Interviews 31.Juli 2014

Der "Bundeskoch"

Holger Stromberg stammt aus einer 150 Jahre alten Gastronomen-Familie – die Berufswahl Koch war somit von Kindesbeinen an vorbestimmt. Dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, stellte er bei seinen Stationen im Le Crocodile in Straßburg und im Restaurant Schwarzer Adler in Oberbergen fest. Wie sich der erste Stern anfühlt, erlebte Stromberg bereits in jungen Jahren: Mit gerade 23 zeichnete ihn der Michelin 1995 im Restaurant Goldschmieding, einer damals renommierten Gourmetadresse unweit seines Elternhauses in Castrop-Rauxel, aus. Nach einem Engagement im Mark's in München blieb der bodenständige Ruhrpottler der Stadt an der Isar treu und tauschte die tägliche Arbeit hinterm Herd gegen den Aufbau seines eigenen Unternehmens. Seit 2003 bietet Stromberg Ernährungsberatung, Kochkurse, Catering und Food-Consulting an. Nach mehreren Kochbüchern wurde 2007 Oliver Bierhoff, Manager der Deutschen Fußballnationalmannschaft auf den damals 35-Jährigen aufmerksam und engagierte ihn als Teamkoch. Seither gehört Stromberg zum offiziellen Betreuerstab des Deutschen Fußballbundes und war somit während der aufregenden Zeit in Brasilien für das leibliche Wohl der Spieler verantwortlich.

Wir haben ihn kurz nach der Weltmeisterschaft für Euch befragt...

Interview mit Holger Stromberg

Welchen Anteil hat der Koch der Nationalmannschaft am Titelgewinn?

Holger Stromberg: Ernährung allein wird natürlich kein Spiel gewinnen, aber sie macht die Spieler leistungsfähiger, so dass die Energiereserven optimal aufgetankt sind. Wenn der Brennstoff nicht passt, kann der Motor nicht arbeiten.

Können Sie kurz umreißen, wie die typische Tagesverpflegung eines Fußballers aussieht und welche Aspekte dabei besonders wichtig sind?

Holger Stromberg: Zu den Zeitpunkten lässt sich sagen, dass die letzte Mahlzeit vor dem Spiel bei uns dreieinhalb Stunden vorher eingenommen wird. Da kommt an einem Spieltag dem sogenannten "Pre-Match-Snack" eine wichtige Bedeutung zu. Dreieinhalb Stunden vor dem Spiel gibt es eine leichte kohlenhydratbasierte Kost, damit zur anstrengenden Spieldauer auch die Energiereserven aufgetankt sind. Vollkornpasta und Bolognese oder Kartoffelpüree mit geschwenktem Gemüse stehen auf dem Speiseplan, zusammen mit Milchreis und Grießbrei. Getrunken werden über den Tag verteilt zwei bis drei Liter stilles Wasser, zudem empfehle ich stoffwechselfördernde Tees mit Ginkgo und Ingwer, um den Blutfluss im Gehirn anzuregen. Nach dem Spiel müssen vor allem die Kohlenhydratspeicher so schnell wie möglich aufgefüllt werden. Am besten innerhalb der ersten 30 bis 45 Minuten, zum Beispiel mit Nudeln, aber auch mit einem Snack oder Haferflocken-Bananen-Shakes, die den Bedarf ebenfalls decken. Viele Spieler wissen durch Schulung und ihr Körpergefühl am besten, was ihnen gut tut.

In wieweit gehen Sie auf persönliche Präferenzen der Spieler ein? Einige Beispiele wären schön.

Holger Stromberg: Die eine oder andere kleine Anregung gibt es immer einmal wieder. Das versuche ich dann auch zu berücksichtigen. Aber bei der WM gab es so gut wie keine Sonderwünsche. Die Spieler waren auf ein Ziel ausgerichtet, darauf fokussiert und haben völlig darauf vertraut, was ich mit meinem Team vorbereitet und gekocht habe. Und hier war besonders wichtig, dass der Flüssigkeitshaushalt der Spieler auch über die Speisen ausreichend versorgt wurde.

Für wie viele Personen haben Sie täglich in Brasilien gekocht?

Holger Stromberg: Für 23 Spieler und ca. 40 Betreuer.

Wie groß ist Ihr Team während eines Turniers?

Holger Stromberg: Aus meinem eigenen Küchenteam hatte ich einen Koch und eine Servicekraft dabei. Alle anderen Kollegen übernehmen wir jeweils von den Hotels vor Ort. Darum ist es für mich auch vom ersten Tag an immer wichtig, dass wir mit den Küchenteams gut zusammenarbeiten, dass alle motiviert und engagiert sind, denn ich brauche hier Verbündete und keine „Gegner“. Aber das hat bislang immer gut geklappt, und auch jetzt, in Brasilien, hat uns das gesamte Food&Beverage-Team vor Ort, um die 35 Leute, die Daumen gedrückt.

Übernehmen Sie die komplette Verpflegung oder wird beispielsweise das Frühstück auch mal von der jeweiligen Hotelküche geschickt?

Holger Stromberg: Nein, in dem Moment, in dem ich mit der Nationalmannschaft unterwegs bin, trägt jedes Getränk und jede Mahlzeit meine Handschrift.

Werden auch Snacks außerhalb der Mahlzeiten z.B. fürs Stadion vorbereitet?

Holger Stromberg: Absolut. Das Stadioncatering kommt auch von mir: die Pasta und der Bananenshake nach dem Spiel in der Umkleide ebenso wie die Bereitstellung von Sandwiches für die Betreuer in der Kabine.

