Restaurantkritik 14.März 2015

Hartwig allein am Herd

Welchen Einfluss hat der Souschef eines Sternekochs auf dessen Kreationen? Ob er nur ausführendes Organ oder kreative Kraft ist, dürfte je nach Temperament unterschiedlich ausfallen – wir haben allerdings schon öfter den Eindruck gehabt, dass der "zweite Mann" in der Brigade kreativ ziemlich weit vorne steht. 

Jan Hartwig war fünf Jahre lang Souschef von Sven Elverfeld. Wir können nicht genau sagen, ob und welche Kreationen im Aqua auf sein Konto gingen, und wir waren seit seinem Weggang noch nicht wieder dort. Tatsache ist aber, dass nach unserem Empfinden das Aqua zu seiner Zeit eine konstant starke Phase hatte. Vor der sicherlich prägenden Zeit bei Elverfeld war Hartwig unter anderem bei Christian Jürgens auf Burg Wernberg und im Gästehaus Klaus Erfort. Dass ein Koch mit einer solchen Laufbahn und dem dabei Erlernten irgendwann selbst ein Restaurant führen will, versteht sich fast von selbst.

Im Mai 2014 war es dann soweit: Der 32-Jährige übernahm das kulinarische Zepter im "Atelier", dem Gourmetrestaurant des altehrwürdigen Bayerischen Hofs in München. Wir kannten das Lokal bereits aus der Zeit seines Vorgängers Steffen Mezger (der in die Residenz Heinz Winkler wechselte) und waren daher gespannt, welche neuen Impulse Hartwig der Küche geben würde.

Der Gastraum des Ateliers wurde vom belgischen Kunsthändler Axel Vervoordt gestaltet, erinnert uns aber weniger an eine Künstlerwerkstatt, sondern mit dem vielen Holz, den Brauntönen und den roh verputzten Wänden und den antik-gedrechselten Beistelltischen eher an ein elegant-rustikales Bergrestaurant – was wir durchaus positiv meinen. Etwas unglücklich finden wir nur, dass die Fenster abends von Jalousien verhängt sind, was bei den eher niedrigen Decken zu einem etwas drückenden Raumgefühl führt.

Aber die Innenarchitektur interessiert uns an diesem Abend sowieso weniger – wir wollen erstmals Jan Hartwigs eigenes Menü probieren!

Die Snacks zum Aperitif wirken schonmal gut: ein Chorizo-Stick, ein Sushi mit Ama Ebi und eine Caprese-Variante im "Schälchen" sind geschmacklich abwechslungsreich, aber zum Einstieg nicht überfordernd, sondern auf angenehme Weise gefällig.

Ein echter Knaller ist dann allerdings das erste Amuse: Pilze und Nuss arbeitet vor allem die Eigenaromen der Pilze wunderbar heraus, nur leicht akzentuiert durch eine Kräutermarinade – hochelegant, angenehm reduziert und äußerst schmackhaft.

Noch besser gefällt uns die Kalbszunge, auf Holzkohle gegrillt, mit Sprottencrème, Sauerkraut und Meerrettichsud. Durch die üppige Crème und den würzigen Sud wird das nicht bei jedem Esser beliebte Produkt Kalbszunge wunderbar eingefasst, ohne dass die spezielle Textur der Zunge oder gar ihr Geschmack überdeckt würden. Verblüffend die Wirkung des Sauerkrauts, das hier nicht den Eindruck von Rustikalität erzeugt, sondern eine überraschende Eleganz entwickelt. Großes Kino!

Die Brotauswahl, die Butter und die Aufstriche sind so gut, dass man definitiv Gefahr läuft, sich daran schon vor Menübeginn satt zu essen.

Konzeptionell konventionell kommt der erste Gang des Menüs daher: Rindertatar und Imperial Kaviar, geräucherte Kartoffel, Limonen und Crème fraîche schmeckt erst einmal ziemlich genau so, wie es sich liest – klassisch gut. Und doch gelingt es Hartwig, dem Klassiker neue Nuancen zu geben, indem er durch die Kartoffelmousseline eine feine Rauchnote besteuert und die Säure der Limone in Kontrast zur Jodigkeit des Kaviars stellt. Avantgardistisch ist das nicht, aber es schmeckt sehr gut. Allein das Tatar hätte für unseren Geschmack etwas beherzter gewürzt sein dürfen – oder wie wäre es, wenn man hier gleich mit dem kräftigen Eigengeschmack einer alten Milchkuh arbeitet?

Deutlich ungewöhnlicher ist der confierte Carabinero mit saurem Kohlrabi, Avocado, Hüttenkäse und Dill. Hier macht Hartwig ein enormes Spektrum an Aromen und Abstufungen auf: Von der feinen Süße der zarten Garnele über die fette Cremigkeit der Avocado sowie Biss und Säure des Kohlrabis bis zur anisigen Würze des Dills und zum körnig-milchigen Käse. Das klingt wild, und doch geht alles wunderbar zusammen, schmeckt spannend und harmonisch zugleich. Der Carabinero steht klar im Mittelpunkt, und doch wirken die anderen Elemente nicht nur wie schnöde Begleiter. Hier spüren (und schmecken) wir eine Fähigkeit zur Feinabstimmung, die künftig noch einiges vom gebürtigen Helmstedter erwarten lässt.

