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Restaurantkritik 29.Dezember 2016

Bon Bon Appétit?

Brüssel ist die ideale Stadt für ein Wochenendtrip: schön, überschaubar und von Deutschland gut zu erreichen. Kulinarisch lockt vor allen Dingen die Symbiose aus der deftig-frittierten holländischen Küche und der feinen französischen Klassik viele Essbegeisterte in diese charmante Stadt, in der Moules-frites das Aufeinandertreffen dieser kulinarischen Welten auf köstliche Weise symbolisiert. Kein Wunder, dass sich hier zahlreiche besternte Restaurants finden, unter denen sich Christophe Hardiquest vom 'Bon Bon' mit zwei Sternen und 19,5 Gault-Millau-Punkten als höchstdekorierter Chef der Stadt rühmen darf. Heute Abend wollen wir wissen: Wird das Restaurant seinem Ruf gerecht?


Aber der Reihe nach: Chef Hardiquest eröffnete das 'Bon Bon' nach Stationen in der 'L`Orangerie' unter Rolland Debuyst in Belgien und dem 'La Crémoillère' in New York 2003 im Brüsseler Bezirk Uccle und erhielt bereits nach einem Jahr den ersten Stern. Mit dem Umzug des Restaurants in den noblen Stadtteil Woluwe- Saint-Pierre kam 2014 das begehrte zweite Macaron und katapultierte das Restaurant (zusammen mit der exzellenten Bewertung im Gault-Millau) an die Spitze der Brüsseler Spitzengastronomie.

Die Küche Hardiquests möchte die „kulinarische Identität Brüssels wahren und die Geschmäcker und Aromen wiederbeleben, welche die Stadt ausmachen“. Dabei steht die Improvisation im Vordergrund, das Menü ändert sich täglich. Die Erwartungshaltung ist also hoch, als wir – überraschenderweise mal 15 Minuten zu früh – vor der kleinen, aber feinen Villa vorfahren. Mit der sich schließenden Autotür heißt man uns schon willkommen, fragt nach der gewünschten Sprache (Niederländisch, Französisch oder Englisch) und eskortiert uns schnurstracks in das schummrig-gemütliche, bis auf zwei Plätze prall gefüllte Lokal. Eigentlich wollten wir ja noch ... naja, dann setzen wir uns eben schon mal. Wir wählen, wie üblich, das große Menüprogramm aus (sonst sieben, heute aber acht Gänge), welches Klassiker der Küche mit spontanen Improvisationen mischt. Direkt nach der Order geht es los, mit eine Reihe von Amuses ...

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... oder besser gesagt: Fingerfood. Hier hätte man uns die Zeit geben sollen, uns wenigstens kurz die Hände zu waschen, auch ein feuchtes (Hand-)Tuch hätte es getan. Sei’s drum: Wir bekommen eine lauwarme, schwarze Oliven-Krokette und einen Chip mit säuerlicher Beeren- und Safrancrème, die jedoch beide jene kulinarische Spannung missen lassen, die ein Gruß aus der Küche in uns entfachen soll.

Der Tomaten-Senf-Marshmallow dagegen knallt mutig und mit leichter Schärfe gegen unsere Papillen; intensiv und mit langem Nachklang. Prima.

Die im Kräutermantel frittierte Wachtel mit Erdnuss-Dip und Sesam hat einen sehr hohen Fettgehalt, der den Vogelgeschmack nahezu gänzlich überdeckt. Überhaupt grüßt diese Kreation geschmacklich eher aus der thailändischen Küche, weshalb wir uns gespannt fragen, auf welche Hauptspeisen wir hier eingestimmt werden. 

Danach auf jeden Fall geht’s zurück in mediterrane Gefilde: Die Fenchel-Gazpacho mit Dill und Gurke (ohne Bild) hat eine interessante, etwas gebundene Konsistenz. Der wohl intendierte Erfrischungseffekt von Gurke und Dill ist allerdings leider kaum spürbar. Uns hätte das Süppchen warm besser gefallen. So schmeckt es einfach nur fad.

