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Restaurantkritik 20.Februar 2018

Sprachlos in Los Gatos

Unsere Geschichte über das Manresa beginnt nicht in Kalifornien, sondern im Rheingau. Im Jahr 2016 war David Kinch beim dortigen Gourmet Festival (Foto) im Kronenschlösschen zu Gast. Wir hielten es damals für eine gute Chance, seine viel gerühmte und dreifach besternte Küche kennenzulernen. Welch ein Trugschluss. Machen wir es kurz: Kinchs Festival-Menü war schwach. Sehr schwach. Banale Kompositionen (Rinderfilet mit Kartoffelgratin), flacher Geschmack, kaum Originalität. Nicht einmal Kinchs berühmter Granola-Keks konnte begeistern. Wir konnten es selbst kaum glauben.

Deshalb haderten wir bei der Planung unseres Trips in die Bay Area: Sollten wir das Manresa wirklich einplanen? Angesichts der zahlreichen überaus positiven Berichte beschlossen wir, es zu versuchen. Aber wir blieben skeptisch. Sehr skeptisch.

So fuhren wir am vorletzten Tag unseres Trips vom Sonoma Wine Country ins Silicon Valley südlich von San Francisco. Genauer gesagt nach Los Gatos, einem sehr beschaulichen Städtchen mit rund 30.000 Einwohnern, viel Grün, schmucken Einkaufsstraßen und einem eigenen Bentley-Händler. Kein Wunder, befindet sich doch unter anderem die Netflix-Zentrale dort. Trotzdem wirkt der Ort bodenständig, fast dörflich, und in keiner Weise protzig. Nur in Sachen Hotels gibt es nicht allzu viel Auswahl. Wir stiegen im Hotel Los Gatos ab, einem hübschen Gebäudekomplex im typisch kalifornischen Stil, mit Pool, Palmen und einer netten Bar mit Live-Musik. Durchaus bezahlbar und vor allem nur 15 Fußminuten vom Manresa entfernt.

So spazierten wir nach denkbar harten Pool-Stunden am frühen Abend Richtung Restaurant. Der Himmel knackig-blau, die Temperatur bei immer noch 25 Grad. Herrlich. Inzwischen waren wir auch guter Dinge, dass Kinchs Küche uns diesmal besser gefallen würde. Immerhin hat er als junger Koch in einigen europäischen Spitzenhäusern gearbeitet, etwa im damals dreifach besternten L'Esperance im Burgund, im Akelare und zwei Jahre bei Dieter Müller in den Schweizer Stuben. 2002 eröffnete er das Manresa, 2016 kam der dritte Stern. Bis heute ist Kinch, inzwischen Mitte 50, der europäischen Spitzengastronomie eng verbunden. Das muss einfach doch gut werden! Wir ahnten ja nicht, wie recht wir behalten sollten ...

Das Restaurant selbst wirkt eher unscheinbar. Ein gediegener Flachbau mit zeitlos elegantem Interieur, dessen puristische Anmutung eher an Japan denken lässt als an Amerika oder Europa. Das Publikum war an unserem Abend eine bunte Mischung aus jungen und älteren Paaren sowie Freundesgruppen, die sich einen schönen Abend machen. Alles in allem herrscht hier eine sehr angenehme, weil unaufgeregte und unprätentiöse Atmosphäre.

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Zum Glas Krug kommt als erstes ein alter Bekannter auf den Tisch: Kinchs Granola-Keks. Beim ersten Bissen merken wir aber sofort, dass wir hier in einer anderen Liga spielen als damals im Rheingau. Der Keks schmeckt ultrafrisch, knackig und klar. Vor allem aber sind es diesmal zwei hauchdünne Scheiben, zusammengehalten von Ziegenfrischkäse. Das getreidig-nussige und die feinsäuerliche Frische gehen bestens zusammen. So unscheinbar dieses Teil aussieht, so klasse schmeckt es. Unsere Freude steigt.

