Restaurantkritik 24.Juli 2014

Prüssmann fährt die Kralle aus

Panta rhei – die griechische Formel ist nicht nur Namensgeber für ein hervorragendes Weingut aus Niederösterreich, sondern bezeichnet ziemlich exakt, was wir häufig in der Spitzengastronomie erleben. Just in dem Moment, wenn wir einen Bericht veröffentlichen oder eine kulinarische Destination ins Auge gefasst haben, gibt es eine einschneidende personelle oder strukturelle Veränderung. Da heißt es, stets aufmerksam zu bleiben.

Mit dem 33-jährigen Sebastian Prüßmann hat ein für uns alter Bekannter im September 2013 das Zepter in der Küche des Gourmet-Restaurants des Hotels am Schlossgarten in Stuttgart übernommen. Bereits seit seiner Zeit als Souschef von Nils Henkel im Schloss Lerbach kennen wir ihn und seinen Werdegang vom Coq au Vin bis zu seinem Gastspiel in der Villa Hammerschmiede verfolgten wir genau. Ihn nun auch an seiner aktuellen Althoff-Wirkungsstätte in Stuttgart zu besuchen, war deshalb nur eine Frage der Zeit für uns.

Mit dem neuen Küchenchef gibt es auch eine räumliche Erneuerung: Allein der Name „Zirbelstube“ klang sehr nach der „alten Bundesrepublik“ – und auch nach Schwaben: knarzende Dielen, holzvertäfelte Wände und weiß eingedeckte Tische. Dort servierte Bernhard Diers in einem intim-rustikalen Ambiente klassische und bisweilen etwas angestaubte Gerichte. Und dennoch besuchten wir das Restaurant im Herzen Stuttgarts gerne. Das Gourmetrestaurant befindet sich nun nebenan, hat sich nicht nur architektonisch, sondern auch semantisch verjüngt und heißt mittlerweile „Schlossgarten Restaurant“.

Die Tische sind im neuen Speisesaal mit großem Abstand gestellt, wodurch der Raum bei aller Diskretion sehr weitläufig auf uns wirkt. Bisweilen kommt gar ein Gefühl der Verlorenheit auf. Da ist er für das morgendliche Frühstücksbuffet sicherlich besser geeignet. Für den Moment aber konzentrieren wir uns erst einmal auf Speise- und Weinkarte, gereicht von Restaurantleiterin Thalisa Bernthaler, einer alten Bekannten, die wir bereits aus dem Bergisch Gladbacher Vendôme kennen.

Der kulinarische Reigen des Abends beginnt mit Parmesankrapfen und Gemüsetaschen. Optisch erinnern die etwas trockenen Krapfen an Madeleines, geschmacklich einen der Sternefresser an die glücklichen Tage, als er heimlich von Omis Étagère in ihrem Biedermeier-Wohnzimmer naschte. Der Veggie-Döner liegt uns da schon mehr. Roscoff-Zwiebeln, Tomaten-Concassée, rotes und weißes Kraut, Kopfsalat, Paprika und Joghurt zeugen vom handwerklichen Aufwand und schmecken originell. Eine größere Dimensionierung, und das Teil wäre ein Mittagspausenhit!

Leicht und vegetarisch geht es mit einem fruchtig-vegetabilen Amuse Gueule weiter: Die eingelegte Wassermelone mit Eukalyptus, Fenchel, Yuzu und Petersilie lassen wir uns zum Ausklang dieses warmen Tages im Stuttgarter Kessel gerne schmecken.

Mit Gelbflossenmakrele und Gillardeau-Auster, Kopfsalat, Glockenapfel und Kerbel starten wir ins Menü, wobei die vielen, kleinteiligen Elemente auf dem Teller ins Auge stechen. Das ergibt unzählige Kombinationen beim Essen, was Freude bereitet. Wer es nicht gern kleinteilig mag, könnte den Menübeginn als etwas anstrengend empfinden: pure Makrele, mit Limette abgeschmecktes Tatar, Frucht und Süße vom Kerbel- und Apfeleis, Apfeltatar und die grünen Noten des Kerbelpestos und der Kerbelblätter. Das meiste funktioniert hervorragend und ergibt ein sehr transparentes Geschmacksbild, wobei die Jodigkeit der Auster und der Alge als Würze dienen und den Spannungsbogen durchgängig hoch halten.

