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Restaurantkritik  7.August 2018

Schanzensprung

Hinweis: seit 2022 hat das Restaurant drei Michelin-Sterne. Einige der von uns besprochenen Gerichte gibt es dort noch immer.
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Schön isses hier, an der Mosel. Von der Rückbank unseres Taxis lassen wir die Blicke schweifen und sind von der Landschaft direkt ein bisschen verzaubert. Wie das so ist, wenn man als Städter ins idyllische Hinterland reist. Alles so grün und sonnig, mit sanft geschwungenen Hügeln und schmalen Straßen, die sich malerisch zwischen Weinbergen und Kuhweiden schlängeln. Ja, doch, ein paar Tage könnten wir es hier gut aushalten. 

Insbesondere in Piesport, unserem Reiseziel. Dort steht das Weinhaus Schanz, ein Familienbetrieb, der nicht zuletzt durch den Filius Thomas Schanz zu Ruhm kam – der nämlich erkochte im hauseigenen Gourmetrestaurant binnen weniger Jahre zwei Sterne: 2011, noch im Eröffnungsjahr, gab's den ersten, im November 2015 folgte Macaron Nummer zwei. Über den Werdegang des inzwischen 40-Jährigen haben wir bereits in unserem ersten Bericht von 2016 erzählt, von seinen prägenden Stationen im Gästehaus Klaus Erfort und bei Helmut Thieltges im Sonnora, wo er sechs Jahre lang als Souschef fungierte.

Nun also sind wir zurück im Weinhaus Schanz, das dem Klischee des "sympathischen Familienbetriebs" auf das Positivste entspricht. Der Empfang ist ungekünstelt herzlich, der Umgang persönlich, man hat Zeit für den Gast – von der professionellen Teflon-Nettigkeit mancher Weltstadthäuser keine Spur. Man merkt auch, dass das Gourmetrestaurant nicht zwingend den Mittelpunkt allen Schaffens bildet. Gerade diese unprätentiöse Beiläufigkeit macht einen Gutteil des Charmes aus. Trotzdem geht es für uns natürlich zuvorderst um die Frage: Was gibt's zu Essen?

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Los geht es, wie schon bei den letzten Besuchen, mit dem Hausklassiker: Das Trüffelei besteht aus Sahne, Ei und Trüffel - ein bisschen Butter ist bestimmt auch noch drin. Herrlich üppig, trotzdem flaumig-leicht, die Komponenten ideal aufeinander abgestimmt. Das passt wie immer bestens.

Das zweite Amuse besteht aus einem Cannellone vom Mittelmeer-Schwertfisch in weißem Tomatenschaum mit Chorizosud. Das sieht durch den Kontrast von glänzendem Weiß, tiefem Schwarz und leuchtendem Orange sehr spacig aus. Am Gaumen bleibt es leider etwas flach. Der Tomaten-Fisch-Cannellone gefällt zwar durch seinen milden, eleganten Geschmack, aber der Chorizosud bleibt arg – sagen wir: zurückhaltend. Dabei bräuchte es eine gewisse Würze und Schärfe, um dem Röllchen den nötigen Schwung zu geben.

Nun startet auch schon das Menü mit roh mariniertem Kaisergranat mit gebeiztem Nebraska-Rinderfilet, grünem Spargel, getrockneter Tintenfischtinte und Estragon. Die Präsentation wirkt vielleicht ein bisschen sehr verspielt, aber kompositorisch hat dieser Gang Hand und Fuß. Der Spargel greift das Nussig-süße des Granats auf und kontrastiert mit seinem Biss zugleich dessen Schmelz. Dazwischen die kräftige Meeresaromatik von der getrockneten Tintenfischtinte (darauf muss man erstmal kommen), die auf wundersame Weise großartig mit den Anis-Noten des Estragons harmoniert. Nicht zu vergessen die eher dunkle Aromatik vom gebeizten Rindfleisch, das mit seiner ganz speziellen Textur an die Beschaffenheit des Kaisergranats andockt. Sehr clever finden wir es auch, neben dem Carpaccio das gegarte hintere Schwanzstück des Krustentiers auf den Teller zu legen. Man merkt: Hier handelt es sich um eine durchaus komplexe Komposition, die aber – und das ist das Geniale – praktisch selbsterklärend ist. Es schmeckt genau so, als dürfte nichts daran anders sein. Einziger Kritikpunkt: Es ist ziemlich viel, speziell für den ersten Gang in einem großen Menü.

