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Restaurantkritik 10.Februar 2017

Nicht die Flügel verbrennen!

Da sind wir also wieder, im schönen Salzburg. Nun gut, so schön ist es diesmal nicht. Es regnet. Ohne Ende. Immer wieder erstaunlich, was so ein bisschen Wasser auf den Straßen auslöst. Es herrscht Chaos, die kurze Taxifahrt aus der City dauert eine gefühlte Ewigkeit. Dann sind wir da, und es hat wie immer etwas filmreifes, wenn man aus dem betriebsamen Foyer des Hangar 7 diskret in den Keller geleitet wird, wo sich hinter einer unscheinbaren Tür die Küche des Ikarus verbirgt.

Dort, am großen hölzernen Chef's Table, genossen wir im Sommer 2011 unser erstes Ikarus-Menü, damals noch unter der Leitung von Roland Trettl. Inzwischen hat sein einstiger Souschef Martin Klein das Zepter übernommen – und unter seiner Ägide bekam das Lokal prompt den überfälligen zweiten Stern (der wäre bereits unter Trettl angemessen gewesen).

Mittlerweile sind schon wieder zwei Jahre seit unserer letzten Visite vergangen – was sicher auch damit zu tun hat, dass uns weniger die Gastspiele der Gastköche interessieren, sondern wir immer das große Menü des Ikarus-Teams probieren wollen. Und das gibt es bekanntlich nur während eines Monats im Jahr. Wir nehmen also Platz und sind gespannt, was sich die Crew um den sympathischen Elsässer Klein das Jahr über so ausgedacht hat…

Als ersten Snack gibt es Steinpilz und Hirschschinken: In einer Sellerierolle ist eine Steinpilzcrème versteckt, darauf eine Hirschschinkencrème. Das schmeckt mächtig nach Wald und Schinken, kurz: nach Umami, schön aufgelockert durch die erdige Süße des Selleries und die leichte Schärfe von winzigen Chilicrème-Tüpfelchen.

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Weiter geht es mit gereiftem Stör mit Kaviar – ein luxuriöser Wuchthappen, intensiv, leicht salzig und jodig, trotzdem elegant und filigran.

Das Ceviche vom Wolfsbarsch hat eine sehr schöne Frische, dank der Säure des marinierten und dadurch leicht angegarten Fischs und der Maracuja-Eisperlen. Und auch hier bringt etwas Chilicrème eine leichte, aber anregende Schärfe ins Spiel.

Und noch ein Amuse: Muschel, Kartoffel und Hühnchen besteht aus knuspriger Geflügelhaut mit Messermuscheln und Kartoffelcrème, dazu ein kraftvoller Sud. Auch hier jongliert die Küche mit intensiven Meeres- und Umami-Noten. Harmonisiert wird das Ganze durch etwas Kartoffel, die zugleich eine schöne Mundfülle gibt. Exzellent.

Nun startet das eigentliche Menü, mit Black Cod, Radieschen, Pfirsich und Curry. Dazu ein Teigstängelchen mit Leinsamen und Buttertupfen. Der Fisch ist nach Angaben der Küche zwar nur leicht geräuchert, hat für unsere Gaumen aber trotzdem eine ziemliche Intensität. Die teils rohen, teils fermentierten Radieschenscheiben und die Fruchtsüße der Pfirsichschnitze sorgen für einen willkommenen Ausgleich, können sich auf Dauer aber nicht wirklich durchsetzen. Gleiches gilt für die Rote-Bete-Sauce und das Curryöl – der rauchige Fisch ist rein mengenmäßig einfach zu viel für die wenigen Beigaben. So entsteht ein gewisses Ungleichgewicht in diesem an sich schönen Gericht.

Weiter geht es mit Bachforelle, Escabeche, Tomate und Jalapeños – und hier stimmt alles: Die Säure und die gemüsige Fruchtigkeit der bemerkenswert guten Tomaten harmonieren wundervoll mit dem würzig marinierten Süßwasserfisch. Das ist köstlich leicht, frisch und bringt die Sommersonne an den Gaumen – toll!

