Restaurantkritik 20.Oktober 2015

ES GRÜNT AM GRÜN

Es war an der Zeit, mal wieder den Weg zwischen die rheinischen Platzhirsche Köln und Düsseldorf anzutreten – nach Pulheim. Wir nehmen aus der Landeshauptstadt kommend die Abfahrt Worringen und sehen dann schon in weiter Ferne die hohen Schlote der Kohlekraftwerke. Das Land hier ist flach, die Sicht weit. Dafür gibt es im Stadtteil Stommeln eine Vielzahl grüner Oasen; eine davon, den von Jack Nicklaus entworfenen Golfplatz, auch Schauplatz bedeutender Profi-Turniere, steuern wir an. Am verschlossenen schmiedeeisernen Tor bitten wir fernmündlich um Einlass – für Erstbesucher – wenn überhaupt – die einzige Hemmschwelle. Wir haben eine Reservierung und die Zugbrücke, pardon, das Tor öffnet sich. Die Leistungsschau auf dem Parkplatz ist beeindruckend, wenngleich für gut situierte Golfclubs normal, und der Besucher sollte sich tunlichst nicht auf dem für den Club-Präsidenten reservierten Parkplatz stellen – wir wollen nicht zur Strafe zugeparkt werden. Wir haben uns nach unserem letzten Besuch schnell wieder daran gewöhnt, dass die Golfer im durchgehend geöffneten Bistro neben dem Restaurant ihr Vereinsleben haben, und sind nur ein wenig traurig, dass es etwas zu frisch ist, um auf der herrlichen Terrasse zu lunchen – der dort genossene Aperitif macht Lust, bei wärmeren Temperaturen länger zu verweilen, es ist einfach idyllisch

Seit 1997 kochte Bernd Stollenwerk im Lärchenhof, bevor er ins „Nada“ in Köln abwanderte und Sven Messerschmidt von der Burg Schwarzenstein übernahm. Der wiederum verließ den Lärchenhof nach nicht allzu langer Zeit wieder und machte sich mit dem gutbürgerlichen Konzept „Messerschmidt im Auerhahn“ in der Nachbarschaft der Golfer selbstständig. Bei der Nachfolge für den Chefposten in der Küche schweifte Peter Hesseler als Verantwortlicher nicht in die Ferne, sondern nahm die beiden Souschefs Sonja Baumann und Eric Scheffler in die Verantwortung. Scheffler wurde an der Berufsschule für Ernährung und Hauswirtschaft in Chemnitz zum Facharbeiter Koch ausgebildet, bevor er beeindruckende Stationen absolvierte: In England arbeitete er im Waterside Inn und im Restaurant Gordon Ramsay (beide mit 3-Sternen ausgezeichnet), bevor er über das Vendôme erst Souschef im La Société in Köln und dann im Gästehaus Klaus Erfort wurde. Mehr Bodenständigkeit weist die Laufbahn von Sonja Baumann auf, die schon seit sieben Jahren in Pulheim kocht. Zuvor war die Köchin in Halbedels Gasthaus in Bonn und in der Alten Feuerwache in Würselen tätig. Nach so viel Namedropping bekommen wir allerdings Hunger ...

Bei den Apéros gefällt uns das Sandwich mit Apfel-Essig-Gelee und Sellerie mit frisch-fruchtigen Noten und gut dosierter Säure sowie einem langanhaltenden Selleriegeschmack. Das Knäckebrot mit Kürbiskernbutter ist eine nette Knabberei, gerät jedoch etwas trocken und zu subtil. Die „Meeeresfrische“, ein Austern-Dashi mit Passepierre, hat in der Tat die geschmackliche Anmutung eines Strandspaziergangs. Mit Tapioka, Alge und Zitrus ist der Cracker fischig-intensiv.

Mit dem Amuse-gueule gelingt den beiden Chefs dann gleich ein kulinarischer Birdie: Golfball im Frühlingsbeet. Mit überschaubarem Wareneinsatz (Joghurt-Senf-Ball, Grüne Soße, Pumpernickel) und einer passenden humorvollen Präsentation ist diese erfrischend leichte und dabei appetitanregende Kleinigkeit überdurchschnittlich originell. Das erinnert uns durchaus an Schefflers Beitrag bei unserem achten CookTank: macht aus wenig sehr viel.

