Restaurantkritik 15.Februar 2015

Plötzlich Chef am Herd

Betrachten wir Restaurantbesuche als kleine Fluchten aus dem Alltag, setzt die Villa Rothschild durchaus Maßstäbe. Die Hektik des stets pulsierenden Frankfurter Hauptbahnhofs lassen wir schnell hinter uns und erreichen nach 35 Minuten schweißtreibender Fahrt mit der Hessischen Landesbahn Königstein im Taunus. Kurz danach stehen wir endlich einmal wieder vor der von einem herrlichen Park umgebenen Villa – und können durchatmen. Das historische Ambiente und das Flair "großer Politik", die hier schon stattfand, machen immer wieder Eindruck. Wunderbarerweise spielt diesmal auch das Wetter mit, und die Tische sind an diesem Sommertag auf der Terrasse eingedeckt. Im etwas in die Jahre gekommenen gediegen-edlen Wintergarten-Restaurant wird uns – gerade bei den Stuhlhussen – immer ein wenig blümerant. Gewiss bergen Essen und Wein im Freien für den Genuss ein paar Tücken – aber bei dem Fernblick über den Taunus und auf die Frankfurter Skyline nehmen wir das gerne in Kauf. 

Unser Besuch hat in erster Linie einen personellen Hintergrund: Nach zehn Jahren verkündete Christoph Rainer im März 2014 überraschend seinen Abschied, um eine Auszeit vom Herd zu nehmen (demnächst geht er im Frankfurter „Tigerpalast“ wieder an den Start). Küchenchef in der Villa wurde Rainers langjähriger Souschef Christian Eckardt: Der gebürtige Freiburger, Jahrgang 1982, genoss eine Ausbildung im Hotel Bareiss in Baiersbronn und kochte danach für Claus-Peter Lumpp im "Bareiss".  Nach Stationen im Wolfsburger "Aqua" und bei Andreas Caminada im "Schloss Schauenstein" kam er 2011 in die Villa Rothschild (Eckhardts Lebensgefährtin ist übrigens Sarah Henke, ehemals „Spices“ auf Sylt).

Mit der Menükarte in der Hand sitzen wir relaxed in der lauen Abendluft, sind bei aller Vorfreude aber auch in gespannter Erwartung. Denn trotz der offensichtliche Vorteilen einer direkten Zepterübergabe – Kontinuität und eingespielte Abläufe in der Küche – fragen wir uns, ob es Christian Eckardt gelingen wird, sich vom Vorgänger zu emanzipieren und eigene Akzente zu setzen.

Aber schon die von seiner badischen Heimat inspirierten Apéros, Flammkuchen, Schäufele, Fleischküchle und moderne Maultasche, lassen uns aufhorchen und -schmecken: Hier interpretiert ein guter Koch Regionalküche meisterlich. Beim Schäufele gibt es eine Art Sauerkrautmacaron mit Sauerkrautcrème, das Fleischküchle ist als grandioses Tatar entschlackt, und die Maultasche kommt gar ohne Nudelteig aus.

Beim Amuse, King Crab (mariniert), Shiso, Kopfsalat und Rettich, kommt der Kopfsalat als Sphäre daher, und auch sonst bleibt diese Kleinigkeit auf der frisch-grünlichen Seite. Es dürfte ein wenig mehr Krabbe dabei sein; so bleibt es geschmacklich etwas blass.

Mit Entenstopfleber (Marbré und Praline), Clotted Cream, Rooibos-Tee und Salzbutterbrioche erreicht uns ein typischer, aber dann doch wieder leicht vom Kanon der süßlich gehaltenen Foie-gras-Variationen abweichender Gang. Es gibt die klassische Cremigkeit, Süße und Frucht, aber gerade die herbe Aromatik der Praline bringt einen Gegenpol ins Spiel. Für Abwechslung und Originalität sorgt die in das Gericht integrierte „English Tea Time“ aus Clotted Cream und Tee. Sehr gut. 