Gut dagegen das Enten- und Hühnchen-Parfait. Dazu gesellen sich grüne Bohnen und eine Erbsencrème. Uns gefällt, wie die cremige Süße den Mund füllt und sich herzhafte Geflügel- und grüne Erbsen-Aromen abwechseln.

Für die folgenden Gänge wird uns ein ledernes Besteck-Täschchen gebracht. Ähnlich der Ausrüstung eines Indiana Jones’ dürfen wir in den kommenden Gängen selbst wählen, mit welcher (Verzehr-)Waffe wir das Präsentierte verspeisen wollen. Eine schöne Idee.

Den Einstieg in das Menü machen Austern mit Wodka, Gurke und Minze, eines der wenigen „Trademark“-Gerichte des Restaurants. Unter den dünnen, marinierten Austernstücken verbirgt sich jeweils ein Klecks Crème fraîche. Ein geschmacklich runder Teller; man merkt, dass die Küche genug Zeit hatte, sich Gedanken um die Proportionierung der Einzelelemente zu machen. Meeres-Aromen, Bitterstoffe und die säuerliche Crème stehen im perfekten Verhältnis zueinander. Vom Wodka, der sich in den gelierten Würfeln verstecken soll, bekommen wir zwar nichts mit – er fehlt uns aber auch gar nicht. Die Kaviar-Kügelchen bringen hier und da ein paar salzige Spitzen in die tolle Melange, die für uns sehr gut funktioniert. Ein ebenso puristischer wie leckerer Einstieg.

An diesem Punkt wird es langsam hektisch im Restaurant, und das lässt sich der Service leider anmerken. Wie angestochen läuft das zahlreiche Personal – wir zählen allein sechs Kellner in unserem Bereich – um uns herum und an uns vorbei, sodass wir fast sekündlich irritierende Windstöße am Rücken spüren. Auch einige Unachtsamkeiten hätten wir bei einem Restaurant dieser Kategorie nicht erwartet; so wird uns nahezu jeder Gang auf Französisch erklärt (nachdem man uns eingangs extra nach der bevorzugten Sprache gefragt hatte und wir auch am Tisch den Wunsch mehrfach wiederholt haben: Englisch bitte), die Begleitung nicht nach Getränken gefragt und der Tisch zum Teil nicht abgeräumt. Zwar konnten wir uns mittlerweile in einer freien Minute – die Wartezeiten zwischen Gängen, Weinen und dem Abräumen variieren enorm – die Hände waschen, allerdings war die Seife alle. Wir sind sonst weiß Gott nicht die penibelsten Gäste, aber die Summe der Störfaktoren ist bereits an diesem frühen Punkt des Dinners überraschend hoch.

Das Brot wird mit drei Ölen gereicht (von links nach rechts): Tomaten-, hausgemachtes Kräuter- und Olivenöl. Die Präsentation ist schick, geschmacklich ist das Ganze jedoch nicht erwähnenswert. Außerdem läuft ein Teil des Öls nach Nutzung am Rand herunter und fließt auf Hände und Tisch. Vielleicht sollte besser noch eine Pipette zur fachgerechten Portionierung gereicht werden?

Weißer Thunfisch mit Soja, Ingwer, Avocado und Garnelen ist eine aus dem südostasiatischen Raum gelernte Kombination, die hier schludrig angerichtet wurde. Der Fisch ist von schmelziger, aber nicht unbedingt intensiver Qualität und wird deshalb bei unvorsichtiger Portionierung vom arg süß-sauren Sud geschmacklich erschlagen. Also müssen wir uns notgedrungen fast ausschließlich auf das pure Hauptprodukt beschränken. Schade.

Nicht unbedingt ansehnlich, aber dafür leckerer ist die Gazpacho mit Erdbeeren, Pfeffer und Parmesan-Eis. Anders als die kalte Suppe in den Amuses gewinnt dieses Gericht durch die Kühlung an Kraft. Die Aromen von der säuerlichen Erdbeere, die Pfefferschärfe und die Süße des Parmesans entfalten sich schrittweise und vermengen sich zuletzt zu einem komplexen mediterranen Cocktail, der uns gefällt – in geschmacklicher Summe aber trotzdem nicht mehr ist, als das: eine gute Gazpacho.