Weiter geht es mit salzigen Petits fours: Madeleines von schwarzer Olive, darunter eine Art Fruchtgummi von roter Paprika - ein originelles Spiel mit Erwartungen, fein gearbeitet, elegant im Geschmack.

Beim nächsten Gang dreht die Küche allein schon optisch auf: Der Kartoffelpuffer mit Seeigel wird in einer metallenen Seeigelhälfte präsentiert. Kinch serviert diese Kreation selbst und erklärt, dass er dieses Schmuckstück - wie einige andere Geschirrteile - auf einem Antik-Flohmarkt gefunden hat: alles Unikate, die er hier und da zum Einsatz bringt. Das hat Charme und Persönlichkeit. Da kann kein noch so teurer Luxusteller mithalten. Am Wichtigsten aber: Der Kartoffelpuffer mit Seeigel schmeckt grandios! Der Sockel ist knusprig, trotzdem fluffig und fein gewürzt; dazu der unvergleichliche Schmelz und die herbe Meeresbrise vom ultrafrischen Seeigel. Göttlich. Ein kleiner Happen, der lange nachhallt.

Es folgt Bonito mit Auberginenkaviar und Ingwer. Zwei Scheiben exzellenter Fisch, nur an den Rändern leicht angegart und mit etwas Ingwer mariniert - das kann angesichts der Produktqualität bereits für sich stehen. Aber der ganz leicht rauchige Auberginenkaviar und die Basilikumblättchen geben dem Ganzen einen zusätzlichen Kick und verschieben die Aromenwelt von Japan in Richtung Mittelmeer. Das funktioniert großartig und schmeckt köstlich.

Als letztes Amuse gibt es einen Klassiker des Hauses: Mit dem Arpège-Farm-Ei erweist Kinch seinem großen Vorbild Alain Passard Referenz. In der Schale steckt ein pochiertes Eigelb, umhüllt von Sherrycrème mit Sherryessig und Schnittlauch; obenauf Tropfen von Löwenzahn-Pesto und etwas Fleur de Sel. Wow, ist das gut! Eine hochelegante Mischung zwischen Süße und Salzigkeit, Üppigkeit und frischer Säure. Ungemein dicht, aber wundersam leicht. Meisterhaft.

Nun startet das eigentliche Menü mit gegrillter Sardine mit Sauce Vierge und 25 Tomaten. Ob mit den "25 Tomaten" die Zahl der Sorten oder die Zahl der Stücke gemeint ist, können wir nicht sagen. Beides scheint uns für die kleine Menge zu hoch gegriffen. Aber egal, denn auch dieses Gericht schmeckt ganz exzellent. Die Güte der Makrele ist umwerfend, die Grillnote genau richtig. Dazu die Frische der ungemein aromatischen Tomatenwürfelchen und vor allem die Sauce (eher eine klare Essenz) mit ihren Aromen von Tomate, Olivenöl, Zitrone, Basilikum und Koriandersaat - kraftstrotzend und trotzdem wie ein Hauch am Gaumen. Zu gerne hätten wir noch eine Portion.

Der folgende Gang, "Into the vegetable garden", erinnert natürlich an die diversen Gemüse- und Kräuterteller, die man auch in europäischen Toprestaurants bekommt, vom ikonischen Gargouillou im Hause Bras bis zum "Gartenspaziergang" im Hertog Jan. Kinchs Version hat einen Fokus auf sehr aromatischen Kräutern und Blüten, die von einer leichten Vinaigrette zusammengehalten werden. Darunter ein paar Stücke verschiedener gegarter Gemüse sowie etwas Püree. Das schmeckt alles sehr leicht, abwechslungsreich, gut austariert und stimmig. Wenn auch nicht so begeisternd wie andere Gemüseteller (etwa im Frantzèn).

