Luft, die traditionellen Trachten, in die die Servicemitarbeiter gekleidet sind ‒ alles eine wunderbar erfrischende Abwechslung nach drei intensiven Tagen in der Landeshauptstadt. Die Chefin, Susanne Dorfer-Bacher, sieht uns unsere Zufriedenheit mit Sicherheit an, als Sie uns fragt, ob wir uns für die nächsten Stunden in die Hände ihres Mannes begeben möchten. Es sei schließlich Einiges vor uns vorbereitet. Natürlich wollen wir. Dann geht's auch gleich zügig los mit den ersten Grüßen aus der Küche.

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Mit gebackener Straube, Gewürzmayonnaise und Ducca, Schnittlauchtarte, Eigelb und Saiblingskaviar, Kohlrabi, Chiliforelle und Holunder sowie Schwarzbrot-Taco, Rind asiatisch und Senfgurke werden wir auf das Menü eingestimmt. Die luftigen Strauben (eine Art Churro der Alpen) und die Mayonnaise mit der äthiopischen Gewürzmischung vermeiden jegliche Schwere. Das hauchdünne Törtchen ist ein klassisch-mundfüllender Hochgenuss. Der knackige Kohlrabi glänzt mit fein-scharfer Füllung. Der Taco greift die dezente Schärfe und erweitert sie um einen potenten Säurekick durch die Senfgurke. Was für ein abwechslungsreicher und schmackhafter Einstieg in Thomas Dorfers kulinarische Welt.

Bevor das Menü startet, gibt es einen etwas substanzielleren Gruß aus der Küche. "Unsere" Burrata, Sommerkürbis und Wassermelone ist herrlich leicht, dabei cremig und geprägt von einem anregenden Säurespiel. Wir können es nicht anders sagen: Da schmeckt man den Sommer. So simpel und so verdammt gut.

Entenleber mit Bienenwachs-Panna-Cotta, eingelegter Physalis, Piemonteser Haselnüssen und Purple Curry lässt uns beim Annoncieren kurz die Stirn runzeln. Doch der erste Bissen löst jeden kurzzeitigen Zweifel sofort auf. Die Foie steht hier nicht allein im Mittelpunkt, alle Elemente ergeben ein fantastisches Ganzes, in dem ein Rädchen ins andere greift, sodass man sich eine Komponente weniger kaum vorstellen kann. Vor allem der Purple Curry, der uns bei der Präsentation etwas Sorgen bereitet hat, erweist sich als Glücksgriff und trägt dieses Gericht mit seiner säuerlich-orientalischen Wucht regelrecht. Unterstützt wird die eigentlich relativ klassische Kombination von Leber und Frucht zusätzlich von den hochfeinen Haselnüssen, die neben ihrem intensiv-nussigen Aroma auch noch als Texturgeber fungieren. Das hat alles hat Hand und Fuß und schmeckt ganz einfach ausgesprochen gut.

Es folgt Spargel in zwei Gängen. Wir beginnen mit einer Ramsauer Bergforelle & Spargel "à la Vinaigrette". Die mit Spargelessig gebeizte Bergforelle ist von spektakulärer Qualität ‒ für sich genommen bereits ein Hochgenuss. Zusammen mit einer Nussbutter-Rapsölcrème, etwas Wildkerbel und geröstetem Sesam ergibt sich ein richtiger Hinschmecker-Gang. Man wird förmlich dazu aufgefordert, sich Zeit zu nehmen beim Essen, jede Nuance der zusammengestellten Gabel erschmecken zu wollen. Denn auch hier gilt: Was einfach aussieht, entpuppt sich als komplex verwobenes Geschmacksgebilde, dem man die Aufmerksamtkeit schenken muss, die es verdient. Ausgezeichnet.

Teil zwei des Duos ist ein marinierter Traisentaler Grünspargel mit Kokos. Die junge Kokosnuss ist weniger süss als erwartet, sondern nussig und komplementiert die Spargelstückchen optimal. Damit das Ganze noch etwas leichter daherkommt, setzt die Küche gesäuerten Sellerie und Sanddorn ein. Hier zeigt sich wie bei allen bisherigen Gerichten das feine Händchen Dorfers beim Austarieren von Aromen. Sanddorn wirkt sehr schnell sehr aggressiv und legt sich mit seiner sauren Frucht zum Nachteil des restlichen Tellers über das gesamte Gericht. Nicht so in diesem Fall. Lediglich hier und da blitzt sein prägnanter Geschmack auf, bleibt aber auch dann angenehm im Hintergrund. Abgerundet durch Gewürzmacadamianüsse, begeistert auch dieser Spargelteller uneingeschränkt.

