Restaurantkritik 27.November 2014

Meeresbrise auf dem Teller

Die Region Zeeland ist schon lange eine Art kulinarisches Epizentrum in Holland: Nicht nur Sergio Herman hatte hier sein legendäres Oud Sluis und betreibt in Cadzand zusammen mit Syrco Bakker das höchst spannende Pure C. In der Region gibt es vier weitere Einsterner, und das Inter Scaldes in Kruiningen zählt mit zwei Sternen und 19,5 Millau-Punkten seit Jahren zu den höchstbewerteten Lokalen des Landes. Der große Shooting-Star des Landstrichs ist jedoch das De Kromme Watergang im winzigen Örtchen Hoofdplaat, wenige Kilometer von der Küste entfernt. Edwin Vinke und seine Frau Blanche eröffneten das Restaurant bereits 1993, erhielten 2005 den ersten Stern und haben eine treue Stammkundschaft. Doch erst mit dem zweiten Macaron im Michelin 2012 landete ihr Lokal auf dem Radar der internationalen Foodie-Szene.

Seinen familiären Charme und die Aura eines Insidertipps hat sich das De Kromme Watergang dennoch bewahrt. Das Restaurant befindet sich in einem ehemaligen Kindergarten am Dorfrand. Vis-à-vis zur Eingangstür gibt es einen großen Kräuter- und Küchengarten, in dessen Mitte eine riesige, rustikale Tafel thront. Hier kann man sich wunderbar ein Fest mit Freunden vorstellen. Angegliedert finden sich die obligatorischen Gemüseacker und – das kannten wir so noch nicht – ein Gehege mit Kleintieren. Surreal weil im wahrsten Sinne einzig "kunstvoll" muten in diesem Umfeld zwei riesige, gelbe Schnecken an....

Das Interieur des Restaurants ist von zurückhaltender Eleganz: braunes Leder, dunkelgraue Stoffe, weiße Tischdecken, gedämpftes Licht; in der Mitte des Raums ein prächtiger Blumenstrauß. Dass das Ambiente trotzdem nicht zu gediegen wirkt, ist dem lässig-humorvollen Maître-Sommelier Mike Dooms und seinem jungen Team zu verdanken. So startet das große Degustationsmenü in angenehm-entspannter Erwartung mit einer Vielzahl von Kleinigkeiten...

Bei den Gillardeau-Austern mit Engelwurz-Crème wird die jodige Meeresnote der Austern von der aromatisch-süßen und leicht bitter-scharfen Aromatik des Krauts wundervoll abgerundet. Fast noch besser funktioniert das Prinzip beim geschäumten Gin-Tonic, dessen bittersüßer, leicht alkoholischer Eigengeschmack perfekt mit dem Engelwurz harmoniert.

Das Möhrenblüten-Tempura mit Karotten-Crème-fraîche lebt vor allem von der perfekt krossen Textur, die allerdings die Aromaten etwas überlagert.

Sehr schön die Muscheln mit Gurke, Gurkensorbet und Sesamschaum (beides hinten im Bild), bei denen das klassische Geschmacksbild Gurke/Auster durch die Nussigkeit des Sesams erweitert wird, sowie die Miesmuschel-Mousse mit Gewürztagetes-Blüten, wo das dezente Muschelaroma durch die leichte Süße der Blüten abgerundet wird.

Den Abschluss der Amuses bilden eine Tom-Kha-Gai-Suppe sowie eine Suppe von braunen Shrimps: beide sehr kraftvoll, vollmundig und von exakt dosierter Würze. Exzellent.

Der erste Gang des Menüs steht als Nordseekrabbe mit Sauerampfer, grünem Salat und Blüten auf der Karte. Tatsächlich handelt es sich um eine Variante des klassischen Krabbencocktails mit Cocktailsauce – aber was für eine! Die qualitativ sensationellen Krabben sind leicht mariniert und werden von einer luftigen, ideal gewürzten Meeresfrüchtesauce aromatisch unterstützt. Der Sauerampfer sorgt als Granita und Mousse für Frische und bricht die Üppigkeit der Cocktailsauce, während die grünen Blätter vor allem für einen angenehmen Texturkontrast sorgen. Das i-Tüpfelchen sind jedoch die Briochebrösel. Mit ihrem dichten, vollmundigen Geschmack und ihrer wärmenden Buttrigkeit runden sie das ansonsten eher "kühl" angelegte Gericht perfekt ab. Zugegebenermaßen hatten wir beim Servieren nicht gedacht, dass in dieser Kreation so viel Power und Wonne steckt.

