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Restaurantkritik 27.September 2018

Die Welt im Sinn

Das ZweiSinn in Nürnberg gehört zu jenen Restaurants, die für uns erst mit der Verleihung des Michelin-Sterns 2016 auf dem Radar erschienen. Okay, von diesen Häusern gibt es inzwischen viele. Unserer Meinung nach zu viele, und bei etlichen ging es mit der Aufwertung sicherlich zu schnell. Aber eine Orientierungsmarke bleibt der Guide Rouge für uns dennoch, keine Frage. Zur Sicherheit schauten wir trotzdem nochmal bei der Konkurrenz nach: 15 Punkte im Gault Millau, naja okay; aber stolze 7 Pfannen im von uns geschätzten Gusto – das ist doch eine Ansage.

Also los, Tisch reserviert, in den Zug gesetzt und am Nürnberger Hauptbahnhof erstmal überrascht, dass das Restaurant ja doch etwas außerhalb liegt, im Stadtteil St. Jobst, unweit des Wöhrder Sees. Was ist das nur, dass außer dem Essigbrätlein die besten Nürnberger Lokale nicht in der City liegen, sondern in den Randbezirken – man denke an den Schwarzen Adler – oder gleich ganz außerhalb wie das Sosein.

Aber genug der Abschweifungen, was erwartet uns im ZweiSinn? Die Lokalität ist in zwei Bereiche unterteilt, vorne ein modernes Bistro, hinten die Gourmetabteilung. Das Interieur ist zurückgenommen und sachlich. Dunkler Holzboden, blanke Holztische, Stühle in Türkis und an den Wänden ein dezenter Farbton zwischen beige und gold. Nett und hübsch, aber nicht weiter einprägsam. Küchenchef und Inhaber Stefan Meier kann auf Stationen unter anderem im Louis C. Jacob, bei Juan Amador in Langen und bei Johanna Maier in Filzmoos zurückblicken. Eine wilde Mischung, aber nicht die schlechteste Voraussetzung für ein erfreuliches Mahl ...

Als Apéros gibt es eine Trilogie: Lángos gefüllt mit Käsecrème und Rauchpaprikapulver, getoastetes Brioche mit gebratener Gänseleber und Apfel-Majoran-Chutney sowie einen Tapiokachip mit Thunfisch, rosa Ingwer und Avocado. Beim "Lángos", einer Interpretation des ungarischen frittierten Hefefladens, sind Idee und Füllung gut, aber den Teig empfinden wir als sehr mächtig und dominant. Auch die Brioche unter der Foie-gras entfaltet sich erstaunlich mundraumfüllend, was angesichts der köstlichen Fettleber (geröstet, wie wir sie lieben) umso bedauerlicher ist. Besser austariert sind Tapioka und der gute Tuna, wenngleich auch hier etwas weniger Boden bestimmt nicht verkehrt wäre. In Summe sind das drei Happen, die Feintuning benötigen.

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Beim Amuse, einem Beef Tatar mit Beurre-blanc-Eis, Black-Label-Kaviar und Rote-Bete-Gazpacho, kann man eigentlich nicht viel falsch machen – da treffen bewährte Kombinationen aufeinander. An sich funktioniert das hier auch sehr gut, die Balance zwischen Umami, Erdigkeit, leichter Süße und Schmelz stimmt einfach. Allein das Fleisch ist uns zu fein geschnitten, gleicht eher einer Paste als einem Tatar – es fehlt etwas Biss; so bleibt es texturell dem Eis zu ähnlich. Auch der Kaviar ist deutlich zu wenig, um gegen die kraftvollen Mitspieler anzukommen. Entweder mehr oder ganz weglassen. So bleibt auch hier das Fazit: guter Ansatz, suboptimal umgesetzt.

Sodann startet das Menü mit Kaninchen, Karotte, Curry, Arganöl, Dattel und Couscous. Mit seiner straßenartig drapierten Anrichtungsweise sieht dieser Teller fast schon altmodisch aus. Aber was sollen wir sagen: Es schmeckt richtig gut! Der Kaninchenrücken ist butterzart, hat leichte Röstaromen und harmoniert prächtig mit der orientalischen Würze der Beigaben. Es gibt ein bisschen Süße und ein wenig Schärfe, Biss vom Couscous und Säure von den geflämmten Orangen. Dazwischen etwas Crunch und wohldosierte Cremigkeit. Top.

Beim Hamachi mit Erdnuss, Koriander, Pomelo und roter Shiso benennen wir unseren Kritikpunkt gleich vorweg: die Erdnusscrème. Nimmt man nur einen Tupfen davon, bleibt sie am Gaumen so präsent, dass der Fisch keine Chance mehr hat. Also lassen wir sie ab dem zweiten Bissen weg - und haben ein elegantes, harmonisches Gericht vor uns, bei dem der rohe Fisch von fruchtig-frischen und leicht säuerlichen Geschmäckern prima untermalt wird. Und auch die kleinen Stücke von der Erdnuss mit ihrem Biss und ihrer dezenteren Aromatik ergeben hier durchaus Sinn.