Gerade als wir denken, dass wir nun genug kalten und marinierten Fisch hatten, kommt eine wohlig-warme Wuchtbrumme auf den Tisch: Bei der Bayrischen Garnele mit Bier-Mohn-Sprossen stammt die Garnele tatsächlich aus bayrischer Zucht – und ist von ausgesprochen exzellenter Qualität. Solche Erlebnisse lassen uns immer etwas an den Mythen und dem Bohei um die regionale Herkunft von Meeresgetier zweifeln (der Placebo-Effekt eines San-Remo-Gamberoni ist natürlich nicht zu unterschätzen).
Das bayrische Krustentier jedenfalls wird in drei Varianten serviert: roh, gebraten und in Bierteig ausgebacken. Eine Variante ist besser als die andere, knackig und geschmacksstark. Dazu eine dichte, samtige Biercrème und etwas Nussigkeit vom Mohn – es ist zum Verrücktwerden gut.

Nicht weniger überzeugend der Kohlrabi mit Raps und knuspriger Grammel. Hier wird ein ganzer Kohlrabi leicht bissfest gegart und in eine säuerlich abgeschmeckte Rapscrème gebettet. Obenauf eine gute Menge Grammeln (krossen Grieben). Der Clou versteckt sich aber im Kohlrabi: ein fruchtig-säuerliches Stachelbeerconfit, das diesem recht großen und gehaltvollen Gericht eine schöne Leichtigkeit gibt. Erstaunlich ist vor allem, wie gut der Kohl die sauren Noten verträgt, ja geradezu braucht, um seinen Eigengeschmack besser zu entfalten. Klasse!

Weiter gehts mit Kalbsbries, Miso, Shiso und Yuzu. Die Idee, Kalbsbries knusprig auszubacken, ist zwar nicht neu, aber in dieser japanischen Variante kannten wir es noch nicht. Unter dem Spießchen befindet sich eine Art Ragout aus Shisokresse, Miso und Yuzu – und diese kräftige, säurebetonte Mischung brauchen die Bries-Nuggets auch, denn leider ist deren Panade zwar perfekt kross, überdeckt aber gänzlich den Eigengeschmack der edlen Innerei. So haben wir hier drei recht neutrale Knusperteile mit köstlichem Dip. Das schmeckt sehr gut, aber mit wahrnehmbarem Aroma des Bries wäre es bestimmt noch viel besser.

Als ersten kleinen Fleischgang gibt es "Mini-Green Egg": Tunabacke und Iberische Schweinerippe. Das ausgehöhlte Ei ist mehr als ein Gag, denn darin findet sich eine Eimasse, zusammen mit Stücken von der Tunabacke. Auf dem Kartoffelchip-Rost liegt ein Würfel von der Iberico-Schweinerippe. Bei dieser Kreation arbeitet Klein erneut mit Raucharomen, die diesmal sehr stark ausfallen. Zu stark für unseren Geschmack. Zwar ist in die Eimasse auch Säure eingearbeitet, trotzdem bleibt uns das Ganze zu monoton rauchig – und ist damit leider kein wirklicher Genuss. Schade.


Nach zwei nicht so überzeugenden Gängen muss nun ein Knaller her. Und er kommt, in Gestalt des finalen Fleischgangs: Der Ochsenschwanz mit Pulpitos, Burrata und Trüffel schmeckt fantastisch. Das butterzarte Fleisch bildet mit den knackigen Pulpito-Stücken eine wunderbare Harmonie – Berg und Meer in Bestform. Die cremige Burrata, seit geraumer Zeit der Modekäse schlechthin, unterstreicht den mediterranen Touch dieses Gerichts, gibt ihm Leichtigkeit und Harmonie. Dass der australische Sommertrüffel nicht besonders aromatisch ist, erweist sich in diesem Kontext sogar als Vorteil: Er hat eher den Charakter eines Würzelements, während etwa Perigord-Trüffel alles dominieren würde. Diese Kreation ist rustikal und fein; intensiv, aber nicht klotzig. Ein toller Hauptgang.

