Restaurantkritik 16.Oktober 2014

Festspiel in 16 Akten

Wären wir nicht mit dem Mietwagen unterwegs – hier wäre die Anreise mit dem Flugzeug problemlos möglich: Als eines der wenigen Airport-Spitzenrestaurants weltweit befindet sich das Ikarus im Hangar-7 des Salzburger Flughafens. Auch die Tatsache, dass hier seit über zehn Jahren ein Gastkochkonzept vorherrscht, dürfte dem geneigten Leser bekannt sein. Während elf Monaten im Jahr steht alle vier Wochen das Menü eines anderen renommierten Chefs im Vordergrund, wobei es aber stets auch eine „hauseigene“ Alternative sowie eine vegetarische Version gibt. Einzig im August, wenn die berühmten Salzburger Festspiele den sprichwörtlichen Ton in der Stadt angeben, steht traditionell und ausschließlich das Ikarus-Küchenensemble im Mittelpunkt.

Über zehn Jahre prägten der Südtiroler Roland Trettl sowie Jahrhundertkoch und Patron Eckart Witzigmann das Monatskoch-Konzept. Doch mit Trettls Fortgang Ende 2013 rückte kein Unbekannter nach: Neuer Executive Chef im Hangar ist seit Januar 2014 Martin Klein. Der sympathische Elsässer war an Trettls Seite bereits von 2003 bis 2012 Küchenchef im Ikarus und empfahl sich schon in jungen Jahren durch seinen ersten Stern im Münchener Marstall. Zwischen 2012 und seiner kürzlichen Rückkehr nach Salzburg gab er als Chefkoch ein kurzes Intermezzo auf der Privatinsel „Laucala“ von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz im Südpazifik. Für sein erstes Menü an alter Stätte hat er eine Idee in den Mittelpunkt gestellt: „Die Essenz des Geschmacks“ heißt die Zusammenstellung, bei der Essig und Öl im Fokus der Gerichte stehen sollen. Wir sind mehr als gespannt auf Kleins ersten Soloauftritt unter diesen besonderen Vorgaben, ...

Photocredit: Helge Kirchberger

...und so hat man die Aufmerksamkeit des Gastes sofort sicher: Der Taschenkrebs-Gazpacho-Shot bringt eine ordentliche, aber passende Schärfe mit, das Taschenkrebs-Aroma ist in der etwas zu dicken Alginat-Hülle sehr konzentriert, und die Kombination aus Melone, Granité und dem intensiven Tomatenessig mit dem nussigen Avocadoöl ist ungewöhnlich, gefällt uns aber sehr gut.

Als eine gelungene Kombination erweist sich das Steinpilz-Eis mit Heidelbeeressig und Steinpilzöl. Das Thema Wald wird durch fermentierte Heidelbeeren und Fichtennadeln – durchaus nordisch inspiriert – verstärkt.

Etwas weniger intensiv, dafür aber fein und knusprig ist der Cracker mit Misocrème, Estragonessig und Basilikumsamenöl und paart angenehme Frische mit mild-salzigen Noten.

Es sieht aus wie ein Burger, es riecht wie ein Burger ‒ und schmeckt dann soviel besser und konzentrierter als das, was die meisten der allerorten aus dem Boden sprießenden Burger-Läden auf die Teller bringen. Beim Kalbstatar-Burger ist das rohe, angemachte Fleisch würziger als manch gebratener Patty und liegt auf einer Art Macaron-Hälfte, die Textur gibt. Den lange währenden Geschmackseindruck unterstützt besonders der Senfessig. Als Deckel dient ein Miniatur-Bun, der den Kick durch Perlen von gerösteten Sesamöl erhält.

Nach den starken Kleinigkeiten folgt gebeizter Toro mit Codium-Alge und auf den ersten Blick mutet es ein wenig wie Qualle mit Mehlwürmern an. Davon lassen wir uns aber nicht täuschen, denn im sehr frischen Tatar wirkt das fette Bauchstück von Thunfisch zusammen mit den darunter verstecken Algen und mit der leicht grünen Aromatik des Korianderöls sehr intensiv. Der eindeutig japanische Einschlag dieses sehr feinen Ganges wird besonders vom Dashi-Essig untermalt und lässt uns gedanklich einen Nachschlag ordern.

Es ist immer wieder schön, wenn häufig servierten Zutaten eine neue Seite abgewonnen wird. Bei Gänseleber mit Rhabarber und Karamell-Crumble gelingt das mit der Betonung des Nussigen durch das Crumble in Verbindung mit Haselnussöl und dem Einsatz erfrischender Säureakzente durch eingelegten Rhabarber sowie einem japanischem Bergtraubenessig ganz hervorragend. Dass dieser Gang zum endgültig Besonderen wird, verhindert lediglich die allzu cremige Textur.

