Kolumne  4.Februar 2016

Feige ist, wer nur dran nippt

Wein umweht die Aura des natürlichen, des reinen Getränkes – die Frucht der Arbeit von Winzerhand. Wein hat sich in den letzten 50, 60 Jahren jedoch ebenso vom Produzenten entfernt wie die Lebensmittelindustrie vom Bauern. Eine Entwicklung, die sich im Wunsch vieler Weintrinker zur Rückkehr zum ursprünglichen, zum authentischen Produkt widerspiegelt.

Seit einigen Jahren rückt der Bio-Wein immer mehr in die Wahrnehmung der Verbraucher, wobei der Begriff Biowein selbst noch sehr schwammig ist. Dazu kommt die Kategorie der Orange-Weine und zu allem Überfluss auch noch die Vin Naturels. Wer steigt da noch durch, und was sind eigentlich die unterschiedlichen Eskalationsstufen des Bioweins? Wo verläuft die Grenze von biologisch zu biodynamisch? Und ist das alles immer orange?

Der biologische Weinbau ist die milde Variante des Öko-Dogmatismus. Er verwendet keine Fungizide, Herbizide und Pestizide im Weinberg, und seit einigen Jahren ist auch der Kanon der im Keller zulässigen Helfer eingeschränkt worden. Zuvor beschränkten sich die Sanktionen lediglich auf den Weinberg. Die Einbeziehung des Kellers ist folglich ein Schritt in die richtige Richtung.

Der biodynamische Weinbau beruht auf der Lehre Rudolf Steiners. Die darin verankerte Orientierung an Mondphasen sowie die Herstellung eigener Präparate aus Kuhmist und deren anschließende Dynamisierung nach festgelegten Prozessen lassen diese Art des Anbaus in den Augen der Kritiker nahezu okkult erscheinen. Per se muss aber festgehalten werden, dass die so hergestellten Weine eine andere Komplexität haben als herkömmliche Produkte. Die biodynamische Bewirtschaftung beinhaltet nicht nur die Rebe, sondern bezieht auch ihr Umfeld, die Biodiversität mit ein, in der sie gedeiht. Es ist folglich ein ganzheitlicher Ansatz.

Es gibt eine Reihe von Verbänden (unterschiedlich in den jeweiligen Herkunftsländern), die jeweils ihre eigenen Standards haben, die ihr Siegel reglementieren: Bioland, EcoVin, Naturland und Demeter, wobei Letzterer bei biodynamischen Weinen bislang die strikteste Guideline hat. Dazu kommt noch das EU-Siegel für biologischen Weinbau, das allerdings im Vergleich zu denen der aufgezählten Verbände oft schwächer ist. Zu diesen Varianten der biologisch oder biodynamisch erzeugten Weine kommen Orange-Wein und Vin Naturel.

Foto: Weingut Barbichon, (c) Vinaturel.com

Orange bezieht sich dabei auf die oftmals orange Farbe. Der Hauptunterschied zu den „Bioweinen“ ist, dass sich Orange nur auf die Weinbereitung bezieht. Ein Orange-Wein wird wie ein Rotwein auf der Maische vergoren, das bedeutet, es wird nicht der abgepresste Saft verwendet, sondern die ganzen angepressten Trauben, teilweise sogar mit Stielen. Orange-Wein muss dabei nicht zwingend bio oder biodynamisch sein. Es gibt keine Regulierungen, die die Anforderungen zur Herstellung eines Orange-Weines definieren. Ein Orange-Wein kann trüb sein oder klar. Auch die Farbe ist nicht zwingend, obwohl sie namensgebend für die Kategorie ist. Ein Orange-Wein aus Gewürztraminer ist zwar rosa, aber trotzdem orange. Alles klar?

Der Vin Naturel behauptet von sich, die reinste Form von Wein zu sein, frei von jeder vermeidbaren Intervention des Menschen. Gepresste Trauben werden zu Wein. Vielleicht eine kleine Prise Schwefel, mehr ist nicht zugelassen. Die Handlese ist obligatorisch, im besten Falle ist der Wein auch noch vegan, weil ja nichts reingekippt wurde - also auch nichts, was von Tieren stammt.

Das klingt erstmal sehr natürlich, doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Auf Grund der unzähligen biochemischen Prozesse, die sich während der Gärung abspielen, ist der Ausgang oft ungewiss, Fehltöne oder bakterielle Infektionen nicht ausgeschlossen. Es braucht sehr sorgfältiges Arbeiten im Berg sowie penibelste Hygiene im Keller. Die Spanne von großartig bis ungenießbar beschreibt wahrscheinlich keine andere Kategorie von Wein so treffend.

