Restaurantkritik 22.September 2014

Kadeau – ein kulinarisches Geschenk?

Für das Frühjahr 2015 hat Michelin einen Guide angekündigt, der erstmals die Länder Skandinaviens in ihrer ganzen kulinarischen Bandbreite würdigen wird. Heißt: Neben den Metropolen, die bislang im Guide für die "Main Cities of Europe" abgehandelt wurden, finden nun auch Restaurants in der Provinz die angemessene Beachtung. Dafür wird es höchste Zeit, denn vor allem Dänemark und Schweden haben jenseits von Kopenhagen und Stockholm eine Menge zu bieten. 

Zum Beispiel das Kadeau auf der dänischen Insel Bornholm, das 2007 eröffnete und in Foodie-Kreisen längst Kultstatus genießt. Die Grundschulfreunde Magnus Kofoed, Nicolai Norregaard und Rasmus Kofoed (nicht zu verwechseln mit dem Geranium-Chef) machten aus einem alten Strandkiosk ein ambitioniertes Restaurant der Neuen Nordischen Küche – womit sie neben René Redzepi, Magnus Ek und Mathias Dahlgren zu den Pionieren dieses Küchenstils gehören.

Photocredits: Marie Louise Munkegaard

Ähnlich wie Magnus Eks früheres "Oaxen Krog" auf der schwedischen Insel Oaxen hat auch das Kadeau Bornholm nur während der Sommersaison geöffnet. Doch statt diese Einschränkung wie Ek durch einen Umzug in die Großstadt aufzulösen, eröffnete das Trio kurzerhand ein Zweitrestaurant: Das Kadeau Kopenhagen befindet sich in einer kopfsteingepflasterten Nebenstraße im beschaulichen Stadtteil Christianshavn, unweit des Noma.

Der Eingang ist unscheinbar, aber kaum hat man das Lokal betreten, spürt man die Aura der Behaglichkeit und Gastlichkeit, die dieser Ort ausstrahlt. Viel Holz, warme Farben, nostalgisch anmutende Deckenlampen und auf den blanken Tischen dicke Kerzen. An den komplett besetzten Tischen sind Jeans und Turnschuhe klar in der Überzahl. Wären da nicht der auffallend gut bestückte Weinschrank, der professionell wirkende Service und die vielen Mitarbeiter in der offenen Küche, könnte man sich auch in einem gemütlichen Stadtteillokal wähnen – und genau das dürfte auch die Intention der Betreiber sein. Im Laufe des Abends werden wir immer wieder merken, dass im Kadeau ein komplett entspannter Umgang herrscht, der ‒ anders als zum Beispiel im Noma ‒ auch nicht ansatzweise einstudiert wirkt.

Bleibt die Frage, ob das Essen mithalten kann…

Unser Menü beginnt mit einer Vielzahl an Snacks. Topinambur mit Seeigelcreme und Gelée von eingemachten Pfifferlingen ist ein toller, kraftvoller Auftakt: Die leichte Süße des knackigen Erdschockenröllchens wird von der Jodigkeit des Seeigels und der erdigen Würze des Pilzgelées wundervoll kontrastiert.

Ähnlich funktioniert die knusprige Topinambur-Schale mit Steinbutt-Rogen, welcher an der Innenseite der Chips haftet. Hier spielt zusätzlich der markante Texturkontrast eine Rolle. Sehr gut.

Das nächste Amuse wird als grüner Spargel und Schnittlauch annonciert – was nur die halbe Wahrheit ist, denn die krossen Hühnerhautbrösel und der Frischkäse tragen entscheidend zur Köstlichkeit dieses frischen, dezent würzigen Gaumenkitzlers bei.

Ungewöhnlich klingt dann dehydrierte Rote Bete mit Gelber Bete, Hefe und Emulsion von Brokkoli und Knoblauch – aber es funktioniert: Der Wasserentzug verleiht der roten Bete eine beinahe fleischige Textur und besänftigt den erdig-süßen Geschmack, das Puder aus Gelber Bete und Hefewirkt am Gaumen verblüffend voluminös; die Emulsion bringt Cremigkeit, leichte Knobischärfe und kohlige Süße.

