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Restaurantkritik  7.Dezember 2016

NEW KOREAN CUISINE

Im Herbst 2016 war es endlich soweit: Seoul hat seinen ersten Guide Michelin bekommen. Zeit wurde es, ist doch der Hype um die koreanische Küche in vielen anderen meinungsführenden Listen und Metropolen längst angekommen. Einer der Vorreiter ist Chef Jungsik Yim, der mit seinem gleichnamigen Lokal in New York bereits zwei Sterne einheimste. Es war daher keine große Überraschung, dass seine 'Jungsik'-Zentrale in Seoul in diesem Jahr ebenfalls mit einem Stern ausgezeichnet wurde, stand sie doch jahrelang auf Platz 1 der Pellegrino-Liste südkoreanischer Restaurants. Da war unser Abstecher in die sengende Hitze der Landeshauptstadt eine Chance, die es zu nutzen galt...

Seoul ist laut, heiß und stickig, die Menschen vielbeschäftigt, schroff und insgesamt ziemlich weit weg von der Balance aus "Yin und Yang". Die koreanische Küche spiegelt dieses Gemüt wider und treibt dem unwissenden Neugierigen in dunklen Kellern mit einem Maximum an Hitze, direkter Schärfe, Bergen aus gegrilltem Fleisch und literweise Soju die Schweißperlen auf die Stirn. Kein Wunder also, dass Jungsik Yim sich bei seinem Versuch, die Küche seiner Mutter auf Fine-Dining-Teller zu bringen, etwas öffnen musste. "New Korean Cuisine" (oder auch "New Hansik") nennt er den Ansatz, Tradition durch Kreation zu formen, klassische Rezepte zu verändern und mit neuen Techniken und Aromen zu kombinieren.

Das Kochen lernte er beim Militär, den Hang zur westlichen Spitzenküche bekam Jungsik Yim am 'Culinary Institute' in den USA. 2009, zur Eröffnung des ersten 'Jungsik' in Seoul, war ein Fine-Dining-Ansatz für koreanische Fusion-Küche noch ein absolutes Novum, und bis heute trauen sich nur wenige Köche an die Neuinterpretation ihrer Rezepte (der neu erschiene Guide Michelin Seoul listet nur vier Restaurants unter der Kategorie "Korean contemporary"). Waghalsiger dagegen der gastronomische Schritt in die USA, wo sich Jungsik Yim 2011 in New York breitmachte, das Menü aus Seoul 1-zu-1 übernahm (was er übrigens auch heute noch tut) und sich prompt zwei Sterne einfing. Seither gilt er als treibende Kraft hinter der modernen koreanischen Küche, die sehr viel mehr zu bieten hat als Bibimbap, Barbecue und Kimchi. Wir nehmen am Mittagstisch im ebenso durchgestylten wie aufgeräumten Ambiente im zweiten Stock des klobigen Gebäudes Platz, das übrigens auch eine 'Jungsik'-Bar beherbergt. Und nun freuen wir uns auf das Menü.

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Als Amuse kommen ein paar Kleinigkeiten auf den Tisch, eine Art Rundumschlag koreanischer Aromen (von links im Uhrzeigersinn): Der frittierte Rindfleisch-Spieß mit Mayonnaise, eine BBQ-Kartoffel und Reis mit Kimchi bringen unsere Papillen mit ihrem süßlich-scharfen Nachhall auf Betriebstemperatur. Gut.

Eine knusprige Waffel mit Lachsrogen und Sauercrème sowie der dazu gereichte Saft von Omija-Beeren runden das deftige Geschmacksbild der drei Einstiegs-Amuses prima ab. Kann losgehen!

Der erste Gang geizt nicht mit Luxusprodukten: Die Abalone auf Sepia und Foie gras ist geprägt von optischer Reduktion, verbirgt aber handwerkliche Finesse. Wir sind sonst keine Fans des obszön anzusehenden Muschelfleisches (zu bissfest, zu blass im Geschmack, zu viel Buhei), hier jedoch funktioniert es ausgezeichnet; gedämpft und dann ausgebacken schmilzt die Muschel auf der Zunge, das Fett unterstützt das leicht jodige Meeresaroma. Die Portionierung der mit Stopfleber gewürzten, süßlichen Sepia-Sauce ist perfekt, und das Kimchi-Gelee obenauf schafft erfrischende Säurespitzen. Wahnsinnig gut.

Aromatisches konträr dagegen die Pilzsuppe, in der ein mit Kohl und Sesam gefüllter Dumpling liegt. Die Teigtasche samt Füllung schmeckt fein, der Brühe fehlt es jedoch ganz einfach an einer Prise Salz. Ein sehr natürlicher, nach dem Abalonen-Aufschlag aber geschmacklich fader Gang.

Als „Trademark-Dish“, das die Speisekarte des Restaurants nie verlässt, gilt der Oktopus mit Aioli. Und wir verstehen, warum: Auch hier wurde das Hauptprodukt, der Tentakel-Arm, erst schonend (vakuum-)gegart und im Anschluss in Fett ausgebacken. Es scheint so, als wären die Aromen hinter dem knusprigen Äußeren versiegelt, als würde die meerige Frische nur darauf warten, mit dem ersten Bissen befreit zu werden. Die Knoblauch-Crème ist dagegen unerwartet und erfreulich leichtfüßig und überlässt dem exzellenten Hauptprodukt die freie Bühne. Das war eines der besten Oktopus-Gerichte, die wir je probieren durften – Zugabe!

