Restaurantkritik 27.April 2016

Früh übt sich

In der Rheinmetropole und Studentenstadt Köln ist einiges los – auch kulinarisch. Entsprechend der Größe und Lebhaftigkeit findet sich ein breit gefächertes Angebot an gastronomischen Unternehmungen, das von ethnischer Küche und Snacks auf die Hand bis zur innovativen Spitzengastronomie reicht, oft gepaart mit rheinischer Lockerheit und Lebensfreude. Hier ist beinahe für jeden Geschmack und Geldbeutel etwas dabei. Wie in kaum einer Stadt neben Berlin entstehen hier interessante Restaurantideen. Um nur einige zu nennen:  Das "Laden Ein" ist eine Art Pop-up-Restaurant, wo sich alle vierzehn Tage ein anderes Team am Herd versuchen darf, und beim Supperclub-Festival "Summer of Supper" werden Amateure und Blogger zu kurzzeitigen Herdhelden. Aber auch monothematische Konzepte wie die neapolitanische Pizzeria 485 Grad oder die Fleischexperten von PigBull begeistern das fress- und vergnügungssüchtige Publikum. Letzteres war unter der Führung der beiden sterneerfahrenen Sebastian Franke und Maximilian Lorenz Ende letzten Jahres unter unseren Herdhelden 2015 in der Rubrik "Fastfood des Jahres".

Eben jener Maximilian Lorenz betreibt – sozusagen hauptberuflich – das Restaurant L’Escalier im hübschen Belgischen Viertel der Domstadt. Anfang 2012 übernahm er das im Souterrain eines Eckhauses gelegene Restaurant, das einst mit einem Michelinstern ausgezeichnet war. Dabei ist bemerkenswert, dass Lorenz zu diesem Zeitpunkt, nach der Ausbildung bei den Wilbrand-Brüdern im "Zur Post" im bergischen Odenthal und einigen Stationen in der Sternegastronomie, erst 21 Jahre jung war. Ein wahrer Frühstart als gastronomischer Jungunternehmer. Und Lorenz, das gibt er freimütig zu, ist ehrgeizig und schielt trotz aller Herausforderungen für besternte Restaurants nach dem begehrten Macaron. So eine Geschichte weckt unser Interesse...

Die Wartezeit auf den Menübeginn überbrückt bei Champagner zunächst ordentliches Fingerfood: ein etwas süßlicher Steinpilz-Macaron mit Speckcrèmefüllung, ein originelles und frisch-säuerliches Kartoffelsalattörtchen mit Gurkengelee und frittiertem Dill sowie ein Krabbenbrotchip mit Jakobsmuscheltatar und Zitronenkaviar, der mit jodiger Frische punktet.

Als weiterer Apéro folgt eine Frühlingsrolle mit Edelfischfüllung, Sojagelee, Petersilienmayonnaise. Der kleine Happs ist schnell verspeist und wir speichern den Geschmack in der Rubrik "süffig-populär" ab: leicht süß, gut gewürzt, knusprig und gut.

Kleinteilig bleibt es auch beim Amuse-gueule, das das Thema Kürbis dekliniert. Der Shot, eine Hokkaidoschaumsuppe mit Entenbrust, ist würzig-salzig und konzentriert. Die offene Lasagne, Rehragout, Nudelblatt, Kürbiskompott und Preiselbeerschaum schmeckt übererzeugend kräftig und ist dabei überraschend leicht. Der flambierte Lachs mit süß-sauer eingelegten Kürbisperlen in Tomaten-Pfirsich-Sud hat interessante Muskat-Noten und wirkt sehr frisch.

Mit Königsseesaibling, Bronzefenchel, Buttermilch, Radieschen und Kohlrabi starten wir nach dem munteren Apéro-Reigen ins Menü. Der marinierte und sous-vide gegarte Fisch liegt zwar etwas verloren auf dem Teller, geht aber geschmacklich gerade mit dem Kohlrabi, eine schöne Liaison ein. Ein wenig mehr Purismus und weniger Verspieltheit in Schaumform hätte uns noch deutlich mehr erfreut, weil so ein wenig vom Aroma verloren geht.

