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Restaurantkritik 12.März 2018

Hochsaison vs. Nebensaison

Man kann über die amerikanische Gastrokultur sagen, was man will – aber was wir an der Szene der dortigen Spitzenrestaurants seit jeher bewundern ist die Fähigkeit, einzelne Restaurants zu einer Art Stadtgespräch zu machen. "Hype" könnte man das neudeutsch nennen, aber das klingt für uns zu negativ nach "viel Lärm um nichts". Das Tolle ist nämlich, dass Restaurants wie das Alinea in Chicago, das Eleven Madison Park in New York, die Minibar in Washington oder das Single Thread Farms im Sonoma County ihrem kulinarischen Ruf durchaus gerecht werden. Das Image fußt auf kulinarischer und gastronomischer Originalität, erst dann kommt die clevere Vermarktung.

Ein weiterer Name auf dieser exklusiven Liste ist das Saison in San Francisco. Seit ein paar Jahren gehört es zu den heißesten Adressen nicht nur der Bay Area, sondern des Landes. Dabei ging alles ganz klein los. Im Jahr 2009 eröffnete Joshua Skenes das Lokal als Pop-up, geöffnet nur am Wochenende. Schnell sprach sich die Qualität seiner eigenwilligen Kreationen herum. Immerhin hatte Skenes unter anderem bei Jean-Georges Vongerichten und Michael Mina gearbeitet. Die Gäste kamen in Strömen, die Fachpresse und die weltweite Foodie-Szene zeigten sich begeistert. Machen wir es kurz: Bald wandelte Skenes das Wochenendprojekt in ein richtiges Restaurant um. Organischer kann eine Entwicklung kaum verlaufen. 2013 zog das Saison an seinen aktuellen Standort im einst eher zwielichtigen SoMa District: ein historisches Fabrikgebäude aus dem Jahr 1888, mit 12 Meter hohen Decken und einer riesigen, komplett offenen und direkt in den Gastraum übergehenden Küche mit gewaltigem Grillbereich. 

Photo credit: Bonjwing Lee

Die Atmosphäre ist denn auch enorm beeindruckend, ohne einschüchternd zu sein. Es gibt viel dunkles Holz, unverputzte Backsteinwände sowie allerlei gut gesetzte Raumteiler und Deko-Elemente. Elegant, aber lässig. Als ultracooler Kontrast wirkt die Playlist mit 80er-Jahre-Klassikern, etwa von Tears for Fears, Hall & Oates und Tina Turner. Genau diese eigensinnige Mischung macht die Magie aus und sorgt für eine warme, urbane Wohlfühlatmosphäre. Wer in der deutschen oder französischen Spitzengastronomie würde sich sowas trauen? Aber es ist nun mal so: Diese Balanceakte zwischen rustikal und cool, modern und gemütlich, elegant und entspannt bekommt keiner so gut hin wie die Amerikaner. Und von ihnen wohl niemand so gut wie die Jungs vom Saison. An den Wänden hängen Jagdtrophäen (Skenes ist ein passionierter Waidmann), und tatsächlich fühlen wir uns in der einstigen Fabrikhalle fast wie in einer luxuriösen Jagdhütte, wo nach einer erfolgreichen Pirsch nun die Beute des Tages zubereitet wird.

Noch bevor wir den ersten Happen gegessen haben, sind wir also schon bester Laune. Eine Auswahl müssen wir nicht treffen, denn es gibt im Saison nur ein Menü. Dazu passt, dass offenbar jedem Gast erstmal ein Glas Krug eingeschenkt wird. Überhaupt merken wir sofort, dass der Service hier in einer eigenen Liga spielt: aufmerksam, informiert, elegant, lässig. Top. Wir lehnen uns zurück, lassen den Blick durch die ungewöhnlichen Räumlichkeiten schweifen und saugen die Atmosphäre auf. Dann geht es los ...

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Und zwar mit einer Tasse Tee aus frischen Kräutern, der traditionellen Eröffnung im Saison. Die Idee ist ja schön, aber am Abend unseres Besuchs hatte es in San Francisco hochsommerliche Temperaturen. Und bei fast 30 Grad sollte man vielleicht eher auf ein gekühltes Getränk umschwenken - also zurück zum Krug. Grundsätzlich aber gefällt uns diese Idee als eine hübsche Geste der Gastlichkeit.

