Restaurantkritik  5.März 2015

Wenn der Postbus zweimal hupt

Gemeinhin sind die Kitzbüheler Alpen für das gewagte Hahnenkamm-Rennen, Charity-Golf-Turniere mit Kaiser Franz und illustre Bergkonzerte des Lokalmatadors Hansi Hinterseer bekannt, die jedes Jahr Tausende von Touristen, aber auch Einheimische in ihren Bann ziehen. Wir sind in diesem Zusammenhang etwas anders motiviert unterwegs und haben ein kulinarisches Ziel ins Auge gefasst: Kirchberg in Tirol, das nur einen Schneeballwurf vom bekannten Skiort Kitzbühel entfernt liegt. Uns lockt eine Reservierung bei Simon Taxacher

Der Enddreißiger absolvierte 1993 die Hotelfachschule Villa Blanka in Innsbruck und übernahm im Jahre 2000 nach Stationen bei Jörg Wörther, Lisl Wagner-Bacher und Wanderjahren im Ausland, die Verantwortung für das elterliche Restaurant Rosengarten. Seitdem hat sich eine wahre Evolution rund um den Gasthof der Familie, das Hotel Taxacherhof, vollzogen. Nach dem Facelift des Restaurants 2004 folgte alsbald der ersehnte Stern im damals noch aktiven Guide Michelin, 2009 folgte der zweite Macaron. 

Seit 2010 lässt sich die stete Entwicklung auch von außen ablesen: Um das typisch alpine Stammhaus seiner Eltern baute Taxacher sein Hotel Rosengarten herum. Das hört sich abgefahren an und sieht genauso aus. Seit 2014 wird der Rosengarten in der österreichischen Ausgabe des Gault Millau mit 19 Punkten geadelt, ist also in die Speerspitze der Alpenrepublik aufgestiegen. Und damit dürfte der akribische wie enorm ehrgeizige Küchenchef noch nicht zufrieden sein... 

Herauszufinden, ob sich ein Umweg über Kirchberg oder gar eine eigene Reise abseits von sportlichen Aktivitäten lohnt, ist unser Ziel, als wir das Restaurant betreten. Das nüchtern-sachliche Design in Braun- und Beigetönen, fern von uriger Stubengemütlichkeit, strahlt bei aller schlichten Eleganz und allem Purismus eine gewisse Kühle aus.

Als uns die Apéros erreichen, wird uns angesichts des hohen Niveaus jedoch direkt warm ums Herz. Abgesehen von einem eher unauffälligen Schnittknoblauch-Cracker begeistern uns die Schmankerl, die Tiroler Produkte mit mediterranen Aromen aufpeppen, mit ihrer exemplarischen Qualität: Bei der Melonengazpacho harmoniert die süße Fruchtigkeit hervorragend mit den herben Pulpo-Stücken, und bei der Kabeljauzunge mit Blutwurst korrespondieren intensiv-fischige Noten bestens mit der rauchigen Substanz von Bluwurstbröseln und Speck sowie mit Birne. Als köstlicher Hammer entpuppt sich das konzentrierte Schmoraroma der Lammzunge zusammen mit der süßen Würze der begleitenden Paprika. Auch die Crème-Steinpilze mit Salbei und das hervorragende, süß-sauer-cremige Kalbsrahmbeuscherl mit Griesknödel gelingen der Küche süffig und dabei fein. Ein furioser Auftakt!

Danach steigen wir mit Flusskrebs, Fenchel und Gartengurke leichter und erfrischend ins Menü ein, was dramaturgisch bestens passt. Die Verbindung von Koriander, Fenchel und Gurke zum Schalentier erweist sich als kulinarisch sinnvoll, weil jedes Element sorgfältig und separat mariniert oder gegart wurde. Hier trifft eine dezente Würzung auf passende Fruchtigkeit und ein akzentuiertes Säurespiel, wodurch alles transparent und natürlich, aber nie eindimensional schmeckt. Wunderbar.

