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Interviews 18.Oktober 2017

Petri Heil!

„Müritz“ kommt aus dem Slawischen und bedeutet so viel wie „kleines Meer“. Bissl romantisch, oder? Und doch genau deshalb passend, weil die Müritz der größte See ist, der vollständig innerhalb deutscher Grenzen liegt. Liebe Fressbegeisterte, das ist 1A-Günther-Jauch-Wissen, und wären wir gerade nicht Vollzeit damit beschäftigt, die richtige Route zur überraschend emsigen Stadt Waren in Mecklenburg-Vorpommern zu finden, hätten wir unsere Bewerbung schon längst abgeschickt. Doch das muss es sein, das Hauptquartier der „Müritzfischer“, die wir heute kennen lernen wollen; ihren Betrieb, die Menschen und natürlich ihre Produkte. Auf den ersten Blick scheinen die Jungs und Mädels nämlich das Fischen in der und um die Mecklenburger Seenplatte fest in ihren rauen Händen zu halten ...

Begrüßt werden wir von Matthäus Marten, der uns heute mit Rat, Tat und Fahrt zur Seite steht. Ein junger Bursche, der genauestens mit den Prinzipien dieses nachhaltigen Betriebes vertraut ist, mit unzähligen Köchen des Landes per Du ist und sofort auf einer unkomplizierten, persönlichen Ebene kommuniziert. Er fühlt sich hier sichtlich wohl, als Teil des größten Binnenfischereibetriebs Deutschlands, der seit über 60 Jahren mit traditionellem Fischfang, Fischzucht und Aquakulturen von sich reden macht und Restaurants wie das „EinsUnterNull“, das „Nobelhart & Schmutzig“, die „Alte Schule“ in Fürstenhagen und das KaDeWe beliefert. In den letzten Jahren haben sich die Petrijünger noch den Tourismus an Bord geholt, der seither einen nicht unwesentlichen Teil der Einnahmen ausmacht.

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Dabei verlieren die Müritzfischer niemals ihre Kernkompetenz aus den Augen: die direkte Zusammenarbeit mit Fischern und Fischerhöfen, die an gepachteten Seen das aus dem Wasser hieven, was später – in den fischereinahen Betrieben noch am selben Tag – auf den Tellern der Restaurants liegt. Zehn Fischerhöfe sind es derzeit, die mit Süßwasserfischen dienen. Ob Wels, kleine und große Maräne, Stör, Hecht, Zander, Barsch, Saibling, Schleie, Aal – hier wird alles aus dem kühlen Nass gezerrt, was es verdient, in die Küchen und Mägen der Kunden zu kommen. Dabei ist kontrollierter und somit reflektierter Fischfang das A und O. Sind die Tiere zu klein, also „untermaßig“, gehen sie selbstverständlich zurück ins Wasser. Auch die stete Arbeit mit Aquakulturen, also der kontrollierten Aufzucht von Wassergetier, ist wichtig, um einen stetigen Bestand zu garantieren, Überfischung zu vermeiden und damit die Vielfältigkeit und Vitalität der Mecklenburger Seenlandschaft zu bewahren.

Den Kritikern aquakultureller Techniken wird hier konsequent der Wind aus den Segeln genommen, denn die Anzahl der Fische wird zugunsten des Bestandsaufbaus kontrolliert. So finden wir eine Maränen-Aufzucht aus über einer Million kleinen Fischen in insgesamt 25 Käfigen. Die Jungtiere ernähren sich von Krill (Krebse in Form von Plankton), der sich durch eine simple Lampe fressbereit sammelt, und werden für verschiedene Besatzprogramme verwendet und ausgesetzt, unter anderem im Stettiner Haff. „Wir haben es dadurch nach Jahren wieder geschafft, einen Bestand aufzubauen, der aktiv befischt werden kann“, sagt Matthäus Marten. Und auch die Aale mehren sich: Zu viele Wehre, Schleusen und Kanäle behindern die Wasserschlange bei der natürlichen Wanderung in den Seen, sodass die Müritzfischer junge Glasaale innerhalb von 48 Stunden von der Küste Frankreichs holen und in den eigenen Gewässern aussetzen. „Wir sehen die Natur als unseren Taktgeber und nutzen die natürlichen Ressourcen so, dass auch noch unsere Kinder mit und von der Fischerei leben können“, ergänzt Marten. Aale Achtung!

Dabei unterscheidet sich die Arbeit der Müritzfischer grundlegend von großindustriellen Unternehmen: „Wir sehen uns als Botschafter der Fischer und wollen versuchen, deren Fänge ohne Umwege über Fischauktionen besser zu vermarkten, um letztendlich die traditionelle Fischerei als Kulturgut unserer Region zu erhalten.“ Ein weiterer gravierender Unterschied sind die Zeiten und Wege, die vom Fang bis zur Übergabe beim Kunden überbrückt werden; da dauert es bei der Industriefischung schon mal 7 Tage, bis die Ware eintrifft. „Und trotzdem spricht man dann noch von frischem Fisch“, sagt Marten. „Hinzu kommt der massive Einsatz von Schleppnetzen, mit dem Masse anstelle von Klasse gefangen wird. Alles mit dem Ziel, besonders viel aus dem Meer zu holen, ohne Blick in die Zukunft.“ Der sonst so ruhige und gelassene Mann wirkt aufgebracht, denn er spricht aus Erfahrung, war er doch selbst jahrelang auf der dunklen Seite der Fischereimacht tätig.

