Restaurantkritik 23.Juli 2015

Zu neuer Blüte geführt

Andreas Krolik gehört zu jenen Köchen, bei denen wir das Glück hatten, die kreative Entwicklung ab einem relativ frühen Zeitpunkt zu begleiten. Als er 2011 im Brenners Park Hotel als weitestgehend Unbekannter auf sich aufmerksam machte, indem er den zweiten Stern erkochte, überzeugte uns sein klassischer, angenehm puristischer Küchenstil, bei dem es keine Einflüsse großer Lehrmeister zu überwinden gab – Krolik hatte nämlich keine. 

Mit dem Wechsel in den Frankfurter Tigerpalast im August 2012 legte er für unser Empfinden noch einmal eine Schippe drauf: Kroliks Kreationen wurden vielschichtiger und zugleich souveräner in ihrer Modernisierung klassischer Kombinationen. Kein Wunder, dass es alsbald auch dort zwei Sterne gab.

Seit dem Frühjahr 2015 leitet er nun die Geschicke im Restaurant Lafleur am Frankfurter Palmengarten. Im Tigerpalast wiederum tischt seither einer unserer Lieblingsköche auf: Christoph Rainer. Beide Restaurants gehören zum kleinen Gastro-Imperium der Tiger-Gastronomie, und nicht zuletzt den „Frankfurter Bub“ unter uns freut es sehr, dass man der lokalen Spitzengastronomie so beherzt Auftrieb verleiht.

Das Lafleur liegt wunderschön, der Gastraum ist luftig hoch, und der Blick durch die vollverglasten Außenwände auf sattes Grün wirkt wunderbar entspannend. Nicht ganz so entzückt sind wir auf den ersten Blick von der Einrichtung, die von einem recht grellen Lilaton geprägt ist. Aber es sei erwähnt, dass dieser auf den Fotos wesentlich dominant-bonbonhafter wirkt, als in natura. Allein der wie eine riesige Zunge sich durchs gesamte Lokal ziehende lila Teppich ist dennoch wenig elegant – warum lässt man nicht einfach den tollen Parkettboden zur Geltung kommen?

Sei's drum, wir nehmen an unserem Tisch auf einer der sehr bequemen, halbrunden Lederbänke Platz und studieren die beiden Menüs. Bemerkenswert: Andreas Krolik bietet neben einem herkömmlichen Menü auch ein veganes 6-Gang-Menü an. Dies ist unseres Wissens ein absolutes Novum in der deutschen Spitzengastronomie, und deshalb steht fest, dass wir zumindest ein paar Gänge daraus probieren müssen.

Zum Aperitif gibt es drei Kleinigkeiten: Paprika-Apfelwein-Süppchen mit Schneiders Ananasrenette sowie Frankfurter Grünen Kräutern und Ahle Worscht und daneben eine Handkäsecrème im Knusperteig mit Radieschen. Diese kleine Variation lokaler Spezialitäten gefällt uns schon mal sehr gut. Der Suppenshot ist fruchtig-würzig mit einem kräutrig-herben Finish, das "Käsekissen" im ersten Moment etwas zu dickteigig, aber in Kombination mit der kräftigen Füllung genau richtig.

Als Amuse dann eine Variation vom Seesaibling: konfiert, geräuchert, Tatar, Kaviar mit Wasabicrème und Senfgurke. Große Klasse, was Krolik hier aus dem hochfeinen, milden Fisch herauskitzelt. Je nach Darreichung schmeckt er geschmeidig, würzig, knackig. Dazu mit Crème und Gurke zwei Beigaben, die genau das richtige Maß an Frische und Schärfe haben, um die Papillen zu spitzen.

Der erste Gang des Menüs besteht aus marinierter Bio-Gänseleber mit grünem Spargel, Champignon, Schinkenpulver und Gänselebereis. Waren wir früher enorme Foie-gras-Fans, kann uns dieses Produkt vor allem als Terrine kaum noch begeistern – oft wirkt sie in dieser Form zu schwer, zu sättigend und auch eindimensional. Umso schöner die Überraschung, dass Krolik die Fettleber nicht in einen süßlichen, sondern eher herben Kontext stellt. Die leichten Bitternoten des Spargels, die Würze des Schinkens und die sanfte Erdigkeit der Pilze gehen großartig zur natürlichen Süße der marinierten Leber; besonders gut gefallen uns dabei auch die diversen Knuspereffekte. Ein hervorragender Foie-gras-Gang, bei dem wir uns dennoch fragen, ob er mit einem Stückchen gebratener Leber als Beigabe nicht sogar noch einen Tick besser wäre.