Nun folgt ein kulinarisches Meisterwerk. Nämlich die Tourelle von der Gänseleber mit Ziegenkäse und karamellisierten Nüssen. Oft wirkt Foie-gras-Terrine etwas plump und schwer und fett, weil sie als kleiner Quader serviert wird, von dem man sich massive Stücke abschneidet. Süße Beigaben sollen das dann ausgleichen. Nicht so bei Schanz. Er schneidet die Terrine in äußerst dünne Scheiben, wodurch sie viel feiner und dezenter wirkt; auch der Schmelz ist dadurch ein ganz anderer. Diese Scheiben wiederum unterlegt er mit ultraknusprigem Strudelteig und schichtet sie mit mildem Ziegenkäse und Nüssen. Eine Art Mille-feuille von der Gänseleber. Sagenhaft. Es schmeckt knusprig und weich, herzhaft und zart. Insbesondere der Strudelteig erweist sich als genialer Clou, denn jeder Bissen, jedes Knacken versetzt uns aufs Neue in Entzücken. Diese Götterspeise ist nicht weniger als das perfekte Foie-gras-Gericht.

Nicht so stimmig finden wir die Jakobsmuschel aus Dieppe mit sautiertem Radicchio, Bitterorange und Haselnuss. Das liegt vor allem an der Qualität und Garung der Muschel. Interessanterweise hatten wir St. Jacques aus Dieppe auch im Sonnora, aber während sie dort knackig-zart und saftig waren, ist sie hier etwas trocken und von faseriger Textur – vermutlich übergart. Lassen wir diesen Aspekt beiseite, gefällt uns die Komposition an sich sehr gut. Schanz umgibt die leicht süße Muschel mit einer Abstufung von bitter-säuerlichen Aromaten: salatig beim sautierten Radicchio, gemüsig-fruchtig bei der Tomatenessenz und fruchtig-herb beim Bitterorangenschaum. Das ist trotz des schwachen Protagonisten ein wildes und spannendes Miteinander.

Beim pochierten bretonischen Seehecht mit marinierten Kräutern, Hühnerhaut und Aufguss von Meeresaromen wird es etwas kompliziert. Der Fisch ist exzellent, die Kräuter (u. a. Passepierre und Koriander) bringen schöne Würze und Exotik, die Hühnerhaut steuert Textur und Aromentiefe bei. So weit, so großartig. Dann kommt der Aufguss ins Spiel – und bringt die Harmonie ins Wanken. Der Sud (unter anderem aus Algen) ist so intensiv, dass er alles andere mit jodig-meerigen Aromen überflutet. Selbst bei ganz vorsichtiger Dosierung wird es uns schnell zu viel, zumal auch die Passepierre schon einiges an Meeresgeschmack mitbringen. Also versuchen wir, den Fisch samt Belag ganz ohne Sud auf die Gabel zu bekommen. Dann funktiert's geschmacklich, und zwar bestens.

Rundum gut ist der gegrillte Atlantik-Carabinero mit Paprika, Bohne und Tahiti-Vanille. Hier changiert das Geschmacksbild sehr schön zwischen mediterran (mit dem leicht rauchigem Paprikapüree und dem grünen Bohnenragout) und karibisch-kreolisch, dank der präsenten, aber nicht übermäßigen Vanille. In dieser herb-süßlichen Umgebung fühlt sich auch der fleischige, nussig-süßliche Carabinero bestens zuhause. Ein unkompliziertes, gaumenschmeichelndes Gericht. An dieser Stell im Menü genau richtig.