Das eigentliche Menü startet mit Gänseleber, Tamarillo und Wildkräutern. Die mild-fein abgestimmte Terrine wurde mit einem Klecks Baumtomaten-Kompott gefüllt und mit Kakaobuttermantel zum Ei. Das sieht schon einmal gut aus! Und weil das Nachtschattengewächs Tamarillo die typische Leberbegleitung aus Süße und Frucht mit tomatenähnlichem, herb-süßem Geschmack hervorragend erweitert, schmeckt es auch äußerst individuell. Gerade im Zusammenspiel mit den grünen Noten der Kräuter und eines texturgebenden Sponges sowie einem bitteren Puder und einer getrockneten Scheibe Tamarillo ergibt dies ein originelles und durchaus innovatives Gänselebergericht. Prima!

Bei Rhabarbercannelloni mit Hummer und Erbse liegen wir mitten auf dem satten Rough des Golfplatzes. Bei dem sehr puristischen Gericht wird die Vegetabilität, die hier von Julienne aus rohen Erbsenschoten rührt, um die pikante Säure des Knöterichgewächses erweitert. Nötige Substanz und Abmilderung der grün-sauren Aromatik schaffen Erbsenpüree und -crème mit ihrer natürlichen Süße und ein erfrischender Sud aus Ingwer, Erbse und Rhabarber. Der ebenso süßliche, mit etwas Mayonnaise angereicherte Hummer ist in diesem Kontext eher gleichgeordnet denn Protagonist. Sehr natürlich und klar – toll!

Erlebten wir bei den beiden Gängen zuvor eine Interpretation zweier für die Spitzenküche typischer Produkte, geht es bei der ebenfalls zu diesem Kanon gehörenden Rotbarbe mit Bouillabaisse und gelben Linsen geschmacklich eher konventionell zu. Zwar hat die Küche dem Gericht Kapuzinerkresse hinzugefügt, insgesamt fehlt dieser ansonsten gut gemachten und schmeckenden Kreation aber die zuvor vorhandene besondere Note Originalität. Darüber hinaus nerven die gepoppten Schuppen des charaktervollen Meeresfisches massiv beim Essen bzw. beim Schlucken.

Die Portion Enten-Bärlauch-Wan Tan mit Essenz von braunem Knoblauch ist klein, und wir verstehen sie als Alternative zu einem Sorbet, wenngleich der würzige Happs aus krosser Entenhaut mit Entenrilettes dann überflüssig wäre. Öfter einmal Brühe als Muntermacher einzusetzen, ist eine Maßnahme, die wir voll und ganz unterstützen. Hier ist es durch Konzentration, Salzigkeit und Umami gefährlich nah an sensorischer Überforderung – auch weil es sehr knoblauchig zugeht und zusätzlich Lauch und Sprossen hinzukommen.

Handelt es sich bei dieser Kleinigkeit um Falafel? Nur optisch und beim ersten Bissen: Die mit Kalbskeulen-Fleisch gefüllte Praline ist eine köstliche Einstimmung auf den folgenden Fleischgang,...

...der umgehend mit Kalbskeule geschmort, Pecannuss und Karotten folgt. Das Fleisch kommt frisch aus dem Rohr, worin es nach unserem Empfinden jedoch einen Tick zu lange war. Daher schwankt es zwischen mürbe und etwas zu trocken. Das ist schade: Geschmacklich funktioniert das Gericht sehr gut mit den ausreichend säuerlichen Karotten und einer mit Ahornsirup aufgepeppten Reduktion.

Umgekehrte Vorzeichen dann beim Lammrücken mit Brunnenkresse, Radieschen und Liebstock. Das Fleisch ist beinah bleu. Diese gewollte und in Anbetracht von möglichen Gästereaktionen gewagte Garung gefällt uns enorm gut, und die Röstnoten am äußeren Fettrand genügen als Unterstützung des im Fleisch vorhandenen Geschmacks. Dieser Purismus passt auch zur sehr fokussierten Begleitung, bei der ein Salat aus Lammzunge neben Säureakzenten eine besondere Note setzt. Bei so viel Natürlichkeit dürfte die Sauce ruhig weniger reduziert sein. Stark.

Als Pré-Dessert erreicht uns ein Bircher Müsli. Wenngleich wir uns mit der Parfait-Konsistenz ein wenig schwertun - es wirkt etwas zu kleisterig -, ist der Geschmack einwandfrei und ein „gesunde“ Abweichung zu anderen Dessert-Auftakten..

