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Restaurantkritik 28.Dezember 2017

Wie ein Fisch im Wasser

Es gibt diese Restaurants, die sind eine sichere Bank. Okay, wir reden hier gerade über das Aqua in Wolfsburg, da könnte man erwidern, dass ein Dreisterner ja nun qua Definition eine "sichere Bank" sein sollte. Aber jeder halbwegs erfahrene Fresser weiß, dass selbst höchste Michelin-Weihen nicht immer höchsten Genuss bedeuten. Im Aqua wurden wir bis jetzt allerdings fast nie enttäuscht. Wir machen auch kein Geheimnis daraus, dass wir dieses Restaurant auch jenseits der Küche einfach mögen: wegen der Location in der eigentümlich artifiziellen Welt der VW-Autostadt und im schönen Ritz-Carlton-Hotel; wegen des immer wieder herzlichen Service; wegen des Interieurs, das vielleicht ein bisschen nach Hotel-Luxus aussieht, dabei aber angenehm dezent bleibt.

Trotzdem kommen wir irgendwie viel zu selten hierher. Obwohl einer von uns sogar in der Nähe von Wolfsburg lebt und ein anderer in knapp 3 Zugstunden da sein kann. Aber wie das so ist, schweifen wir oft lieber in die Ferne. "Wir warten bestimmt nicht wieder drei Jahre", schrieben wir im Fazit unseres letzten Berichts. Das haben wir eingehalten: es wurden nur zwei. Auch das ist unverzeihlich lang, aber nun sind wir da, frisch aus dem Zug, frisch aus dem nahen Zuhause – los geht's ...

Zu Beginn gibt es einmal mehr den Klassiker, die karamellisierte Kalamata-Olive: weiche Olive, umhüllt von einem Hauch Knusper, fruchtig und bitter und süß im Geschmack, immer wieder gut. Das aromatische Thema wird in gewisser Weise vom Champignon mit Granny Smith und Petersilie variiert: fruchtig und herb, ein Tick Säure und etwas Bitterkeit von der Petersilie, sehr gut.

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Danach gibt es ein weiteres Duo, diesmal zum Thema Streetfood: Der Bao Bun wird nach Auskunft des Service von einer chinesischen Köchin gefertigt, dürfte also ziemlich authentisch sein. Er ist wunderbar fluffig und schmeckt auch sehr gut, nur kommt uns die Füllung aus geschmorter Rehschulter mit Douglasiensirup und Eberesche zu kurz - sie ist in Relation zum Bun etwas gering bemessen, zumindest für unsere groben Gaumen. Da hat der "Wilde Burger" mit Wildwurst, Preiselbeere und Krautsalat mehr Wumms, wenngleich hier das Brötchen natürlich nicht so originell ausfällt. Insgesamt ein schönes Doppel, aus dem sich aber noch mehr herausholen ließe.

Beim Amuse aus Rauchaal, Schweinebauch, gelber Gurke und Dill stimmen die Proportionen dann wieder bestens. Dieser kleine Turm hat Frische und Umami, Krosses und Schmelzendes, kräftige Würze und dabei doch eine große Feinheit - ohne aber den Esser noch vor Menübeginn zu überfordern. Es schmeckt einfach richtig gut und steigert die Lust auf das gleich beginnende Menü.

Den Auftakt des Menüs macht eines der Signature-Produkte im Hause Eleverfeld: Den Fluss-Saibling aus Tainach hatten wir hier schon oft und in verschiedensten Zubereitungen im Menü. Und immer war er großartig. So auch die Kreation gebeizt mit Frankfurter grünen Kräutern, mit Senf, Ei, grünen Kräutern und Saiblingskaviar. Hier stimmt in Sachen Feinjustierung einfach alles - der feste und doch schmelzende Fisch in Relation zum krossen Brotchip, dem salzig-ploppenden Kaviar, dem auffrischend-scharfen Senf und natürlich dem herb-würzigen Kräuterteppich. Das wirkt im ersten Moment sehr kleinteilig, ist aber alles andere als ein Streberteller, denn alles ergibt Sinn und greift aromatisch ineinander. Das Schöne ist, dass man diese Kreation hochkonzentriert degustieren, sich aber auch einfach nur dem vollen Genuss hingeben kann. Beides bereitet gleichermaßen Spaß. Beim ersten Stück machen wir Ersteres, bei den anderen beiden lassen wir das Ganze einfach nur noch wirken. Exzellent.