Als erstes Dessert gibt es Granny Smith mit Erdnuss-Karamell und Gänseleber – nach diesem Reigen eher intensiver Speisen ist das ein wohltuend frischer und leichter Dessert-Einstieg, bei dem die Kombination von Erdnuss und Gänseleber einen originellen Akzent setzt.

Das als "Meringue Surprise" angekündigte Hauptdessert besteht in erster Linie aus drei Eisnocken: Zitrone, Mango, Himbeere. Obenauf geflämmte Meringue-Häubchen und drumherum ein paar Fruchtstücke. Wir müssen sagen, besonders viel "Surprise" bietet dieser Sorbetteller nicht. Ein leider eher schwacher Abschluss, ...

...  der zum Glück durch ein weiteres Dessert aus dem kleinen Mittagsmenü aufgefangen wird: Sauerampfer-Brombeer-Nougat ist schlichtweg großartig. Im Detail besteht es aus einer Schoko-Zitruscreme, Nougatmousse und frischen (!) Brombeeren. Der Milchschaum obenauf gibt ein seidiges Mundgefühl, eine Nocke Sauerampfereis (versteckt unter der dem Deckel) lockert das Ganze wunderbar frisch auf. Der Clou sind aber die Schwarzbrotcrumbles, deren leicht herbe, getreidige Note bestens zu dem schokoladig-beerigen Ensemble passt. Sehr spannend, ungemein köstlich. 

Dann noch eine Ikarus-Kugel Mozart-Art zum Kaffee ...

... und schließlich noch ein paar Ikarus-Pralinen für die Lieben zuhause.   

So geht ein großes Menü zu Ende. Der geneigte Leser wird es bemerkt haben: Das Ikarus-Menü hatte diesmal durchaus seine Tücken. Zwischen herausragenden Gerichten wie der Bayrischen Garnele mit Bier, der Forelle mit Tomaten und dem Ochsenschwanz mit Pulpitos gab es Gänge, die uns nicht ganz ausbalanciert erschienen. Etwa der geräucherte Black Cod und das "Green Egg". Hier mag der Eindruck unserer persönlichen Abneigung gegen allzu deutliche Raucharomen geschuldet sein. Dennoch glauben wir, dass diese Kreationen durch etwas Zurückhaltung weiter nach vorne gebracht würden. Dass das Hauptdessert etwas, nun ja, langweilig ausfiel, verwunderte uns umso mehr, da sich im alternativen Dessert aus dem kleinen Mittagsmenü zeigte, zu welcher Meisterschaft die Pâtisserie des Hauses fähig ist.

Insgesamt schien das Ikarus-Menü 2016 unter der Maxime "Volle Kraft voraus" zu stehen, sei es Rauch, Umami oder eine Betonung von Säureakzenten – dass man dabei aneckt, liegt eigentlich in der Natur der Sache. Aber das Schöne an den Ikarus-Menüs ist ja nicht zuletzt die Tatsache, dass sie Klein und seinem Team diese Freiheit erlauben. Denn die Ereignisse sind ja einmalig: Im nächsten Jahr steht das Menü vermutlich unter einer ganz neuen Idee, und es erwartet einen ein komplett anderes Erlebnis.

Fazit

Flieger, grüß' mir die Sonne! Einmal mehr glich das Menü im Ikarus einer kulinarischen Weltreise – einmal im Jahr lebt das Team um Martin Klein seine Sturm-und-Drang-Kreativität aus. Das ist mal begeisternd, mal irritierend, aber allemal spannend. 

Weine

Weine im Restaurant von Martin Klein in Salzburg

Champagne Ayala, Rosé No. 8

2015 Scharzhof Riesling, Weingut Egon Müller, Mosel

2014 Späte Himmelfahrt, Cuvée halbtrocken, Jutta Ambrositsch, Wien

Einstök, White Ale, Island

2013 L’Esprit de l’Horizon blanc, Domaine de l’Horizon, Roussillon

2015 Grassnitzberg Sauvignon Blanc, Weingut Zement, Südsteiermark

2000 "Belles Soeurs" Pinot Noir, Shea Vineyard, Oregon

1994 Chianti Classico Reserve, Castello dei Rampolla, Toskana

2008 Riesling, Chateau Bela (Egon Müller), Slowakei

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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