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Restaurantkritik  3.Januar 2018

Schnauze voll

Nach einer ausgiebigen Fresstour durch Wien inklusive einem kurzen Abstecher in die Wachau lassen wir unsere Reise ohne Stern ausklingen. Zumindest mehr oder weniger. Wir sitzen im 4. Wiener Bezirk in der Nähe der Karlskirche bei Christian Petz draußen auf dem Trottoir, das an diesem lauen Sommerabend als zusätzlicher Gastraum seines Restaurants Petz im Gusshaus dient. Hier kocht er seit Januar 2015 nur noch, worauf er Bock hat. Das war so nicht zwingend abzusehen, als der junge Koch nach seiner Ausbildung unter anderem Station in Eckart Witzigmanns Aubergine und im Königshof in München macht. Im Hotel Post in Lech am Arlberg kocht er sich erstmals in den Fokus des Gault&Millau, als Küchenchef im Meinl am Graben in Wien wurde der Oberösterreicher Koch des Jahres. Danach erkocht er im neu eröffneten Palais Coburg einen Stern. 2009 hat er die Schnauze voll von der Haute Cuisine, verabschiedet sich aus dem Palais, um danach auf dem Badeschiff zu kochen (was dem GM immer noch 16 Punkte wert ist). Und nun ist er hier im Gusshaus. Widmet sich seiner Vorliebe für Off-Cuts und Innereien, der traditionellen Wiener Küche und generell eben einfach dem, was ihm Spaß macht - und ist damit quasi immer ausgebucht. Wir sind sehr gespannt auf die kommenden Stunden und begeben uns nach kurzer Rücksprache mit dem Service in die Hände von Meister Petz, der eine Auswahl aus dem täglich wechselnden Menü serviert ...

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Wir starten mit einem Kalbskopf mit Paradeiservinaigrette und marinierten Champignons. So zumindest steht es auf der Karte. Die Champignons sind heute, ganz nach Marktangebot, durch Eierschwämme ersetzt worden, die Paradeiser (oder Tomaten, für alle Nicht-Ösis) durch Rote Bete. Was für ein Auftakt! Elegant, subtil, frisch, fantastisch.

Lammkroketten mit Vogerlsalat und Pilzen zeigt eindrucksvoll, dass auch Kroketten einen berechtigten Platz im modernen Küchenkanon haben. Dank der ultraknusprigen, dünnen Panade, der Abstinenz vom auch nur kleinsten bisschen Frittenbudenaroma und der würzigen Füllung ein absoluter Volltreffer.

Doch es geht sogar noch ein Stück besser, wie die Milzagnolotti mit Salbei zeigen. Diesem simpel anmutenden Pastagericht etwas anderes als Perfektion zu attestieren, grenzt an Frevel. Der dichte Teig, die süffige Füllung, die grandiose Salbeibutter inklusive punktgenau frittierten, crunchigen Salbeiblättern - ein Teller zum Schwelgen. Nur unser Drang, einen Nachschlag zu ordern, holt uns aus unseren Nudelträumen zurück in die Realität.

Die Innereienfahrt geht weiter mit Limonibeuscherl mit Topfen-Serviettenknödel und Hendlherzerln. Für einen von uns der erste kleine Downer des Abends. Ihm sind die Zitrusnoten zu ausgeprägt, und es fehlt ein Texturelement. Doch der zweite Fresser ist hellauf begeistert von der Frische und der mundfüllenden Opulenz von Herz, Lunge, Milz und Leber sowie dem leichten Knödel.

Kein Wienbesuch ohne Schnitzel. Da heute am Markt keine passende Qualität zu kaufen war, serviert Petz statt des üblichen Kalbsschnitzels ein Mini-Wienerschnitzel vom Reh. Mann, ist das gut! Das Ausbacken hat der Chef raus, wie er zum wiederholten Male zeigt. Das Schnitzel ist so gut, dass wir den dazu servierten Pilzsalat fast unangetastet links liegen lassen, um auch ja jedes Geschmacksatom dieses abgewandelten Wiener Klassikers aufzusagen.

Dem Szegediner Gulasch mit Knödel fehlt es ein klein wenig am für dieses Gericht typischen funky Säurespiel vom Sauerkraut, doch das ist bereits Klagen auf hohem Niveau. Und wohl auch nur für unseren Fresser von Relevanz, der mit einer Ungarin verheiratet ist. Leergeputzt wird der Teller sowieso.

Als Hauptgang wird uns ein mit Steinpilzen gefüllter Rehrücken an Waldpilzrahmsauce, knusprige Semmelknödel und Bohnen serviert. Wie wunderbar leicht das doch ist. Wir trauen unseren Geschmacksknospen kaum, da dieser vermeintlich schwere Teller so beschwingt daherkommt. Ein Vorzeigebeispiel dafür, wie man klassische Hausmannskost vervollkommnet.

Vor dem Dessert sorgt Petz für einen kurzen Lacher am Tisch, als er uns ein Kirschsorbet aus Dosenkirschen reicht. Er wollte schon immer mal etwas daraus machen, erklärt uns der sichtlich amüsierte Chef. Sicherlich mal was anderes.

Topfenknödel mit Rhabarberkompott und Erdbeeren schließt den äußerst kurzweiligen Abend gekonnt ab. Das ist federleicht, nicht zu süß und herrlich erfrischend.

Christian Petz ist ein Charakter: Seine rauchgeschwängerte Stimme (inklusive heiserem Lachen) erinnert uns immer wieder an Tom Waits – mit dem feinen Unterschied, dass der vermutlich nicht so gut kochen kann. Petz hat uns heute Abend (fast) durchweg überzeugt. Fantastische Produkte, makelloses Handwerk, purer Wohlgeschmack. Wir wünschen ihm, dass er nie mehr einen Stern bekommt und für immer so weiterkocht.

Fazit

Unsere neue Go-to-Adresse für sternenlose Nächte in Wien. Fantastisches Handwerk, tadellose Produkte und Wohlgeschmack auf höchstem Niveau. We'll be back.

Wein

Die Weine im Restaurant Petz im Gusshaus bei Christian Petz

2012 Nussberg Alte Reben, Wieniniger, Wien

2010 Schwarz Rot, Weingut Schwarz, Burgenland 

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