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Restaurantkritik 12.November 2018

Geiles Keilings

Wo bitte liegt Bad Bentheim? Diese Frage stellten wir uns am 14. November 2017, dem Tag der Michelin-2018-Präsentation. Da nämlich wurde das Restaurant Keilings als großer Überraschungsaufsteiger mit dem zweiten Stern ausgezeichnet. Und das Keilings, so lasen wir, befindet sich in Bad Bentheim. Klingt nach Rheingauer Kurort, oder vielleicht doch eher Emsland, wo viele Bentheimer Landschweine gezüchtet werden? Weit gefehlt – und doch nicht ganz falsch, denn ursprünglich stammt das Bunte Bentheimer Schwein tatsächlich aus der einstigen Grafschaft Bad Bentheim. Der kulinarische Link ist also schonmal gegeben. Aber wo isses denn nun? Antwort: Im Norden, 70 Kilometer westlich von Osnabrück, im Niemandsland kurz vor der holländischen Grenze. Muss man da hin? Ja, jetzt schon!

Als wir den kleinen Bahnhof am Ortsrand verlassen, entspricht die Umgebung zunächst dem Klischee der strukturschwachen Provinz: verlassene Häuser, leerstehende Geschäfte, dazwischen Wegweiser zu ein paar Freikirchen in geschmacklosen Flachbauten. Sind wir im deutschen Bibel-Belt gelandet? Aber je näher wir dem, nun ja, "Stadtzentrum" kommen, desto netter wird es. Viel Grün und viel Kopfsteinpflaster, schmucke Häuser, es gibt einen ziemlich großen Schlosspark und ein imposantes Schloss (in unseren laienhaften Augen eher eine Burg, aber gut). Alles ganz charmant.

So auch das Restaurant Keilings, gelegen in der kleinen Fußgängerzone, eher unscheinbar in einem recht modernen Klinkerbau untergebracht. Es ist unterteilt in ein Bistro und einen kleineren Gourmetbereich. Lars Keiling bekocht beide Abteilungen mit nur einem weiteren Mann in der Küche – nicht zuletzt das machte uns so neugierig: In einer Zeit, wo die Brigaden der internationalen Spitzenküchen immer größer werden und viele der allerbesten Adressen ohne billige Praktikanten gar nicht mehr funktionieren könnten, erkochen hier zwei Mann zwei Sterne. Das ist schonmal eine Leistung, und wir sind gespannt, was da auf die Teller kommt.

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Die Apéros stehen unter dem Thema Asien (v. l. n. r.): Ein Sesamcracker mit Perlhuhn-Currycrème, Buchweizenbun mit Thai-Beef-Tatar, Reischip mit Hamachi und Salzzitrone sowie vorne ein Perlhuhn-Dim-Sum mit Zitronengras. Das ist alles sehr fein gearbeitet und gut austariert; besonders das Tatar und der Hamachi gefallen uns durch die elegante Aromatik. Bemerkenswert auch, dass hier mal ein warmes Element als Happen auf den Tisch kommt – hat da einer unsere Wunschliste für 2018 gelesen? Jedenfalls ist das Dim Sum ein toller Gaumenschmeichler, auch wenn es vielleicht einen Tick zu viel Zitronengras abbekommen hat.

Als Amuse gibt es Avocado-Cannelloni und Garnele auf Ingwergemüse mit Passionsfruchtcrème. Auch diese Petitesse besticht durch eine präzise Feinjustierung zwischen der Cremigkeit der Avocado und der nussigen, leicht jodigen Süße der Garnele. Der Ingwer im Gemüsekompott setzt immer wieder belebende Akzente, die Passionsfrucht bringt Säure und einen Hauch sehr passender Exotik ins Spiel. Klasse.

Beim Anblick des ersten Gangs sind wir skeptisch, denn auf dem Teller mit Seesaibling, Räucheraal, gesäuertem Gemüse, Verjus und Saiblingskaviar scheint unheimlich viel zu passieren. Tja, aber so kann die Optik auch im negativen Sinne täuschen, denn hier greift alles wundervoll ineinander: Frisches vom Saibling und Rauchiges vom Aal, Säuerliches vom Gemüse und leichte Fruchtigkeit vom Verjus. Dazwischen ganz wichtig der Kaviar, der mit seiner salzigen Jodigkeit eine Art Grundierung für das Geschmacksbild liefert. Ein beeindruckender Gang.