Wuchtiger wird es beim Roten Gamberoni mit Banane, Limette und Tom Kha Gung. Die fette Fruchtsüße des Bananenkompotts passt hervorragend zum knackigen, nussigen Gamberoni; aufgelockert wird die originelle Kombination von der süßsäuerlichen Limette, die zugleich den Eigengeschmack des Krustentiers hebt. Vor allem aber gefällt uns der Spiegel auf Basis von Tom Kha Gung, jenes scharfen thailändischen Suppenklassikers aus Brühe (Krustentier oder Huhn), Kokosmilch und Galgant. Auch hier entwickelt sich ein Spiel aus Süße, Nussigkeit, Krustentier und exakt dosierter Schärfe, die einen wachrüttelt, aber die Papillen nicht betäubt. Sehr gut.

Das können wir von der Fränkischen Forelle mit Spargel, Weizengras und Eigelb leider nicht behaupten. Der Fisch selbst ist gut, die Spargelspitzen auch. Aber der grüne Sud, der so grasig schmeckt, wie er aussieht, zieht alles runter. Die Eigelbcrème verstärkt den unangenehm spröden Geschmack nochmals. In Kombination mit dem dumpfen Amaranth schmeckt das wie etwas, das wahnsinnig gesund, aber nahezu ungenießbar ist. Moment, was heißt nahezu? Wir lassen fast den kompletten Gang zurückgehen und fragen uns, was bedenklicher wäre: Dass dieses Gericht die Küche verlassen hat, ohne probiert worden zu sein, oder dass es probiert wurde und trotzdem rausging.

Als Hauptgang gibt es Rind "hoch 2" mit Gyoza, schwarzer Bohne, Mangold und Beeftea. Das Fleisch ist zart und doch kernig, mit viel Eigengeschmack. Die pilzgespickte Bohnencrème (eine Mettigel-Abwandlung?) und das gut abgeschmeckte Mangoldgemüse sind stimmig-klassische, wenn auch nicht sehr originelle Begleiter; etwas Pep bringt die würzig gefüllte Gyoza-Teigtasche. So weit, so gut – aber uns fehlt Sauce. Fleisch ohne Sauce funktioniert für uns immer nur halb so gut, das gilt sogar bei feinstem Wagyu. Der Beeftea (in seinem Pott irritierenderweise auf dem Hauptteller platziert) kann das nicht ausgleichen, so intensiv und gut er auch ist. In diesem Moment verstärkt sogar der mausgraue Teller den tristen Eindruck, dass hier etwas Wichtiges fehlt. Oder anders herum gesagt: Mit Sauce wären wir bestimmt glücklicher gewesen.

Als Pré-Dessert gibt es "Alles Banane": Banane, Avocado und Yuzu. Die texturelle Ähnlichkeit von cremig-fetter Avocado und cremig-fett anmutender Banane wird hier sehr schön ausgespielt. Die Banane leicht karamellisiert und als Mousse, die Avocado als Fruchtstück, Crème und Eis – da zeigt sich, wie sehr die Beschaffenheiten auch die Geschmackswahrnehmung verändern. Jedes Löffelchen schmeckt irgendwie anders, und es bleibt spannend. Dazu das herbsaure Yuzu-Sorbet als Auffrischung. Passt alles prima und nicht mal die Dopplung der Banane (Gamberoni) stört. 

Das Hauptdessert besteht aus Passionsfrucht, Gurke, Jasmintee und Zitronengras. Das eher spitze Aroma der Passionsfrucht und das Parfümierte vom Zitronengras werden hier durch die milde Frische der Gurke und die etwas dunklere Aromatik des Tees sehr schön aufgefangen. Auch die Idee mit den saftigen Teeküchlein gefällt uns gut, denn sie sind zwar ziemlich mächtig, binden aber gewissermaßen die Geschmäcker und machen die ganze Sache rund. Fein.

Zum dringend nötigen Espresso dann noch einige sehr ordentliche Petits Fours: Waldmeisterschaumkuss, Vanille-Essig-Praline, Rhabarbergelee, Zitronentarte mit Erdbeere, Baba au Rhum.

Es war ein Auf-und-Ab, was wir im ZweiSinn erlebten. Auf der einen Seite merkten wir über weite Strecken, dass hier einer kocht, der weiß, was er tut, weil er sein Handwerk in einigen der besten Häuser gelernt hat. Das Resultat sind gute Gerichte, die kompositorisch rund und geschmacklich befriedigend waren: Kaninchen mit Couscous, Gamberoni mit Banane und Thai-Würze, beides Gerichte, die wir im Moment dieses Schreibens gerne wieder vor uns auf dem Tisch hätten. 

Auf der anderen Seite gab es einige Ungenauigkeiten, speziell in der Feinabstimmung, die man so nicht erwarten würde. Hier meinen wir insbesondere die Amuses, aber auch Details wie die heftige Erdnusscrème und die fehlende Sauce zum Rind; von der Forelle ganz zu schweigen. So oder so: Im kulinarisch einst so verschlafenen Nürnberg tut sich vieles, in verschiedenen Richtungen und auch jenseits der reinen Regionalitätslehre. Mit etwas Optimierung kann Stefan Meier hoffentlicht zur regionalen Spitze aufschließen.

Fazit

Nürnberg und die Welt: Stefan Meier serviert im spitzengastronomisch eher regional geprägten Nürnberg eine Weltküche zwischen Orient, Asien und Europa. Manchmal vergisst er dabei den kulinarischen Kompass, wenngelich die handwerkliche Grundlage stimmt.

Text: Kai Mihm

Wein

Die Weinauswahl im Restaurant ZweiSinn in Nürnberg

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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