Den hervorragenden, festen Würfeln von Gänseleber steht im Anschluss ein Vierklang von Roter Bete gegenüber. Die beim Lesen geweckte Befürchtung einer dessertartigen Vorspeise wird glücklicherweise nicht bestätigt. Neben den Texturen der Bete, bei denen besonders das erdige, würzige Aroma ausgearbeitet wurde, ist es ein herrliches Sorbet vom Sauerklee, das für den Frischekick mit Frucht und Säure sorgt. In diese Richtung zielen auch Rosinen und Maulbeeren. Das á part gereichte Maulbeerenbrioche verlängert das köstliche und lange währende Erlebnis.

Über dem Teller mit Kerbelwurzel und Perigordtrüffel, Crème fraîche und Zitronen-Thymian liegt ein betörend herber, erdiger Duft. Bei diesem Gang aus Prüßmanns vegetarischem Menü gibt es leider ein Problem: Die Kerbelwurzel-Rösti ist einer massiven Salzattacke zum Opfer gefallen und wird somit ungenießbar. Wir probieren dennoch alle anderen Komponenten, und gerade die geröstete Kerbelwurzelhaut und der Kerbelwurzelstampf schmeckten exzellent. Schade, dass die Küchenbrigade die „Gemüseliebe“ – wie das fleischlose Menü heißt – etwas zu sprichwörtlich genommen hat.

Bei der getauchten Jakobsmuschel mit Kamille, Ochsenmark und Hafer erscheint das Schalentier in einem völlig neuen Licht. Dies erlebten wir zuletzt vor einigen Jahren bei Hans Horberth im La Vision. Zusammen mit dem Ochsenmark wirkt die Muschel noch fleischiger und zugleich schmelzender. Das Getreidige der Hafercrème und des Haferbällchens werden vom angegossenen Sud wunderbar eingebunden, wobei dieser aus Tomatensaft und Öl besteht und zuvor im Espressokocher mit Kamille aromatisiert wurde. Die Sellerieblätter steuern außerdem grüne, etwas adstringierende Noten bei, die als beigemischte Akzente gelegen kommen. Erfrischend wirkt der separat gereichte Jakobsmuschel-Rogen mit Zitrus-Nage und Passepierre, der unsere Papillen immer mal wieder erfrischt. Ein abwechslungsreiches und komplexes Gericht, das wieder leicht die Grenze zur Überfrachtung mit einzelnen Elementen streift.

Nach diesen intellektuell durchaus anspruchsvollen Gängen folgt mit Felsenrotbarbe, grünem Spargel, Morcheln und Bärlauch ein zugänglicherer Teller. Hier zeigt sich bei aller Süffigkeit, dass Prüßmanns Kreativität auf einem hochentwickelten Verständnis der klassisch-französischen Küche basiert. Seiner Sauce Hollandaise verhilft er durch die Beigabe von Mandeln zum Besonderen und beugt jeglicher Gefälligkeit durch das leicht Bittere des Salates vor.

Wer kennt sie nicht, die familiären Streitigkeiten um die knusprig-würzigen Teile vom Braten oder um die Haut des Geflügels? Beim knusprigen Schwein mit Kichererbse, rotem Curry und Yam bekommt jeder Sternefresser seine knusprige Beute ab, wodurch der Küchenchef größere Auseinandersetzungen verhindert. Das knusprig-salzige Fleisch ist zum ausgebackenen Kichererbsenbällchen und dem Couscous eher gleichberechtigte Würze denn Hauptdarsteller. Die Sauce aus roter Currypaste und Purple Curry gerät aromatisch sehr intensiv – vielleicht sogar etwas zu intensiv. Mental und geschmacklich verlassen wir mit diesem Gericht jedenfalls die Schwabenmetropole gen Orient – kulinarische Weltläufigkeit, wie sie uns gefällt.

Die im Traubenkernöl gegarte Taubenbrust mit jungen Erbsen, schwarzem Rettich und Gänseleber wird schon nach wenigen Happen einmütig zur Götterspeise erklärt. Äußerst schlüssig empfinden wir die Ergänzungen um das tolle Hauptprodukt herum: Für das süßliche Mundgefühl sorgt die süddeutsche Dampfnudel, gemüsig-grüne Frische bringen die Erbsen und ihre Sprossen ins Spiel, die Sinneseindrücke sauer und bitter verantwortet der schwarz eingelegte Rettich. Vertieft wird die ohnehin schon göttliche Taube von der gebratenen Leber, besonders aber von den intensiven Innereien. Prüßmanns leicht provokanter Beitrag zum nose to tail eating unterstreicht durch Präsentation der Taubenkrallen den Willen zur Außergewöhnlichkeit. Fast ein wenig enttäuscht sind wir, dass der Service uns als kritischste Gästereaktion lediglich von einem „Die sind ja gar nicht lackiert!“ erzählen kann.

