Restaurantkritik 18.März 2015

Kulinarische Reise im Orient-Express

Der Konzern Würth ist allgemein in der Gastroszene für gelungene und anspruchsvolle Konzepte bekannt. So gehört die Würth-Familie zu jener bewundernswerten Riege von Unternehmern, die einen besonderen kulinarischen Anspruch haben und diesen selbst umsetzen. Das finden wir löblich, bedenkend, dass die Sternegastronomie bei weitem nicht zu den risikoärmsten und schon gar nicht zu den lukrativsten Einnahmequellen gezählt werden kann. Zu den Aushängeschildern zählt sicherlich das imposante Schlosshotel Friedrichsruhe mit Boris Benecke am Herd, wovon wir berichteten.

Seit über einem Jahrzehnt gibt es zudem das im Hohenlohekreis gelegene Hotel-Restaurant Anne-Sophie in Künzelsau. Carmen Würth, selbst Mutter eines behinderten Kindes, entwickelte für das Hotel das Konzept „Handicap“: Im gesamten Haus arbeiten Menschen mit und ohne Handicap gemeinsam – so entstand eine begehrte Anlaufstelle und ein Musterbeispiel für die Integration von Menschen mit Behinderungen.

Umso mehr freute es auch uns, als der Michelin im Guide für 2015 dem hauseigenen Restaurant „Handicap“ den ersten Stern verlieh. Damit bestätigte der Guide einerseits die hohe Küchenleistung des jungen Restaurants. Zugleich setzte er damit auch ein Zeichen für jene Gastronomen, die an solchen Konzepten zweifeln mit der Begründung, derartiges ließe sich nicht mit höchstem kulinarischem Anspruch und Service vereinbaren.

Für die Küchenleitung des Gourmetrestaurants zeichnet der junge Serkan Güzelcoban verantwortlich. An diesem Abend hatten wir eine Mischung aus den beiden originell klingenden Menüs „Kulinarische Reise im Orient-Express“ und „Hohenlohe trifft Anatolien“.

Im Speisesaal herrscht eine befreiende Stimmung, die nicht zuletzt durch das von Markus Schmidgalls gestaltete Deckengemälde hervorgerufen wird. Es gibt dem Raum mit seinen weichen Wolken und dem hellblauen Himmel eine gewisse Größe; zugleich dient dieser "Ausblick" als Ausgleich für die im Hauptraum nicht vorhandenen Fenster. Ansonsten ist der Speisesaal von lilafarbenen Samtsesseln, frisch gestärkten weißen Tischdecken und großzügigen Wandgemälden gekennzeichnet. So kommt im kleinen Künzelsau durchaus ein wenig Metropolenfeeling auf.

Zunächst erdet uns der hauchdünn aufgeschnittene Hohenloher Schinken, der zum Gebäck mit Laugen-, Pistazien- und Sonnenblumen gereicht wird. Er kommt direkt aus der sorgfältig restaurierten und klavierlackglänzenden Aufschnittmaschine aus dem vergangenen Jahrhundert, die gleich am Eingang des Restaurants steht und aus Rotterdam stammt.

Den buchstäblichen Einstieg in die Kulinarische Reise im Orient Express mit dem „Schönen Hirten“ (so lautet die wörtliche Übersetzung des Namens Güzelcoban) macht ein hintereinander serviertes Trio an Amuses, wie sie stilistisch nicht unterschiedlicher ausfallen könnten: Das Cornetto mit Tatar von der geräucherten Bernsteinmakrele und Limettengel liefert eine gefällige und erfrischende Wohltat, die von subtilen Aromen geprägt ist. Eine feingetunte Interpretation des Sarma (ohne Bild), einer aus dem früheren osmanischen Reich stammende Vorspeise bestehend aus mit Reis und Lammfilet gefüllten Weinblättern verweist wohlschmeckend auf die familiären Wurzeln des Chefs. In Verbindung mit dem hausgemachten Schwarzkümmel-Joghurt ergibt sich ein würzig-säuerliches Aromenspiel mit einer dramaturgisch stimmigen Intensitätssteigerung. Die Weinblätter stammen übrigens nicht aus dem Orient, sondern direkt aus dem Kochertal. Diese Philosophie, die Weltläufigkeit auf Tellern zu transportieren und dabei doch wo möglich auf regionale Produkte zurückzugreifen, wird sich als ein charakteristisches Merkmal durch Güzelcobans Kreationen dieses Abends ziehen.

