Restaurantkritik 14.Juli 2014

Vorteil Frühsammer

Spitzenrestaurants an besonderen Orten des urbanen Lebens sind nicht so selten, wie man das annehmen könnte. Diverse Flughäfen schmücken sich inzwischen mit diesen Aushängeschildern, auch die Lage in unmittelbarer Nähe des Hafens ist nicht selten - und sogar im Eifelturm betreibt Alain Ducasse eine stark frequentierte, obwohl oft als Touri-Abzocke verschriene Gastronomie.

Atypischer sind sicherlich Sportstätten – in dieser Kategorie fällt uns zuerst das Geranium in Kopenhagen ein, das hoch über dem Fußball-Stadion der Stadt thront. Eine gewisse monetäre Nähe lässt sich sicherlich auch zur Mitglieder-Klientel von Golfclubs ableiten, wenngleich die Betreiber der jeweiligen Restaurants dies bestimmt abstreiten würden: Welcher Golfer möchte nach einer 4-Stunden-Runde weitere 4 Stunden in einem Gourmetrestaurant verbringen? Gut Lärchenhof hat trotzdem jüngst einen Top-Chef angeworben: Sven Messerschmidt.

Auch im Berliner Grunewald existieren Sport und Kulinarik friedlich nebeneinander: Frühsammers Restaurant befindet sich seit 2007 im Clubhaus des dortigen Tennisclubs, der zwischen feinen Villen und Botschaften in einem auch abseits des Sports durchaus reizvollen Umfeld liegt. Die Zahl der Tennisclubs ist in Deutschland seit einigen Jahren zwar rückläufig, doch hier im tiefen Berliner Westen scheint man die Rackets noch regelmäßig zu schwingen. Inwiefern das auch auf den gekonnten Umgang mit dem Kochlöffel zutrifft, wollten wir gerne erkunden und versprechen auch, den Gebrauch von Tennis-Metaphern vermeiden.

Peter Frühsammer, der den Service im Restaurant verantwortet, kann auf eine belebte gastronomische Vergangenheit zurückblicken, war er doch selbst als jüngster Berliner Koch von 1984 bis 1994 besternt. Nachdem ihm die Michelin-Tester die erneute Auszeichnung verweigerten, gründete er eine Cateringfirma, um dann ziemlich genau 10 Jahre später zusammen mit seiner neuen Partnerin Sonja Kugel – der heutigen Frau Frühsammer – das gleichnamige Restaurant im Grunewald zu eröffnen. Nun allerdings mit einem Rollentausch, da der umtriebige Patron schnell feststellte: „Sonja ist eine wesentlich bessere Köchin als ich.“

Die ersten Snacks stehen dazu in keinem Widerspruch und gefallen uns vor allem mit ihrer Herzhaftigkeit und aromatischen Fülle, könnten aber im Detail noch etwas feingliedriger sein.

Ein Wunsch, den das anschließende Amuse erfüllt. Hokkaido-Kürbis mit Treviso (Radicchio) und Gorgonzola entpuppt sich als köstliches Trio, bei dem die unterschiedlichen Charakteristiken der Protagonisten fein abgestuft sind und in ein harmonisches Ganzes aus süßlich-scharfen, bitteren und herzhaften Nuancen zusammenlaufen.

An dieses Niveau kann der erste Gang, Hummer, Mirabelle, Fenchel und Apfel, nicht ganz heranreichen. Zwar ist die Komposition durchaus schmackhaft und aufgrund einer subtilen Säurestruktur von schöner Leichtigkeit; auch sind alle Produkte ohne Fehl und Tadel im Garpunkt getroffen – aber für unser Empfinden nicht optimal austariert. Insbesondere fehlt uns hier der Fokus auf den Hummer, der vom Fenchel ins aromatische Abseits gestellt wird.

Als kurzes Intermezzo schließt sich mit den dreierlei Süppchen ein Klassiker des Hauses an. Die intensive Entenconsommé mit confiertem Magen stellt ihre beiden Begleiter, eine Brunnenkresse- sowie eine Kohlrabi-Suppe, allerdings so wohlschmeckend in den Schatten, dass wir zu ihnen kaum etwas sagen können.