Weniger spektakulär der knusprige Sauerteig mit Flechten. Solche Knusperstängelchen haben wir in Skandinavien inzwischen schon etwas zu oft gehabt, auch wenn sie hier mit am besten gelungen sind.

Die Streifen von gereifter, gesalzener Entenbrust bekommen durch das Puder von Strandrosen und schwarzer Johannisbeere eine ganz leicht fruchtsäuerliche Note – nett.

Herausragend die knusprige Ente mit eingemachten Pilzen: Hierfür wird ein Stück Entenhaut in einen unfassbar krossen Riesenchip verwandelt, dessen Unterseite mit einer Pilzcrème bestrichen ist. Das fleischige Umami der Haut und das konzentrierte Umami der Pilze machen diesen Snack zu einer Aromenbombe sondergleichen.

Als drittes Amuse von der Ente wird ein Entenherz mit Heu kräftig geröstet und mit einer Emulsion aus Kresse und Schnittlauchblüten serviert – ein sehr intensiver, vollmundiger Wuchthappen.

Auch im Kadeau wird lediglich eine Sorte Brot auf den Tisch gestellt, dafür aber ein sehr gutes: An diesem Brot aus Dinkel mit gewürzter Butter drohen wir uns noch vor Menübeginn satt zu essen.

Der erste Gang des Menüs besteht aus Kalmar, Auster, Petersilie und Wildkräutern – der zarte, aber dennoch bissfeste Kalmar bekommt durch die jodigen Austernstücke Geschmacksfülle, während Petersilie und Kräuter Aromentiefe verleihen. Ein in seiner Simplizität sehr gelungener Start.

Ebenfalls sehr gut der Kabeljau mit geröstetem Kohl, Rhabarber vom letzten Jahr und Zitronenverbene. Der sanft gegarte Fisch bringt viel Eigengeschmack, der von den säuerlich-frischen Aromen des Rhabarbers und der Verbene-Blüten wundervoll aufgefächert wird. Zugleich brechen diese Beigaben den leicht dumpfen Kohlgeschmack, der wiederum das Ganze in jeder Hinsicht "erdet". 

Danach gibt es Spargel in zwei Varianten gegrillt: frisch und fermentiert. Die kräftigen Röstaromen und die der leicht säuerliche Geschmack des fermentierten Spargels harmonieren prächtig mit der leicht süßen Waldmeisteremulsion und der leichten Säure des Schafsmilchjoghurts. Das Ergebnis ist ein sehr süffiges und zugleich ungewöhnliches Spargelgericht.

Klassischer wird es beim Steinbutt mit Muscheln, Sellerie, Molke und Hanf: Der geröstete, fleischige Butt mit der intensiven Meereswürze von ganzen Muscheln (versteckt unter dem Sellerie), der herben Süße von Sellerie (fermentiert und in Scheiben geschnitten sowie als Salz) und der cremigen Säuerlichkeit von Molke ergibt einen unkomplizierten Wohlfühlgang par excellence. Für einen gewissen Kick sorgt die feinwürzige Nussigkeit des Hanfs.

Typisch New Nordic sind die Frühlingszwiebeln mit Käse und roten Beeren vom letzten Jahr: Die gerösteten Zwiebeln gefallen uns gut, wenngleich die Teile etwas schwer zu schneiden sind; die rohen Segmente machen am Gaumen etwas Arbeit und schmecken recht "grün". Den Käse können wir nicht wirklich ausmachen, und warum die Beeren für den roten Sirup vom letzten Jahr sein müssen, bleibt ein Geheimnis  Aber sie bringen den nötigen Kick: Die fruchtige Süße ergibt mit der leicht bitteren Zwiebelsüße eine sehr schöne Harmonie. So wird es am Ende doch ein stimmiges Gericht.

Wie es seit geraumer Zeit schwer in Mode ist, werden die Hühnerkeulen als Hühnerfüße annonciert und samt Krallen auf den Tisch gestellt. Das sieht toll aus, aber der kulinarische Sinn erschließt sich uns nicht recht, da die Füße selbst nicht viel hergeben, anders also, als wir es aus Asien kennen. Das Keulenfleisch ist dafür umso besser. Fest und aromatisch, die Haut kross, leicht rauchig und relativ scharf und salzig gewürzt.