Beim Bigeye Tuna (roh und gebeizt), Hass-Avocado, Salatgurke und geeistem Wasabi fällt uns bei allem Zwiespalt eines Thunfisch-Gerichts als erstes die ausgesprochen gute Fischqualität auf. Geschmacklich besonders gut zum Tragen kommt allerdings der gebeizte Anteil. Für sommerliche Frische sorgen die Gurke und das Eis, welches das Gericht mit gut abgestimmter Wasabi-Schärfe aufpeppt, während die Avocado für ein fettig-cremiges Mundgefühl sorgt.

Die Norwegische Jakobsmuschel mit geröstetem Pulpo, Minestrone und Lardo hat die Küche zwischen Fischgang und Suppe angesiedelt.  Auch geschmacklich sind wir hin und her gerissen: Für einen Fischeintopf fehlt die substanzielle Basis, gleichzeitig will die Jakobsmuschel in die traditionelle italienische Gemüsesuppe nicht so recht hineinpassen.

Sehr gut gelingt Eckhardt beim Bretonischen Steinbutt, Blumenkohl „polnisch“, Eier-Kaviar und Petersilie die Dekonstruktion der deftigen Blumenkohl-Zubereitung zum ausgezeichneten Fisch. Das Ergebnis wirkt leicht und ist geschmacklich transparenter als das Original, ohne aber die Originalzutaten zu meiden. Hier vereint sich eine klassische Süffigkeit mit zeitgemäßer Leichtigkeit zu einem durchweg schmackhaften und gut austarierten Fischgang.

Das Limousin-Lamm mit Garam Masala, Curry-Blättern, Bulgur und Cashew-Nüssen fächert ein Aromensprektrum von Europa über Nordafrika bis in den Orient hinein auf. Was bei der Hitze ferner Länder auf den Tisch kommt, kommt auch uns an diesem lauen Sommerabend gerade recht. Orientalische Gewürze sind immer ein schwieriges Feld, da sie schnell zu penetrant wirken. Hier aber gelingt der Balanceakt, da die Proportionen und Dosierungen optimal abgestimmt sind. Es schmeckt exotisch, aber trotzdem fein. Da sehen wir auch fast darüber hinweg, dass das Fleisch einen Hauch übergart wurde.

Unser Zuckerbäcker-Held des Jahres 2013, Pâtissier Benjamin Kunert, ist zum Glück weiterhin im Küchenteam der Villa Rothschild tätig. Ein Meister seines Fachs, bei dessen Kreationen der Begriff Süßspeise zu kurz greift. Zum Auftakt der Desserts fungiert Buddhas Hand (geeist und kandiert) mit Tamarindengel, Thaimango und Jasmin-Ganache mit feinen Zitrusnoten als erfrischendes Pré-Dessert. Die außergewöhnliche Form der asiatischen Zitrusfrucht wurde gekonnt wieder hergestellt, besonders gelingt neben der Optik die Balance der Fruchtsüße der Mango und der Tamarinden-Säure. Hervorragend belebt wird der Teller von einer gewissen Exotik durch Jasmin.

Eine fast völlig neue Geschmackswelt eröffnet sich uns bei Heuballen (Sphäre und Crème), Brennnesselsüppchen, Waldfrucht und geräuchertem Knusper. Die geschmacklich zwischen Kräuterinfusion und frisch gemähter Almwiese changierenden Strohnoten werden wunderbar von den grünen und leicht scharfen Akzenten der Brennnessel und der leichten Fruchtsäure der Beeren ergänzt. Außergewöhnlich erweitern die Rauchnoten dieses Dessert. Stark.

Von drei bemerkenswerten Desserts ist abschließend Tagetesblüteneis und Tee, Aprikosenkompott, Paprika und Safran der primus inter pares. Die fruchtig-süße und leicht scharfe Kombination nimmt uns sofort für sich ein. Die Paprika fügt sich derart passend und schlüssig mit der Aprikose ins Dessert ein, dass wir die Frage nach der Notwendigkeit von Gemüse im Dessert einmal mehr klar bejahen können – sofern ein Meister damit umzugehen versteht. Ein wenig Knusper, ein paar grüne Noten sowie ein perfektes Eis mit zitronigem Geschmack dazu – und schon denken wir auch heute noch gerne und oft an dieses exzellente Sommerdessert zurück.