Auf dem Papier mutet die darauffolgende Kombination durchaus wild an: Aal mit Melone, Eierschwammerln und Feta-Granité, aromatisiert mit Calamansi-Balsamessig und Thymianöl. Den mit Zitronenthymian gewürzten Melonenwürfeln stehen das angenehm ausgewogene Raucharoma des Fisches und die feine Erdigkeit der Pfifferlinge so gut zu Gesicht, dass wir die Frage nach der Hauptrolle nicht unbedingt abschließend beantworten müssen. Unabdingbar ist die leichte Bitter-Lemon-Note des Essigs, die zum einen die Fruchtsüße ausbalanciert und andererseits dem fetten Fisch etwas die Schwere nimmt. Der „Schnee“ aus Feta rundet das Mundgefühl mit seiner kühlen Cremigkeit sinnvoll ab. 

Auch beim Sepia-Ei mit Imperial-Kaviar zeigt Martin Klein eindrucksvoll, wie er praktisch spielerisch „Geschmack“ kreiert. Der Service klopft am Tisch mit einem gezielten Löffelschlag das Ei auf. Unter der hauchdünnen, knusprigen Zucker-Oberschale aus Insulin befindet sich ein cremiges Eigelb in einer Eiweiß-Hälfte aus pochierter Sepia-Farce. Letztere fügt mit Kaviar dem Gericht eine salzig-jodige Note hinzu. Lauchjulienne, Lauchöl und die Säure einer spritzigen Schaumsauce sowie ein feines Pulver aus Sake-Essig runden das Pairing perfekt ab.

Wenn man so will, ist der Flusskrebs mit jungem Spitzkohl und Vin Jaune eine Fusion aus der beruflichen Heimat und der elsässischen Herkunft Martin Kleins. Der Signalkrebs aus dem Fang eines lokalen Hobbyfischers trifft auf fermentiertes Sauerkraut aus Spitzkohl, das besser als jede Choucroute ist und in einem Zylinder aus seiner eigenen Hülle serviert wird. Mit Apfelpüree, Apfel-Balsamessig, Specköl und Mikroelementen aus geröstetem Speck entwickelt der Gang eine herrliche Süffigkeit, die den puren Geschmack des Schalentiers zwar minimal übertönt, aber nichtsdestotrotz seine großartige Textur zur Geltung kommen lässt.

Einen Moll-Akkord schlägt der intensive Jakobsmuschel-Trüffel mit seinen leicht herben und erdigen Noten an. 100 Jahre alter Balsamico-Essig und Pinienkernöl machen aus diesem Löffelgericht keinen großen, aber – im wahrsten Sinne des Wortes – einen runden Gang.

Mit Rochenflügel, Tomate und Salatherzen erreicht uns ein Fisch, den wir in der Spitzengastronomie heutzutage eher selten antreffen– gerne denken wir an die Variation von Sven Elverfeld mit Pekannuss, Spitzmorchel und Kopfsalat zurück. Schade, dass sich nur noch wenige Chefs an dieses aromatische Produkt wagen. Die Zusammenstellung Kleins aus einer Variation von Tomate (als Tomatenkaviar in Bergamottöl mariniert, als Kerngehäuse, Achtel grüner Tomate und Tomatenessig), Salatherzen, einer Basilikum-Crème und in Pedro-Ximénez-Essig eingelegten Rosinen ist eine sehr intensive Interpretation von deutlich leichterer und modernisierter Klassik mit frischer Charakteristik.

Diskussionen entwickeln sich beim folgenden Gang nicht ob der unbestritten grandiosen Optik, sondern der Intensität und Reichhaltigkeit des Knoblauchs als Beimischung bei der roten Garnele mit Brin D'Amour. Beim Knoblauch in drei Zubereitungen stößt besonders die gefriergetrocknete Variante auf wenig Begeisterung und setzt zusammen mit schwarzem Knoblauchessig eine gewisse Zuneigung zum Lauchgewächs voraus. Auf der einen Seite des Tisches droht zusammen mit Garnelenöl und der mächtigen korsischen Käsecrème sensorischer Overload, auf der anderen Seite rufen die Garnelen, die gut mit dem entfernt an Belper Knolle erinnernden Geschmackseindruck ihrer Begleiter klarkommen, Freude hervor.

Zur Abkühlung der Geschmacksnerven serviert der Service im Anschluss ein Wiesenkräuter-Malz-Sorbet mit Bieressig und Weizengras-Öl. Eine nicht ganz bierernste Assoziation, die dieser recht simple, aber ungewöhnliche Einschub hervorruft, ist die Vorstellung, dass so Blumenerde aus einem frisch bepflanzten Topf schmecken könnte.

Bei der Wagyu-Schulter mit Karotten und Zwiebeln begegnet uns – wie in diesem Jahr bereits häufiger – auch im Ikarus das bei uns umstrittene Wurzelgemüse. Dieses Mal bleibt aber jegliche Diskussion über individuelle Abneigungen aus, denn ein Püree aus weißen Zwiebeln, karamellisierte Perlzwiebeln und nicht zuletzt Schmorzwiebeln lassen uns an die Intensität von Omas Braten denken, der bei aller Verklärtheit hier natürlich souverän durch Geschmack und Zartheit des Luxusprodukts getoppt wird. Dazu noch von der gebrochenen Jus (aus je einem Viertel Schulter, Karotte, Balsamessig und Tannenwipfelöl gezogen), und schon schwelgen wir im Fleischhimmel mit einem für den Sommer optimal reduzierten Schmorgericht.