Die Gänseleber mit Trauben, Ziegenfrischkäse, Walnuss und Müller-Thurgau-Eis wirkt hingegen sehr konventionell und schmeckt auf den ersten Bissen genauso. Mit der zweiten oder sogar erst mit der dritten Gabel entfalten dann zwei wesentliche Komponenten ihre Wirkung: Das unfassbar gute Reben-Eis und die hauchdünn geschnittenen Trauben, die der Komposition eine belebende Säure-Unterstützung mitgeben. Dies wiederum setzt die Nuss in Szene und lässt den Frischkäse seine namensgebende Wirkung entfalten. Zum Schluss ist der Teller dank perfekter Proportionen leergeputzt und es wird einmal mehr deutlich, zu welchen kompositorischen Meisterleistungen der eine oder andere Drei-Sterne-Koch im Stande ist. 

Nochmal besser wird es bei der Forelle "Lüneburger Heide" mit Rauch-Brandade, Frühlingslauch, Mandeln, Himbeeren, Kalamansi und Kaviar "Imperial Auslese". Nach dem ersten Probierhappen lassen wir unsere Gabeln sinken, schauen uns an, sprachlos ob des unglaublichen Aromenspiels am Gaumen. Tatsächlich lässt sich kaum in Worte fassen, wie herrlich hier alles zusammengeht: das zarte, feine Fleisch der Forelle mit der rauchigen Brandade, der süßlichen Erdigkeit vom Lauch, der Säure vom Kalamansischaum und dem nussigen Knusper der Mandeln. Über allem liegt die hauchfeine Moschusnote der Himbeersegmente und die jodig-frische Salzigkeit vom Kaviar - eine Offenbarung, wie grandios diese zwei Aromenwelten harmonieren. Das ist ungeheuer komplex und doch leicht zugänglich. Typisch Elverfeld eben. Wie gerne hätten wir noch mehr von dieser Götterspeise!

Fast genauso gut schmeckt uns der geangelte Wolfsbarsch mit Bohnen, Speck, Vanille und Zitrone. Der herrlich kross gebratene Fisch thront auf einem Sockel aus Bohnenpüree und knackigen Bohnen. Würze bringen etwas Speck (ideal dosiert), Zitrone (als Schaum und Gel) und vor allem ein wundervolles Vanilleöl, das mit seiner leicht exotischen Süße alle Komponenten umhüllt und verbindet. Dass Meerestiere und Vanille gut zusammenpassen, ist lange bekannt. Aber gerade die Verbindung mit den elegant-erdigen Bohnen macht aus dieser Komposition einen Gaumenschmeichler par excellence. Allein der Umstand, dass das Vanilleöl auf Dauer einen Tick zu süßlich wirkt, verhindert, dass wir hier gleich noch eine Götterspeise ausrufen.

Schwieriger ist die Dominanz eines einzelnen Gewürzes bei den Bouchot-Muscheln mit Kalbskopf, Römersalat, Purple Curry, Paprika-Lardo-Crème und Pecorino Riserva. Ja, genau, wir meinen den Purple Curry. Aber der Reihe nach: Die Grundkomposition dieses Gerichts ist toll - die Kombination der bissfesten Muscheln mit der meerigen Salzigkeit der Salicornes und dem Umami von Kalbskopf und Käse funktioniert ganz wunderbar. Der Salat bringt leichte, neutralisierende Frische, Paprika und Lardo feinherb-süßliche Würze. So weit, so wunderbar. Auch der Curry wirkt im ersten Moment sehr spannend, weil er das Ganze in eine orientalische Richtung schiebt. Aber der Spannungsreichtum kippt bald in Dominanz um, und wir schmecken in erster Linie die schärfende Currywürze. Plötzlich wirkt die Kreation nicht mehr süffig, sondern eigentümlich schwer und flach. Das ist schade, denn dies könnte ein grandioses Gericht sein.

Aber schon mit dem nächsten Gang sind wir wieder in der Spur. Die gesottene Müritzer Lammzunge mit Lammbries "Bolognese", Fregola Sarda, Pancetta und Radicchio schmeckt auf zwei Ebenen gleichermaßen großartig. Einerseits ist dies die Quintessenz des norditalienischen Saucenklassikers (versteckt in der Lammzungen-Scheibe), ungemein aromatisch und wohlige Erinnerungen an schmatzende Nudelabende weckend - die kleinen, bissfesten Fregola Sarda (wir lieben sie!) bringen dabei die notwendige Pasta-Textur ins Spiel. Auf dieser vertrauten Basis entwickelt Elverfeld andererseits ein großartiges Innereien-Gericht, das selbst Innereien-Verächter begeistern dürfte, ohne dabei den speziellen Eigengeschmack von Zunge und Bries zu mildern. A propos Bries: Die kross ausgebackenen, innen zart-schmelzigen Würfel der Wachstumsdrüse bekommen durch den Bolognese-Kontext eine ganz neue Komplexität. Fazit: ein exzellenter Gang zwischen Tradition und Verspieltheit.