Und woran scheiden sich nun die Geister? Das klingt ja erstmal alles ganz gesund. Und was zum Teufel ist an den Weinen so anders?

Nun, eigentlich alles. Die Vin Naturel und auch die Orange-Weine sind olfaktorisch, gustatorisch sowie haptisch radikal anders als alles, was der herkömmliche Weinbau zu bieten hat. Ihre Herstellung nivelliert den Rebsortencharakter, die Böden und den Jahrgang.

Haptik: Diese Weine haben ein völlig anderes Mundgefühl als herkömmlicher Wein. Es ist ähnlich wie zum Beispiel bei Apfelsaft: Während die klare Variante gefiltert und pasteurisiert und sonstwie behandelt, wurde ist der naturtrübe Saft ungefiltert. Das bedeutet, dass viele Stoffe wie Proteine, Ballaststoffe etc. noch enthalten sind. Die lassen ihn schneller verderben, sorgen aber auch für mehr Geschmack. Sie erscheinen oft komplexer und vielschichtiger als herkömmlich hergestellte Weine.

Beim Orange-Wein bedeutet das ein Extra an Gerbstoffen, die bei der Maischestandzeit extrahiert wurden, sowie den weitestgehenden Verzicht auf Schönungs- und Stabilisierungsmittel.

Foto: Weingut Meinklang, (c) Vinaturel.com

Diese Weine bringen uns an die Grenzen unseres bisherigen Weintrinkerlebens, sei es im positiven wie im negativen Sinne. Grenzerfahrungen stehen bei den wenigsten Menschen auf dem Wunschzettel, wenn sie sich abends ein Glas einschenken. Der Mensch mag per se keine Grenzerfahrungen (Keith Richards ausgenommen) und Veränderungen erst recht nicht.

Wein, so scheint es, ist als Naturprodukt eins der transparentesten Produkte überhaupt: Bei keinem anderen Produkt haben wir einen so direkten Weg zum Produzenten, sei es die Großkellerei oder der Winzer am Steilhang. Diese Transparenz hat weder das Paket Hackfleisch noch die Tüte Bio-Milch. Dieser Gedanke birgt aber zwei Denkfehler:

Zum einen ist Wein kein Naturprodukt, sondern ein Kulturprodukt, das heißt, es wächst in einer künstlichen, angepassten Landschaft. 

Des Weiteren wird Wein weitläufig als Lebensmittel betrachtet - ist jedoch ein Genussmittel. Daher müssen die technischen Hilfsmittel und Zusatzstoffe (gut 50 zugelassene technische Hilfsmittel), die zur Herstellung von Wein verwendet werden dürfen, auch nicht deklariert werden. Die einzige Ausnahme ist hierbei der Schwefel, der ab einer Dosierung von mehr als 15mg/Hektoliter deklariert werden muss. Hühnereiweiß und Milchprodukte unterliegen zwar auch der Deklarationspflicht, sind aber dank der technischen Möglichkeiten meist trotz Verwendung rückstandsfrei zu entfernen. Das war es mit der Deklaration.

Viele biodynamisch erzeugte Weine verzichten heute weitestgehend auf technische Hilfsmittel, und diejenigen, die verwendet werden dürfen, müssen selbst bio-zertfiziert sein. Anders als Vin Naturel  und Orange-Weine bilden Bio- oder biodynamische Weine sowohl Charakter und Herkunft der Rebsorten als auch Jahrgänge recht zuverlässig ab. Welchen Typ man für sich als den geeigneten erachtet, kann man nur selbst herausfinden. Ein guter Händler ist dabei immer eine große Hilfe, denn nicht alle Weine sind für jedermann gemacht. Eins begegnet einem bei der eigenen Geschmacksfindung aber bestimmt nicht: technische Langeweile.

Foto: Weingut Manicor, (c) Vinaturel.com 

Über den Autor

Sebastian Bordthäuser ist Quereinsteiger. Der studierte Gitarrist und Germanist machte seine Leidenschaft zur Passion und ist stets bestrebt, eine gemeinverständliche Sprache für den Wein zu finden. Die Grundlagen der Sensorik sind das Fundament für seine Liebe zum Wein. Ist kein Wein zur Hand, stürzt er sich auch gerne in Themenbereiche wie Bier, Sake, Cocktails, Fruchtsaft und Gewürze. 

Nachdem er seine Karriere als Sommelier im Steinheuers Restaurant Zur Alten Post beendete, wandte er sich ganz dem Schreiben zu und formuliert nun für Effilee, BEEF, die Welt am Sonntag, Sternefresser.de und einige andere. Er bleibt stets auf der Suche nach kulturgeschichtlichen Hintergründen und Abgründen. 

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