Mit Foie gras, Feige und Taube nimmt die Küche dann wieder Tempo auf. Die gute, durchaus kompakte und herbe Gänseleberzubereitung mit einem eingearbeiteten säuerlichen Gelee wird von einem Stück gebratener Taube mit eigener Jus und Feige in diversen Zuständen begleitet. Hinzu kommen Walnuss, Brioche und hervorragende Streifen von roher, marinierter Taube, die wie bester Schinken schmecken. Das Ergebnis hat nichts mit der belanglos-süßen Fröhlichkeit vieler Foie-gras-Zubereitungen gemein, sondern ist aromatisch eher dunkel-intensiv angelegt. Das ist durchaus herausfordernd und gefällt uns nicht nur aufgrund dieser Abweichung von der Norm ausgesprochen gut. Ein toller Gänseleber-Gang.

Optisch wirkt der Teller mit der bretonischen Rotbarbe mit Mangoldwuzel und Miso überfrachtet. Der ausgezeichnete Fisch, bei dem nur das eine oder andere Salzkorn zu viel stört, wurde auf der Haut gebraten, so dass die Schuppen aufpoppten. Begleitet wird er von rohen Streifen, Fischjus, Kartoffeln, Topinambur, Mangold, Knoblauch und einer reichhaltigen Crème. Das schmeckt allein durch Natürlichkeit und Produktnähe alles nicht schlecht, aber wir fühlen uns durch die schiere Menge der versammelten Produkte beim Aufschlüsseln dieses recht mächtigen Gerichtes überfordert.

Wesentlich schlüssiger präsentiert sich als nächster Gang der Carabiniero mit Kerbelknolle und Sauerampfer. Die Süße der roten Riesengarnele  passt sehr gut zur Nussigkeit des zu Recht auch als Erdkastanie bezeichneten Gemüses. Speckwürfelchen lassen dem Gericht würzige Intensität angedeihen, die vom Potpourri jahreszeitlichen Gemüses und der Säure des Sauerampfers gut aufgefangen wird. Eine gelungene Fusion des weitgereisten Protagonisten mit der heimischen Region des Kochs.

Als hätte die Küche unsere Gedanken antizipiert, geht sie nun etwas vom Gas und schiebt mit Karotte "alte Sorte", Avocado und Schafsjoghurt einen Gemüsegang zur "Erholung" ein. Ein Teil des Doldenblütlers wurde im Vakuum gegart, ein weiterer im Salz. Im Zusammenspiel mit gekochtem Dinkel und kleinen Pilzen als Fundament, etwas Rübe fürs Herbe, Kaviar als Salzersatz und einem Cremigkeit und Säure spendenden Ziegenkäse entsteht ein knackiges, erdiges und gemüsig-frisches Gericht, das von einer intensiven Karottenreduktion eingefasst wird. Sehr pur, sehr fein.

Die Schleihe aus dem Millstätter See wird in einem leichten, ungebundenen Sud aus Bachbunge, einem an Gewässern wachsenden und geschmacklich kresseartigen Wildkraut, und mit Grieben serviert. So erhält der milde, texurell zwischen zart und weich schwankende Fisch eine leicht grüne Nuance und Röstnoten, ohne selbst gebraten worden zu sein. Das schmeckt sehr gut. Sensationell wird es, wenn wir uns vom weiteren Teller bedienen, auf dem sich Teltower Mini-Rübchen als gegartes Gemüse sowie darüber gehobelte Erdnavette und Chrysanthemen-Blüten befinden. Die  bitter-süßen und floralen Eindrücke und ein volles Mundgefühl aus Cremigkeit und Biss komplettieren das Gesamtbild. Eindrucksvoll steigert sich so das Geschmacksbild im Verlauf auf ein neues Niveau. Ebenso natürlich wie grandios!

