Interviews 18.Mai 2016

DER KAISER DER PARADEISER

"Der fleischige Liebesapfel des Sommers, verführerisch, saftig und bereitwillig: die Tomate."  So huldigt Jahrhundertkoch Joël Robuchon der Frucht in seinem Werk "Le dimanches de Joël Robuchon". Allerdings müssen wir gar nicht bis nach Frankreich gondeln, um einen wirklichen Vollzeit-Enthusiasten in Sachen Tomatenanbau und Artenvielfalt kennenzulernen: Erich Stekovics bringt in Frauenkirchen am österreichischen Neusiedlersee jede der 300 Sonnenstunden in seine Pflanzen und wird deshalb nicht umsonst als "Kaiser der Paradeiser" tituliert. Wir haben ihn besucht, über einen kleinen Teil seiner 36 Hektar Land begleitet (auf denen er tomatenfarbene Schuhe trägt) und wie einen seiner Lieblinge mit dem Ziel des Wissenstransfers ausgequetscht...

Unglaubliche 3.200 vergessene Tomatensorten haben über die Jahre den Weg zu Erich Stekovics gefunden, um die 700 pflanzt er jede Saison an. Darüber hinaus ist dieser Mann ein menschgewordenes Lexikon, wenn es um Sortenvielfalt und den Anbau der Preziosen geht. Das spricht sich natürlich auch in den Spitzenküchen rum: Der unweit gelegene Taubenkobel ist Kunde der ersten Stunde, aber auch das Wiener Steirereck und das Döllerers bei Salzburg – um nur einige zu nennen – gehören zu den Abnehmern seiner Produkte. Hinzu gesellen sich nach Stekovics' Aussage einige Häuser, die die Verwendung zwar lautstark kommunizieren, die er jedoch noch nie beliefert hat. Stekovics Gesichtsfarbe verändert sich dabei nur leicht, da er ebenfalls viele Sonnenstunden abbekommen hat, seine Tonlage variiert jedoch deutlicher. Vielleicht weil wir mehr Distanz zu den Geschäftsinteressen haben, würden wir solcherlei Gastro-Hochstapeleien eher als großes Kompliment interpretieren. 

Dabei fing alles wesentlich kleiner, nämlich mit Erdbeeren an: 1999 baute Stevocis das erste Mal die inzwischen legendäre Sorte "Mieze Schindler" an; die 2.000 Pflanzen kamen aus Dresden. Seine damals 5-jährige Tochter Miriam attestierte ihm: "Papa, so schmecken Erdbeeren!" Das war der Beweis für den durchaus kauzigen Bauern, dass Geschmack über Generation evolutionär weitergegeben wird: "Der Mensch erinnert sich, wie etwas schmeckt, auch wenn er es vorher noch nie gegessen hat." Dabei ist ihm die Rolle des Landwirts nicht unbekannt. Sein Vater Labislaus Stekovics bewirtschaftete bis in die 1980er Jahre die größten Chilifelder Österreichs. Der Sohn machte den Schlenker über ein Theologiestudium, bevor er sich dazu entschloss, das zu tun, worauf er wirklich Lust hatte: seine Tochter großzuziehen – und unzählige Früchte! Die verkauft er übrigens ausschließlich am höchsten Punkt der Reife und meint dazu: "Wenn sich gewaschenes und poliertes Obst und Gemüse lagern lässt, dann kann man davon ausgehen, dass kein besonderer Geschmack in den Früchten ist."