Danach geht es ohne weitere Umschweife – sprich ohne Snacks oder Amuses – direkt mit dem Menü los. Und zwar mit Vollgas: Der "Private Batch Caviar" wurde in Kelp-Blättern (eine Seetang-Art) eingelegt und gegrillt. Am Tisch wird er zusammen mit etwas Kelp auf Blattspinat gelöffelt, der wiederum in Algenbutter geschwenkt wurde. Das sieht vielleicht nicht sehr aufregend aus und klingt auch nicht sehr spannend. Aber kaum haben wir den ersten Löffel probiert, schauen wir uns fassungslos an: Es schmeckt unfassbar gut! Buttrig und würzig, mit leichtem Biss vom Kelp, Schmelz vom feinen Spinat, und über allem die leicht rauchige Jodigkeit und Cremigkeit vom Kaviar. Der schiere Wohlgeschmack, der aber nie gefällig anmutet, zieht uns fast die Schuhe aus. Ohne Frage ist diese Götterspeise eines der besten Gerichte, die wir je gegessen haben. 

Als nächstes kommen gegrillte Garnelen auf den Tisch. Zwei prächtige Exemplare, leicht gewürzt, ungeschält und mit den Fingern zu essen. Auf Wunsch werden sie in der Küche geschält, aber wir wählen die rustikale Version. Hier geht es um die Demonstration einer exzellenten Produktqualität. Das funktioniert und macht Spaß, aber etwas komplexer dürfte es schon sein. 

Danach gibt es das "Signature Dish" des Hauses: Seeigel auf in Brotsauce eingeweichtem Sauerteigbrot. Worte können nicht beschreiben, welche Glücksgefühle diese drei kleinen Bissen auslösen. Das Brot ist an manchen Stellen leicht geröstet und karamellisiert, an anderen von Sauce getränkt - dadurch kommt es zu einem steten Wechsel aus knusprig und üppig-weich. Dazu die ultrafrischen Seeigel, die keine Spur von jener stechenden Jodigkeit haben, wie man sie bei nicht ganz taufrischen Exemplaren oft hat. Diese Teilchen hier haben besten Schmelz, schmecken leicht salzig nach Meer und süßlich wie Krustentiere. In Kombination mit der Getreidigkeit des Brotes ergibt sich ein Aromen- und Texturspiel allerbester Güte. Man isst das mit den Fingern, natürlich, und wir passen gut auf, dass kein tropfendes Krümelchen daneben geht. Eine Götterspeise – die zweite in drei Gängen. Wenn das so weiter geht... 

... und das tut es, zumindest fast. 3x gerösteter Naple-long-Kürbis holt aus dem oft so langweiligen Gemüse Erstaunliches heraus. Der krustige Würfel wurde acht Stunden über Feuer getrocknet, was seinen Geschmack enorm verdichtet und zugleich eine umwerfende Karamellisierung erzeugt. Eine exzellente Petitesse, changierend zwischen Süße, Würze und hauchfeiner Rauchigkeit; dazu etwas Buttermilchcrème für die Frische. Wunderbar.

Auf dem Teller links liegen Streifen von gezupftem Kürbis mit Flocken von gegrilltem und getrocknetem Oktopus. Klingt nach nicht viel, schmeckt aber sehr elegant, mit Biss von den lauwarm marinierten Kürbisstreifen und tiefer Würze vom Oktopus.

In der Schale hinten sitzt eine Nocke Kürbispüree in bestem Kernöl. Die Kombination aus süßlich-cremigem Püree und nussigem Öl ist für sich genommen etwas heftig. Aber wir folgen dem Rat des Kellners, die drei Kreationen im Wechsel zu verkosten - und siehe da: Es entsteht ein Spannungsfeld aus Geschmacksnuancen und Texturen, bei dem auch Püree und Öl besten Sinn ergeben. So wird aus der Kürbis-Trilogie ein komplexes, köstliches Ganzes. Hut ab - wenn dieses Niveau anhält, sagen wir uns, könnte das hier das Menü unseres Lebens werden.

Aber man soll die Dinge ja nicht beschreien – und prompt fällt das nächste Gericht rapide ab. Der Black Cod in Joghurt-Limettenblattsauce sieht delikat aus, schmeckt aber schlichtweg langweilig, Der Fisch (erst pochiert, dann gegrillt) ist von hervorragender Qualität und hat eine exzellent krosse Haut. Das Problem ist die Sauce. Sie übertüncht alles mit einer trivial-thailändischen Parfümierung vom Limettenblatt. Das ist gefällig, aber nichts, was groß in Erinnerung bleibt. Schade.