Um so überraschter sind wir, als auf diese kräftige Speise ein vegetabil geprägtes Amuse folgt. Das Crevette-bleu-Tatar mit Avocadocrème, Fenchelmousse und Passionsfruchtgelee reinigt den Gaumen regelrecht durch die kühlen Elemente und betont die fast schon cremige Textur der hauchfein geschnittenen Garnelen.

Nach diesem Auftakt lautet die erste offizielle Station auf dem Fahrplan Istanbul. Güzelcoban serviert hier eine in Hibiskus gebeizte Rotbarbe mit Safran-Kohlrabi, die er mit Salz-Zitronengel und Eiskraut an Fischrogen-Crème akzentuiert. Dies ergibt ein vom Wurzelgemüse geprägtes, eher erdiges Geschmacksbild. Sehr gefällt uns die gebeizte, wachsweich gegarte Rotbarbe. Ein wenig zu opulent fällt uns in dem ansonsten eher puristischen Gericht die mayonnaiseartige Fischrogen-Crème aus.

Unser Zwischenstopp in Syrien heißt Mezzeh und bietet eine Variation von der Crailsheimer Bauerngans. In der Mitte befindet sich die lauwarm geräucherte Brust mit orientalischen Pilzen. Sie wurde hauchdünn aufgeschnitten und entwickelt sich in Verbindung mit den Pilzen zur regelrechten Umamibombe. Von Süße abgefedert wird die herzhafte Komponente dann mit der cremigen Lebermousse mit Feigenconfit. Auf der rechten Seite des Schälchens ruht eine Galantine mit Kichererbsenerde, die den Gang aromatisch vollendet. Lediglich die pulverisierten Kichererbsen sind, wie der Kakaofeinstaub auf Schokoladentörtchen, mit Vorsicht zu genießen. Ein schönes Gericht, das besonders während der kalten Jahreszeit die volle Bandbreite der herrlich intensiven Aromen der Bauerngans durchdekliniert.

Nach kurzer Verweilzeit im Speisewagen des Anne-Sophie kommen wir dann auch pünktlich in Sofia an. Die bulgarische Kulinarik wird in Form von weißem Störfilet serviert. Dieses wurde im Salzteig gebacken und mit geschmolzenem Kalbskopf als Topping aufgetischt. Das von Natur aus festere Fleisch des Störs erscheint durch das Garen im Salzteig noch fleischiger, weshalb die Verbindung mit Kalbskopf aromatisch naheliegt. Da der Kalbskopf jedoch sehr salzig ausfällt, dominiert er den Fisch immens. Durch den zusätzlich um den Fisch gewickelten Lardo mit seiner Fettigkeit wird dieser Eindruck noch verstärkt. Der asiatische Senfkohl und die Würfel von der Roten Bete harmonieren zwar mit dem Fisch-Fleisch-Gang. Doch der Lardo lässt den Fisch Fäden ziehen, wodurch wir gerne mal wieder zum Stichwort der Eatability greifen. Kurz gesagt und vorweg genommen: In Sofia speisen wir auf unserer kleinen kulinarischen Weltreise am schlechtesten...

Doch können wir diesen Tiefpunkt sofort wieder vergessen, als wir Brüssel erreichen. Der Muscheleintopf Deluxe mit Minigemüse und Süßkartoffel-Pommes-frites verbindet aufs Schönste Kindheitsfreuden mit kulinarischem Wohlgeschmack. Der Muscheleintopf fällt aromatisch präzise und klar aus und trumpft ob des perfekt gegarten Gemüses. Die Süßkartoffel-Pommes-frites verleihen dem Gericht eine originelle Komponente, die den Gaumen aufmerksam werden lässt und davon abhält, ein vermeintlich gewohntes Gericht (Pommes!) einfach in sich hinein zu mampfen. Dazu gibt es ganz klassisch Bier aus Belgien. Hier passt alles und ist in sich stimmig. Ein kleiner, unverkopfter Zwischenruf, wie man ihn genau so sicherlich auch in Berlin in der Cordobar finden könnte oder im New Yorker EMP schätzen würde. Am liebsten würden wir gleich eine weitere Portion bestellen!