Sein System funktioniert so gut, dass der Hohepriester der Nachtschattengewächse mittlerweile als Paradebeispiel für nachhaltige und sorgsame Bestellung eines Landguts gilt. Dabei geht es ihm vor allen Dingen um den Artenerhalt: "Wir sind mehrere Wochen im Jahr unterwegs, um Sortenjuwelen zu suchen. Dabei ist vor allem der ehemalige Ostblock ein noch bestehendes Refugium. Ich habe noch nie so gutes Obst und Gemüse gegessen, wie in der Ukraine." Seine Forschungsziele bekommt er meistens frei Haus – es sind Kunden, die ihn auf besondere Gewächse aufmerksam machen und oft auch Samen aller Art mitbringen. Seine neueste Entdeckung sind Zwiebeln aus Tropea im süditalienischen Kalabrien, denn neben den Paradiesäpfeln baut Stekovics auch Erdbeeren, Himbeeren, Maulbeeren, Marillen, Weingartenpfirsiche, Knoblauch, Zwiebeln, Gurken, Melanzani (Aubergine) und Basilikum an. Dazu kommen Sortenversuche mit Rüben, Bohnen und Fisolen (Gartenbohne), Paprika und Chili. Stekovics ist immer auf der Suche nach "neuen" alten Sorten. 

Aber zurück zum Paradeiser. Der wächst in Frauenkirchen nicht in fußballfeldgroßen Gewächshaus-Artillerien, sondern im Freien, in der prallen, unbarmherzigen Sonne. Kein Wasser, kein Beschnitt, sondern kontrollierte Wucherung, die kämpferische Pflanzen resultieren lassen. Die Mineralien und Nährstoffe holen sie sich aus der Tiefe oder der Weite des fruchtbaren Bodens – einige Sorten haben bis zu 800 Meter lange Wurzeln – und die natürlichen Schädlinge vertreibt der Wind, wobei es immer Neues gibt: "Die Ökonomie der Natur ist niemals von Jahr zu Jahr übertragbar." Für Stekovics’ Pflanzen bietet sie aber offenbar ideale Bedingungen, und so werden wir Zeugen einer unfassbar großen Sorten- und Geschmacksvielfalt: Von der "Black Plum" über die "Dattelwein" bis zur "Russischen Reisetomate" zeigt sich die Natur hier in allen erdenklichen Formen und Farben. Wie bei den Rebsorten unterscheiden sich die Aromen oft drastisch, wobei allen gemein der hohe Grad an Intensität ist, der mit dem wässrig-müden Geschmack einer glänzenden Rispentomate aus dem Supermarkt nicht mal im Ansatz zu vergleichen ist. Wunderbar!

Apropos Wein: Erich Stekovics arbeitet an einem Vokabular, mit dem Obst und Gemüse nach dem Vorbild der Winzersprache blumig beschrieben werden kann. Man könne einem Rotwein Kirsch- und Erdbeertöne zusprechen, gleichzeitig fehle es aber an Vokabeln für die Beschreibung einer Erdbeere, meint er. Eine Beschreibung würde mit Stekovics’ Worten ungefähr so klingen: "Bianca ist ein gelber Cocktailparadeiser aus Frankreich mit intensivem Geschmack nach Champignon. Der 'Gelbe Johannisbeerparadeiser' trägt Haselnussduft und die Sorte 'Dr. Wiches Yellow' einen intensiven Geschmack nach Mango." Doch auch bei der Entwicklung einer vermeintlichen Tomatensprache schwingt die Sorge um den Artenerhalt mit. Wenn der Geschmack von Obst und Gemüse verloren ginge, würde es unmöglich, Obst und Gemüse mit anderen Obst- und Gemüsearomen zu beschreiben. Eine logische Konsequenz, der er mit allem Eifer entgegenarbeitet.

Stekovics schaut zurück, die Wissenschaft hingegen nach vorn: Kreuzungsversuche der Tomate mit Tabakpflanzen oder Kartoffeln und neue Züchtungen wie die "Intense" der Nunhems-Forschung und "Ruth" aus Bremen sind nur einige Versuche, dem Geschmack der Tomate auch andere Aromen unterzujubeln. Was Stekovics davon hält? So viel wie wenn man Coca-Cola mit Red Bull mischen würde, wobei diese Antwort mehr als eine Interpretationsmöglichkeit offeriert. Für Stekovics jedenfalls geht es um die Rückbesinnung auf die naturgegebene Vielfalt, bevor sie uns endgültig durch industrielle Reduzierung auf eine Handvoll Sorten und die fortwährende Verfügbarkeit geraubt wird.