Auch beim Atlantik-Steinbutt mit Weizengras, Mais und Rauch stellt Maximilian Lorenz ein gutes Produkt in den Mittelpunkt und ergänzt es um gemüsige Helfer, wobei der Fokus besser gesetzt ist und der Fisch mit ausgesprochen guter Qualität erfreut: festes Fleisch und sehr aromatisch. Zu den Grill-Rauch-Aromen passt die süßlich-nussige Einfassung aus eingelegtem und angegrilltem Mini-Mais, Püree und Popcorn sowie den herbal kontrastierenden Noten gut. Das Gesamtpaket ist harmonisch, rund und – nun ja – lecker.

Dem Plattfisch folgt das nächste emblematische Produkt einer an die französische Klassik angelehnten Küche, Entenstopfleber, Zitronenbasilikum, Johannisbeere und Passepierre. Das recht kleine Stück Terrine und auch das Eis von der Fettleber wirken ein wenig grau. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man Lorenz’ Erklärung kennt: den Verzicht auf das gesundheitlich umstrittene Pökelsalz. Das Weglassen stört aber geschmacklich nicht. Geradezu spannend sind hier einige Aromenpaarungen: von Leber und Basilikum und von der salzig-säuerlichen Anlage des Lebergangs (Salicorn und Beeren) und dem dazu gereichten Wein Urolat aus dem Juracon. Gut.

Das Problem beim Bretonischen Hummer mit Schwarzbrot, Granny Smith und Boudin Noir ist ein altbekanntes. Der Geschmack des Krustentiers geht schlichtweg unter. Zu unserer Freude nicht wie sooft vollständig, so dass wir seine süßlichen Noten im Zusammenspiel mit der herben Malzigkeit des Brotes und dem Würzfundament der weich schmelzenden Blutwurst noch wahrnehmen. In Summe schmeckt diese ansatzweise rustikale Zusammenstellung mit den prägnanten Säureakzenten des ursprünglich aus Australien stammenden Apfels interessant und delikat. Stimmig.

Das kühlende Intermezzo vorm Fleischgang heißt heute "La Pause" A-C-E.  So eine Gemüse-Sorbet-Variante ist uns im Zweifel lieber als eine der auf Frucht basierenden und oft zu süß geratenden Sorbeterfrischungen.

An der Stelle von "La Pause" hätten auch der Salat von der Kalbszunge und gefrorenem Staudensellerie sowie die Kalbschwanz-Essenz stehen können, die den Prolog zu Kalb "Kopf bis Schwanz", Steinpilze, Sellerie und Löffelkraut bilden. Beim zwischen Säure und Kühle changierenden Salat wirkt das aromatische Muskelfleisch anfangs nicht präsent; ein Zustand, der sich mit der Erwärmung im Mund schnell gibt und zu einem köstlichen, frischen Ergebnis führt. Der Name des Suppen-Shots spricht im Prinzip für sich und hält sein Versprechen als geschmackliche Zusammenfassung.

Beim Hauptgericht des Fleischgangs Kalb "Kopf bis Schwanz", Steinpilze, Sellerie und Löffelkraut steht dann – wie schon bei Saibling und Steinbutt – wieder ganz klar ein Produkt im Vordergrund, das puristisch und stimmig eingefasst wird. Für erweiterte Herzhaftigkeit zum Kurzgebratenen sorgt eine Praline vom Kopffleisch. Nur der Sellerie bleibt blass, und wir schmecken ihn vor lauter Schaumigkeit kaum. Davon abgesehen aber ein rundes Gericht.

