Restaurantkritik 20.Dezember 2015

Gustav kann's

In seinem Bestseller "Geständnisse eines Küchenchefs" nennt Anthony Bourdain einen der Gründe, warum so manche erfolgreiche Gastronomen plötzlich finanzielle Probleme bekommen: weil der große Erfolg ihres ersten Restaurants sie dazu verführt, ein Zweites zu eröffnen – das dann plötzlich gar nicht so gut läuft und am Tropf des Ersten hängt. 

An diese Erkenntnis mussten wir denken, als im März 2015 das Gustav im Frankfurter Westend eröffnete. Die Betreiber des Lokals, Milica und Matthias Scheiber, hatten mit dem "Weinsinn" nämlich bereits ein großartiges und bestens laufendes Sternerestaurant ganz in der Nähe, ebenfalls im Westend. Wozu also das Risiko eines weiteren Lokals? Sollte der Erfolg das Duo übermütig gemacht haben? Man kann diese Frage inzwischen mit einem klaren Nein beantworten, denn nicht nur kann sich das Gustav seit November mit einem Michelin-Stern schmücken, es ist unserer Beobachtung nach auch meist gut besucht. Wundern muss einen das nicht, immerhin konnte mit Küchenchef Jochim Busch der langjährige Souschef von Zwei-Sterne-Maestro Andreas Krolik verpflichtet werden. 

Das Interieur ähnelt in seiner reduzierten Gestaltung dem Weinsinn, für dessen Einrichtung bereits Milica Scheiber verantwortlich zeichnete. Das Mobiliar ist geschmackvoll, die Lichtsetzung stimmt, und ein paar Kunstwerke setzen schöne Akzente. Die Räumlichkeiten an sich gefallen uns im neuen Lokal sogar noch besser: Der Gastraum hat mehr Luft und Tiefe, die großflächigen Fenster vermitteln ein Gefühl von Leichtigkeit und Transparenz. Alles wirkt zeitgemäß und doch irgendwie zeitlos; dazu gehört auch, dass Busch mit seinem dreiköpfigen Team in einer teils offenen Küche arbeitet.

Zur Auswahl stehen zwei Menüs von drei bis fünf Gängen, eines davon vegetarisch. Um einen guten Überblick zu bekommen, sollten es für uns an diesem Abend beide parallel sein.

Zum Aperitif gibt es ein Laugenkissen mit Spundekäs'. Diese soufflierten Teigkissen scheinen seit einer Weile schwer in Mode zu sein, begegnen sie uns doch immer wieder, unter anderem bei Jean-François Piège in Paris. Der Unterschied ist: Die Version im Gustav schmeckt uns sogar noch besser als jene beim französischen Meister. Das Gebäck hat schöne Würze, die Käsefüllung ist kraftvoll, aber nicht plump. Sehr gut. 

Das Amuse-gueule aus Spitzkohl, Petersilienwurzel und Einkorn fällt geschmacklich dezenter, aber ebenfalls sehr überzeugend aus. Feine Würze, nicht zu schwer, elegant und zugänglich.

Das Menü startet mit Bachforelle, Erbse, Gurke und Dill. Der butterzarte Fisch wird von angenehm milder Dillwürze klassisch eingefasst, wobei die leichte Süße der Erbsen die Anisnoten des Krauts abfedert. Auch die Gurke harmoniert natürlich bestens mit Dill und Forelle, zugleich bringt sie Frische und leichten Biss ins Spiel. Schöne Akzente, geschmacklich wie texturell, setzt der Forellenkaviar. Ein sehr harmonischer Gang und ein stimmiger Auftakt.

Der erste Gangs des vegetarischen Menüs, Mangold, Olive, Joghurt und Fenchelsaat, setzt ebenfalls auf Harmonie, aber vielleicht ein bisschen zu sehr. Mangold und Olive gehen prima zusammen, das Fenchelaroma unterstreicht den leicht mediterranen Eindruck. Passt alles und schmeckt ordentlich, aber mehr dann auch nicht. Den Joghurt nicht nur in seiner natürlich-cremigen Form, sondern auch als Knusperelement einzusetzen, finden wir zwar eine hübsche Idee, aber sie bringt auch nicht den fehlenden Kick.

Umso besser gefällt der nächste Gang des vegetarischen Menüs, Romanasalat, Kartoffel, Radieschen und Essigsud. Da steckt richtig Kraft drin. Die Kartoffeln geben satte Mundfülle, die Radieschen Biss und der sensationelle Sud eine säuerlich-scharfe Würze von süchtig machender Süffigkeit. Last but not least sorgt der (versteckte) Salat dafür, dass das Ganze nicht schwer wirkt. Das schmeckt gut, verdammt gut.

Auch der zweite Gang des Omnivor-Menüs hat mächtig Wumms: Es gibt Freilandschwein mit Bohne, Bärlauchknospe, Honig und Senf. Ähnlich wie beim Veggie-Gang spielt Busch auch hier mit dem Wechsel aus erdigen und süßsäuerlichen Aromen. Diese Komposition funktioniert sehr gut, alle Geschmäcker greifen wunderbar ineinander, die Bohnenkerne haben Biss, und Pinienkerne sorgen für das aromatische i-Tüpfelchen. Allein das sehr kräftige Fleisch ist auf der leicht trockenen Seite. Durch die mannigfaltigen Beigaben und den hervorragenden Sud stört das in Summe aber kaum.