Danach folgt ein herrlich amüsantes Pre-Dessert: Weil Martin Klein so gern in die Süßigkeiten-Tüte greift, erteilte er seinem Pâtissier die Aufgabe, bekannte und beliebte Suchtmittel aus dem Hause Haribo für das Menü zu interpretieren. Mit der Künstlichkeit des Originals hat das gelungene Ergebnis der Hangar-7 Phantasia nichts zu tun: „Lakritzschnecke“ aus Holunderblütenessig-Granité mit Pflanzenasche, Frösche aus Sauerampfer-Granité und Kracher mit Pistazienöl, ein Erdbeer-Marshmallow und natürlich ein Gummibärchen verschwinden in unseren grinsenden Mündern.

Nach einem geschmacklichen Feuerwerk von 15 mehr oder weniger groß portionierten Gängen freuen wir uns bei Petit-Suisse, einem französischen Kuhmilch-Frischkäse, mit Gurke, Kürbiskernen und Vanille über einen sehr verständlichen und gut essbaren, eisig-cremigen Abschluss. Bei dem gelungenen Crossover-Dessert untermalt Vanilleessig die Frische, außerdem hat das Kürbiskernöl, der österreichische Exportschlager, einen großen Auftritt und sorgt für eine schmelzig-nussige Note.

In die elegante Petits-fours-Box lassen wir uns für den langen Heimweg gerne den Teil der süßen Kleinigkeiten einpacken, den wir nicht mehr schaffen.

Das junge Serviceteam um Restaurantleiter Florian Kempinger und Service-Chef Matthias Berger wirkt zu jedem Zeitpunkt kompetent und vermittelt eine wunderbare Gastfreundschaft. Die hochwertige Weinbegleitung von Sommelier Daniel Kubini ist bestens auf die Speisefolge abgestimmt und fachlich unterfüttert. Für diejenigen, die noch nach Hause fliegen müssen, wird eine insgesamt stimmige alkoholfreie Begleitung angeboten, die zum Wachbleiben auch das berühmte Getränk mit dem roten Bullen integriert.

Martin Klein (4.v.r.) begeisterte uns mit seiner modernen und auch ästhetisch ansprechenden Küche, die aber an keiner Stelle vordergründiger Effekthascherei erliegt. Der Fokus liegt auf saisonalen Produkten, bei denen trotz zeitgemäßer Zubereitungen der Geschmack im Vordergrund steht. Durch das Gastkoch-Konzept verfügt das Team in Salzburg zweifelsfrei über ein hervorragendes Netz aus Lieferanten und einen kulinarischen 360 Grad-Blick – dennoch wirkt nichts wie eine Kopie, sondern wie eine fundierte Handschrift. Martin Klein schafft es mit nahezu jedem Gang, bei aller Komplexität ein hocharomatisches und „perfekt essbares“ Gericht auf den Teller zu bringen. Unsere Bedenken im Vorfeld, dass Essig und Öl in 16 Gängen sensorisch überfordern könnten, wurden zerstreut – das Team arbeitete die Ingredienzien sehr gezielt und wohl dosiert ein, wodurch sie modifiziert zur Geltung kamen.

FAZIT

Martin Klein und sein Team haben eindrucksvoll die Bühne gestürmt. Leicht, intensiv und spielerisch – mehr kann man sich gar nicht von einem zeitgemäßen Menü erhoffen. So freuen sich auch Essbegeisterte auf die nächsten Salzburger Festspiele.

WEINE

1999 Dom Pérignon

2011 Klassik, Gebeshuber, Thermenregion 

2011 Hochheimer Kirchenstück, GG, Künstler, Rheingau

2011 Vidonia, Suertes Del Marqués, Teneriffa

2011 Les Graviers, Tissot, Jura

2009 Zieregg, Tement, Südsteiermark

2009 Meusault, Marchand, Burgund

Bush Prestige 

1996 Cabernet Sauvignon, Kanonkop, Südafrika

2004/2011 Wehlener Sonnenuhr Spätlese, J. J. Prüm, Mosel

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Daniel Kubini

1. Anzahl der Positionen
Ca. 1200 Weine 

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Dem Gastkochkonzept entsprechend sehr international.

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
26€ (Riesling, Rheinhessen)
3.500€ (Bordeaux, Pètrus)

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
2001 Domaine de l`Orri, Roussillon 

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
Poirè Granit von Eric Bordelet 

6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Chateau De Val, Bulgarien 

7. Ihr Lieblingswein...
Coche-Dury, Weil man ihn leider nur noch selten bekommt.

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
Tatsächlich die Nachfrage nach Le Montrachet Rosè – da fällt es einem schwer, nicht zu lachen.

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