Großartig dann die Pastrami „Barbecue“ mit roten Zwiebeln, Pimentos und Artischocke. Ein Gericht, das wir uns selbst in New York, dem „Hometown of Pastrami“, nicht besser vorstellen könnten. Ein tolles Produkt, das durch seine Begleitung perfekt in Szene gesetzt wird, wobei es gerade die leicht erdigen Noten der Artischocke in Verbindung mit der süßlichen Würzigkeit der Zwiebeln sind, die diesem Gericht den letzten Schliff verleihen.

Nicht weniger gelungen ist derKremmener Büffelmozzarella, der von Brokkoli, Salzmandel und einem Basilikum-Eis begleitet wird. Sonja Frühsommer zeigt damit, wie gut sie es versteht, vertraue Geschmacksbilder neu und reizvoll zu arrangieren. Hier ist es die mediterrane Bastion aus cremig-mildem Mozzarella und herbem Basilikum, die sie durch die Beimischung von Brokkoli und Mandel auflockert und um dezent kohlige und fein-nussige Noten bereichert. Das schmeckt sehr harmonisch und ist dennoch – nicht zuletzt auch aufgrund der mannigfaltigen Texturen und Temperaturen auf dem Teller – sehr abwechslungsreich.

Sehr konzentriert dann das folgende Gericht, Heilbutt, Pak Choi, Karotte, Erdnuss und braune Butter, das uns geschmacklich vom Mittelmeer nach Asien führt. Im Zentrum steht das feste, höchst schmackhafte Fleisch des Butts, herrlich unterlegt durch den milden asiatischen Kohl und die süffige Fülle der braunen Butter. Zur großen Küche wird dieser Gang aber durch die zurückhaltende Verwendung der Erdnuss, die dem Gericht punktuell Würze verleiht.

„Würze“ ist auch das richtige Stichwort für Pulpo, gegrillte Paprika, Sardelle, und Olivenölkaviar. Dieser Gang ist weniger rund als sein Vorgänger, entwickelt seine Spannung aber eben gerade aus dem Zusammenspiel durchaus kantiger Komponenten. So ist es mal der fettige Charakter der Sardelle, der durchblitzt, mal das zwischen rauchig und fruchtig wirkende Aroma der Paprika, und mal steht das bissfeste Fleisch des Pulpo im Vordergrund. Das Olivenöl dient dabei als ein Katalysator, der allen Produkten ihre Spitzen nimmt und sie so zusammenführt. Interessant ist dabei die Konsistenz des Öls, das in Form von Kügelchen serviert wird, die eine gute Dosierung erlauben.

Mit Herzkalbsbries, Topinambur und Trüffeljus wechseln wir zu den Fleischgängen des Menüs. Ein Gericht, zu dem man eigentlich nicht viel sagen muss: Das Bries ist außen knackig und innen cremig, die Topinambur von süßlicher Erdigkeit, die Jus ist intensiv und von samtiger Konsistenz. Erschließt sich schnell und schmeckt sehr gut, nicht mehr, nicht weniger.

Notiz am Rande: Die Bezeichnung „Herzkalsbbries“ weißt auf jenes Stück dieser Wachstumsdrüse hin, welches nahe dem Herzen liegt und unter Kennern als bestes Stück dieser Innerei gilt.

Als nächstes machen wir mit Lamm, Aubergine, Mate und Joghurt einen kleinen Abstecher in den Orient, wobei sich „klein“ hier auf die Portionsgröße bezieht. Kulinarisch ist dieser Gang en miniature ganz groß. Das erstklassige Lammfleisch wird durch die Aubergine in seiner Herzhaftigkeit unterstrichen, während der Joghurt mit seiner Säure für Frische sorgt. Die Mate bringt eine wohldosierte Portion südamerikanischer Exotik mit ins Spiel, die durch den beherzten Einsatz von Pfeffer noch an Fahrt gewinnt. Gerade dieser Kontrast zwischen Frische, Herzhaftigkeit und Schärfe - vor allem auch in der Relation zur Größe der Portion - macht dieses Gericht spannend.

Beim Annoncieren des Hauptgangs überkommt uns Skepsis, welche sich aber beim Essen weitestgehend in Genuss auflöst. Zwar ist das Hirschfilet mit Sellerie, Boudin Noir, Portweinfeige, Buchenpilzen und Wacholderschupfnudeln von deutlich klassischer Prägung, wirkt aber dennoch nicht altbacken oder gar langweilig. Vielmehr genießen wir hier abwechselnd das zarte Fleisch, die rustikale Blutwurst und andere süßliche, erdige oder auch würzig-herbe Noten – alles zusammengehalten vom dichten Jus. Sehr gut.