Nachgerade grandios wird es beim gebrannten Pazifik-Kohlenfisch mit Ingwer, Ferragnes-Mandeln und mariniertem Rettich. Der milde, saftige Kohlenfisch bekommt durch die kräftige Bräunung einen enormen Schub. Von Ingwer und Rettich (im mildwürzigen Sud) wird er japanisch eingefasst; auch die süßliche Ferragnes-Mandel unterstützt den asiatischen Eindruck. Es schmeckt sehr klar und rein, ist elegant und präzise austariert. Ein unaufgeregtes, beinahe meditatives Gericht, bei dem wir kurz innehalten, die Augen schließen und es wirken lassen. Schön, einfach schön.

Nun geht es ans Fleisch. Das Onglet vom Wagyu-Rind mit Kürbis, Scholes-Crostini und Hibiskusglace kommt wohltuend puristisch daher – zu Recht, denn ein solches Fleisch braucht nicht mehr, als eine tolle Sauce und ein paar komplimentierende Beilagen. Während einer von uns den Eigengeschmack des Fleisches etwas zu blass findet, erfreut der andere sich an den üppig marmorierten Scheiben und der herbsüßen Glace, deren Reste er mit dem Crostini aufwischt ("Scholes" bezeichnet übrigens eine Art Kartoffelkuchen aus der Eifel). Eine gelungene Inszenierung eines außergewöhnlichen Produkts.

Als finalen Fleischgang gibt es Label-Rouge-Taubenbrust mit Sellerie, Buchenpilzen und einer Liaison von Dörraprikose und Tonkabohnenjus. Auch hier ist das Fleisch von außerordentlicher Qualität – zart und saftig, mit einem Hauch von Wildaromatik, aber ohne jene Leberigkeit, die Taube oft hat (insbesondere nach Sousvide-Garung). Die Textur ist angenehm fest, trotzdem zart. Der Sellerie (unter dem Fleisch), die Dörraprikosen (als Coulis) und die knackigen Buchenpilze sind klassische Begleiter für die Taube: süßlich, nussig, erdig. Als wichtiger Querschläger kommt die Tonkabohne ins Spiel, mit ihren feinen Noten von Vanille, Rum und Mandeln; auch eine Spur Süßholz lässt sich herausschmecken. Insgesamt ist vielleicht ein bisschen viel Jus und Coulis auf dem Teller, aber geschmacklich ist das alles ein tolles Ensemble.

Als erstes Dessert gibt es ein Gateau von Flugananas und Kokos mit Wiener Mokka-Cremeeis. Das Exotik-Klischee von der Kombi aus Ananas und Kokos wird hier vom Mokka etwas aufgebrochen. Das ist eine schöne Idee, aber irgendwie bleibt das Ganze trotzdem etwas harmlos. Es schmeckt klassisch-gut, aber den gewissen Pep vermissen wir.

Besser finden wir das Delice von der Valrhona-Schokolade mit eingelegten Essigpflaumen und Estragonsorbet. Das liegt vor allem an den Beigaben: Der "Death by Chocolate" wird hier durch Säure, herbe Fruchtigkeit und vor allem durch den Estragon aufgebrochen - insbesondere die Kombination der Schokolade mit dem Kraut gefällt uns sehr gut. Aber auch zwischen der süßsäuerlichen Pflaume und dem Estragon entwickelt sich erstaunlich harmonisches Aromenspiel. Ein durchaus klassisches Dessert - klassischer als die Küche insgesamt - in sich sehr stimmig, aber durch den Estragon eben auch mit jenem Pep, den es braucht.