Übersichtlicher fällt der Hummer mit geröstetem Spargel, Zuckerschoten und Guanciale aus – aber er funktioniert leider nicht so gut, wie er aussieht. Ja, der Hummer ist von guter Qualität und Garung; ja, der Spargel auch (sehr gut sogar). Aber uns schmeckt es insgesamt irgendwie zu "grün", vom Zuckerschotensaft. Der Speck (als Chip und als Eis) steuert zwar gegen, kommt gegen die grasigen Aromen aber ebenso wenig an wie die feine Hummersüße.

Umso besser wird es beim nächsten Gang. Der Seeteufel mit Spitzpaprika, Parmesan und Olive ist schlichtweg grandios. Saftiger Fisch, dazu nur ein ganz leicht rauchiger Jus von roter Parika, unterstützt von zarten Röllchen gelber Grillpaprika – eine Wonne! Dazu hauchfein geraspelter Parmesan auf Fregola sarda sowie etwas Olive für Umami am Gaumen und eine Abrundung der Mittelmeer-Hommage. Das ist Süditalien auf dem Teller, toll puristisch, sensationell im Geschmack. Eine Götterspeise.

Als ersten Fleischgang lässt Keling Taube mit Gänseleber, Mais, Himbeere und Erdnuss auftischen. Von der Idee her stimmt hier für uns fast alles. Die Taube hat den idealen Garpunkt und einen guten Biss. Es gibt ein bisschen Fruchtsäure dazu, leichte Süße, und Gänseleber (in der "falschen Erdnuss" auf Basis von Gänselebercrème) passt sowieso immer zu Geflügel. Unser Problem sind die Proportionen: Es ist zu viel Cremiges auf dem Teller. Lebercrème, Himbeercoulis und vor allem jede Menge Maispüree. Das schmeckt für sich ja alles gut, wird in Summe aber recht süß und würde auch für drei Taubenbrüste ausreichen. Selbst wenn wir vorsichtig dosieren, landet doch irgendwie zu viel auf der Gabel. Da geht sogar der nachtschwarze Périgord-Trüffeljus unter. Wie gesagt, die Grundidee stimmt, nur an der Justierungsschraube muss nochmal ordentlich gedreht werden.

Weitaus besser funktioniert das Lamm mit Salzpflaume, Karotte und Curry. Hier ist die Komposition ähnlich puristisch wie beim Seeteufel, nur dass statt Italien Asien das Leitmotiv bildet: ein sehr gutes Stück Fleisch, eine dichte Sauce, eine (sehr) herbe Fruchtigkeit von der Salzpflaume und ein schönes Mandel-Curry-Knusper für den Crunch. Keine Götterspeise wie der Seeteufel, aber trotzdem ist das alles zusammen so schlüssig wie köstlich.

Deutlich aufwändiger wird es beim finalen Hauptgang: Kalb mit Kohlrabi, Shiitake und Soja. Reizvoll ist hier nicht zuletzt der Wechsel zwischen etwas deftigeren und filigraneren Zubereitungen. Vorne rechts haben wir das in Soja-Jus glasierte Fleisch auf Soja-Espuma – irre mürbe, voll im Geschmack, strotzend vor Umami: wahres Comfort-Food. Obendrüber eine Spinat-Cashew-Crème mit fein geschnittenen Kalbsspänen – deilkat und trotzdem dicht. Daneben eine weitere Umami-Bombe in Gestalt eines exzellent gearbeiteten Shiitaketortellini auf Espuma. Vorne links schließlich ein hochfeines Kalbszungen-Kohlrabi-Törtchen, das am Gaumen förmlich schmilzt. Und falls das noch nicht genügt, gibt es im Glas einen Shot von Shiitake-Kalbs-Essenz, die sich wie ein kräftiges Parfüm auf unsere Papillen legt. Ein schöner Abschluss.

Das Pré-Dessert besteht aus Yuzu, Sommerbete und Kokos – frisch, fruchtig, säuerlich und ein bisschen erdig. Originell und gut.

Als Hauptdessert gibt Rhabarber, Fromage blanc, Pistazie und Dill. Das ist zunächst ein sehr klassisches Dessert: cremiger Fromage Blanc, dazu das säuerlich-fruchtige vom Rhabarber und ein getreidiger Knusper aus ultrakrossen Haferflocken, Pistazienpulver und getrockneten Himbeeren – letztere wieder eine Brücke zum Rhabarber. Das schmeckt gut, Punkt. Den entscheidenden Kick bringt dann der Dill – klingt vielleicht schräg, ist es aber gar nicht. Vielmehr sind wir überrascht, wie gut die Anisnoten mit dem Rest harmonieren und zugleich das ganze Geschmacksbild ausweiten, weil sie dem Rhabarber und dem Fromage ganz neue Seiten entlocken. Sehr gut.

