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Restaurantkritik  5.September 2018

DAS FRANZÖSISCHE BANGKOK

Es ist Regenzeit in Bangkok. Die Temperaturen in dieser sowieso schon schwülheißen Metropole überschreiten da ganz locker die 40-Grad-Marke; die ab und an durchziehenden handwarmen Regenschauer verschaffen nur mäßige Abkühlung. So auch heute Abend, als wir uns zu Fuß ins Mandarin Oriental Hotel begeben, wo Arnaud Dunand Sauthier im "Le Normandie" eine klassische Haute Cuisine verspricht, die im neuen Bangkok-Guide des Michelins mit zwei Sternen prämiert wurde. Triefnass geht's ins piekfeine Hotel-Foyer ...

... aber wir sind zum Glück nicht die einzigen, die von den Wassermassen überrascht wurden. Überall wird gewrungen, getrocknet und geputzt; das Personal ist bewaffnet mit Regenschirmen (zu spät) und Handtüchern (gern genommen). Etwas versteckt im fünften Stock des Hotels, mit direktem Blick auf den Fluss "Chao Phraya", zeugen dicke Teppiche, pompöse Kronleuchter und feiner Marmor im "Le Normandie" von Glanz und Pracht der französischen Spitzengastronomie. Seit 1958 gibt es diese Räumlichkeiten, und wie in Bangkok üblich wird hier dezente Live-Musik geboten: ein Pianist ergänzt das prunkvolle Interieur-Orchester hervorragend. Im Restaurant gilt Jackett- und Hemdpflicht, damit das mit dem Einlass funktioniert (man stellt im Notfall natürlich gerne Leihbekleidung zur Verfügung). Das verstehen wir durchaus, eine Kleiderordnung gibt es ja sogar im Berliner Berghain. Warum wir aber das Jackett während des gesamten Essens anbehalten müssen, erschließt sich uns nicht wirklich. Der Service allerdings gibt sich nonchalant – das lockert etwas auf.

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Der sympathische Chef Arnaud Dunand Sauthier (Mitte), geboren im französischen Département Savoie, darf sich seit diesem Jahr über zwei Macarons in der Erstausgabe des Bangkok-Michelin-Guides freuen. Neben dem "Le Normandie" wurde diese Ehre auch dem "Mezzaluna" unter Ryuki Kawasaki (mediterran-japanisch) sowie dem international renommierten Gaggan (indisch-fusion) zuteil – womit die kulinarische Spitze der Stadt auch Bangkoks Vielseitigkeit repräsentiert.
Bevor es den Franzosen 2010 nach Bangkok trieb, durchlief er so einige Stationen, unter anderem bei Georges Blanc in Vonnas und Marc Veyrat im L'Auberge de L'Eridan. Darüber hinaus arbeitete er drei Jahre lang im Maison Lameloise im Burgund sowie im Le Crillon in Paris unter der Leitung von Jean-Francois Piège. Zuletzt verschlug es ihn in das Epoque Hotel in Bukarest, bevor er mit seiner Frau – beide voller Reiselust – auf der Suche nach etwas Neuem nach Bangkok zog. Neben einer Á-la-carte-Auswahl wird ein bis zu acht Gängen erweiterbares Degustationsmenü angeboten, das soll es sein! Wir blicken auf die immer helle Skyline und den Fluss zu unseren Füßen, auf dem bunt beleuchtete Boote voller Touristen auf und ab gondeln, als der Service uns mit kleinen Happen zum Apéro willkommen heißt ...

Die Praline aus Foie-gras und Mango-Gelee mischt lauwarm, herzhaft, kalt und süß – gut. Die frittierte Zwiebel-Speck-Praline mit Rotwein-Mayonnaise ist etwas derber gearbeitet, eine schöne Steigerung. Die Rote-Bete-Sphäre schließt kühl, erdig und erfrischend ab.

Die Küche grüßt mit einer "Tartiflette" unter frittierten Zwiebeln. Dieser sonst eher mächtige Kartoffel-Käse-Auflauf wird hier beim Servieren als "leichte Interpretation" des Originals anmoderiert. Die Reblochon-Käsecrème bringt dennoch derart viel Reife und ungerührte Käsigkeit in das Gericht, dass wir uns erschlagen fühlen; für einen Gruß zu mächtig, wenngleich Sauthier hier bereits früh und selbstbewusst klarmacht: Es wird französisch!