Nach einer kurzen Pause überrascht uns der Service am Tisch mit einem riesigen Zanderkopf eines massiven 6-Kilo-Tiers aus dem nahen Neusiedlersee. Was für ein Prachtexemplar. Per Zufall sitzt zwei Tische weiter auch noch der Fischer, der das Landhaus Bacher beliefert, mit seiner Familie beim Lunch. Eine selten erlebte Gastro-Idylle. Wir sind gespannt, was die Küche mit dem Ungetüm anstellen wird.

Das schlicht "Gebratener Zanderkopf" betitelte Gericht wirkt ein wenig rustikaler als das bisher gezeigte, doch weit weniger traditionell, als wir uns das ausgemalt haben. Die ausgelösten Kopfstücke werden begleitet von einem Bachkressepüree mit Kren (Meerrettich), geröstetem Karfiol (Blumenkohl), geräuchertem Salzdotter, Kohlrabisalat und einer Verjus-Beurre-blanc. Wo bei den vorherigen Gängen eine kontinuierliche, aber bedächtige Steigerung der geschmacklichen Intensität zu verzeichnen war, tritt die Küche nun mal richtig auf die Tube. Hier strotzt alles nur so vor Kraft und will sich möglichst in den Vordergrund drängen, um die Papillen des geneigten Fressers zuerst in Beschlag nehmen zu dürfen. Und das funktioniert zu unserer Verwunderung ganz prächtig. Denn trotz allem Nachdruck herrschen auch hier Harmonie und Eleganz vor.

Den eingeschlagenen Weg setzt eine geröstete Welsleber mit grünem Anis, Sterz (einer Mehlspeise), schwarzen Ribiseln (Johannisbeeren), Rindermark und Molkeemulsion fort. Die Fischleber bringt einen prononcierten Eigengeschmack mit, der beinahe einer Kalbsleber ähnelt. Um dieses starke Aroma zusätzlich hervorzuheben, arbeiten Mark und Molke der Leber zu. Den Part des Gegenspielers übernimmt in diesem Fall die Schwarze Johannisbeere, die mit ihrer prägnanten Säure die dringend benötigte Balance beisteuert. Zusätzlich sorgt der gut eingearbeitete grüne Anis mit seiner ätherischen Note für gustatorische Abwechslung und einen feinen, mystischen Duft. Der Sterz schmeckt zwar lecker, ist für uns aber eigentlich überflüssig, da er den Teller geschmacklich nicht aufwertet und es keiner Sättigungsbeilage bedarf.

Zum Hauptgang wird's nochmal vermeintlich deftig: Am Tisch wird uns ein glasierter Maibocknacken aus dem Waldviertel präsentiert – das sieht schon mal großartig aus!

Nach kurzer Zeit kommen die fertig angerichteten Teller aus der Küche. Begleitet wird der Maibock von Blutmacarons, armem Ritter, glasierten weißen Rüben, Speck und Eierschwammerln. Auf den ersten Blick verorten wir dieses Gericht eigentlich eher im Herbst, doch glücklicherweise zeigt Dorfer auch hier, dass deftig nicht zwingend auch schwer bedeuten muss. Das fantastische Wild ist wunderbar zart und hocharomatisch. Unterstützt von einer leichten Wildsauce und den Pfifferlingen klingt hier ein ultraklassischer Akkord durch. Dieser wird vor allem von den fantastischen Blutmacarons etwas aufgepeppt, die neben einer zusätzlichen Textur vor allem auch ein gewisse dunkle, kräutrige Komponente auf den Teller bringen. Abgerundet wird das Ganze durch ein Stück buttrigen armen Ritter und zwei für unseren Geschmack etwas zu lange gegarte Rüben. Auch wenn es grundsätzlich sehr gut schmeckt, kann es doch nicht an die bisherigen Glanztaten anknüpfen.

Beim Käse setzt man im Landhaus Bacher nicht auf einen Wagen oder einige gut gereifte Varietäten, sondern auf Vorarlberger Bergkäse mit eingelegten Wildfeigen, Ricotta, Briochecrème und leicht gelierter Pfeffervelouté. Ja, doch, das ist für einen Käsegang ganz ordentlich. Die fruchtige Süße versteht sich gut mit der Cremigkeit des Käses und der Brioche, die Pfeffervelouté bringt etwas Punch ins Spiel. Dennoch fragen wir uns immer wieder, wo Chefs den Vorteil einer vergleichsweise aufwendigen Präparation wie dieser gegenüber ein, zwei Stücken gut gereiftem Käse sehen.