Auch die vegane Alternative begeistert: Der Gemüsesalat mit Chicorée, Karotten, Blumenkohl, Erbsen, fermentierter Yuzu und Samen ist ein Füllhorn an vollmundigen Gemüsearomen. In dem Abwechslungsreichtum an texturellen und geschmacklichen Eindrücken können wir schwelgen, und der dichte Jus lässt uns nicht einmal die sonst bei solchen Gemüsetellern übliche Butter vermissen. Ein Vergleich mit den Gemüsegerichten etwa im Hertog Jan oder im Frantzén fällt natürlich schwer, da man dort eben auch Butter oder leicht fleischige Fonds als Geschmacksverstärker verwendet, aber nicht nur als veganes Gericht ist Kroliks Version sehr, sehr gut.

Der lackierte Hamachi mit Dashi, japanischen Zitrusfrüchten, Pak Choi, Reiscrème und Enoki ist dann eine echte Umami-Bombe. Süffig bis zum Gehtnichtmehr, dabei durch die hauchfeinen Zitrusnoten schön leicht und durch die Reiscrème zusätzlich gaumenschmeichelnd. Allein beim Fisch selbst haben wir den Eindruck, dass ihm ein Minütchen weniger Garzeit besser getan hätte. Der sensationelle Sud gleicht das aber spielend wieder aus, und am Ende hätten wir fast einen Nachschlag verlangt...

Klassischer kommt die getauchte schottische Jakobsmuschel, gebraten und als "falscher" Jakobsmuschelraviolo, mit Zitronenconfit, Morcheltapenade, Erbsen und Haselnuss daher – ein Gang, der alles hat, was man zum Wohlfühlen braucht: die bewährt köstliche Kombination aus Erbsen und Morcheln, dazu ein handwerklich makelloses Muschel-Zweierlei und etwas Zitrus zur Auffrischung. Schmeckt richtig gut, bleibt aber nicht so nachhaltig in Erinnerung wie die vorherigen Gänge.

Ein absoluter Knaller sind dafür die Kartoffeln aus der Region mit Crème von geräuchertem Tofu, Gurken, Algen und einem Kartoffelsud mit Senfkörnern. Mal ehrlich: Fiel Euch beim Lesen oder Anschauen auf, dass dies eine vegane Komposition ist? Und wie oft gibt es in der modernen Sterneküche noch Kartoffeln auf den Teller? Das Image der Knolle wandelt sich hier von "deftig und sättigend" zu "elegant und finessenreich". Das liegt neben der hervorragenden Qualität und Garung (die Kartoffeln haben die perfekte Konsistenz: fest, aber geschmeidig und nicht bröckelnd) sicherlich an den originellen Beigaben. Die Mischung aus Algen, Tofu und Senfsud macht den Geschmack sehr dicht, während Gurken und Meeresträubchen mit helleren Noten gegensteuern. Aber man muss das gar nicht so sehr durchdeklinieren - es schmeckt einfach gut, verdammt gut.

Weiter geht es mit glasiertem Kalbsbries mit Périgord-Trüffeljus, Zwiebelschaum, Sellerie, Cipollini und Röstzwiebelcrunch. Auch dies ein klassisch komponiertes Gericht, das nicht zuletzt vom Wechselspiel aus würzig-süßlichen Elementen und erdigem Trüffel lebt. Spannend ist dabei, wie die Zwiebelvarianten die erdigen Noten des Trüffels aufgreifen. Und nicht zu vergessen das Bries, knackig im Biss, schmelzend am Gaumen und vor allem mit etwas Püree und Jus der pure Genuss.