So gegensätzlich, wie die Welt nun einmal ist, fällt auch der nächste Zwischenstopp in Manti aus. Weg von den bodenständigen Produkten wenden wir uns hin zu Kalbsbries und Trüffel. Die  Spinatteigtasche von der Igersheimer Lachsforelle landet dekonstruiert auf dem Teller. Mit weißem Trüffelschaum, konfierten Perlzwiebeln und gebratenem Blumenkohl zeichnet Güzelcoban ein Bild vertrauter Aromenkombinationen. Das Kalbsbries rundet das Wohlfühlgericht ab. Die ungewohnte Komponente und die Verspieltheit bringt hier der Lachs ein. Durch ihn erscheint das von intensiven Aromen geprägte Gericht ungewohnt leicht. Damit haben wir einen klassisch anmutenden Gang vor uns, der durch ein weiteres Element eine neue und erfrischende Seite bekommt.

Vor dem Hauptgang gibt es dann keine Frischetücher, sondern eine im kleinen Glasballon gereichte Holunderblütenessenz mit Kokossorbet. Die ziehen wir den Tüchern auch liebend gern vor und genießen die ätherische und nicht zu süßlich ausfallende Wohltat, bevor wir erfrischt zum ersten Fleischgang des Abends kommen. Ein schöner Muntermacher!

Unter dem Motto „Paris“ gibt es Geflügel von Miéral. Das Perlhuhn Excellence mit Quitten, Romanesco und Schwarzwurzel rückt das Perlhuhn ins Zentrum, ohne es in all zu schweren und sahnigen Saucen zu erschlagen. In Verbindung mit den Quittenwürfeln kommt die fruchtige Seite gekonnt zur Geltung. Auf den intensiveren Gôut verzichet das à part gereichte Ragout nicht, erscheint aber wohldosiert und bringt Abwechslung ins Gericht.

Exotischer mutet der Zwiebelrost-Kebab vom Boeuf de Hohenlohe an. Während wir vor dem Gericht darüber rätseln, wie das Kebab wohl auf hohem Niveau serviert werden könnte, ertappen wir uns dabei, eher nur kulinarische Tiefpunkte außerhalb der Sternstunden aus dem Gedächtnis abzurufen. Güzelcoban hat hier gleichwohl vor allem die Gewürzpalette des klassischen Kebabfleischs am Spieß im Sinn, nicht die Fast-Food-Niederungen. Und so gibt es ein ordentliches Stück Fleisch mit Roten Zwiebeln, Kopfsalat-Cannelloni mit Schafsjoghurt und Gewürz-Couscous. Dies erinnert mit seinem gekonnt zurückhaltendem Einsatz der Gewürze an ähnlich orientalisch-exotische Fleischexkursionen wie Sebastian Ziers Lammrücken mit rotem Zwiebelpüree, Paprika-Crème-brûlée, Ratatouille und Basilikumjus. Und wie dort schmeckt es auch hier sehr gut.

Als Pré-Dessert gibt es eine Hommage an den Ermöglicher und Initiator des Restaurants, die Würth-Gruppe. Manche würden „Der Montage-Profi“ als Dank an den Visionär Würth sehen, andere als Werbeunterbrechung bezeichnen. Wir für unseren Teil versuchen, jenseits der Optik die Kreation aus Banane, Brombeere, Grand Marnier, Schokolade von Michel Cluizel (Kayambe Noir 72%) auf rein kulinarischer Ebene einzuschätzen. Doch auch dies scheint schwer, denn die Kakaoschrauben finden kein verbindendes Element zum ansonsten überdurchschnittlich süßlichen Teil, der eher brausig ausfällt und über eine etwas banal-knallige Ebene nicht hinauskommt. Die natürliche Säure der Brombeere lockert das Gericht nur wenig auf, und so überzeugt uns dieses Dessert als Nicht-Werksangehörige des Würth-Imperiums leider weder kulinarisch noch optisch.

Wie beruhigend, dass in Wien die Zeit offenbar stillsteht und alles „beim Alten geblieben ist“. Das Topfen-Soufflé mit Nougateis, Walnussmousse und Grapefruit schließt die Reise mit einem handwerklich ausgereiften und aromatisch makellos abgestimmten Dessertgang ab. Das Nougateis fällt verführerisch cremig aus, die Walnussmousse passt prima dazu, und hier geht die Idee auf, das opulente Gericht mit der Fruchtsäure von Grapefruitfilets aufzulockern. Eine deutliche Steigerung und ein würdiger Abschluss für die Aromenreise. 

Zum Abschluss gibt es dann noch eine Auswahl an eigens hergestellten Trüffel, von deren Makellosigkeit wir uns wegen akuten Überfressens aber erst am nächsten Tag überzeugen können.

