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Restaurantkritik 27.März 2018

Bella Italia in der Bay Area

Wir erinnern uns noch gut an unseren ersten Trip nach San Francisco, im Mai 2006. Es gab damals noch keinen Michelin-Guide für die Stadt, die erste Ausgabe wurde gerade erst angekündigt, für Herbst 2006. So standen wir etwas ratlos vor der Frage, wo wir essen gehen sollten. In den einschlägigen Foren und Blogs wurde unter anderem das Quince sehr gelobt. Auch unser Bauchgefühl riet uns zu dem Restaurant. Aber der Kopf sagte „Nein“ zu italienischer Küche im multikulturellen San Francisco. Stattdessen gingen wir am einzig verfügbaren Abend zu einem Japaner – ein mittelmäßiges Erlebnis, heute gibt es den Laden längst nicht mehr. Ohne Sternenhimmel tappt man eben manchmal im Dunkeln.

Hätten wir nur unserem Instinkt vertraut! Denn das Quince bekam im Michelin prompt einen Stern. Im Guide 2014 folgte Nummer zwei. Und nur drei Jahre später gab es schließlich die höchsten Weihen des Führers. Chef und Inhaber Michael Tusk hat – ähnlich wie David Kinch vom Manresa – Lehr- und Wanderjahre in Europa verbracht, vor allem in Italien und Frankreich. Besonders die Küche jenseits der Alpen scheint ihn geprägt zu haben, denn das 2003 eröffnete Quince gilt als italienisches Restaurant, wobei diese Einordnung heute nicht mehr so recht greift, wie sich auch bei unserem Menü zeigt. Aber dazu später mehr.

Am Abend unseres Besuchs haben wir bereits ein paar Tage in San Francisco verbracht und einige Restaurants ausprobiert: das modernistische Coi, den besternten Thailänder Kin Khao, den besternten Japaner Omakase, die lässige Tartine Manufactory und das „heiße“ Saison. Eine faszinierende Bandbreite an Restaurants, allesamt von hoher bis höchster Güte. Nun also am letzten Abend der beste Italiener der Stadt.

Das Restaurant wurde 2014 komplett renoviert, wirkt aber immer noch sehr gediegen und vielleicht sogar etwas anachronistisch. Mit dem gewaltigen Kronleuchter und dem großen Blumengesteck in der Raummitte, dem dicken Teppichboden, den lederbespannten Sitzecken und dem gedämpften Geräuschpegel entspricht es ganz dem Bild des amerikanischen "Fine-Dining"-Restaurants. Speziell nach dem modernen Saison am Vorabend irritiert uns diese Art von Eleganz im ersten Moment etwas. Aber der erste Schluck Champagner und mehr noch der bemerkenswert angenehme, humorvoll-entspannte Service (auch das können die Amerikaner wie kaum jemand) lassen schnell Wohlfühlstimmung aufkommen. Unsere Wahl ist rasch getroffen: Das große Menü soll es sein...

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Als Canapés gibt es eine Trilogie: Links auf dem Teller eine Quiche von Kartoffel und Artischocken und eine Kreation aus Spinat und Tomate; auf dem Podest ein gekräutertes Kartoffelbeignet. Die beiden kleinen Happen überzeugen uns nicht, sie schmecken trocken und fad. Etwas besser gefällt uns das lauwarme Beignet mit seiner Mischung aus Knusprigkeit und Fluffigkeit. Aber richtig Klasse ist auch das nicht. Irgendwie macht sich ein mulmiges Gefühl breit: Sollte uns das dreifach besternte Quince genauso enttäuschen, wie so viele der Topitaliener im Mutterland selbst?

Etwas Hoffnung keimt beim Amuse auf, einer Auster mit Fenchel, Meerrettich und Wermut, bei der die Jodigkeit der Auster von Schärfe, Anis und leichter Bitterkeit subtil eingefasst wird.