Die vegane Alternative besteht aus Zwiebelgewächsen, braunem Zwiebeljus, Zwiebelschaum, schwarzer Schalotte und Röstzwiebelcrunch. Damit ist diese Kreation dem Briesgang recht ähnlich, wirkt aber mitnichten wie ein schlichtes "wir lassen einfach das Fleisch weg", denn das Rondell aus geschmorten Lauchteilen steht mit seiner Saftigkeit ganz für sich. Die diversen Zwiebelelemente haben zwar eine geballte Umami-Wucht, von der man bei so manchem Stück Fleisch nur träumen kann, aber auf Dauer wirkt das Ganze dann doch etwas gleichförmig, sowohl texturell als auch geschmacklich.

Als Einstimmung auf den Hauptgang lässt Krolik einen leicht gebundenen Rindfleischsaft mit Gänseleberravioli servieren. Diese unscheinbar wirkende Petitesse hat es in sich – die Teigtaschen zart und schmelzend, der Fond die reinste Umami-Wucht, dicht und seidig. Krolik verwendet hier schlichtweg den Saft, der beim Sous-vide-Garen aus dem Fleisch austritt - eine geniale Idee und eine Götterspeise im Kleinformat.

Als Hauptgang gibt’s dann Fleisch satt, ganz ohne vegane Variante: Gegrillte Tranche und gebackene Praline vom Wagyu, Jus mit geräucherter Paprika, Aubergine, Frühlingslauch, Spello-Bohnen. Vielleicht wurden wir durch die genialen Gemüsegänge des bisherigen Menüs „versaut“, aber hier gefallen uns die schön aufeinander abgestimmten Beigaben am Besten. Vor allem Aubergine und Spello-Bohnen würden wir in der Sternegastronomie gerne öfter essen. Etwas enttäuschend wirkt dagegen das Fleisch, das zwar gut und zart schmeckt, aber nicht so delikat, wie wir es von Wagyu erwarten. Darüber hinaus haben wir den Eindruck, das der einen oder anderen Tranche eine kürze Garzeit gut getan hätte. Immerhin hat die gebackene Praline eine wohltuende Schmorintensität. In Summe bleibt es ein ordentlicher, aber nicht herausragender Hauptgang.

Das Pré-Dessert aus Melone und Granité von süßer Zitrone und Verbene ist erfrischend, vielleicht einen Tick zu süß, aber dennoch gelungen.

Das Dessert besteht aus Délice von Rhabarber und Bio-Topfen mit Basilikum-Pistazieneis. Einmal mehr gelingt es der Küche hier, eine sehr klassische Kombination auf spannende und vor allem sehr köstliche Weise umzusetzen. Das Mini-Rhabarber-Topfen-Törtchen ist so fein und leicht, wie wir es selten erlebt haben. Die Balance aus Säure und Süße, aus Cremigkeit und Biss gelingt perfekt. Dazu ein paar ergänzende Elemente beider Zutaten sowie natürlich ein umwerfend gutes Eis. Kein kompliziertes Dessert, aber ein herrliches.

Und auch bei den Desserts gibt es eine vegane Variante: Mango, Kokos, gewürzte Macadamia und Limone kommt ganz ohne Butter oder Sahne aus, wirkt dadurch schön leicht, bekommt durch die fettreiche Nuss aber dennoch eine gewisse Fülle. Die exotische Fruchtvariation lebt von der hervorragenden Produktqualität, wobei die Aromen durch den Limonensud und das Eis auf verblüffende Weise verbreitert werden. Sehr gut.

Sehr gut auch die Petits Fours: Madeleine, Limonen-Ingwerstäbchen, weißes Nougat, Baileyspraline und die Pralinen: Grüner Tee, Vanille, Wasabi-Passionsfrucht.

Dieses Menü bei Andreas Krolik (Mitte) war von einer bemerkenswerten, durchgehend hohen Qualität. Im Vergleich zu unserem Besuch bei ihm im Tigerpalast vor anderthalb Jahren sahen bzw. erschmeckten wir eine nochmalige Festigung, wenn nicht sogar Steigerung. Seine Kreationen sind noch immer sehr vielteilig, wirken aber fokussierter und noch exakter abgestimmt – alles greift ineinander, die Proportionen stimmen, und alles schmeckt äußerst harmonisch, wobei nur sehr vereinzelt (bei den Zwiebeln und der Jakobsmuschel) so etwas wie Monotonie aufkommt. 