Der Menüabschluss gelingt mit Weinbergpfirsich, Petersilienwurzel, Knöterich und Bergamotte gleichsam leicht und frisch. Einmal mehr stellen wir fest, wie toll sich Gemüse und Kräuter im Dessert verarbeiten lassen und eigentlich auch den letzten Skeptiker überzeugen sollten, dass dabei die Unterscheidung in herzhaft und süß längst passé ist. Fein.

Eine beeindruckende und köstliche Auswahl schickt die Pâtisserie bei den Petits fours mit Rumpraline, Pfefferminzpraline, Thaicurrypraline, Pistazienpraline, Zitronenpraline, Vollmilch-Kokos-Praline, Himbeermacaron, Schokoladenbrownie, Sacherschnitte, Käsekuchen und Erdnuss-Karamell-Riegel. Das passt noch rein, schließlich verzichtete die Küche im Großen und Ganzen auf Sättigungsbeilagen und servierte kleine, wenngleich adäquate Portionen.

Das war ein gutes und solides Menü! In einigen Details lassen sich die Gerichte sicherlich noch optimieren, aber das Potenzial ist spürbar. Die Küche im L’Escalier fanden wir dann am stärksten, wenn Maximilian Lorenz auf das Produkt und auf die zweifellos gute Qualität setzt, die er einkauft. An vielen Stellen beweist er dabei sein gutes Aromenverständnis. Er sollte dann noch den Mut haben, sich auf seine guten Kombinationen zu verlassen, statt sich in "Schaumschlägerei" oder zu verspielte Kombinationen zu verrennen.

Einen guten Zug hat das L’Escalier definitiv mit dem seit April 2015 tätigen Restaurantleiter und Sommelier Lennert Steinhoff gemacht. Trotz seiner Jugend kann er auf Erfahrung als Chefsommelier im dreifach besternter Waterside Inn in England und als stellvertretender Restaurantleiter in der Schwarzwaldstube bauen. Seine Weinbegleitung hatte Hand und Fuß und befruchtete den einen oder anderen Gang zusätzlich. Dass es in Köln im Service bei aller angebrachten Seriosität locker zugeht, müssen wir eigentlich nicht erwähnen.

Fazit

Auf dem Sprung: Im L’Escalier serviert Maximilian Lorenz eine gute, französische inspirierte Produktküche. Mit ein wenig Optimierungen ist hier sicherlich noch mehr drin.

Wein

Die Weinbegleitung im L'Escalier in Köln

Deutz, Brut classic, Champagne

2014 Muskateller, Weingut Finkenauer, Rheinhessen

2013 Wunderwerk, Weingut Dressigacker, Rheinhessen

2012 Sancerre "Les Monts Damnes", Francois Cotat, Loire

2013 'Uroulat' Moelleux, Charles Hours-Clos, Jurancon

2012 Macon-Verzé, Domaine Leflaive, Burgund

Crabbies Ingwer Bier, UK

2012 Mouton Cadet, Mouton-Rothschild, Bordeaux

2012 Mestizaje, Bodega Mustiguillo, Valencia

2006 Riesling Auslese, Weingut Gunderloch, Rheinhessen

Fragen an den Surfmeister (a.k.a. Sommelier) Lennert Steinhoff

1. Anzahl der Positionen
Aktuell sind es 550 Positionen

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Das kann ich mit "Alter Welt" zusammenfassen.

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Am preiswertesten: Fritz Haag Riesling 2015 für 29€
Am teuersten: Cheval Blanc 1990 für 1400€

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
Das dürfte der Pouilly-Fumé "Silex" aus dem Jahr 2007 vom leider verstorbenen Didier Dagueneau sein. 

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Der Ihringer Winkelberg vom Weingut Dr. Heger.

6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Mir gefällt der Sauvignon Blanc von José Parierte aus dem Rueda sehr gut.

7. Ihr Lieblingswein?
Der Wein in meinem Glas :)

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
Der Klassiker: Petrus 1990 mit Cola. Es passiert immer wieder...

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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