Die Universität Bamberg führte bereits Untersuchungen an den edlen Frauenkirchner Tomaten durch, doch die Erkenntnisse sind ihm – ganz omnivor – "Wurst": "Für mich ist der Gehalt von Zucker und Wasser kein Kriterium dafür, dass etwas gut ist, sondern der Gaumen sagt mir das. Das ist für den Geschmack wertvoller als jede chemische Analyse."

Seine Tomaten und die Vielzahl anderer Gemüsesorten verkauft Stekovics nur ab Hof. Für den Versand sind die frischen, am Zenit ihrer Geschmacksintensität geernteten Früchte nicht gemacht. Ein Großteil des Tomaten- und Gemüsebestands wird daher eingelegt, eingekocht und eingemacht: Essige und Chutneys, Gewürzgurken, eingelegte Chili, Marmeladen und vieles mehr bietet Erich Stekovics auf seiner Website und direkt vor Ort zum Verkauf an. Neben diesem Vertrieb führt Erich Stekovics interessierte Besucher hundert (!) Mal im Jahr durch seinen Betrieb, wobei die Führungen seit Jahren und aus gutem Grund ausgebucht sind: "Die Besucher bekommen erstmals vor Augen geführt, was Natur bedeutet: nämlich alles so sein zu lassen, wie es ist." Klingt einfach – und ist es auch: Er macht den Anwesenden Mut, den heimischen Anbau auszuprobieren und hat bereits mehrere Koch- und Rezeptbücher zum Thema veröffentlicht: "Die besten Paradeiser wachsen noch immer im eigenen Garten oder in eigenen Töpfen am Balkon."

Trotz aller Vielfalt, dem unglaublichen Wissen und der bewundernswerten Leidenschaft wollen wir wissen: Wie schmeckt denn Erich Stekovics perfekter Liebes ... pardon ... Paradiesapfel? "Der perfekte Paradeiser hat die Eigenschaft, dass er nicht perfekt ist. ‚Perfekt’ im Sinne von hart, optisch makellos und wahnsinnig lagerfähig. Ein guter Paradeiser hat für mich ein wunderbares Spiel zwischen Süßem und Säure, trägt viele Obstaromen in sich und entwickelt sich jahreszeitlich im Geschmack."

Es ist der unermüdliche Eifer, der Erich Stekovics so einzigartig macht und uns tief beeindruckt. Es würde den Rahmen sprengen, hier all seinen Einsatz zur Bewahrung natürlicher Nachhaltigkeit sowie seine Anstrengungen gegen ihm zuwiderlaufende agrarkulturelle Regelungen der EU zu erwähnen und zu würdigen; Erich Stekovics ist kein Mann, der sich gerne ausruht. Menschen wie der "Kaiser der Paradeiser" entlarven die stetige Uniformität und die geschmackliche Blässe der Massenware und stellen ein Produkt zum direkten Vergleich daneben, das in Sachen Geschmack, Aufzucht und Historie nicht annähernd mit dem zu vergleichen ist, was uns der Italiener um die Ecke als "Insalata Caprese" in aromatischer Einfältigkeit serviert.

Bleibt uns eigentlich nur noch die letzte, wirklich wichtige Frage: Was ist Stekovics’ Leibgericht? „Paradeiserkraut mit Suppenhuhn, eine typische Hochzeitsspeise aus dem Burgenland.“ Das würden wir gerne mal probieren – dann allerdings nur mit Tomaten aus Frauenkirchen.

Heinz Reitbauer über Erich Stekovics:

"Liebevoll gesagt besitzt er dieses Quäntchen positive Verrücktheit, das unsere Landwirtschaft und unser Land braucht. Immer rastlos und suchend, ist er ein Vorreiter und Gesicht der geschmacklichen Vielfalt."

 

Foto: Kanizaj Marija

Fressfreunde

The important Stuff

"Ich konnte mal 6 Sorten von Erich Stekovics probieren: Grösstenteils sehr schmackhaft. Teils mit ungewohnt exotischen Aromen. Die Konfitüre blieb ebenfalls in bester Erinnerung. Ein befreundeter Winzer legte mir damals nahe Stekovics unbedingt zu besuchen. Sollte sich also lohnen."

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