Der zweite Gruß lässt mit Flusskrebsen aus Chiang Mai im Norden Thailands etwas Lokalbezug erkennen, dazu gibt es Erbsen, Zitronenmelisse und Enziane. Dieses kalte, papillenreinigende Erbsen-Süppchen passt schon eher zur Temperatur draußen. Die nur kurz gegarten Krebse funktionieren hier eher als dezente, aber dafür am längsten schmeckbare Texturgeber. Gut.

Der nächste Gang, grüner Spargel von Sylvain Erhardt mit Anis und Olivenöl, erinnert uns in seiner Produktfokussierung an Alain Passard. Arnaud umspielt die grünen Stängel mit herbalen, bitteren und sauren Noten – und das funktioniert hervorragend. Wo andere Küchen wohl über die Sabayon die süße Karte spielen würden, rückt hier jede Komponente den perfekt gegarten Spargel in den Mittelpunkt. Es entsteht eine mediterrane Melange aus purem Spargel und Oliven erster Güte (hier in der Sabayon und als Fruchtpüree serviert). Was bleibt ist ein langanhaltender, raumeinnehmender und wohlig-herber Nachgeschmack.

Eine kurze Stippvisite nach Japan kombiniert den Kaviar "Kristal" mit Seeigel aus Hokkaido, Kartoffelschaum und Champagnersauce. Der lauwarme Schaum, aromatisiert mit Kartoffel, Hokkaido-Kürbis und dezenter Säure vom Schampus, bereitet das Bett für den Kaviar und die Seeigel-Stücke. Wir befürchten eine jodige Torpedierung dieser beiden doch sehr dominanten Produkte, werden aber eines Besseren belehrt: Die Mengenverhältnisse, Texturen und Temperaturen (Seeigel schmelzig warm, Kaviar kalt und bissfest) sind derart gut austariert, dass wir nichts machen können als das Schälchen bis zum letzten Rest zu verputzen.

Der wilde Steinbutt aus der Bretagne mit Kartoffeln, Champignons und Bottarga wird von einer köstlichen, leicht gesäuerten Beurre blanc begleitet, die alle Elemente miteinander verbindet. Besonders intensiv erleben wir den Bottarga-Abrieb, der dem Trio aus Fisch (der Butt ist von höchster Güte und wunderbar gegart), Gemüse und Sauce hier ein wenig fischige Schärfe beisteuert.

Der erste Fleischgang bedient sich wieder in der japanischen Welt und kommt ein wenig mutiger daher als die Vorgänger: Die Taube aus Pornic mit japanischer Melone, Rauke und Timut-Pfeffer (ein Verwandter des Szechuanpfeffers) versucht sich an einer modernen Kombination aus herzhaft und fruchtig. Das geht nicht so ganz auf; das Wild ist zwar von guter Qualität und perfektem Garpunkt, schmeckt für sich kräftig. Auch die Melone (mit Abrieb von iranischer schwarzer Zitrone bestäubt) und der Rucola-Saft verbinden sich zu einer süßherben Wohltat – nur wollen beide Welten nicht zueinander finden, sodass wir uns der Elemente nacheinander bedienen. Das geht besser.

Zurück in der französischen Klassik funktioniert es dann wieder besser: Das Milchlamm mit Mangold, jungem Knoblauch und iranischer schwarzer Zitrone (eigentlich "Loomi" genannt) bringt leichtfüßige Nouvelle Cuisine in den Hauptgang. Der Jus ist dezent und nur wenig gebunden, das Fleisch sous-vide gegart und ohne Makel. Auch der Knoblauch gibt sich eher dezent in der fein gearbeiteten, mit gebratenem Mangold umschlossenen Gemüserolle. Ein feiner, geschmackvoller Teller, der wieder mal keine Ablenkung vom Hauptprodukt zulässt.