Hinter „Ok dom“ verbirgt sich Red Snapper unter frittierter Haut mit Paprika, Gurke und Karotte. Der Fisch wird gedämpft, die Haut anschließend mit heißem Öl übergossen, sodass sie sich aufrollt. Das Ganze schmeckt gut, vor allen Dingen der Garpunkt des Schnappers ist hervorragend, dennoch erinnert uns die Grundaromatik des Gerichtes vor allen Dingen durch die fischsaucenartige Brühe eher an Vietnam als an Korea. Aber auch das ist eine Art, die koreanische Küche neu zu interpretieren – und schmecken tut es auch, wenngleich wir nicht in Oktopus-Jubel ausbrechen.

„Galbi“ wird eigentlich in großer Runde über Kohlefeuer am eigenen Tisch gegrillt (so zumindest hatten wir es einen Tag zuvor in einem äußerst urigen koreanischen Restaurant). Im Jungsik dagegen begegnet man dem Klassiker unter den Rindfleischgerichten ähnlich wie auch der Abalone und dem Oktopus zuvor: Niedrigtemperatur-Garung mit anschließendem Grillen über hoher Hitze. Das funktioniert hervorragend, das Fleisch ist außen kross und innen äußerst schmelzig, mit deutlichen Kumin-Noten. Das knackige Salatherz ist nur mit etwas Ingwer-Essig angemacht. Ein simpler, dennoch sehr überzeugender (Haupt-)Gang, bei dem die Röstaromen des Fleisches noch lange nachklingen.

Das Bibimbap, den allseits bekannten koreanischen Reistopf, gibt es im Jungsik zum Selbermachen. Die Beilagen von links nach rechts: eingelegter Kohl, Knoblauchblüten, geflämmte Dorade und Kräuter-„Cornflakes“. Wie bei den meisten Do-it-yourself-Gängen sind die Einzelteile des Baukastens schon passend vorproportioniert, sodass sich der Gast mit der Menge der Einzelteile nicht vertun kann – also im Grunde nichts weiter als eine nette Spielerei. Und so kippen auch wir alle Schälchen in den Reis, vermengen gut und löffeln los. Der erste Bissen scheint fad, doch beim Kauen platzen die kleinen Kräuter-Flakes auf und bringen eine mediterrane Note in das Gericht. Das passt sehr gut! Der Fisch ist in dieser intensiven Melange eher Texturgeber als Hauptprotagonist und meldet sich nur ab und an - und sehr spät - zu Wort. Schöne und gleichsam leckere Idee.

Als kleinen Frischmacher bekommen wir „Sujeonggwa“, ein Birnensorbet auf Vanille-Panna-cotta mit Zimtcrème. Süße und Temperatur sind fein austariert, der Zimt hält sich vornehm zurück. Wir sehen zwar auch hier nicht die offensichtliche Verbindung zur koreanischen Küche, köstlich schmeckt es aber trotzdem.

Fast schon artistisch mutet das Dessert an: "Dolhareubang" sind religiöse Steinfiguren, die auf Jeju Island an der Südküste gefunden wurden. Sie gelten als Symbol für göttlichen Schutz und Fruchtbarkeit, "fruchtig" ist auf dem Teller jedoch nichts: Eine kalte (und überaus schmackhafte) Grüne-Tee-Crème ziert das Innenleben der Figur, die im Anschluss mit geröstetem Nuss-Staub überzogen wurde. Weitere Nüsse, ein nicht allzu süßes Zuckerbrot sowie eine Kugel Vanille-Eis umringen den essbaren Wicht aus Stein. Optisch eindrucksvoll, geschmacklich gut und schlüssig – mehr aber nicht.

Zum Abschluss noch ein knuspriges Mini-Cornetto-Eis aus Engelwurz, natürlich stilecht mit Schokolade im Waffelboden.

Auch der Koreaner schätzt Petits Fours: Zum Tee (ebenfalls aus Engelwurz) gibt es köstliche Mandel- und Schokopralinen.

Nachdem wir in den wenigen Tagen in Seoul mehr als genug Schärfe-Eskapaden mitgemacht haben, stellen wir zufrieden fest: Es geht auch anders. Jungsik Yim reduziert seine Gerichte auf ein Minimum und überrascht mit westlichen Komponenten, die in den meisten Fällen außergewöhnlich gut passen (Abalone mit Foie gras, Oktopus mit Aioli), bei anderen Tellern aber eher fad (Pilzsuppe mit Dumpling) oder kulinarisch verwirrend sind (vietnamesische Sauce zum Red Snapper). Der Küchenstil ist geprägt von Experimentierfreudigkeit und erwähnt die "westliche" Auffassung koreanischer Speisen mal als Fußnote, wie zum Beispiel beim dezenten Kimchi-Gelee auf der Abalone, an anderer Stelle wiederum mit offensiver Inbrunst; wir gehen davon aus, dass der kleine Dessert-Steinmensch auch in New York mit Begeisterung angenommen wird. Ein insgesamt starkes Menü von einem selbstbewussten Chef, dem wir in Sachen Präsentation, Reduktion und Kombination jenen "eigenen Stil" attestieren können, nach dem so viele andere Köche suchen.

Das Service-Team des 'Jungsik' ist internationales Publikum gewohnt, äußerst redegewandt und charmant. Beim Wein haben wir uns in dieser Mittagshitze und der anstehenden Flugzeit zurückgehalten; ein Pairing wird aber natürlich auch angeboten und geht, ähnlich wie die Produkte auf dem Teller, quer durch die Welt.

Fazit

Im Jungsik wird traditionelle koreanische Küche stilvoll mit westlichen Produkten und Handwerk vereint. Reduziert, wagemutig – und fast immer köstlich.

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