Die Pâtisserie verspricht mit „Sauer macht lustig“ – Sauerampfer und Sauerrahm nicht zu viel. Das ist grün, kanckig, kühl sowie frisch, und weiße Schokolade bringt genau den richtigen Schmelz mit ein. Das knüpft konzeptionell an den Golfball an, da aus auf den ersten Blick nicht besonders spektakulären Zutaten ein hervorragendes Gericht entsteht. 

Die Tarte Tatin aus Apfel, Karamell und Vanille fällt deutlich unspektakulärer aus und begeistert uns nicht wirklich. Der Kuchenklassiker schmeckt zwar ordentlich, wozu ein guter Teig beiträgt. Allerdings hat die Dekonstruktion geschmacklich keine neuen Räume eröffnet, und die Zubereitung aus rohen und geschmorten Äpfeln wirkt zudem sehr parfümiert. Und die sehr mächtige Crème unter der Apfelnachbildung raubt dem Dessert die Leichtigkeit.

Die köstlichen Petits fours – knuspriger Milchreis mit Himbeere, Yuzu-Schokoladen-Maccaron, Basilikumpraline, Kinderriegel Lärchenhof – finden danach wider aller Vernunft auch noch den Weg in unsere nimmersatten Münder.

Patron Peter Hesseler war bei unserem Besuch nicht sonderlich gut aufgelegt und machte nur eine kurze Runde im Restaurant – ihn hatte eine fiese Erkältung erwischt. Von derartigen Infekten abgesehen beherrscht der Service den Spagat zwischen Bussi-Begrüßung mit Golf-Stammgästen und freundlich-verbindlichem Umgang mit externen Essern. So dürften sich Gäste jeglicher Couleur ausnahmslos willkommen führen.

Im Lärchenhof würden wir auch ohne Handicap oder knurrenden Magen einen Zwischenstopp einlegen. Ein kurzer Blick in die Weinkarte genügt und wir werden sofort fündig. Diese ist noch immer umfangreich und äußerst gastfreundlich kalkuliert. Herr über die Weinkarte ist mittlerweile Sommelier Mathieu Müller, den wir noch aus dem Vendôme kennen. Als zurückgenommener Vertreter seiner Zunft – das meinen wir ausdrücklich positiv – geht der gebürtige Franzose auch sehr umsichtig an die Weinbegleitung heran, um weder den Gast noch die Gerichte zu erschlagen.

Auf Gut Lärchenhof scheint es zu passen. Wo der Versuch gelingt, sich von konventionellen Ausführungen und auch Produkten zu lösen (Leber, Cannelloni und Zander), vor allem aber auch bewusst reduziert zu agieren (Golfball, Lamm), ist das Ergebnis wunderbar. Von dem Dream Team Baumann-Scheffler können wir uns vorstellen, zukünftig noch einiges zu hören. Wo sonst gibt es ein vergleichbares Männlein-Weiblein-Duo in der Küche? Gerade dieses Zusammenspiel scheint die Küche im Lärchenhof zu beflügeln.

FAZIT

Kulinarisches (nicht privates) Pärchen mit Potenzial – Baumann und Scheffler liefern bei ihrem Debüt als Küchenchefs ein Menü mit Herz und Hirn ab. Wir sind gespannt, wie es weitergeht. Die Aussichten scheinen uns gut, Spiel frei!

Weine

Agrapart & Fils, Blanc De Blancs Extra-Brut, Champagne (Apéros)
2012 Riesling Monzinger Frühlingsplätzchen, Weingut Emrich-Schönleber, Nahe (zum Amuse)
2012 Botani, Jorge Ordonez & Co. In Almáchar, Malaga (zum Hummer)
2008 Savennières, Clos Du Papillon, Domaine Des Baumard, Loire (zur Leber)
2006 Châteauneuf-Du-Pape, Domaine De Cristia, Rhône (zur Rotbarbe)
2012 Timotheus, Gut Oggau, Burgenland (zum Zander)
2012 Muskateller, Würzburger Abtsleite, Weingut Juliusspital, Franken (zum Wan Tan)
2002 Les Laquets, Domaine Cosse Maisonneuve, Cahors (zum Lamm)
2001 Sot Lefriec, Bodegas Alemany I Corrio, Penedès (zum Kalb)
2012 Pur Jus, Terroir Du Mont-Blanc, Domaine Belluard (zu sauer macht lustig)
2008 Nackenheimer Rothenberg, Riesling Spätlese, Weingut Gunderloch, Rheinhessen (zur Tarte Tatin)

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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