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Restaurantkritik  6.November 2018

SIEH DOPPELT, WAS DU LIEBST

Spätestens seit unserem Essen an einer dicht befahrenen Hauptstraße im Bandol sur mer wissen wir: Die Berliner Sternerestaurants geben sich gerne leger, im besten Fall verrät nur das Essen, dass die Küche mit einem Macaron prämiert wurde. Auch die Fassade des Tulus Lotrek, das im November vergangenen Jahres mit einem Stern ausgezeichnet wurde, fügt sich nahtlos in das kneipige Kreuzberger Umfeld. Wir treten daher völlig unbefangen und vorfreudig durch die Tür und werden sogleich übermannt von der charmanten wie quirligen Gastgeberin Ilona Scholl. 

Wo sich jetzt das Tulus Lotrek befindet, war vorher das 'Le Cochon Bourgeois', dessen französischer Name für die meisten Fremdsprachenfeinde im Kiez schwer auszusprechen war. Hier tischte man seit Jahr und Tag die Klassiker der Bistroküche mal fein, mal derb auf. Nach dessen Schließung übernahmen Küchenchef Maximilian Strohe und seine sprachverliebte Partnerin Ilona Scholl Ende 2015 die Räumlichkeiten und peppelten sie mit wenigen, dafür wirksamen Handgriffen auf. So bringen Wandtapeten mit Dschungel- und Waldmotiven auf simple Art und Weise etwas Vitalität in die sonst eher holzdominierte Inneneinrichtung und zieren zudem die Kleider und Jumpsuits der Service-Mitarbeiterinnen – das nennen wir eine perfekte Tarnung, falls man sich mal vor einem Gast oder der Küche verstecken muss! Schmuckvolle Bilderrahmen umfassen die Akustik-Absorber, die etwas Schallirritation durch den hellhörigen, hohen Raum fressen. 

Der 36-jährige Maximilian Strohe, der 2016 von den Berliner Meisterköchen als „Aufsteiger des Jahres“ (was gefühlt jeder ambitionierte Koch einmal wird) ausgezeichnet wurde, lernte im Restaurant und Hotel Hohenzollern an der Ahr, danach ging es weiter nach Hannover, Nürnberg und Griechenland. In Berlin arbeitete er im The Grand, im Frau Mittenmang und im Parkstern, bevor er sich selbstständig machte und heute in der Fichtestraße auf erfolgreiche, mit viel Berichterstattung, Auszeichnungen und nicht zuletzt einem Stern gespickte zwei Jahre zurückblicken kann. Der ulkige Name des Restaurants ist die lautmalerische Interpretation des französischen Impressionisten Henri de Toulouse-Lautrec, der laut Aussage der Inhaber ein „großer Fresser“ gewesen sei. Sicherlich treffend, aber abschließend beurteilen können wir es nicht, da wir die Lebensgeschichte des Malers (noch) nicht kennen und uns jetzt erstmal auf unser Menü freuen. Zunächst gilt unsere verschämte Aufmerksamkeit allerdings unserem illustren Nachbarn: Blixa Bargeld von den „Einstürzenden Neubauten“, der mit „Europa Kreuzweise“ ein lesenswertes Werk zur Spitzengastronomie lieferte. 

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Der Gruß aus der Küche startet mit einer pochierten Maldon-Auster mit Piniennadelsud und Imperial-Kaviar. Uns gefallen die Jodaromen in Verbindung mit der vollmundigen Jus. Eine Spur zu weit geht uns das Macaron mit Butternusskürbispüree, Frischkäse mit Harissa, Zimt und Kürbiskernöl – die späte Schärfe ist uns etwas zu impulsiv für den Start.

Der erste Gang, Jakobsmuschel und Sellerie mit Hühnerbrühe, Apfel und Bärlauch, spielt mit Temperaturen. Sind wir anfangs noch irritiert vom Kontrast aus kaltem Fleisch und warmem Sud, geht diese Kombination mit jedem Bissen mehr auf. Lediglich das Plating bietet Optimierungsbedarf: Die Sellerie-Crème versteckt sich hinter der letzten Scheibe der Muschel und kommt daher erst ganz am Ende ins Spiel.

Wir bleiben im kühlen Nass: Die Hiramasa-Gelbflossenmakrele mit Pilzdashi und „Ingwerbeer“ gibt sich ganz japanisch. Hier gefällt uns vor allen Dingen die Pilz-Bonito-Dashi am Boden, deren mundfüllender, dezenter Rauchgeschmack hervorragend durch vereinzelte Säurekicks des Ingwergelees gebrochen wird. Die Proportionen passen wunderbar, nur empfinden wir die Makrele als ein paar Grad zu kühl und schmecken sie daher nur beiläufig, was sicher nicht im Sinne des Erfinders (der Küche) ist.

Begeistert sind wir vom Seeigel-Sandwich mit Eigelb, Ponzu und Sesam. Ein echtes Napf- und Mampfgericht, bei dem sich das gelatinöse, weil lange und bei geringer Temperatur gegarte Eigelb unter einem dichten Seeigel-Espuma versteckt. Cremig, warm, leicht säuerlich und vor allen Dingen: sehr fettig, gefällt uns das Spiel aus meeriger Frische und Herzhaftigkeit, aus dem uns das Seeigel-Tramezzini dank textureller Ablenkung durch Knusper und Rogen ab und an abwechslungsreich herausholt. Eine mutige wie delikate Kreation.