Das Kirschsorbet mit Milchschaum stimmt uns auf die folgenden Desserts ein – die kühle Erfrischung kommt nach den sehr würzigen Hauptgerichten mehr als gelegen.

Das Dessert Banane und Petersilienwurzel mit Blutorange, Paranüssen und Mascarpone macht mit den auf dem Teller fixierten und mit Ivoire-Schokolade bestäubten Türmchen optisch einiges her. Einen kräuterigen Touch bringt die Petersilie ein, welche die Türme umspült, wobei die Kombination von Petersilie und Banane das Beste an diesem Gericht ist. Insgesamt fehlt uns Biss, außerdem wirkt die Dominanz der Banane schon nach dem ersten Löffel zu mächtig.

Mit Rhabarberkuchen ohne Boden, Erdbeeren und Mandelcrumbles (unten) lässt die Pâtisserie den Abend langsam ausklingen. Auch wenn die Erdbeerzeit bei unserem Besuch noch etwas entfernt liegt, bekommen wir eindrucksvolle und Sommer verheißende Exemplare serviert. Ein schönes, leichtes Dessert, dem mit Gugelhupf mit Rum, Vanillesahne und Kokosnußcrème eine herrliche Petitesse folgt.

Bei der abschließenden und verlockenden Pralinenauswahl kapitulieren wir zunächst, lassen uns aber gerne ein kleines Doggy bag packen.

Der Stafettenwechsel von Bernhard Diers zu Sebastian Prüßmann (2.v.l.) hat kulinarisch gut funktioniert, wenngleich wir eine angemessene Verabschiedung und mediale Honorierung des langgedienten Chefs vermisst haben.

Doch zum Status quo: Sebastian Prüßmann wurde von großen Lehrmeistern geschult und kann hervorragend kochen – das war uns bewusst. Seine beinah ungezügelte, durchdachte Kreativität kannten wir in dieser Form jedoch noch nicht. Dennoch wirken manche Kreationen seiner späten Sturm-und-Drang-Phase mitunter etwas zu forciert – hier und da würde etwas mehr Fokussierung und Reduktion die Gerichte sicherlich noch verbessern. Wir sehen hier einen Koch, der brennt und mit seiner interessanten Entwicklung definitiv noch nicht am Ende ist.

Das Serviceteam unter der Ägide von Restaurantleiterin Thalisa Bernthaler (links) agiert angenehm bodenständig und mit einer vorbildlichen Prise Humor sowie Herzlichkeit. Die Weinbegleitung kam hingegen nicht ohne kleinere Hindernisse aus – zwar bot sie einige interessante Tropfen, die für sich gut schmeckten, jedoch nicht immer wirklich gut mit dem Essen korrespondierten.

Kurz vor der Veröffentlichung dieses Berichtes erreicht uns die Meldung, dass das Gourmet-Restaurant im Schlossgarten zum 26. August erneut umziehen wird – und zwar zurück in die alten Gefilde der Zirbelstube. Wieso dies der AHGZ einen Artikel wert ist, bleibt fragwürdig, dennoch freuen wir uns insgeheim, dass dieses charaktervolle und durchaus liebgewonnene Traditionsrestaurant weiterhin bespielt wird. Gerade der Kontrast von Prüßmanns innovativer Küche und dem Ambiente wird hoffentlich für zusätzliche Spannung sorgen...

Fazit

Sebastian Prüßmann bietet eine spannend-innovative Küche, die den Gast durchaus fordert, aber den Geschmack als wichtigstes Kriterium nicht aus den Augen verliert. Noch lässt sich das beeindruckende Niveau einiger Gänge nicht durchweg halten, aber man spürt, dass sich hier etwas Großes entwickelt.

Eure Meinung?

Begrüßt Ihr den Umzug des Restaurants zurück in die Zirbelstube?

 

WEINE

735 Jacquesson Champagner

2011 Pouilly-Fumé, Domaine de Berthiers, Jean Claude Daguenau, Loire

2008 Vols I, Weingut Vols, Mosel

Saft aus Sellerie, Ananas und Peperoni

2010 Bourgogne Blanc, Henri Boillot, Burgund

2009 Iphöfer Kronsberg, Silvaner Spätlese, Weingut Wirsching, Franken

2002 Judokus, Riesling, Kerner, Grauburgunder Weingut Drautz Able, Württemberg

2005 Ihringer Winklerberg GG, Spätburgunder Weingut Stigler, Baden

2005 Les Plus de Vinomelie, Jean Luc Maldant Burgund

Fressfreunde

Kulinarisches Interview

"Nochmals eine Weiterentwicklung zur 'Villa Hammerschmiede' und ein sehr sympathischer Küchenchef - weiter so!"

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