Weiter geht's mit Entenleber und Langoustine, Roter Bete, Chicoree und Stachelbeere. Die knackige Langoustine von abermals herausragender Qualität hat leichte Röstnoten und eine feine Süße, die von der süßlichen Erdigkeit der Bete (als exzellentes Eis und in Scheiben) sehr schön durchblendet wird. Die Entenlebercrème umspielt das Ganze mit ihrer Fettigkeit und einer weiteren Abstufung an Süße; die Säure der Stachelbeere und die Bitternoten des leicht karamellisierten Chicoree brechen das Arrangement kontrastreich auf. Ein exzellentes Gericht – komplex und doch leicht zu verstehen.

Bei der Meerbarbe mit Artischocke, Tomate, Zitrusfrucht und Mandel beeindruckt uns nicht zuletzt der Fisch mit seinem hochfeinen, leicht rauchigen Aroma und der krossen Haut. Die nussig-erdige Artischocke passt dazu hervorragend, ebenso die "Saftigkeit" der eingelegten Kirschtomate und die Frische der Zitrusmarinade. Nur die Mandeln können wir nicht recht ausmachen – was allerdings nicht ins Gewicht fällt, wenn ein Gang so stimmig ist.

Als kleines Intermezzo gibt es danach eine Tomatenvariation mit frischem Tomatenjus – wunderbar erfrischend, wenn auch weniger intensiv als gedacht.

Hervorragend der nächste Fischgang: Sanft gegarter Kabeljau mit Meeresschnecken, Schwertmuschel, Zitrone und Kartoffel. Die knackigen Schnecken, das roh marinierte Muscheltatar und der Fisch ergeben für sich bereits einen spannenden Dreiklang mariner Geschmackswelten. Durch die Zitronen-Hollandaise und das samtige Kartoffelpüree werden sie vollmundig eingefasst, während ein Stückchen ganzer Kartoffel für Volumen sorgt.

Ein Highlight auch das Petermännchen mit Herzmuscheln, Lauch, Miso, Wasabi und Ingwer. Nach diesem Gericht müssen wir sagen, dass das Petermännchen der womöglich am meisten unterschätzte Fisch in der Spitzengastronomie ist. Bei Vinke jedenfalls schmeckt er hochfein und elegant. Die saftigen, unglaublich intensiven Muscheln, das Gemüse und die asiatisch angehauchte Sauce werden da – bei aller Güte – fast zu Nebendarstellern.

Nicht ganz so überzeugend fällt der Oosterschelde-Hummer mit Bohnen, Zwiebel, roter Paprika und Thymian aus. Der Hummer ist von guter Qualität, aber die Hummerbisque ist uns etwas zu intensiv gewürzt. Insgesamt schmeckt dieser konzentrierte Hummergang durchaus gut, gerade auch mit den Bohnen. Aber letztlich bleibt das Ganze vergleichsweise konventionell.

Sehr viel besser gefällt uns der Fleischgang des Abends: Taube mit Karotte, Salbei und Spinat. Das butterzarte Brustfleisch der Taube hat ein dezentes Raucharoma, wobei die schöne Fettschicht den Fleischgeschmack verstärkt. Die Karotte in verschiedenen Texturen komplimentiert das Aroma mit feiner Süße. Zu beidem passt der Salbei mit seiner ätherisch-würzigen, leicht bitteren und pfeffrigen Note ausgezeichnet. Lediglich den frittierten Spinat hätten wir nicht gebraucht. Als Konterpart wird separat ein krosser Brotchip mit einer exzellenten Innereiencrème serviert.

Statt einer Käseauswahl gibt es Frischkäse, Gartenkräuter, Salat und Gurke: Die Kräuter und die Gurke kommen als ungewöhnliches, süßlich-würziges Granita auf den Tisch; der säuerlich-frische Käse wurde mit den selben Kräutersorten aromatisiert; dazu gibt es ein Mini-Toast mit hausgemachter Butter. Eine sehr gelungene, zwischen Süße, Säure und Würze changierende Einstimmung auf die Desserts.