Besondere Erwähnung verdienen die veganen Kompositionen – etwas, was wir in dieser Art noch in keinem deutschen Spitzenrestaurant erlebt haben. Für den nächsten Besuch könnten wir uns durchaus vorstellen, dieses Menü komplett zu probieren.

Die geschmackliche Zugänglichkeit von Kroliks Kompositionen steht dabei in einem gewissen Kontrast zur exakt abgezirkelten, zuweilen beinahe grafisch anmutenden Anrichtung: Bei manchen Gerichten wirkte es, als habe man jedes einzelne Element mit Lineal und Pinzette auf dem Teller platziert. Das passt und funktioniert manchmal sehr gut (etwa bei der unwirklich perfekt aussehenden Gänseleber), aber zum Beispiel beim Salat dürfte es ruhig auch etwas "wilder" auf dem Teller zugehen. Das sind freilich rein ästhetische Details, die am exzellenten Geschmack nichts ändern.

Die junge Servicecrew unter dem lässigen Altmeister Miguel Martin agierte bei unserem Besuch angenehm unaufdringlich, ließ sich von uns aber durchaus in ein paar humorvolle Dialoge verwickeln. So gefällt uns das.

Fazit

Andreas Krolik gibt an seiner neuen Wirkungsstätte Vollgas und macht das Lafleur zu einem der besten Restaurants der Stadt.

Fressfreunde

Wolfgang Faßbender

"Angenehm unaufgeregter Küchenchef, der sich ernsthaft Gedanken macht über vegane Spitzenküche und andere Speisen. Zwei Sterne wert."

Küchenreise

"Die Küche schickt kreative, technisch tadellose und geschmacklich sehr überzeugende Gerichte, welche nach nur zwei Monaten an die Leistung im Tigerpalast fast nahtlos anknöpfen. Und da gibt es mit Sicherheit noch Potential für mehr!"

Wein

(Neu: Mit Notizen des Sommeliers)
NV Billecart-Salmin, Brut Rosé
"Ein wunderbarer Einstieg in den Lunch"

2012 Riesling Cuvée Weingarten, Kabinett trocken, Weingut Becker, Rheingau
"Fruchtig, trocken, floral"

2014 Weißburgunder & Chardonnay, Stückfass, Weingut Dönnhoff, Nahe
"Ein Wein mit großer Dichte, Fülle und nicht endender Länge"

2006 Graacher Himmelreich, Riesling Spätlese, Joh.Jos. Prüm
Feine Säure, Petrol in der Nase mit einen leichten Süßen Abgang.

2012 Meursault les Grand Charron, Michel Bouzerau, Bourgogne
"Feiner Schmelz mit buttrigen Nussaromen"

2012 Fellbacher Lämmler Bergmandel, Lemberger GG, Weingut Heid, Württemberg
"Weich und filigran mit leicht würzigen Noten"

2007 Château Rolland Maillet, Bordeaux
"Ein Wein mit Paprika-Note, Röstaromen und süßem Abgang"

2011 Silvaner Auslese, Weingut Anselmann, Pfalz
"Feine Säure mit dezenter Süße und Fülle"

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Miguel Martin

1. Anzahl der Positionen
1000 Positionen

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Nur Europäische Weine

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
Am preiswertesten: 2013 Riesling trocken vom Weingut Robert Weil im Rheingau für 39 Euro. 
Am teuersten: 2000 Château Lafleur aus dem Pomerol für 2280 Euro

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
1921 Château Cheval Blanc aus dem Bordeaux in der 6L-Flasche (auf Anfrage, ca. 70.000 Euro).

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
2013 Weißburgunder und Chardonnay von Hermann Dönnhoff (42 Euro)

6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
2011 Cuvee Max von August Kesseler im Rheingau (125 Euro)

7. Ihr Lieblingswein?
2000 Chevalier Montrachet von Leflaive aus dem Burgund, da ich ausgereifte Burgunder liebe und dieser hat es mir besonders angetan.

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
Nach so vielen Jahren Gastronomie, könnte ich diesbezüglich ein Buch schreiben. Kurios allerdings war, als ein Gast einen 1976 La Tache von der Romanée Conti ins Gefrierfach gelegt haben wollte. Ich habe es getan – da ist der Gast selber schul

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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