An dieser Stelle sind wir vom Menü so begeistert, dass wir noch einen zusätzlichen Fleischgang einschieben: Kalbsrücken "Dry aged" aus Mecklenburg-Vorpommern, Büsumer Krabben, Artischocken, Fenchel und Radieschen. Normalerweise finden wir Kalb immer etwas blass, nicht nur in der Farbe, sondern vor allem im Geschmack. Nicht so hier. Durch die Trockenreifung hat das Fleisch eine überraschende Kraft bekommen, bleibt aber trotzdem elegant und hintergründig - die ideale Bühne für die ebenfalls sehr fein schmeckenden Krabben. Das leicht nussig anmutende Spektrum der Kalb-Krabben-Kombination wird durch die Artischocke bestens ergänzt, während der Fenchel mit seinem zarten Anisaroma den nötigen geschmacklichen Querschläger bildet. Einmal mehr ist das alles wahnsinnig rund, harmonisch und trotzdem spannend.

Den Hauptgang bildet die Gewürz-Taubenbrust auf Blattspinat mit Tomaten-Emulsion und Olivencrème. Optisch ist dieses Gericht auf eine schräge Weise wunderschön - uns erinnert die Anrichtung an ein Ufo, dass eine intergalaktische Landebahn ansteuert. Galaktisch ist das Ganze aber auch im Geschmack: Die perfekt gegarte Taubenbrust wird von der würzigen, ganz sanft exotischen Kruste bestens unterstützt - die krossen Brösel sind nicht zu süß und nicht zu herb, sondern bringen eine leichte Säure mit, die den typischen, leicht stumpfen Taubengeschmack hervorragend komplimentiert. Der Blattspinat unter dem Fleisch (auf unserem Foto leider nicht zu sehen) bringt saftig-knackige, leicht erdige Gemüsigkeit; die leichte Tomaten-Emulsion und die Olivencrème feuern den Umami-Pegel an und schmecken besonders köstlich, wenn man etwas von den Crème-fraîche-Tupfen einmischt. Dabei bleibt die Sache bemerkenswert leicht - so soll ein Hauptgang sein, denn es kommt ja noch was, ...

... nämlich zwei Desserts! Den Anfang machen Johannisbeeren mit Fenchelpollen, Burrata-Sud vom Johannisbeerholz und Kartoffel. Mann, ist das gut! Die Optik verrät bereits, dass Pâtissier Fabian Fiedler ein Schüler von Christian Hümbs ist - und der Geschmack steht den Kreationen des Meisters in nichts nach. Dieses Dessert hat dezente Säure, einige herbere Noten und wenig Süße, cremige Milchigkeit, knusprige Elemente und etwas Frucht - alles ideal abgestimmt und alles in Gestalt eines kompakten Mini-Törtchens, weil es hier nicht um Sezieren und Verkosten geht, sondern um den vollmundigen Mischgeschmack, bei dem sich alle Aromen am Gaumen auffächern. Das ist intelligente, aber nicht verkopfte Dessertkunst. Ganz groß!

Aber es wird noch besser, mit Blut-Pfirsich, Lavendel, Verbene, Kokos und Gurke. Im Grunde treffen sich hier zwei perfekte Paare, nämlich Pfirsich-Lavendel und Kokos-Gurke - Provence meets Thailand. Als Brücke dient die Verbene mit ihrer zwischen Südeuropa und Asien changierenden Zitronigkeit. Auch bei diesem Dessert geht es um den Mischgeschmack, um das Zusammenspiel von Frische und Üppigkeit, den Schmelz von Eis und Pfirsich und den Biss der winzigen Gurkenscheibchen; wir schmecken die wärmende Aromatik vom Lavendel und die kühlende Frische der Gurke. Dazwischen blitzt immer wieder die Verbene auf. Es ist eine Wonne. Und wir wissen, dass hier ein ganz großer Pâtissier am Werden ist ...

Ein großer Genuss auch das süße Finale: Mandel-Taco mit Erdbeeren und Fichtensprossen sowie Choux mit Vanillecrème von der ganzen Tahiti-Schote mit Cassis.