Ebenso nachhaltig wie fortschrittlich geht es im neuesten Projekt zu, für das die Humboldt Universität Berlin mit ins Becken springt. In einem neugebauten Gewächshaus sollen in Zukunft in Bassins schwimmende Welse nährstoffreiches Wasser abgeben, das als natürliches Düngemittel in hunderte aneinandergereihte Tomatenpflanzen fließt. „Aquaponik“ nennt sich dieses Verfahren, bei dem das überlaufende Wasser wieder in die Fischbecken zurückgeführt wird. Solaranlagen auf dem Dach sowie das Anzapfen von Grundwasser treiben das Selbstversorger-Prinzip auf die Spitze. Vielleicht finden wir ja bald die „Müritzer Wels-Tomate“ auf den Karten und Tellern der Republik.

Manchmal kommen die Anregungen aber auch direkt aus der Küche: Seit dem vergangenen Jahr töten die Müritzfischer ihre Saiblinge auf Ikejime-Art, angeregt von Dylan Watson aus dem Restaurant "Ernst". Diese Methode stammt aus Japan und garantiert einen weitestgehend stressfreien und somit schonenderen Tod, absolute Frische, besseren Geschmack sowie eine längere Haltbarkeit. Statt den Fisch, wie üblich, mit einem gekonnt-gezielten Knüppelhieb zu betäuben und anschließend mittels Kiemenschnitt ausbluten zu lassen, wird nach japanischer Art eine dünne Nadel durch das Knochenmark in das Hinterhirn geführt, was einen unmittelbareren Tod zur Folge hat. Auf diese Art verstummt jede Bewegung des Fisches, hektisches Aufbäumen bleibt aus, und es gelangen weniger Stoffe wie Adenosintriphosphat in die Muskeln, die den Fisch vermeintlich sauer und ungenießbar machen. Das Blut wird dann im leicht gesalzenen Eiswasserbad durch Osmose (und dank des noch einige Minuten schlagenden Herzens) rausgespült, so dass das Fleisch beim Saibling eine deutlichere Helligkeit aufweist und nicht zuletzt einfach besser schmeckt. „Seitdem wir das machen, will jeder unseren Saibling ‚Ikejime’ haben – wir kommen gar nicht hinterher“, sagt Matthäus.

Wir werden durch die Hallen der Fischmanufaktur geführt, in der man bereits seit den frühen Morgenstunden sortiert, wiegt, verpackt, versendet, lagert, räuchert und filetiert. Und wir bekommen ein paar echte Brocken vorgelegt: Am Haken (und jetzt im gekühlten Fliesenheim) war am Morgen ein 4,2 Kilogramm schwerer Steinbutt-Hüne, der sich nun auf anderen, ebenfalls mächtigen Exemplaren stapelt. Mit so einem buffetgroßen Platt-Tier könnte man locker eine Großfamilie durchfüttern! Doch jetzt geht es erstmal in die Räucheröfen – hier reiht sich Aal an Aal, und es riecht verführerisch nach fettigem Fisch, Holz und verbrannter Erde. An diesen Duft könnten wir uns gewöhnen. Matthäus meint dazu: „Frisch geräuchert schmeckt es einfach am Besten, eine ganz andere Welt.“ Dem können wir nur beipflichten.

Dass die Müritzfischer geschäftstüchtig sind, zeigt sich nur an der für einen Betrieb dieser Art überraschend guten Website und der Präsenz in sozialen Netzwerken, sondern vor allen Dingen an den Fischerhöfen. Wir besuchen das Dorf Damerow, wo die charmante Kati Lübke die Fischzügel fest in der Hand hält, und erleben, wie die Fischerei den Tourismus ködert. Dem kleinen Frischfisch-Verkauf direkt vom Angler ist ein Restaurant angeschlossen, wo der vor ein paar Stunden noch nichtsahnende Zander nun in unsere Mägen kommt. Doch damit ist es nicht getan, denn die Müritzfischer kümmern sich schlichtweg um alles, was man(n) für einen Angelurlaub braucht: Von der Angelkarte über -Touren bis über die Vermietung von Ferienwohnungen bleibt hier keine Schnur trocken. Auch an fachlichem Beistand mangelt es nicht, wie uns Angelguide Sebastian Paetsch in einem von beeindruckender Expertise strotzenden, langen Monolog über die Seen, das umgebende Land sowie die Vision der Müritzfischer beweist. Uns fällt auf: Keiner hier spricht von sich in der ersten Person, sondern jeder immer, mit erstaunlicher Loyalität, von „wir Müritzfischer“. Irgendwoher kennen wir ein solches Konglomerat ;)

Mit einer ordentlichen Portion neuem Fischfach-Günther-Jauch-Wissen und dem eindrücklichen Beweis, dass der Slogan „Wir leben unsere Leidenschaft“ hier mehr als bloßes Phrasendreschen bzw. –fischen ist, fahren wir von dannen. Wir verstehen, warum sich sowohl Profi- als auch Privatköche zu den Stammkunden zählen. Es geht dabei nicht mehr allein um die Qualität und Vielfalt der Produkte, sondern um die Unterstützung einer zielstrebigen, an-einem-Tau-ziehenden Gemeinschaft, die sich fortwährend für den Erhalt der sie umgebenden, natürlichen Mannigfaltigkeit einsetzt und den Blick immer nach vorn, 25° Backbord voraus, richtet. Petri Dank!

Micha Schäfer über die Müritzfischer

"Transparenz und Interesse an gemeinsamer Entwicklung ist uns bei jedem unserer Produzenten wichtig. So ist auch die tolle Zusammenarbeit mit den Müritzfischern entstanden und besteht bis heute." 

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