Das erste Dessert trägt den Namen Barong, nach dem löwenartigen "König der guten Geister" aus der balinesischen Mythologie. Der goldene Miniatur-Kopf besteht aus einer Creme von Schokolade, Wasabi und Matcha-Tee – eine üppige, süßlich-scharfe Mischung, die köstlich schmeckt. Der Star des Desserts ist jedoch der mit Sake getränkte Baba, der von einem sensationellen Shiso-Eis gekrönt wird. Das schmeckt höchst ungewöhnlich und einfach verdammt gut.

Dagegen wirkt das finale Dessert recht konventionell: 3x Rose besteht aus einer weißer Schokoladencrème, Champagnersorbet, zwei verschiedenen Rosencrèmes und ein paar Erdbeerelementen. Das schmeckt alles schön frisch, harmonisch und nicht zu süß – sehr gut also, aber eben nicht so außergewöhnlich wie das Dessert zuvor....

Zum Kaffee ein paar schokoladige Petits Fours mit teils gewagten (Meerrettich), teils irritierenden (Lakritzeis) Aromatisierungen. Spannend, aber muss man mögen.

Es steht außer Frage: Im De Kromme Watergang wird auf außergewöhnlich hohem Niveau gekocht. Neben Handwerk und Kreativität empfanden wir aber auch die unausgestellte Regionalität der Küche als bedeutsam: Edwin Vinke muss gar nicht betonen, dass er auschließlich mit Fisch aus lokalem Fang arbeitetet – es ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Und tatsächlich wäre angesichts der Qualität und der Nähe zum Meer alles andere auch absurd. Vinkes Küche ist klar im Terroir der Region Zeeland verwurzelt und das bedeutet keine Beschränkung, sondern eine Bereicherung. Wo sonst kann man so selten gegessene Fische wie das Petermännchen als Delikatesse entdecken?

Aus dieser bescheiden anmutenden Haltung entwickelt sich eine kreative Originalität, die nie forciert oder gar prätentiös wirkt. Man hat stets das Gefühl, dass hier ein Küchenchef genau das macht, was er will. Und abgesehen von der Tatsache, dass es für uns in Summe vielleicht ein paar Muscheln weniger hätten sein dürfen, gab es keinen einzigen negativen Ausreißer in diesem großen Menü – dafür aber ein paar Gerichte, die uns nachhaltig erfreuten, so etwa die Langoustine mit Entenleber, das Petermmännchen oder der Baba mit Shiso.

Der Service agierte bei unserem Besuch diskret, zurückhaltend und makellos – ein klein wenig mehr Lockerheit und Humor dürfte aber durchaus drin sein. Die Weinbegleitung gefiel durch eine unkonventionelle, meist sehr stimmige Auswahl. Notabene: Als Unterkunft bietet das Lokal eine handvoll modern gestylter und bestens ausgestatteter Apartments in der Umgebung an – frisch angeliefertes „Frühstück in a box“ aus dem Restaurant am Morgen inklusive. Sehr zu empfehlen.

Fazit

Edwin Vinke serviert auf Basis bester Produkte aus seiner Heimat Zeeland eine Küche, die gleichermaßen originell wie authentisch ist – und vor allem exzellent schmeckt. Sicher eine der besten Adressen in Benelux!

WEINE

Elixium brut brillant, Hautvillers, Champagne, Frankreich

Fontanafreda Gavi di Gavi, Piemont, Italien

Roditis, Jason Ligas, Pella, Griechenland

Joostenberg family blend, Paarl, Südafrika

Chablis, Stephan Moreau, Chardonnay, Yonne, Burgund

Schloss Schwabsburg Riesling, Weingut Gehring, Rheinhessen

Gayda, Viognier, Languedoc, Frankreich

In vino Erotico, Coteau de Libron, Frankreich

Le plaisir blanc, Mas Amiel, Maury, Frankreich

Comte Phillipe de Nazelle, Domaine Cabidos, Pyreneen, Frankreich

La Grasparossa, Emilia Romagna, Italien

Veldenzer Kirchberg Riesling Auslese, Weingut Bottler- Willems, Mosel-Saar-Ruwer

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Das könnte dich auch interessieren