Vegetarisch geht es weiter mit jungen Rüben, Offenbacher Pilzen, Süßdolde und Schafskäse. Wir sind riesige Rübenfans, weshalb wir auf dieses Gericht besonders gespannt waren. Und wir werden nicht enttäuscht: Die Kombi aus feinsüßer Rübchenvariation, herzhaften Pilzen und dem ganz eigenen, würzigen Geschmack des Schafskäses ist ungewöhnlich und köstlich. Einmal mehr liegt das Ganze in einem süffigen Sud – und mit der Süßdolde kommt nach Dill und Fenchelsaat einmal mehr ein leichtes Anisaroma ins Spiel. Jochim Busch scheint eine Schwäche für diesen speziellen Geschmack zu haben...

Der fleischige Hauptgang bietet genau das: Fleisch satt. Rein optisch wirkt das Vogelsberger Rind mit Karotte, Apfelessig und Bockshornklee auf uns etwas langweilig, und es sieht auch etwas trocken aus – welch ein Trugschluss. Selten hatten wir so zartes Fleisch auf dem Teller. Die Rinderscheiben lassen sich beinahe mit der Gabel zerteilen und zergehen am Gaumen wie bester Tafelspitz. Da braucht es gar nicht viel Sauce, wenngleich diese ebenfalls exzellent mundet. Hervorragend auch das kleine, pralle, würzige Rindsbratwürstchen, um das es an unserem Zweiertisch fast einen kleinen Futterneid-Streit gibt, so gut schmeckt es. Ach ja, die Beilagen sind natürlich auch gut. Insbesondere der Bockshornklee passt mit seinem kräftigen, an Liebstöckel erinnernden Aroma prächtig zum Fleisch.

Das Käsegericht, Handkäs' mit Musik, Schneiders Apfelwein und Graubrot, erinnert uns an die hervorragende Handkäs'-Variation von Matthias Schmidt in der Villa Merton. Aber zugegebenermaßen schmeckt uns Buschs Interpretation sogar noch etwas besser. Bei einer Kreation mit so intensiven Zutaten kommt es immens auf die Proportionen an – und die sind hier perfekt. Der Handkäs' wird als ideal gewürzte, überraschend leichte Crème und 'naturel' serviert; die Menge des aromatischen Brots ist genau richtig für die Aufnahme der Crème. Dazu Apfelweinperlen für den nötigen Säurekick, durch die geringe Größe perfekt dosierbar. Hier stimmt einfach alles. 

Angenehm leicht und erfrischend wirkt danach das Dessert aus Fenchel, Ziegenquark, Pistazie und Basilikum. Süßlich-herber, in seiner fluffigen Leichtigkeit an Mousse erinnernder Quark, darunter zarte, leicht süße Fenchelstreifen, dessen Anisanklänge (da ist er wieder, der Anis!) gut mit den anishaften Noten des hervorragenden Basilikumsorbets harmonieren (wobei einem der Sternefresser das Aroma nun entschieden zu viel ist). Dazu ein paar Pistazien für den Biss – fertig ist ein unkompliziertes, aber äußerst schmackhaftes Dessert mit griechischem Einschlag. Nur zu den hübsch hellgrünen Sponges können wir nichts sagen, denn die schmeckten – wie fast immer und überall – nach nichts.

Ebenfalls überzeugend fällt das alternative Dessert Buttermilch, Gurke, Himbeere, Sauerampfer und Bordetsch aus. Auch hier kommt Spannung auf, durch ein gut abgestimmtes Spiel aus Süße und Säure, Frische, Fruchtigkeit und Cremigkeit. Essenziell sind die leicht bitteren und herben Noten von den Kräutern, die jenen ungewöhnlichen Akzent setzen, der ein konventionell-gutes Dessert zu einem besonderen macht.

Klein und fein die Petits Fours: Kirsche und Rose.

Man merkt, nach dem Weinsinn hat das Gastronomenpaar Scheiber erneut einen Volltreffer gelandet. Das Gustav verbindet entspannte Atmosphäre mit sehr gutem Essen, lässigem Service und fairen Preisen. Dabei wirkt es mitnichten wie ein Klon des Erstlingslokals, im Gegenteil: Das Ambiente mag verwandt aussehen, aber die Küche ist gänzlich anders. Gibt es im Weinsinn moderne Interpretationen klassischer Kombinationen, steht der Stil im Gustav in der Tradition von verfeinerter Rustikalität und Regionalität mit einem Schuss Neuer Nordischer Küche. Das ist auch deshalb clever, weil es so nicht zu einer Konkurrenzsituation kommt, sondern man als Frankfurter Gast vor allem mehr Auswahl an Stilrichtungen hat.

Kurz nach unserem Besuch waren wir nochmals "privat" im Gustav und konnten diese Szene am Pass beobachten: Hans Horberth (rechts), ehemaliger Küchenchef des 2-Sterne-Restaurants 'La Vision' in Köln, steht nach seinem schweren Unfall vor einigen Jahren wieder in der Küche und unterstützt einmal pro Woche das Team von Küchenchef Jochim Busch – großartig! 

FAZIT

Köstliche Küche, zivile Preise, schöne Atmosphäre, gute Weine und lässiger Service – das Gustav bereichert die deutsche "Casual-Fine-Dining"-Szene. 

Weine

2013 Spätburgunder Sekt brut, Irene Söhnen, Rheingau

2013 Riesling Revival, Martin Müllen, Mosel 

2014 GOT, Neverland, Rheinhessen

2014 Weißburgunder "S", Hans Lang, Rheingau

2012 L'Echalier, Bertin Delatte, Loire

2012 Le Grand Blanc, Revelette, Provence

2012 Kapitel I, Tschida, Burgenland

2013 Schneiders Apfelwein "Goldparmäne", Hessen

2003 Oestricher Lenchen, Riesling Auslese, P.J. Kühn, Rheingau 

2010 Muskateller Auslese, Erlenwein, Pfalz

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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