Richtig großartig wird es wieder beim Felsenbarsch mit Pfifferlingen, Spot Prawns und Choucroute-Jus. Spannend ist hier allein schon das bemerkenswerte Zusammenspiel verwandter und doch differenzierter Texturen: Da gibt es den zarten, leicht elastischen Fisch, die knackig-weichen Garnelen und die ebenfalls knackig-weichen Pilze. Im Mund führt das zu einem erstaunlichen Effekt, weil auch die verschiedenen Aromen gestaffelt zur Geltung kommen. Der Clou ist aber der Jus, mit seiner anregenden Säure, einem Hauch Süße und der kraftvollen Umami-Würze (zur Erinnerung: Choucroute ist der elsässische Sauerkraut-Wurst-Fleisch-Klassiker). Der aromatische Fisch kann diese Würze ebenso gut vertragen wie die Pilze und die Garnelen - alle drei werden dadurch noch weiter nach vorne gebracht. Ein konzeptionell ungewöhnlicher und geschmacklich herausragender Gang.

Es bleibt spitze: Die Abalone aus der Monterey-Bay mit "Gumbo" von ihrer Leber gehört zu den Besten, die wir je hatten. Sie ist zart, hat aber trotzdem Biss - und vor allem schmeckt sie nach etwas! Leicht süß und butterig, mit einem Nachhall von Jodigkeit. Der Knaller ist auch hier wieder die Sauce, eine Edelvariante des Südstaaten-Eintopfklassikers Gumbo, bei dem traditionell eine gebräunte und gut gewürzte Mehlschwitze die Basis für eine kräftige, dicke Sauce bildet. Eigentlich ist Gumbo ein denkbar rustikales Gericht, aber im Manresa wird ihm jede Derbheit und Schwere genommen. Es schmeckt dicht und kraftvoll, dabei elegant und durch die hauchdünnen Gurkenstreifen leicht und frisch. Separat gibt es ein Schälchen mit hervorragendem Klebereis, den wir zunächst pur dazu essen, am Ende aber mit den Saucenresten vermischen - ein Hochgenuss.

Wir befinden uns mittlerweile in einem Taumel der Glückseligkeit - ein grandioser Gang jagt den nächsten. Wie konnten wir nur jemals an David Kinchs Küchenkunst zweifeln? Der nächste Gang setzt den Homerun fort: Die Tomaten mit Minze, Schwein und gesalzener Fischbouillon sind zum Tellerausschlürfen gut! Unter einem an Lardo erinnernden Gelee liegen unfassbar aromatische marinierte Kirschtomaten, die geschält sind und dadurch noch viel zarter und feiner schmecken. Die Basis bildet eine Fischbouillon, angereichert mit etwas Schwein, die wir eher eine Essenz nennen würden: Sie ist kräftig und salzig, das ideale Gegengewicht zu den süßlichen Tomaten. Was für eine Wonne! Einmal mehr würden wir am liebsten einen Nachschlag ordern.

Beim Fleischgang bringt uns erstmal das frivole Geschirr zum Lächeln: Ein Jeff-Koons-Sammlerstück, bedruckt mit seiner "Woman in Tub", die hier aber eher in Sauce badet. Nicht nur für amerikanische Verhältnisse durchaus gewagt - gefällt uns!
Das Gericht selbst mutet dagegen puristisch an: Rind mit Kräutersaitlingen und Pürée von Trockenpflaumen mit schwarzem Tee. Das Fleisch - wir müssen es eigentlich gar nicht erwähnen - ist von sensationeller Güte. Obenauf nur etwas gepfeffertes Rindermark als gaumenschmeichelnder Geschmacksverstärker. Zur dunklen Aromatik des gegrillten Fleischs passt auch das Püree von Trockenpflaumen ganz wunderbar - nicht zu süß, sondern durch den Tee eher feinherb. In Summe ist dieser Hauptgang nicht so stark wie alles vorherige, aber immer noch sehr gut.

Vor den Desserts schieben wir noch eine Auswahl lokaler Käsesorten ein, allesamt exzellent.

Als Pré-Dessert gibt es Birne, rosa Pfeffer und Sauternes. Es schmeckt fruchtig, angenehm süß und ein klein bisschen würzig - einfach richtig gut.