Ganz fantastisch ist der "Bienenstich" mit Mieze-Schindler-Erdbeeren. Was sehr übersichtlich aussieht, entpuppt sich nämlich als veritables Highlight. In der Schale befinden sich Bienenwachs, ein Honig-Bienenwachseis, Heumilchcrème ein Honig-Propolisgel. Mann ist das lecker! Keine Spur von überbordender Süße oder anders gearteter Langeweile. Nein, hier ist richtig was los. Honig, Wachs und Propolis (auch Bienenharz genannt) sind von atemberaubender Qualität. Die unterschiedlichen Geschmacksprofile dieser wunderbaren Produkte sind optimal herausgearbeitet und bekommen durch die Mieze Schindler (die wohl leckerste Erdbeere, die es gibt) und die Heumilchcrème genau die übersichtlichen Begleiter zur Seite gestellt, die nötig sind. Dazu gesellt sich noch eine Art Mini-Germzopf am Stiel, der bei Bedarf etwas Substanz und einen angenehmen Hefeton beisteuert. Ein großartiges Dessert.

Zum Espresso wird uns eine kleine Armada an Petits Fours serviert, dazu einige Probierteller weiterer Desserts aus dem Menü. Trotz bereits gut gefüllter Bäuche lassen wir uns natürlich nicht zwei Mal bitten und widmen uns der Degustation der vielen Petitessen. Wir halten fest: ausnahmslos ausgezeichnet.

Was für ein fantastisches Mahl! Wir sind über die Jahre schon öfter im Landhaus Bacher eingekehrt, doch so überzeugt wie heute hat uns die Küche hier noch nie. Thomas Dorfer ist mittlerweile komplett aus dem Schatten der berühmten Schwiegermutter getreten. Die Küche des gebürtigen Kärntners ist stark in seiner österreichischen Heimat verwurzelt, gibt sich dabei aber weltoffen und lässt Einflüsse von Indien bis Afrika zu. Ersteres bringt einen roten Faden in die Gerichte, die Weltoffenheit sorgt auf der anderen Seite für reichlich (zusätzliche) Abwechslung auf dem Teller. Besonders beeindruckt hat uns die Eleganz und Harmonie der Gerichte. Dorfer versteht es, selbst bei scheinbar vogelwilden Kombinationen die Balance zu halten und zeichnet sich durch ein äußerst feines Händchen bei der Abstimmung einzelner Komponenten und der Austarierung diffiziler Aromen aus. So kann man selbst Purple Curry mit Entenleber kombinieren. Schade, dass sich der Michelin, abgesehen von Wien und Salzburg, aus dem Alpenstaat zurückgezogen hat. Denn wir sind uns sicher, dass Österreich um einen souveränen Zweisterner reicher wäre.

Die abwechslungsreiche Küche von Thomas Dorfer flüssig zu begleiten ist gar nicht so einfach. Doch Sommelier Andreas Rottensteiner, seit 35 Jahren im Betrieb (entweder Thomas Dorfer hat etwas gegen ihn in der Hand oder er fühlt sich tatsächlich wohl ;)), kann auf einen Keller zurückgreifen, der in Sachen Jahrgangstiefe bei österreichischen Weinen wohl seinesgleichen sucht. Der Großteil der Karte ist "Old School" Österreich und Frankreich, was wir ausdrücklich positiv verstanden wissen wollen. Er setzt diese klassischen Tropfen sehr gekonnt ein und sorgt so für einen schönen Kontrast zu den Gerichten. Uns begeisterten gerade die gereiften Flaschen aus der Wachau, dem Kremstal und dem Burgenland, die eindrucksvoll zeigen, welche vinophile Bandbreite Österreich zu bieten hat.  

Fazit

Das Landhaus Bacher bietet alles, was wir uns von einem Spitzenrestaurant wünschen: eine großartige Küche in einer lockeren, gemütlichen und familiären Atmosphäre – einfach ein Rundum-Wohlfühl-Paket.

Wein

Weine im Landhaus Bacher in der Nähe von Wien

Champagne Agrapart & Fis, 7 Crus brut

2013 Loibner Grüner Veltliner Auslese, Weingut Knoll, Wachau

2012 "Loibner Steinertal" Riesling Smaragd, F.X. Pichler, Wachau

2012 "Salzberg" Weissburgunder, Weingut Heinrich, Burgenland

2009 "Terrassen Spitzergraben" Neuburger/Chardonnay, Weingut Högl, Wachau

2000 Chardonnay "Große Reserve", Weingut Malat, Kremstal

2003 "Veratina", Weingut Weninger, Burgenland

2011 Port unfiltered, Quinta do Noval, Portugal

2009 Riesling BA, Mantlerhof, Kremstal     

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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