Die Misonudeln mit Meeresfrüchten, Algen, Buddhas Hand und Austern-Beurre-blanc sind so etwas wie eine japanisch angehauchte Luxusversion der "Pasta con Frutta di Mare". Die Darreichung als eine Art Nudeleintopf (und von guter, nämlich sehr warmer Temperatur!) verleiht dem Ganzen den Charakter eines wunderbaren Wohlfühlgerichts. Neben dem mundfüllenden Zusammenspiel aus dickem Nudelteig, knackigen Meeresfrüchten und auflockernder Säure von Buddhas Hand ist vor allem die sensationelle Beurre blanc dafür verantwortlich, dass wir dieses Gericht endlos weiter löffeln könnten – eine Götterspeise, nicht weniger.

Nicht so stimmig finden wir den Ora-King-Lachs mit Eiskraut, geräucherter Hollandaise und Reisessigsud. Der butterweiche Fisch ist für sich genommen wunderbar. Bei den Beigaben aber stellt sich schnell eine aromatische Dominanz dunkler Aromen ein, die den Lachs übertünchen. Dabei gefällt uns die Verbindung von Hollandaise, asiatischem Fond und knackig-rohen Krautstücken eigentlich sehr gut – man muss nur aufpassen, wie man dosiert.

Die getauchte Jakobsmuschel mit Blattspinat, Sellerie, Parmigiano Reggiano und Krustentier-Bisque erinnert dann zumindest optisch an die legendären St.-Jacques-Kreationen bei Sven Elverfeld. Geschmacklich entspricht die Kreation allerdings eher dem Charakter eines "jungen Wilden": Süßlichen Sellerie, würzigen Parmesan und eine Bisque muss man erstmal zusammenbringen! Allerdings funktioniert das Vorhaben blendend. Wo die Komponenten für sich genommen zu klassisch (Bisque) oder zu trivial-mediterran (Parmesan) schmecken könnten, bekommen sie durch das Zusammenwirken einen höchst ungewöhnlichen, aber dennoch zugänglichen Effekt. Sehr gut.

Beim Kalbsbries mit Petersilie, Herbsttrompeten, Mohnbutter und Kumquat geht die Rechnung, Disparates zusammenzuführen, für unseren Geschmack nicht so gut auf. Das Petersilienpüree und die Pilze passen prima zueinander, aber die Mohnbutter und vor allem die sauren Kumquats setzen schräge Akzente, die nicht spannend, sondern störend wirken. Da kann auch das Kartoffelpüree nicht mehr glätten.

Das Bries selbst mag sehr gut sein, wird aber von einer allzu dicken Teighülle erschlagen. Wie wir später lasen, wurde der Teig inzwischen durch eine Art Panade ersetzt – das stellen wir uns wesentlich passender vor.

Viel besser kommt dafür der Poltinger Lammrücken mit mildem Knoblauch, glasierter Kerbelwurzel, altem Pecorino und Sanddorn an. Das großartige Fleisch mit seiner krossen Fettschicht begeistert bereits an sich. Der hier beinahe süßlich schmeckende Knoblauch und die ebenfalls leicht herbsüße Kerbelwurzel setzen milde Akzente, während der kräftige Pecorino eher den Charakter eines Ausrufezeichens hat – einem von uns ist das fast schon zu "laut". Gemildert wird die Käsewucht von der Säure des Sanddorns, den wir hier erstmals in einem eher mediterranen Aromenumfeld erleben – und wie gut das funktioniert!

Danach kommt endlich mal wieder ein Hauptgang, der gleichzeitig auch der Höhepunkt des Menüs ist: Wagyu-Short-Rib mit BBQ-Lack, Pommes Frites, Aubergine und Mais besticht allein schon durch eine wohltuend puristische Anmutung – die wir übrigens im ganzen Menü feststellen konnten. Geschickt spielt Hartwig bei der Zusammenstellung mit den Komponenten eines klassischen Grilltellers, von gegrilltem Mais über die Barbecue-Sauce bis zur Pommes. Von Letzterer hätten es zugegebenermaßen auch zwei bis drei sein dürfen, so sensationell kross und fluffig ist sie. Das fantastische Fleisch bekommt vom Lack zusätzlichen Kick, kann aber trotzdem seinen Eigengeschmack bewahren. Der Maisdeckel sogt dafür, dass bei jedem Bissen eine Knackigkeit hinzukommt. Zugleich greift das Auberginenpüree die leichten Rauchnoten der Sauce auf. Das ist alles klug erdacht, perfekt gemacht, schmeckt einfach traumhaft und mündet in einer zweiten Götterspeise.