Und auch die durchweg köstlichen Petits Fours verleiben wir uns ohne Rücksicht auf die eh unerreichbare Copacabana-Traumfigur ein: Trüffelmacaron, Karottenkuchen mit Orangenblüte, Mais in Texturen, Zitronenverbene am Stiel und Piña-Colada-Shot.

Wir erlebten ein sehr gutes Menü, bei dem Christian Eckhardt schon nach recht kurzer Zeit der Alleinverantwortung durchaus belebende und eigene Akzente setzte. Seine Kreationen sind angenehm leicht, profitieren von schönem Säurespiel und erreichen in den besten Momenten durch kleine Pointierungen Abweichungen vom Erwartbaren. Nicht umsonst verteidigte er mit seinem Team die zwei Michelin-Sterne, die seit 2011 über der Villa leuchten, und wurde vom Gault Millau mit 18 Punkten zum Aufsteiger des Jahres 2015 gekürt.

An mancher Stelle im Menü wünschten wir uns dennoch etwas mehr Mut zu Experimenten und einen etwas klareren Fokus, wie es etwa bei den äußert pointierten regionalen Snacks zum Auftakt sowie bei den einprägsamen Hauptgerichten (und den erstklassigen Desserts) der Fall ist. Das Mehr an Individualität kann für uns gerne auch zu Lasten der üblichen – und austauschbaren – Litanei internationaler Luxusprodukte gehen. 

Aus der umfangreichen Weinkarte begleitet Maître und Sommelier Benjamin Birk mit seinem Team das Menü mit Verve und Enthusiasmus. Den Stil des Mannes mit Format lobten wir schon bei unserem Besuch seiner vorherigen Station, der Villa Hammerschmiede, und halten das damalige Urteil – präsent, aber nicht penetrant, gelassen, aber nicht lässig – unbedingt so weitermachen.

Fazit

In der Villa geht was! Christian Eckhardt kocht als neuer Küchenchef souverän auf und überzeugt mit fein abgestimmten, durchweg wohlschmeckenden Gerichten. Die stärkere Schärfung des individuellen Profils, da sind wir sicher, wird nicht lange auf sich warten lassen.

Umfrage

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Wein

Champagne Charles Dufour, Bulles de Comptoir #2, Extra Brut

2002 Pinot Gris „Clos Windsbuhl“ Vendage Tardive, Domaine Zind-Humbrecht, Elsass

2010 Riesling Kabinett feinherb Schieferkristall. Weingut Karthäuserhof, Mosel

2010 Patriot blanc, Domaine L’Horizon, Frankreich

2011 Pinot blnac Grosse Lage Kapelle, Weingut Heitlinger, Baden

1999 Vina Tondonia Reserva, R. Lopez Heredia, Rioja

2008 Vouvray Moelleux, Domaine Foreau, Loire

2012 Sauvignon Blanc Auslese, Heilbronner Stiftsberg, Wurttemberg

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Benjamin Birk

1. Anzahl der Positionen?
800 Positionen

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Deutsche Rieslinge und Bordeauxs – natürlich mit dem Schwerpunkt Rothschild.

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
2013 Riesling Kabinett Schloss Vollrads für 29€
1982 Magnum Mouton Rothschild mit persönlicher Signatur von Moniseur Eric Rothschild für 8.200 €

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
Bodegas Porcellanic aus dem Penedes 

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?2010 Chardonnay Schlossberg R vom Weingut Bernhard Huber

6. Ihr Lieblingswein?
Josten & Klein. Sie machen Weine an Mittelrhein und Ahr und haben einen umgemein spannenden Sauvignon Blanc und tolle Rieslinge.

7. Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Im Moment 2010 Riesling Idig von Christmann aus der Pfalz: Fleischigkeit, Würze, Mineralität und eine tolle Säurestruktur – so macht ein Wein Spaß!

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
Das war während meiner Lehre im Schlosshotel Kronberg. Zwei Asiaten wollten zum stolzen Preis von 8000 DM eine Flasche Louis XIII Cognac in der Bar trinken. Die Herausforderung war, dass sie Pepsi Light dazu wollten, so dass ich 4 Tankstellen abgrasen musste, bis ich eine 1,5 l Pet-Flasche fand. Es hat sich gelohnt – wir erhielten 1000 DM Tipp!

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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