Das Kalbsbries mit Sud von gerösteten Aal-Karkassen, Winterkohl und Dörrobst ist grandios: Das perfekt gegarte, zarte Bries fügt sich hervorragend in den eher dezenten, süß-sauren Sud, in dem kleine Stückchen vom Aal fischige Akzente setzen. Das scharf angebratene, obenauf liegende Wirsingblatt liefert die nötige Portion Bitterstoffe und Röstigkeit, um dem Gericht mehr Komplexität zu verleihen. Das Dörrobst lassen wir links (beziehungsweise oben rechts) liegen, denn schon so schmeckt das alles bereits wunderbar rund. 

Der Lammbauch mit Blüten, Zitronenschale und Hefe (oben links ein paar Topinambur-Chips samt -Crème) ist der wohl klassischste Teller des heutigen Abends und handwerklich prima gearbeitet – das Fleisch fällt, dank intensiver Wellness-Behandlung durch Pökeln und Sous-vide-Garen, förmlich auseinander. Lediglich die Süße durch die Blüten und die darunter liegende Zitronen-Crème ist uns eine Spur zu präsent. Ansonsten: gut.

Die Holzkohlekartoffel mit gereiftem Ziegenkäse und Bier ist die in einen Gang gefasste Sättigungsbeilage. Die cremige, mit Bier angereicherte Zabaione geht ein mächtiges Verhältnis mit dem Käse und den rauchigen Kartoffeln ein. Das ergibt in Summe eine geradlinige wie simple, aber sehr schmackhafte Kreation. 

Hagebutte mit Honig und Blütenzucker ist der süße Abschluss des heutigen Dinners. Blickt man auf den letzten Gang zurück, ist das hier eine ordentliche Portion, bei der vor allen Dingen das Hagebuttensorbet dominiert. Das Gericht sprüht förmlich vor Fett (Rahm) und Zucker (Sorbet und Honig-„Waben“), sodass der Dill, der hier dreifach als Zucker, Öl und pur verwendet wird, untergeht – dabei hätte man ihn als Kontrastmittel durchaus gebraucht. Es schmeckt nicht schlecht, aber im Zuge der Menüdramaturgie ist das zu mächtig.

Nach dem Essen gibt es zur Abwechslung Digestif statt Kaffee, dazu Petits Fours (von links im Uhrzeigersinn): Cashewmus mit weißer Schokolade und Hibiskus, Smoked Butterfudge und dunkle Schokoladen-Ganache mit gerösteter Hanfsaat. 

Wir trinken noch das eine oder andere Glas "Hellwein" (die betriebsinterne Bezeichnung für Weißwein) und sprechen über den heutigen Abend. Die Küche von Maximilian Strohe ist genauso aufgeweckt und sprunghaft wie der Service. Scheinbar kümmert man sich hier nicht um eine Art roten Faden oder die vielbeschworene "kulinarische Handschrift", denn die Kompositionen changieren munter zwischen Aromen, Konsistenzen und Stilistiken; diese Offenheit gegenüber der eigenen Küche gipfelt dann in tollen Gerichten wie dem Kalbsbries. Hier und da eckt die Küche an, wobei dabei eher am Handwerk (Kälte der Makrele) oder an den Proportionen (Süße beim Lammbauch und Dessert), nicht aber an den Kreationen an sich gearbeitet werden könnte. Dennoch: Die Unbefangen- und Lockerheit wird im Tulus Lotrek erfolgreich auf die Teller gebracht. 

An dieser Stelle möchten wir die Begeisterung für den gesamten Service unter Maître Ilona Scholl zum Ausdruck bringen – selten war es derart kurzweilig zwischen den Gängen, wodurch die oben beschriebenen Herausforderungen schnell in Vergessenheit gerieten.

FAZIT

Im Tulus Lotrek kocht Maximilian Strohe originelle und geschmackvolle Gerichte in rustikalem, aber liebevoll gestalteten Ambiente. Wenn auf dem Teller eine Kleinigkeit mal nicht stimmt, bügelt es der einzigartige Service unter Ilona Scholl im Handumdrehen aus. 

Weine

Die Weinbegleitung im Berliner Tulus Lotrek

2007 Friedrich Becker, Pinot Meunier Reserve, Pfalz

2007 „En Mairey“ Domaine de la Douaix, Pinot Blanc & Chardonnay Côte de Nuits

2015, Grünhäuser Herrenberg: Maximin Grünhaus, Riesling Mosel Saar Ruwer

„Jacobus“ Peter Jakob Kühn, Riesling, Rheingau

2014 „Fromenteau“ Domaine Josmeyer, Pinot Gris, Elsass

2010, Cuvee Auguste, Château Troquart, Saint Georges, Saint Emilion

Birnenbrand von Sattler, Sake, Zitrone, Rieslingtraubensaft, Eiweiß

2012, „Gemeinsame Sache“: herz & niere & tulus lotrek. Fendt, Riesling Spätlese, Baden 

Serbika Slivovica 54 Jahre fassgereift, 50% 

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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