Nicht so überzeugend fällt leider der Käsegang aus. Der Trappe d’ Echourgnac, ein mit Nussdestillat verfeinerter Kuhmilchkäse, ist etwas fest, für unseren Geschmack etwas zu speckig und mit sehr starken Nusstönen. Dazu gibt es Liebstöckel, Mixed Pickles und Walnussemulsion – sehr kräftige Aromenspender, die den etwas derben Eindruck noch verstärken. Vor allem im Kontext der sehr fein austarierten vorherigen Gänge will diese Kreation einfach nicht funktionieren.

Eine Wohltat ist danach das Topfen-Ingwer-Eis mit Olivenölbisquit und Karotte: erfrischend, leicht, feinherb. Durch das Olivenölbiskuit gleichermaßen originell wie vollmundig. Sehr schön.

Ebenfalls gut gefällt uns das finale Dessert, karamellisierte Schokolade mit Feige, Sesam, Grapefruit und getrockneter Milch. Die potenzielle Schwere der Schokoloade wird hier mit Grapefruitsäure gekontert, wobei die Kombination mit Feige den Effekt eines plumpen "Schoko und Zitrusfrucht" verhindert. Das Maulbeergewächs, so finden wir, verleiht Desserts stets eine gewisse Eleganz. Aber auch die Knusprigkeit der getrockneten Milch und der Sesamcrumble lassen dieses Dessert leicht, fein und originell wirken.

Die Petits Fours bestehen aus Limonentarte mit Kokosnuss, Mandel-Praliné, „Eiskonfekt“ Banane/Nussbutter und einem Cannelés und sind so gut, dass sie nach dem ausgiebigen Menü noch Platz in unseren Mägen finden.

Und zu guter letzt noch die ordentliche Pralinenauswahl, falls man nicht richtig satt geworden sein sollte.

Keine Frage, Jan Hartwig (mittig) hat als Küchenchef im Atelier einen beeindruckenden Start hingelegt. Seine Kreationen zeichnen sich durch ein großes Gespür für Feinabstimmung und aromatische Zusammenhänge aus. Dabei setzt er nicht auf gefällige Kombinationen, sondern zeigt Mut zu ungewöhnlichen Verbindungen, die dann aber absolut schlüssig schmecken. Dass einzelne Kreationen (Kalbsbries, Käse) bei unserem Besuch noch nicht funktionierten, fällt angesichts der Summe an hervorragenden Gerichten kaum ins Gewicht.

Nachdem wir kurz zuvor im Dallmayr ein grandioses Menü erlebten und in jüngster Vergangenheit auch Tohru Nakamura im Werneckhof begeistern konnte, lässt sich konstatieren, dass sich das kulinarisch einst so langweilige München innerhalb weniger Jahre zu einem echten Ziel für Fressverrückte entwickelt hat.

Der Service im Atelier, bei unserem Besuch noch unter Leitung des äußerst sympathischen Enrico Spannenkrebs (Hahn im Korb), agierte tadellos, hätte aber einen Tick lockerer sein dürfen. Es schien an diesem Abend etwas Anspannung im Raum zu liegen – war dies etwa dem bevorstehenden Weggang des Maîtres geschuldet?

Fazit

Aus diesem Atelier können wir noch große Kunst erwarten – Jan Hartwig beeindruckt uns mit Kreationen, die originell und ungewöhnlich köstlich sind.

Wein

Champagne Loius Roederer Rosé

2013 Zoé Viognier, Parcé Fréres, Domaine de la Rectorie, Banyuls 

2010 Sauvignon Blanc, Weingut Kuhn, Pfalz

2011 Weißburgunder S.L., Weingut Östreicher, Franken 

2010 Deidesheimer Paradiesgarten, Riesling Weingut Christmann, Pfalz 

2011 Chardonnay „S“, Weingut Wittmann, Rheinhessen 

2006 La Truffiere Blanc Domaine, J. M. Boillot, Languedoc-Roussillon 

2010 Schlatter Spätburgunder, SW Martin Wassmer, Baden

2006 Yacochuya Malbec, San Pedro de Yacochuya / M. Rolland Collection, Argentinien

2006 Altenberg de Bergheim Grand Cru, Marcel Deiss, Elsass

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Enrico Spannenkrebs

1. Anzahl der Positionen
Wir haben etwa 400 Weine auf der Karte.

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Der Schwerpunkt liegt ganz klar auf Deutschland.

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche?
2012 Iphöfer Kalb Silvaner Kabinett von Hans Wirsching für 44 Euro
1992 Château Petrus für 2600 Euro

4. Die ungewöhnlichste Rarität? 
Leider keine.

5. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate?
2013 Zoé Viognier von der Domaine de la Rectorie für 54 Euro.

6. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Der Auxerrois vom Weingut Zwölberich (58 Euro). 

7. Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Aktuell habe ich keinen Lieblingswein, allerdings ist der Hang zu weißen wie roten Burgundern stets präsent.

8. Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie konfrontiert wurden? 
"Dürfen wir Ihre Weinkarte auspendeln lassen?", wurde ich einmal von einem Gast gefragt.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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