Zur Organisation: Woher beziehen Sie die Produkte, wenn Sie über Wochen in Brasilien sind, und spielen Nachhaltigkeitsaspekte eine Rolle beim Einkauf? Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang biologisch angebaute Produkte?

Holger Stromberg: Aufgrund der Einfuhrbestimmungen in Brasilien mussten wir alle Lebensmittel vor Ort besorgen und uns hier ein möglichst gutes Kontaktnetz aufbauen. Aber das wusste ich auch schon über meine Vorreise im Februar. Da hilft, dass Köche gut vernetzt sind. Die brasilianische Küche ist nicht so sportlergerecht, wie man vielleicht annimmt, die Auswahl an Gemüse und Früchten ist eher überschaubar. Darum haben wir uns z.B. vor Ort Bio-Farmer und -Bauern gesucht, die für uns extra Gemüse & Kräuter angebaut haben. Denn die Grundlage für eine gute, ausgewogene (Leistungssport-)Ernährung ist ganz klar die Qualität der Nahrungsmittel. Meine Philosophie ist: Kein Gericht der Welt ist grundsätzlich ungesund. Qualität steht an erster Stelle. Das bedeutet für mich eine Nachvollziehbarkeit und eine Produkttiefe der Herkunft.

Mexico ´86 war noch geprägt von „Montezumas Rache“ - wie stellen Sie die Lebensmittelsicherheit an manch exotischem Ort sicher?

Holger Stromberg: Indem nichts dem Zufall überlassen wird, jedes Lebensmittel, jede noch so kleine Beere durch meine Hände geht und die Hygiene in den jeweiligen Küchen von mir sichergestellt wird. Ich sehe alles und entscheide über die komplette Produktauswahl.

Wie eng ist die Ernährungsabstimmung mit dem Trainerstab, und ist diese auch vom Trainings- und Spielplan abhängig?

Holger Stromberg: Die Ernährungsabstimmung ist durchaus abhängig von den Trainings- und Spielplänen. Die Menüpläne erarbeite ich eigenständig und bespreche sie in einem Meeting, wie jetzt zur WM im Vorfeld mit dem Nationaltrainer und seinem Team.

Welche besonderen Küchengeräte benötigen Sie im Alltag?

Holger Stromberg: Scharfe Messer und gute Pfannen :)

In welcher Zeit sind Sie für die Ernährung der Spieler zuständig? Nur während der Turniere oder auch bei einzelnen Länderspielen?

Holger Stromberg: Sobald die Nationalmannschaft spielt, stehe ich in der Küche und koche für die Spieler und Betreuer - ob im Trainingslager, bei Freundschaftsspielen, Länderspielen oder bei internationalen Turnieren.

Was ist in Summe das Lieblingsgericht der Nationalelf?

Holger Stromberg: Bei allen sehr beliebt ist z.B. Kartoffelpüree, Pasta, der bei allen hoch im Kurs stehende Milchreis, französische Tomatensuppe, und ein echtes Highlight war bei dieser WM Maracuja-Lachs mit Erbsen-Spinat-Couscous.

Welche Gerichte und Produkte müssen Sie den Spielern verwehren?

Holger Stromberg: Keine – wir sprechen hier von Profis durch und durch, die verinnerlicht haben, welche Rolle Ernährung für sie spielt und die am besten wissen, was ihnen und ihrem Körper gut tut. Zudem koche ich extrem bunt und abwechslungsreich. Bei guter und gesunder Ernährung muss niemand auf Genuss verzichten. Nur wo Qualität drin ist, kommt auch Qualität raus.

Was gab es auf der Feier nach dem WM-Sieg zu essen, und haben Sie gekocht?

Holger Stromberg: Meine Arbeit als Koch war mit der letzten Pasta getan, die ich nach dem Finale in der Kabine serviert habe. Danach habe ich kulinarisch beraten, aber den Kochlöffel an das Team vom Sheraton übergeben, die uns dann z.B. mit Sushi & Sashimi, einem klassischen Barbecue und weiteren Leckereien verwöhnt haben ... aber in der Nacht war Essen wahrlich nicht das Wichtigste.

Was hat sich besser angefühlt: Der erste eigene Stern oder der vierte Stern mit der Nationalmannschaft?

Holger Stromberg: Da gibt es kein besser und kein schlechter – das sind und waren beides einmalige Momente, die mit sehr intensiven Erinnerungen für mich verbunden sind. Aber jeder Stern steht für sich und ich bin dankbar, beides erlebt zu haben.

Haben Sie in Brasilien kulinarische Entdeckungen (Restaurants/Produkte) gemacht oder hatten Sie Gelegenheit, mit Kollegen wie Alex Atala in Kontakt zu kommen?

Holger Stromberg: Aus kulinarischer Sicht muss ich gestehen, dass ich keine besonderen Highlights in Brasilien entdeckt habe. Alex Atala hätte ich natürlich gerne besucht, aber dazu war keine Zeit.

Für welchen Fußballstar würden Sie gerne mal so richtig auffahren?

Holger Stromberg: Ich hab doch alle :)

Wer bei dem mit vier Sternen aktuell höchstdekorierten Koch Deutschlands, dem „Bundeskoch“ sozusagen, speisen möchte, hat dazu ab 6.11. im Münchner Cotton Club die Möglichkeit...

Stromberg-Fotocredits: Erwin Lanzensberger

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