Ganz anders der geeiste Cosmopolitan mit Cranberry-Rosapfeffersorbet. Diese Kombi haut uns förmlich von den Socken! Herb und süß, fruchtig und scharf - ein sehr "erwachsenes" Dessert, originell, erfrischend und köstlich.

Auch die Petits Fours zum Espresso schmecken durchweg hervorragend: Zwischen der Mojito-Praliné, Amarena-Kirsch und dem Geleé von der Bergamotte begeistern uns vor allem die Tarte au Citron, das Mango-Chili-Eiskonfekt und (auf dem Löffel) die gestockte Gewürzmilch.

Schön war das wieder im Schanz. Im Grunde können wir unser Resümee des letzten Besuchs nur bekräftigen: Thomas Schanz arbeitet mit klassischen Luxusprodukten, die er einerseits zwar klassisch bearbeitet, zugleich aber fast immer mit einer ungewöhnlichen, individuellen Note versieht – diesmal sogar noch mehr als beim letzten Besuch. Kreationen wie die kaum süße Foie-gras mit Strudelteig und Ziegenkäse, die Jakobsmuschel mit bitterem Radicchio oder der "japanische" Kohlenfisch stehen exemplarisch für eine Stilistik, die sich gerne herber Aromen sowie bitterer Gemüse und Kräuter bedient. Selbst wenn diese Strategie mal nicht aufgeht, etwa beim Sud zum Seehecht, bleibt es doch markant und bemerkenswert.

Gefällige Süße kommt vereinzelt zwar ebenfalls zum Einsatz, etwa bei der Taube (Aprikose) oder dem Carabinero (Vanille), aber sie wird stets von erdigen Aromen konterkariert (Paprikapüree, Pilze) und kippt dadurch nie ins Plakative. Dieser Kniff kam sogar im zweiten Dessert zum Tragen, wo Essig und Estragon gegen Pflaume und Schokolade anspielten. "Spannung" ist für uns denn auch ein Schlüsselbegriff für Thomas Schanz' Stil.

Modern wirkt seine Küche auch durch den gänzlichen Verzicht auf Butter oder Sahne – was zugleich eine kluge Differenzierung vom nahe gelegenen Sonnora schafft. Eine deutliche Verbindungslinie zum Sonnora bildet indes die klassische Palette der Hauptprodukte. Ganz egal, ob dies einer persönlichen Vorliebe von Thomas Schanz oder den mutmaßlichen Gästewünschen geschuldet ist: Hier würden wir uns ein paar mehr regionale Bezüge wünschen. Die Möglichkeiten sind sicherlich vorhanden.

Kai Mihm

FAZIT

Sympathisches Haus und spannende Küche – das Schanz ist für uns ein Zwei-Sterne-Restaurant wie aus dem Bilderbuch.

Weine

Die Weinbegleitung im Schanz in Piesport

2015 Riesling extra trocken, Weinhaus Schanz

1999 Scharzhofberg Riesling Auslese, Weingut von Hövel, Oberemmel

2015 "Uhlen L", Grosse Lage trocken, Weingut Heymann-Löwenstein, Winningen

2015 Sauvignon Blanc trocken Weingut Thörle, Saulheim

2013 Meursault A.C. "Les Tessons", Michel Bouzereau, Burgund

2011 "Piesporter Kreuzwingert" Riesling Spätlese feinherb, Weingut Reinhold Haart, Piesport

2010 "Eitelsbacher Karthäuserhofberg" Riesling Kabinett trocken, Weingut Karthäuserhof, Eitelsbach

2013 Château Cantemerle Grand Cru Classé, Haut-Médoc

2008 "Cuveé X" trocken∞ Weingut Knipser, Laumersheim

1976 "Brauneberger Juffer" Riesling Auslese, Weingut Paulinshof, Kesten

2013 "Trittenheimer Apotheke" Riesling Auslese, Weingut Franz-Josef Eifel, Trittenheim

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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