Das können wir vom Hauptdessert leider nicht sagen. Bienenpollen-Eiscrème mit Zwetschke und Olivenöl schmeckt im ersten Moment gut. Aber schon beim zweiten Löffel macht sich eine klebrige Süße breit, die alles andere überlagert. In fast jedem Restaurant dieses USA-Trips fielen die Desserts durch eine fast schon schmerzende Zuckrigkeit aus. Das Manresa bildet leider keine Ausnahme. Wir picken ein wenig in dem Teller herum, erhaschen hier und da angenehme Aromen von Zwetschke und Olivenöl. Aber das war es dann auch.

Das zweite Dessert ist leider nicht besser. Die Kreation aus Schokolade, Espresso und Zimt ist einfach nur süß, süß, süß. Dagegen kommt nicht einmal die Bitterkeit vom Espresso an. Obenauf liegt sogar noch ein gezuckertes Gebäck. Ratlos lassen wir fast alles auf dem Teller.

Was für eine Wohltat ist dann das Eis von hausgemachter Salzbutter, welches natürlich auch süß ist, aber durch das Salz und den säuerlichen Fruchtcoulis einen schönen Gegenpol bekommt. Wundervoll! Was für ein tolles Dessert könnte auf dieser Basis entstehen...

Auch die Petits Fours gefallen uns, darunter als Bogen zu den Amuses auch süße Madeleines von bester Güte.

Was für ein Essen! Wir erwarteten ja durchaus eine solide Leistung - und wurden dann förmlich umgehauen. In seinem Stammhaus servierte David Kinch uns ein Menü auf Weltklasse-Niveau. Tolle Ideen, elegante Aromenspiele und ein Gespür für Feinabstimmung und Proportionen, das uns an Sven Elverfeld und Juan Amador erinnerte. Visuell ist bei Kinch fast alles eher schlicht, aber geschmacklich von allerhöchster Güte. Darauf kommt es an. Gerade bei den komplexen Saucen und der präzisen Behandlung der Produkte meinten wir auch Kinchs europäische Lehr- und Wanderjahre zu bemerken.

Von den Amuses bis zum Hauptgang bestand unser Menü praktisch nur aus Knallern. Es gab eine Götterspeise (Kartoffelpuffer mit Seeigel), und mindestens zwei weitere Gerichte schrammten nur knapp an den höchsten Weihen vorbei (Tomaten in Bouillon und gegrillte Sardine). Nur die Desserts konnten leider überhaupt nicht überzeugen. Es mag sein, dass der amerikanische Dessertgeschmack einfach sehr anders ist als der unsere. Wir fanden (wie fast immer in den USA) die Desserts unglaublich süß und dadurch brutal eindimensional. Nur deshalb kürten wir das Essen im Manresa bei unseren Herdhelden 2017 nicht zum internationalen Menü des Jahres.

Umso mehr spricht es für die restlichen Gänge, dass unser Gesamteindruck von den Desserts kaum getrübt wurde. Es war ein unglaublich starkes Menü. Und wer noch immer glaubt, amerikanische Köche seien nicht so versiert wie die europäischen Meister, wird in Los Gatos eines Besseren belehrt.

Fazit

David Kinch begeisterte uns mit einer modernen kalifornischen Küche, die Originalität mit höchstem Wohlgeschmack verbindet. Eine Reise wert? Definitiv!

Wein

Krug Grand Cuvee

La Marca di San Michele, Verdicchio di Castelli di Jesi “Passolento” 2014

Ceritas, Chardonnay “Trout Gulch”, Santa Cruz Mountains 2014

AJ Adam, Riesling “Drohn Höfberg – in der Sängerai” 2015

Partage, Pinot Noir “Coast Grade”, Santa Cruz Mountains 2014

Paradigm, Cabernet Sauvignon, Oakville 2001

Dönnhof, Riesling Auslese GK “Brücke” 2013

Umfrage

Ist die amerikanische Spitzenküche so gut wie die europäische?

 

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