Zum Huhn gibt es Lauch, Bärlauch, Stachelbeersaft und gebräunte Butter: Lauch und Bärlauch als ziemlich intensives Gemüse, der Stachelbeersaft mit der Butter zu einer delikaten Sauce aufmontiert. Das hat alles eine hohe Intensität, die zum sehr würzigen Huhn aber auch nötig ist. Der "grüne" Fruchtton bringt wohltuende Frische und etwas Leichtigkeit.

Das erste Dessert besteht aus schwarzer Johannisbeere, Milch und Schwarzwurzel – und es ist hervoragend: die Beeren als exzellentes Püree und Gelee, die leicht erdige Schwarzwurzel als Crème und die Milch als süßer "Schnee"; als Texturkontrast ein paar Schokostreusel. Große Klasse. 

Noch besser gefällt uns aber das letzte Dessert, junger Rhabarber mit Pinie, Schlagsahne und Buttermilch: Unter einer üppigen Sahnehaube versteckt sich ein Kompott aus fast rohem sowie süß eingelegtem Rhabarber mit Pinie und ein Rhabarbersorbet. Als Sauce gibt es eine Buttermilchzubereitung. Der rohe Rhabarber wirkt hier wie ein Gemüse (das er ja ist!), was dem Dessert trotz seiner klassischen Anmutung eine ungeahnte Spannung verleiht. Durch die Sahne bekommt das Ganze eine große Süffigkeit; die Buttermilch wirkt wie eine Brücke zwischen den sauren und süßen Komponenten. Wir löffeln und löffeln und löffeln – und als wir fertig sind, würden wir das Gleiche gerne nochmals bestellen.

Der Abend im Kadeau kam einem Essen, wie wir es uns idealerweise wünschen, sehr nahe: völlig entspannte Atmosphäre, schönes Ambiente, ungewöhnliche Weine und vor allem ein tolles Menü.

Die Gerichte von Küchenchef Nicolai Nørregaard sind spannend und oft sehr ungewöhnlich, bleiben aber stets zugänglich und äußerst schmackhaft. Die Kreationen im Kadeau wirken noch ursprünglicher und reiner, als wir es sonst von der New-Nordic-Küche kennen. Und sie sind spür- und schmeckbar im Terroir der Meeresküste verwurzelt: von kräftiger Würze und leicht salzigen Meeresaromen geprägt, aber trotzdem von der frischen Leichtigkeit einer sanften Brise.

Diese Authentizität ermöglicht Kreationen, die auch ohne zahllose Komponenten und Zubereitungsformen überzeugen. Bei Gerichten wie den Entenherzen, dem Kabeljau und den Hühnerbeinen treffen Landküche und Spitzenküche aufs Stimmigste zusammen.

Der Service im voll besetzten Lokal agierte mit sichtlicher Freude an der Sache, angenehm locker, aber trotzdem der Avanciertheit der Küche angemessen. Die Weinauswahl war originell und die dänischen Brände zum Kaffee überraschend gut.

FAZIT

Das Kadeau schlägt eine Brücke zwischen leicht rustikaler Land- und filigraner Gourmetküche – authentisch, köstlich, unwiderstehlich. Unser spezieller Tipp in Kopenhagen!

Eure Meinung?

Ist die New Nordic-Küche noch zukunftsträchtig?

 

WEINE

Champagne Laherte Fréres, Brut Nature NV, Frankreich

2012 Aligoté, "Le Clou 34", C. Naudin, Burgund, Frankreich

2012 Faia Chenin Blanc, K. Hodgson, Loire, Frankreich

2011 Aligoté "D'Autres Vallées", De Moor, Burgund, Frankreich

2012 Chardonnay Le Petit Têtu, J-M. Berrux, Burgund, Frankreich

2013 Zweigelt "Rosa Maria", M. Arndorfer, Kamptal, Österreich

2013 Grenache & Carignan "KM31", Domaine de Yoyo, Banyuls-sur-Mer, Frankreich

2010 Monastrell "Ramblis", B. Navarro, Alicante, Spanien

2006 Blauer Wildbacher, A'Siassa No. 6, Franz Strohmeier, Steiermark, Österreich

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