An diesem Punkt – vor den Desserts – sind wir bereits gut gesättigt, aber bei einem guten Käsewagen können (und wollen) wir nicht "nein" sagen. 4-5 Stücke passen immer rein...

Das Pre-Dessert aus Minz-Parfait und Milcheis hält gekonnt die Waage zwischen Süße und ätherischer Minze. Neutralisierung erfolgreich.

Der Baba Wodka mit Rhabarber, Erdbeere und Zitronenmelisse, begleitet von einem Teller kalter, frisch geschlagener Sahne, stellt das erste Dessert des Abends. Das Gericht lebt von der Süße der Früchte; der saftige Napfkuchen sowie die Sahne sind nur dezent gezuckert, während der Wodka und die Melisse etwas erwachsene Herbheit in die Kuchen-Komposition bringen. Ein ordentliches, unverfälschtes Dessert, das zu keiner Zeit erschlägt.

"Grué de cacao", geröstete und kleingestoßene Kakaobohnen, bilden mit Sauerkirschen, Kakaobohnen-Splittereis und Cherry das süße Finale des Abends. Ein warmer, frischer Schokopudding, der durch Fruchtsäure und Alkohol immer mal wieder seiner Cremigkeit entrissen wird. Sicherlich kein Meisterwerk der Dessertkunst, aber auf jeden Fall etwas für den Schokoholic unter uns Fressern.

Zum Kaffee noch ein paar prima gearbeitete Petits Fours: "Kouign Amann" (hinten), Schokopraline und Mandel-Zuckerbonbon. Für den Nachhauseweg dann noch – wie passend – zwei Macarons (ohen Bild): eins mit grünem Apfel, das andere mit Zitrusfrüchten.

Hoch über der Stadt verlieren wir uns noch ein wenig in den von Lichtern und dichtem Verkehr geprägten Straßen Bangkoks, bevor wir ein paar warme Worte mit dem äußerst sympathischen Küchenchef wechseln dürfen. Ob er in Konkurrenz mit den Mit-Zweisternern wie dem 'Mezzaluna', das nur wenige Gehminuten entfernt liegt, stehe? Nein, dafür seien die Küchen zu unterschiedlich, man sei sogar gut mit Chef Ryuki-san befreundet – gemeinsame Koch-Events bezeugen dies. Dennoch: An Sauthiers Worten merkt man deutlich, dass er sich insgeheim nach der Höchstauszeichnung des Michelins sehnt. Das ändert jedoch nichts am Bestreben, in den noblen Hallen des Mandarin Oriental weiter an der eigenen Handschrift zu feilen. Dabei stellen wir fest, dass der einzige wirkliche Ausreißer in dem Versuch zu finden war, Unorthodoxes zu kombinieren (Taube & Melone). In Summe waren es eher die klassisch gearbeiteten, mit Sorgfalt um Temperatur, Proportion und Garung zubereiteten Kreationen, die uns begeisterten (Spargel, Kaviar & Seeigel), auch wenn er mit der "Tartiflette" zu Beginn zu sehr in die käsig-stalligen Gefilde französischer Hausmannskost abgeschweift ist. Soviel Kritik es auch an dem roten Buch besonders im asiatischen Raum gibt, so sehr möchten wir der Einschätzung an dieser Stelle beipflichten: Wer denn fein gearbeitete französische Küche in Thailand sucht, sollte den Weg ins "Le Normandie" einplanen.

FAZIT

Frankreich in Bangkok: Im piekfeinen "Le Normandie" kocht Arnaud Dunand Sauthier klassische, stets der französischen Heimat Tribut zollende Gerichte mit Sorgfalt und nur wenigen Schwächen.

Weine

Die Weinauswahl im Restaurant Le Normandie in Bangkok

2016 Sancerre, Domaine Vacheron, Loire, Frankreich

2014 Riesling, Liebenberg Monopole, Valentin Zusslin, Elass, Frankreich

2014 Pouilly-Fuisse, Domaine Robert Denogent, La Crix, Cote Maconnaise, Burgund, Frankreich

2014 Lirac, La Reine Des Bois, Domaine de La Mordoree, Rhone, Frankreich

2002 Chateau Coutet 1er Cru Classé, Barsac, Satuernes, Frankreich

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