Ibérico Presa mit Schwarzwurzel und Brennnessel ist der Einstieg in die Fleisch-Gänge des Menüs, bei dem ein wenig Schweinekinn den ohnehin schon köstlichen Geschmack des Fleisches aus Andalusien noch stärker betont. Zurück in Tiroler Gefilde holen diesen fokussierten und stimmigen Gang die Erdigkeit, die Schärfe und die Säure, die sowohl von Schwarzwurzel in verschiedenen Texturen und Garungen als auch von Brennnesselblättern und -ravoli ausgehen. Ganz hervorragend.

Gut, dass wir erst am nächsten Morgen beim ausgezeichneten Frühstück die scheuen Tiere auf der Lichtung gegenüber beobachten konnten: Mit dem Reh aus der Jagd in den Kitzbüheler Alpen kehren wir dann auch beim Fleisch in die heimische Produktwelt zurück. Dem hervorragenden Wildbret stehen Kohlrabi und Navetten –  sowie geräucherter Hüttenkäse und Steinpilz-Stücke zur Seite. Das verbindende Element zwischen dem Fleisch und den kohlig-knackigen Begleitern ist hierbei der Hüttenkäse. Der insgesamt eher dunklen Aromatik dieser Kombination wird mit der Süße einer tiefgründigen Sauce und der fruchtigen Säure von Japanischer Weinbeere ein sinnvoller Gegenpol hinzugefügt. Das schmeckt ausgesprochen gut und natürlich und mit einer begeisternden Selbstverständlichkeit einfach schlüssig.

Das Thema Wald lässt uns auch beim Dessertauftakt nicht los: Die erdig-herben Waldaromen von Wipfel in Form von Latschenkiefer, Topinambur und diversen frischen Kräutern gefallen uns bei der Nachbildung eines Tannenzapfens mit geeistem Heumilch-Inneren sehr gut. Knackige und notwendige Säurespitzen setzt darüber hinaus Stachelbeere. Dieser feinherbe Start in den süßen Teil des Menüs ersetzt aromatisch einen frühabendlichen Waldspaziergang. 

Bei der Variation von Kirsche mit Kaffee und Sauerklee stehen die unterschiedlichen Kirschzubereitungen für frisch-fruchtige Süße und Säure, die durch die leicht bittere Kaffecrème gut abgefedert werden. Ein à part gereichtes Schokoküchlein mit Kaffeeschaum gibt dem Ganzen einen voluminöseren Unterbau. Jahreszeitlich im Spätsommer angesiedelt, ist dieses Dessert leicht, frisch und sehr gut.

Keine Sekunde nach dem Annoncieren der Petits Fours siegt bei einem von uns das Kind über den Mann, und schon verschwindet der Passionsfrucht-Kaugummi genüsslich im Mund. Für den zweiten bleiben dann noch Bananensplit, fermentierter Eistee, Champagner-Trüffel-Lolly, Zitronen-Basilikum-Macaron, saurer Apfel und Salz-Erdnuss-Cracker. Welch eine exzellente Zusammenstellung!

Simon Taxacher (3.v.l.) fährt eine überzeugende Mischung aus Regionalität und internationalen Produkten, wobei er letztere nachvollziehbar mit seinem hohen Qualitätsanspruch erklärt, der nicht immer vor der eigenen Haustür zu befriedigen sei. Viele Gemüse stammen von einem engagierten Bauern, und wenn der Postbus zweimal an der Haltestelle Taxacher hupt, dann hat ein Fischer vom Millstätter See wieder prächtige Exemplare unkonventionell auf die gekühlte Reise geschickt.