Mit dem „Blumenbeet“ mit Rosmarin-Mayonnaise, Gemüse-Erde und gebratener Tomate wird uns endlich ein Gericht auf Höhe der Auszeichnungen serviert. Jedes einzelne Gemüse wurde separat gegart und nimmt im Gesamtkontext des Tellers eine eigene, höchst geschmackvolle Rolle ein. Mit im Team sind Radieschen, Blumenkohl, Karotten, Zwiebeln, Bohnen, Erbsen, Stiefmütterchen und Rhabarber. Verbunden wird dieser Querschnitt saisonaler, qualitativ toller Gewächse durch die schlotzige wie süßliche Rosmarin-Mayonnaise am Boden. Bitte weiter so!

Aus der Erde Europas rüber nach Nippon: Das „Biscuit vom Fisch“ mit Hummer und Lachsrogen ist von der Simplizität der japanischen Küche inspiriert. Und doch können wir mit dieser gelierten, Filigranität missenden Bouillabaisse nicht viel anfangen. Dem hochkonzentrierten Fisch- und Jod-Geschmack des Meeres-„Kekses“ wird nichts weiter entgegengestellt, als Fischeier (Salz!) und zwei äußerst neutral schmeckende und damit nicht zu deutende Schäumchen. Mit dem richtigen Antagonisten, unseretwegen gerne säure- und fetthaltig, böte diese Fisch- und Meerestierbombe Potenzial zum Knallergericht. In dieser Form wirkt es aber einfach nicht zu Ende gedacht und unnötig brachial.

Die kulinarische Nähe Belgiens zu Frankreich skizziert (nicht nur optisch) der Kabeljau mit Brokkoli und heißer Austern-Emulsion, und vor allem letztere gefällt uns dank ihrer verführerischen Kombination aus Salz und Süße. Auch der Fisch ist prima gegart und bringt durch seine knusprige Haut etwas Biss in die Runde; der Brokkoli ist dank (etwas lascher) Crème und kleiner, etwas albern anzusehender Häufchen sehr präsent, aber nicht dominierend. Ein aromatisch gut abgestimmter, wenngleich nicht sonderlich komplexer Aromen-Dreiklang, der vor allen Dingen uns Saucen- und Crème-Fans gefällt. Lediglich den gelierten, viel zu intensiven Austern-Würfel sowie die zäh-knatschigen und schlichtweg störenden Chips obenauf lassen wir liegen; das taten sie vorher offensichtlich auch lange genug.

Als würde man einen Bogen zum ersten Amuse schlagen wollen, serviert man uns als fleischigen Hauptgang wieder eine Tandoori-Wachtel, Keule und Brust, diesmal mit Joghurt und Hummus. Und wieder legt man uns nahe, die Finger zum Verzehr zu nutzen. Vielleicht ist man hier mit dem Start durcheinander gekommen? Wie auch immer, wir lassen uns nicht von Service, Sauberkeit beim Anrichten oder unsinnigen Joghurt-Sphären irritieren und fressen drauf los: Safran und der deutlich knofelige Hummus passen prima zur hervorragend gegarten Wachtel, ohne sie geschmacklich zu dominieren. Etwas Chili, der erst spät, aber dezent die Zunge hochklettert, stellt dieses dekonstruierte Tandoori-Gericht vollends in den indischen Kontext, wobei sich der geschmackliche Komplexitätsgrad nicht nennenswert von jenem unseres Stamm-Inders zu Hause unterscheidet.

Etwas Käse füllt die letzten Ecken des Magens, bevor sich das Dessert obenauf stapelt. Wir lassen uns zur großen Käse-Reise „überreden“, können aber die durchweg auf französisch erläuterten Sorten nicht rekapitulieren. Der Wunsch, dass man uns diese aufschreibt, wird trotz Nachfrage nicht erfüllt. Schmecken tun sie alle, wenngleich die Küche wenig damit zu tun hat.

Ein mit luftigem Zitronen-Espuma befülltes Hühnerei läutet das süß-saure Ende ein. Auch hier: gut, aber nicht mehr.