Und als besonderes Bonbon rollt zum Kaffee noch der imposante Pralinenwagen mit 15 verschiedenen Sorten an, von denen wir insgesamt 7 probieren. Eine besser als die andere. Und überhaupt: Wo gibt es schon noch einen Pralinenwagen? Wir bedauern das Aussterben dieser Tradition sehr - und dass sie im Aqua am Leben erhalten wird.

Was für ein Menü! Im Jahr 2018 feiert Sven Elverfeld ein Jubiläum: 10 Jahre 3 Sterne. Doch von einem Schmoren im eigenen Saft keine Spur. Ganz im Gegenteil: Unserer bescheidenen Meinung nach hat der Mann nie besser gekocht. Es gab während der Jahre immer wieder gewisse Wandlungen in seiner Küche, aber im Kern bleibt er sich stets treu – mit einer Küche, die bei aller Perfektion in der Feinabstimmung und allem Finessenreichtum in den Aromenspielen nie verkopft, sondern immer unglaublich köstlich ist. Forelle, Wolfsbarsch, Lammzunge und Taube sind dafür Musterbeispiele, aber im Grunde könnten wir jeden einzelnen Gang unseres Menüs anführen – sogar die Muscheln, bei denen er es mit der Süffigkeit nur ein bisschen zu gut gemeint hat.

Bemerkenswert auch die Güte der Desserts, die oft auch in den besten Restaurants ein großer Schwachpunkt sind. Hier hat das Aqua mit Fabian Fiedler (8.v.l.) ein enormes Talent an Land gezogen – einen jungen Pâtissier, der seinen eigenen Stil entwickelt und dabei glänzend zur Elverfeld-Küche passt. Mit anderen Worten: Runder als im Aqua kann es kulinarisch kaum laufen. Doch auch der Service steht diesem Level in nichts nach: Jimmy Ledemazel (7.v.l.) gehört zu den Top-Maîtres in Deutschland, wie man sie an den Fingern zweier Hände abzählen kann und Sommelier Marcel Runge (links) zur ebenso kleinen Runde der fachlich besten deutschen Suffmeister. Das freundschaftliche "Gekappel" der beiden wirkt zudem gelöst, wobei die gesamte Servicebrigade eine gewisse professionelle  Lockerheit eint, die sich Chef Elverfeld in den letzten Jahren ebenfalls zugelegt hat.

Fazit

Besser geht es nicht: Sven Elverfeld befindet sich auf der absoluten Höhe seiner Kunst, mit einem Menü, bei dem praktisch jeder Gang ein Volltreffer ist.

Text: Kai Mihm

Fressfreunde

Trois Etoiles

"Eine Institution der deutschen Spitzenküche. Die Balance zwischen moderner Küchentechnik einerseits und Wohlgeschmack durch klassisches Handwerk und exzellente Produkte andererseits funktioniert hier immer. In Kombination mit dem angenehmen Hotel ideal für ein Genuss-Wochenende der Superlative."

Das Filet

"Die Mischung aus handwerklichem Top-Niveau und inhaltlicher Präzision gehen bei Sven Elverfeld Hand in Hand. Deshalb hat es mir beim letzten Mal so gut gefallen, und deshalb würde ich gerne so bald wie möglich wieder hin."

Kulinarisches Interview

"3-Sterne-Küche in absoluter Vollendung und Präzision."

Wein

Die Weine im Restaurant Aqua bei Sven Elverfeld

Champagner Rosé Brut Nature / Georges Laval

2005 Riesling Ürziger Würzgarten kabinett / Weingut Dr. Loosen / Mosel

2015 Furmint Project N°1 / Weingut Atilla Homonna / Tokai

2009 Sauvignon blanc Alte Reben / Weingut Neumeister / Südsteiermark

2015 Chardonnay Opus O / Weingut Jülg / Pfalz

2014 Chardonnay Santa Cruz Mountains / Kutch Wines / Kalifornien 

2000 Oro Blanc / Domaine Peyre Rose / Laguedoc

2001 Montepulciano d´Abruzzo / Emidio Pepe / Abruzen

2012 La Solana / Suertes del Marqués / Tenerifa 

2006 Gratallops Partida Bellvisos Magnum 

Rene Babier y René Barbier-Sara Pérez / Priorat

2016 Eisswein Veltliner + Welschriesling  / Kracher / Liliac / Transylvanie

1999 Riesling Dominikanerberg Beerenauslese / Weingut Christoph von Nell / Mosel

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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