Dadurch, dass seine Küche auf einem von französischer Klassik geprägtem Fundament fußt, aber dann in spannende und interessante, durchaus regional inspirierte (Gemüse-)Zusammenhänge gesetzt wird, entsteht ein klarer und natürlicher, ja sauberer Geschmack mit deutlich individueller Note. So gewinnt er eher mediterran verorteten Produkten wie Carabiniero oder dem Ibèrico-Fleisch und auch der klassischen Gänseleber auf ausgezeichnete Weise neue Seiten ab, trumpft in unseren Augen dann aber bei lokaleren Hauptdarstellern wie der Schleihe und dem Reh noch stärker auf. Uns gefällt die Natürlichkeit dieser entwickelten Regionalküche, die ohne große Manipulation am guten Produkt und ohne Texturgeber auskommt, ausgesprochen gut.

Für Freunde österreichischer Weine ist die Weinkarte eine wahre Fundgrube und listet einige Schätze auf. Die Weinbegleitung von Sommelier Andreas Katona (links) stieß bei uns auf große Zustimmung, wenngleich wir nicht verhehlen wollen, dass wir uns gerade über die österreichischen Gewächse am meisten gefreut haben. Das von uns anfangs als kühl empfundene Interieur macht der locker-herzliche, aber stets korrekte Service mühelos wett. Das recht kleine Serviceteam um Sandra Kobald trägt eine Art Loden und Sneakers, ist somit fix unterwegs und mit fachlicher Kompetenz natürlich stets zur Stelle.

Fazit

Hier möchten wir gerne öfter aus dem Postbus steigen. Auch ohne Skier, Golfbag oder Wanderschuhe lohnt sich der Weg nach Kirchberg in Tirol. Natur direkt vor der Tür, natürliche und individuelle Aromen sowie begeisternde und spannende Gerichte auf dem Teller – was will man mehr?

Wein

Billecart-Salmon Brut Rosé 

2012 Gewürtztraminer "Les Pucelles", Domaine Julien Meyer, Elsaß 

2010 Chardonnay "Black Edition", Weingut Ebner-Ebenauer, Weinviertel

2010 Fontanasanta Nosiola, Elisabetta Foradori, Trentino–Italien

2012 Riesling Rausch, Großes Gewächs, Weingut Forstmeister Geltz Zilliken, Saar

2006 Ex Vero II, Weingut Werlitsch, Südsteiermark

2008 Vieilles Vignes, Domaine Gauby, Côtes du Roussillon 

2010 Domkapitel, Weingut Christian Tschida, Neusiedlersee 

2006 Minéral Grand Cru, Blanc de Blancs, Agrapart & Fils, Avize, Champagne

1991 Ruster Ausbruch, Weingut Markus Fischl, Neusiedlersee-Hügelland

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Andreas Katona

1. Anzahl der Positionen
Ca. 700 Positionen

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Der Schwerpunkt liegt mit Sicherheit auf Österreich, aber Frankreich und Deutschland spielen bei uns auch eine ganz wichtige Rolle. 

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
2009 Ex vero Legoth (gemischter Satz aus sechs Rebsorten, Weingut Werlitsch, Leutschach - Südsteiermark, aus biodynamischen Erzeugung für 35 Euro
1996 Château Petrus für 3100 Euro

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
2013 Viodonia (Listan Blanco), Suertes del Marqués, Teneriffa - Spanien  

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Schwer zu sagen, da die Gäste im Moment die Weinbegleitung vorziehen, aber sonst würde ich 2010 Grüner Veltliner Hochrain von Peter Veyder-Malberg aus der Wachau sagen.

6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Das Weingut Georgium von Marcus Gruze, einem Quereinsteiger aber auch Pionier aus Kärnten (St. Georgen am Längsee), der nach biodynamischen Grundsätzen arbeitet und uns mit seinen Burgunder-Rebsorten von Schieferböden noch viel Freude bereiten wird. 

7. Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Im Moment trinke ich einfach gerne deutsche Rieslinge, von trocken über fruchtsüß bis hin zu den höheren Prädikaten (vor allem von der Mosel-Saar), aber auch weiße Burgunder. 

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
Damit haben mich die Gäste in meiner noch jungen Sommelierlaufbahn verschont ;)

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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