Sehr gut auch die Petits Fours: Schokoladentrüffel und Schokotäfelchen sowie ein Limetten-Rührkuchen und ein Sesambrownie mit Banane und Passionsfrucht, welche uns besonders gut munden. Sehr gut auch das knuspernde "Eis am Stiel" im Glas.

Prima, wirklich prima war das. Ach was sagen wir: Es war richtig beeindruckend, was Lars Keiling und sein zweiter Mann da abgefackelt haben. Not macht bekanntlich erfinderisch, und im Keilings hatten wir das Gefühl, dass die geringe Besetzung zu einer wohltuenden Reduktion führt – mit gut gesetzten Gerichten, die deutlich aufwändiger sind. Dramaturgie sollte man das wohl nennen.  

Aber so analytisch wollen wir gar nicht rangehen. Es schmeckte uns im Keilings einfach richtig gut, mit absoluten Highlights wie der Saibling-Aaal-Vorspeise und natürlich dem Seeteufel, dessen Aromen wir bis heute nicht vergessen haben. Dieses grundsätzliche Wohlgefallen liegt sicher auch daran, dass Lars Keiling weniger modernistisch-experimentell, sondern klassisch-modern komponiert – nicht umsonst zählen zu seinen Stationen der Frankfurter Brückenkeller (unter Alexander Dressel) und Heinz Becks La Pergola. Das kann schnell etwas bieder wirken, aber hier empfanden wir es einfach als sehr souverän. Wenn ein Gericht uns nicht so gut gefiel, etwa der Hummer und die Taube, lag das zuvorderst an den für uns nicht stimmigen Proportionen, weniger an der Idee selbst. 

Eine besondere Erwähnung verdient außerdem der charmante Service unter Gina Duesmann (rechts). Die Gastgeberin und Freundin von Lars Keiling (links) punktete nicht nur mit ihrem Weinwissen und Herzlichkeit, sondern auch mit selten erlebter Schlagfertigkeit.

All diese Kleinigkeiten machen das Keilings für uns zu einem durch und durch sympathischen Restaurant – eines der wenigen hoch dekorierten Häuser auch, die komplett unabhängig sind und bei denen das dauerhaft funktioniert. Kleine Brigade, gute Küche, familiäres Ambiente. Von solchen Häusern dürfte es gerne mehr geben. 

FAZIT

Klein, kleiner, Keilings – das gilt allerdings nur für die Teamgröße. Küche und der äußerst charmante Service begeistern in diesem neuen Zweisterner.

Text: Kai Mihm

Weine

Die Weinbegleitung im Keilings in Bad Bentheim

Fragen an die Suffmeisterin (a.k.a. Sommelière) Gina Duesmann

1. Anzahl der Positionen?
Ca. 450

2. Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte? 
Im Bereich Weißwein ist der Fokus auf Deutschland ausgerichtet, bei den Rotweinen ist es gleichmäßig auf Europa verteilt.

3. Welche ist Ihre preiswerteste/teuerste Flasche? 
Momentan ist Riesling und Grüner Veltliner von Leth aus dem Wagram in Österreich die günstigste mit 28€ und der Barolo „Brunate“ von Vietti aus dem Piemont in Italien mit 440€ der teuerste.

4. Welches ist Ihr meistverkaufter Wein der letzten 12 Monate? 
Der Silvaner „Sonnenberg Gelbkalk“ vom Zehnthof Luckert in Franken

5. Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
Die weiße Venus von Venus La Universal aus dem Montsant.  

6. Ihr Lieblingswein? Weshalb? 
Den einen Lieblingswein habe ich nicht. Aber ich freue mich immer wieder wenn ich charaktervolle, authentische und individuelle Weine finde und verkoste, die mich begeistern.

7. Der ungewöhnlichste vinophile Wunsch eines Gastes?
Ein Gast hat sich vor einigen Monaten zum Menü eine Portweinbegleitung gewünscht. Das war schon eine Herausforderung, die aber gut umzusetzen war, da wir ca. 30 Portweine in verschiedensten Stilen führen. 

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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