Ein ähnliches Problem gibt es bei der BBQ-Wachtel: Auf den Tisch kommt hier eine halbe Wachtel pro Gast. Sonst nichts. Die Garung des Fleisches ist perfekt, keine Frage. Auch der BBQ-Lack auf Basis von Wildblütenhonig schmeckt für zwei, drei Bissen gut. Dann hat sich die Idee erschlossen und es fehlt der süß-würzigen Lackierung irgendein komplementäres Element, mit dem sich eine Spannung entwickeln könnte. Am Ende schmeckt es nur noch wie ein sehr gutes Grillfleisch, mit einer etwas zu kräftigen, den Wachtelgeschmack übertünchenden Lackierung. Auch dass hier zum dritten Mal mit den Fingern gegessen werden muss, passt zwar zum archaischen Ansatz des Lokals, wirkt ob der Wiederholung aber etwas aufgesetzt.

Für den nächsten Gang namens "Fire in the sky beet" wird am Tisch aus einem gewaltigen Knochen das gegarte Mark geholt und mit einer Sauce verrührt, ...

... welche der Kellner dann über eine Knolle Rote Bete gibt. Diese wurde drei Tage über Feuer gegart und getrocknet und anschließend für zwei Tage in Rote-Bete-Saft eingelegt. Vor dem Servieren wird die Knolle eine Stunde lang gegrillt und am Tisch mit einer Sauce aus Rote-Bete-Saft, Essig und Knochenmark überzogen. Das ist erneut ein echtes Highlight. Die Rote Bete bekommt durch den aufwändigen, mehrstufigen Garprozess einen tiefen Geschmack und eine dichte, an sehr gutes Fleisch erinnernde Textur - eine Präsentation als Rinderfilet würde durchaus durchgehen. Die komplexe Sauce verstärkt durch das Knochenmark den fleischigen Eindruck. Sie ist gehaltvoll, durch die feine Säure aber nicht schwer. Genau richtig, um die vollmundige Bete zu umspielen. Dieses Gericht hat alles, was wir von einem herausragenden Gang erwarten: Es ist originell und individuell, passt in die Linie der Küche und schmeckt vor allem ganz ausgezeichnet. So muss das sein.

Das Produkt beim Hauptgang klingt ebenfalls außergewöhnlich: Pronghorn-Antilope. Wie eingangs erwähnt ist Joshua Skene ein leidenschaftlicher Jäger. Er erlegt die Tiere (aus amerikanischer Zucht) denn auch selbst - wovon die Trophäen an den Wänden des Restaurants zeugen. Das Fleisch - selbstverständlich gegrillt - wird am Tisch tranchiert und mit geschmortem Radicchio angerichtet. Auf einem Extrateller gibt es buttrigen, leicht mit Seegras und Chili gewürzten Biskuit. Leider ist das Fleisch etwas zu weit durch und vermutlich dadurch auch etwas, nun ja, fest. Der Radicchio wiederum hat zu wenig Hitze gehabt und ist arg al dente. Doch damit ein so simples Gericht funktioniert, müsste wirklich alles perfekt sein - von den Produkten über die Garung bis zu den Aromen. Aber auch geschmacklich bleibt das Fleisch flach. Oder anders gesagt: Wir wundern uns nicht, dass Antilope in den Spitzenküchen sonst nirgends zum Einsatz kommt.

Anschließend gibt es noch eine Brühe aus gegrillten Antilopenknochen – die ist sehr gut, auch die Idee gefällt uns. Den enttäuschenden Hauptgang kann sie aber nicht ausgleichen.

Nun geht es direkt zum Dessert "Früchte und Tee" über: Es wird ein sehr guter, fruchtig-aromatischer Tee eingeschenkt, der einen Bogen zu Eröffnung des Abends schlägt. Dazu gibt es ...

… eine mit Zitronen-Buttermilcheiscrème gefüllte Zitrone. Die Präsentation weckt Kindheits-Urlaubserinnerungen, war die eisgefüllte Zitronenschale im Spanien der späten Siebziger doch das, was das Dolomiti auf deutschen Eistafeln war. Die Eiscrème selbst ist ordentlich. Mehr gibt es da nicht zu sagen.

Ebenfalls auf dem Tisch: frische Himbeeren auf Himbeerragout, beträufelt mit Himbeersirup. Das könnte richtig gut sein. Wenn nur nicht alles so unglaublich süß wäre. Warum, fragen wir uns, muss man frische Himbeeren dick mit Zucker panieren? Alles, was wir schmecken, ist Zuckersüße und etwas Fruchtsäure. Der feine Eigengeschmack der Beeren bleibt vollkommen auf der Strecke. Gerade bei einem Produktfanatiker und Puristen wie Skenes ist das vollkommen unverständlich. 