Serkan Güzelcobans (links) kulinarische Orientfahrt konnte uns fast durchweg überzeugen. Auch wenn an manchen Stationen die Gerichte noch nicht immer 100%ig ausgereift schienen, erlebten wir eine in Summe angenehm bereichernde Fahrt, die zeigte, dass der junge Koch – um im Bild zu bleiben – in Künzelsau angekommen ist. Die Verbindung von regionalen Zutaten, dem Spiel mit der eigenen Identität und der breiten Geschmackspalette der kulinarischen Weltkarte hat schönen Reiz und bescherte uns ein äußerst abwechslungsreiches Menü.

Geführt wurden wir durch den Abend von einen sehr herzlichen Serviceteam. So möchten wir auch hervorheben, dass im gesamten Restaurant von der Entstehung des Tellers bis zum Gasttisch durchweg die hohe Motivation und Begeisterung aller Mitarbeiter zu spüren ist. Sie machen den Ort zu etwas Besonderem! Ein kleines aktuelles Manko ist die Abwesenheit eines Sommeliers. Die Weinkarte scheint noch in der Anfangsphase, was ob der Neuheit des Restaurants nicht überraschen mag. Nichtsdestotrotz überzeugte die Weinbegleitung im Menü und erwies sich zu jedem Gericht als bereichernd.

Fazit

Serkan Güzelcoban und sein Team arbeiten nicht nur an einer identitätsstiftenden Stätte mit Vorzeigecharakter, sondern bereichern Künzelsau auch durch einen kulinarisch wiedererkennbaren Ort mit charmantem Themencharakter.

Wein

2013 „La Vigne d′Argent“ Sauvignon Blanc-Sémillon, Terra Burdigala, Bordeaux

NV Bruno Paillard Brut Première Cuvée rosé, Champagne

2011 Pinot Grigio, Franz Haas, Südtirol

Bier, Tripel Karmeliet, Belgien

2010 „La Souveraine” Chardonnay, Domaine La Louvière, Languedoc-Roussillon

2011 „Villányi Kékrankos“ Blaufränkisch, Heumann, Villányi

2012 Ürziger Würzgarten Riesling Spätlese, Karl Erbes, Mosel

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Christian Barthel

1. Anzahl der Positionen
Wir haben etwa 400 Weine auf der Karte.

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Weine mit Ecken und Kanten, untypische Charakter, gereifte Weine. Kräftige Weißweine zum orientalischen Einfluss der Menüs; beim Rotweinen wenig Tannin.

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
"La Vigne d'Argent" Sauvignon Blanc-Sémillon von Terra Burdigala (Bordeaux) für 25€.
"Le Roche del Faletto" Barolo von Bruno Giacosa (Piemont) für 280€

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
Wir sind noch ein recht junges Haus und haben deshalb noch nicht viele Raritäten in unserem Angebot.

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
2008 "Villányi Kékfrankos" vom Weingut Wassmann aus Ungarn

6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
2011 St. Laurent vom Schloss Halbturn im Burgenland

7. Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Trimbach Gewürztraminer Réserve – mein erster "richtiger" Wein in meinem Berufsleben. Er geleitet mich seit dem 1. Lehrjahr meiner Ausbildung, weil ich ihn damals beschreiben sollte und seitdem geht er mir nicht mehr aus dem Kopf.

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
Vor Jahren arbeitete ich auf Wangerooge, einer verschlafenen, ostfriesischen Insel. Bei einem Bardienst erzählte mir ein Gast von einem ganz bestimmten Chianti bei dem er und seine Frau sich im Urlaub kennenlernten, sie aus gesundheitlichen Gründen das Weingut aber schon länger nicht mehr besuchen konnten. In 2 Tagen würden sie ihren Hochzeitstag bei uns im Hotel feiern.  
Auf der Insel gibt es weder Autos noch eine regelmäßige Belieferung. Alles musste 10 Tage im Voraus geplant werden um Frachtkapazitäten zu bekommen. Nichtsdestotrotz fand ich einen Weinhändler in Hamburg der genau diesen Wein noch hatte und so gelangte die Flasche über 5 Station und Freunde schließlich auf die Insel. Die Freude darüber war riesig! Selbst nach Jahren besteht noch Kontakt zu den Gästen und sie besuchten mich schon mehrmals an meinen neuen Arbeitsstätten.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Umfrage

Wie gefällt Euch der integrative Charakter des Hotels und des Restaurants?

 

Das könnte dich auch interessieren