Das Dessert Matchaparfait mit Kalamansi, Teemousse, Dattel, Heidelbeere, Knuspermüsli mutet zunächst wie ein wildes Potpourri unterschiedlichster Produkte an, beim Verkosten offenbart sich aber ein feiner Bogen vom herben Matcha über die süßen Datteln bis hin zur milden Teemousse. Die zitrusfrische Exotik der Kalamansi verleiht mit ihrem Frischekick diesem Boden die notwendige Spannkraft; das Müsli steuert texturelle Vielfalt bei und sorgt für jenen Reichtum an Abwechslung, den wir uns von einem Dessert wünschen.

Die Petits Fours zum Kaffee, klein und fein.

Sonja Frühsammer genießt in Berliner großen Respekt unter ihren Kollegen und erfreut sich bei Feinschmeckern einer durchaus großen Fangemeinde, an deren Spitze nicht zuletzt einige Gault-Millau-Tester stehen. Wir können diese Haltung gut nachvollziehen, zumal es die in Australien geborene Köchin hervorragend versteht, einen geschmacklich klaren, bisweilen durchaus mediterranen Fokus auf ihre Teller zu setzen und visuelle Gimmicks weitestgehend zu vernachlässigen. Dies impliziert allerdings auch eine kleine Schwäche bei den Kreationen: Im direkten Vergleich zu einigen besternten Kollegen in der Hauptstadt fällt das Arrangement zumeist etwas einfacher aus; es fehlt der letzte Feinschliff. Dies stört uns wenig, könnte aber durchaus eine Erklärung für das aktuelle Ranking sein.

Sternekoch a.D. und Gastgeber i.D. Peter Frühsammer hat den Service gut im Griff und lässt auch bei den Weinempfehlungen bzw. der Weinbegleitung keine Irritationen aufkommen. Bisweilen dürften sich Gäste mit etwas mehr Zeit bei ihm wohler fühlen; er fungiert stets als bereiter Gesprächspartner. In Summe ergänzen sich der extrovertierte Maître und die eher schüchterne wirkende Köchin hervorragend.

Dabei ist der Ruf nach dem Stern bei Frühsammers ähnlich laut wie letztes Jahr bei Sascha Stemberg in Velbert. Den Stern könnte man – gerade im direkten Vergleich mit anderen besternten Häusern in der Republik – sicherlich vergeben. Doch wie Meister Röhrich aus den Werner-Comics die Gretchen-Frage formulieren würde: Tut das Not? Mit dem begehrten Macaron gehen neue Erwartungen einher, und auch die Gästeklientel wandelt sich massiv. Außerdem haben wir den Eindruck, dass im Grunewald aktuell alles bestens läuft und derartige Veränderungen nur Unruhe in das Restaurant und, wichtiger noch, in die Koexistenz mit den Mitgliedern des Tennisclubs bringen würde. Wehren würde sich das Team gegen die Auszeichnung aber bestimmt nicht.

Fazit

Stern hin oder her, mit der Mischung aus entspannter Atmosphäre und einer im besten Sinne einfach schmackhaften Küche empfiehlt sich das Frühsammers für alle, die sich zwischen „lecker und locker“ heimisch fühlen.

Eure Meinung?

Kochen Spitzenköchinnen Eurer Meinung nach anders, als ihre männlichen Kollegen?

 

WEINE

2012 Pinot Extra Brut, Blanc de Noir, Jean Stodden, Ahr

2011 Edelschuh Sauvignon Blanc, Wohlmuth, Steiermark

2000 Yattarna Chardonnay, Penfolds, Australien

2007 Serena, Bragato, Friaul

2010 Löchle Erstes Gewächs, Burg Ravensburg, Baden

2004 Golftröpfchen, Großes Gewächs, Reinhold Haart, Mosel

2008 Hermitage Monier de la Sizeranne, M. Chapoutier, Rhone

2011 Pinot Noir, Holger Koch, Baden

2012 Scharzhofberger Riesling Auslese, Reichsgraf von Kesselstatt, Mosel

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