Außerdem wird am Tisch eine zuvor über Stunden gegrillte Ananas aufgeschnitten, ...

… die Tranchen serviert man mit Milcheis und leicht geräuchertem Salzkaramell. Die Ananas ist gut, speziell die dick karamellisierte Kruste gefällt uns. Auf Grund der starken Süße und Fruchtsäure bräuchte sie aber einen Gegenpol, den das ebenfalls recht süße Eis nicht liefern kann. Ein Hefeküchlein wie im Dinner by Heston oder eine Brioche wie im La Bouitte, wo man ebenfalls gegrillte Ananas serviert, wäre ideal. 

Was uns aber vor allem irritiert, ist die Textur beim Eis, welche eher an Pudding oder Burrata erinnert. Dazu passt, dass dieses "Eis" auch nach 20 Minuten einfach nicht schmelzen will. Nicht mal ansatzweise. Vielleicht sollte die Pâtisserie den Einsatz von Zusatzstoffen nochmal überdenken. Dem Mundgefühl und der Bekömmlichkeit sind sie jedenfalls nicht zuträglich.

Das war es nun, das Dinner in einem der heißesten Restaurants der USA – das Adjektiv ist mehrdeutig zu nehmen, denn wie man lesen konnte, gibt es im Saison wirklich kaum etwas, das nicht mit Feuer oder Grillhitze in Berührung kommt. Das funktioniert insgesamt erstaunlich gut, wir hatten befürchtet, dass jedes Produkt eine massive Rauch- oder Grillnote bekommt. Tatsächlich setzt Joshua Skenes dieses archaische Instrument sehr differenziert ein - im besten Fall mit sehr komplexen Ergebnissen. Oder deutlicher gesagt: Einige Gerichte im Saison gehören zum Besten, was wir je gegessen haben. Beim Kaviar, dem Seeigel und dem Kürbis waren wir überzeugt, das 'Menü unseres Lebens' zu genießen.

Doch die zweite Hälfte des Menüs zog uns richtig runter, mit der fantastischen Roten Bete als unbedingt zu erwähnender Ausnahme. Der Fisch, die Wachtel, die Antilope und vor allem die Desserts waren einfach enttäuschend. Alles nicht total schlecht, aber eben auch bei weitem nicht so gut, wie wir es in diesem Restaurant erwarteten. Nun kann man entgegenhalten, dass Skenes mehr denn je die Philosophie einer archaischen Küche kultiviert, bei der es um Feuer, Jagd, ernährungstechnische Urinstinkte (Protein! Zucker!) und Essen mit den Fingern geht – und eben nicht um Finesse und Komplexität im herkömmlichen Sinne. Diesen Ansatz kann und sollte man respektieren. Wir bewundern sogar den Mut, das in dieser Konsequenz durchzuziehen. Das hilft aber nichts, wenn einzelne Gerichte einfach nicht stimmig sind.

Auf wundersame Weise funktioniert das Saison als Gesamterlebnis trotzdem. Wie in kaum einem Restaurant gelingt dort das Zusammenspiel aus Ort, Atmosphäre, Service und einer eigenwilligen Küche. Ja, es gab hier eine Reihe von Tiefpunkten. Aber eben auch eine Reihe von Kreationen, die nicht weniger als absolute Weltklasse sind. Am Ende ist uns das lieber als ein Menü aus durchgehend gefälligem Mittelmaß. Denn die andere Qualität, für die wir die besten amerikanischen Restaurants lieben, ist, dass sie nur selten halbe Sachen machen.

Fazit

Ein Menü mit Höhenflügen und Tiefschlägen, das wir allerdings nicht missen möchten. Das Saison von Joshua Skenes ist ein ziemlich einzigartiges Erlebnis, keine Frage.

Wein

Die Weinbegleitung im Saison in San Francisco

Krug Grande Cuvée, Champagne

2014 'Saarburger Rausch' Riesling Kabinett, Zilliken, Mosel

Yamada 'Everlasting Roots', Tokuhetsu Junmai, Gifu, Japan 

2012 Weissburgunder 'Im Sonnenschein' GG, Weingut Okonomierat Rebholz, Pfalz

2013 Saumur Blanc, Domaine du Collier, Loire 

2009 Pinot Moir Santa Cruz Mountains, Mount Eden Pinot Noir, Kalifornien

1996 Chateau Kirwan, Margaux, Bordeaux

2001 Chateau Suduiraut, Sauternes

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