Mit "Negativem Weich" ist ein Schoko-Kuchen gemeint, der durch Schockfrierung außen kalt, innen aber warm und flüssig ist. Jedes dieser Desserts wird vom Chefkoch persönlich ins Kältebad getaucht. Doch seien wir ehrlich: Selbst die Tatsache, dass die Schokolade von Pierre Marcolini, einem der Top-Chocolatiers der Stadt, stammt, kann nicht über den Otto-Normal-Lavakuchen hinwegtäuschen, der uns in dieser Qualität auch beim Italiener um die Ecke serviert wird. Dem können auch die Eiskugel und Crème von Vanille nicht den nötigen Kick geben. Das ist ordentlich, aber weit entfernt von "sensationell".

Vielleicht können uns die Macarons erheitern? Von links nach rechts entscheiden wir uns für Ingwer, Schokolade, Yuzu, Lemon und Olivenöl. Allesamt gut gearbeitet. Dazu gibt es an „Werther’s Echte“ erinnerndes, knuspriges Salzkaramell.

Vielleicht haben wir uns an diesem Abend auf dem falschen Fuß erwischt, das 'Bon Bon' und wir Sternefresser. Eine andere Erklärung finden wir jedenfalls nicht für unseren mittelmäßigen, mit nur sehr wenigen Höhepunkten gespickten Eindruck von Christophe Hardiquests Küche. Überzeugend war sie immer dann, wenn sie nicht so viel spielen wollte. Austern mit Gurke und Crème fraîche, eine schlotzige Gazpacho mit Parmesan-Eis, Gemüse der Saison mit einer erfrischenden Mayonnaise – das sind sehr gute, durchdachte Gerichte, die uns die Bewertungen der Guides durchaus verstehen lassen. Insgesamt ist uns aber die Schere zwischen den Guide-Auszeichnungen und Gerichten wie dem Thunfisch, dem "Fisch-Biscuit", dem Lavakuchen und den anderen mittelmäßigen Gerichten einfach zu groß – manches davon würden wir auch einem Einsterner nicht durchgehen lassen.
Noch dazu konnten wir der Menü-Dramaturgie nicht ganz folgen. Scheinbar willkürlich wurde zwischen Regionen (Italien, Frankreich, Indien, Japan ...) und Stilen (klassisch, Finger-Food, unnötige Textura-Avantgarde) gesprungen, als würde Chef Hardiquest auf Teufel-komm-raus seinen eigenen Stil umschiffen. Vielleicht ist auch der Ansatz, die Karte täglich zu ändern und damit gegebenenfalls Kompromisse bei der Feinjustierung der Gerichte einzugehen, ein Grund für diesen kulinarisch nicht ganz gelungenen Abend. Auf der Website des Restaurants wird Hardiquests Ansatz, mit der "flüchtigen Natur des Moments und der Überraschung unerwarteter Produkte" zu spielen, als hervorstechendes Merkmal angeführt. Für uns aber ist genau dieses Konzept der negative Knackpunkt dieses Dinners.

Der Service hat zwar keinen Einfluss auf unsere Einschätzung der Gerichte, aber eine wichtige Rolle spielt er für einen gelungenen Abend natürlich schon: Das Personal des 'Bon Bon' war heute quirlig, unkonzentriert und unachtsam. Das kann in dieser Menge an Fauxpas nicht mehr mit einem sympathischen Lächeln überspielt werden, vor allen Dingen dann nicht, wenn sich bestimmte Fehler während eines vierstündigen Dinners stetig wiederholen. Die Sommeliers, die im Laufe des Abends munter getauscht wurden, stellten uns eine Auswahl von vornehmlich französischen Weinen vor, mal auf Französisch, mal auf Englisch. Außergewöhnliche Pairings gab es aber nicht – eine Liste der getrunkenen Weine hat man uns ebenfalls trotz Nachfrage nicht ausgehändigt. Das ist an sich nicht weiter schlimm, passt aber zum Eindruck eines Restaurants, bei dem vieles nicht ganz rund läuft – Bon-Bon? Pas vraiment.

Fazit

Das Brüsseler 'Bon Bon' ist trotz seiner Reputation rar an kulinarischen Highlights und irritierte mit einem vorwiegend mittelmäßigen Menü sowie unachtsamen Service.

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