Nun startet das Menü – und zwar mit einem Big Bang: Der Tsar-Nicoulai-Kaviar auf Brioche mit Hollandaise und Blütenblättern ist schlichtweg grandios! Warmes, knuspriges, buttriges Brioche, darauf cremig-salziger Zuchtkaviar bester Güte vom amerikanischen Weißen Stör. Dazu eine ultraleichte Hollandaise – müssen wir mehr sagen? Ein hochfeiner Luxushappen, wie er besser nicht sein könnte.

Wir sind so begeistert, dass wir auch die alternative Version probieren müssen: Goldenen Osietra-Kaviar mit Panna cotta. Hier richtet man sich die Brioche-Schnittchen selbst an, mit feiner Panna cotta, feinst gehacktem Eigelb, Schnittlauch und edlem Kaiserkaviar. Auch dies ist eine klassisch anmutende Komposition, bei der die traditionelle Crème fraîche durch den sahnigen Flan ersetzt wird. Diese kleine Verschiebung gibt (wie die Hollandaise zuvor) dem Ganzen jenen Funken Originalität, der es über die reine Luxusklassik hinaushebt. Exzellent.

Ungewöhnlich ist die Präsentation von Schwertmuschel, Gemüseartischocke, Knollenziest und Tintenfisch aus der Monterey-Bucht. Die Komponenten sind in einer sehr schmalen Schale aufgereiht, als Besteck gibt es eine Pinzette anstelle einer Gabel. Wir fürchten zunächst einen forcierten Anrichte-Modernismus, merken aber schnell, dass die Idee absolut sinnvoll ist. Letztlich ist es nicht anders als beim Essen mit Stäbchen: Man führt die diversen kleinen Komponenten nacheinander in den Mund – und gerade diese Verzögerung lässt uns die Eigenaromen und Texturen viel klarer wahrnehmen, bevor sie sich mit den folgenden Aromen gewissermaßen gestaffelt verbinden: die feine Nussigkeit der Muscheln mit der Erdigkeit der Artischocke, dem Biss vom Knollenziest und dem milden Meeresaroma vom Tintenfisch. Dazwischen ein Petersilienschaum als Bindeglied. Das ist ein hervorragendes Gericht, das durch die Darreichungsform noch gewinnt.

Es geht exzellent weiter: Das Farm-Ei mit Seeigel, Knollensellerie und Liebstöckel ist gewissermaßen der Gegenpol zum vorherigen Gang. Denn hier werden die Aromen nicht aufgeschlüsselt, sondern es geht um einen vollen Mischgeschmack aus seidigem Seeigel, weichem Ei, süß-saftigem Sellerie und kräftiger Würze vom Liebstöckel. Ganz wunderbar – und wir freuen uns über unser neues Lieblingsprodukt, den Seeigel. Wobei sich auch hier wieder zeigt, dass der nur funktioniert, wo absolute Tagesfrische gewährleistet ist.

Nun folgt Kohlenfisch mit Roter Bete, Rosenkohl, Blumenkohl und Sauce von Sherry und brauner Butter. Die saftige Tranche ist in würzige Rote Bete gewickelt, was wundervoll zum beinahe buttrigen Geschmack des Black Cod passt. Auch die Garnitur aus Blumenkohlcrème und fein geschnittenem Rosenkohl spielt auf elegante Weise mit den Kontrasten von würzig-erdig und süßlich. Der Clou ist aber die herrliche Sauce, die durchaus gehaltvoll schmeckt, aber vom Sherry auch eine schöne Säure bekommt. Große Klasse, einmal mehr.

Für den nächsten Gang werden wir in die Küche geführt, wo am Pass ein kleiner Tisch auf uns wartet (eine Ehre, die aber nicht nur uns zuteil wird). Kurz erläutert Tusk uns, dass direkt neben uns die frische Pasta hergestellt wird. Und dann kommen die Garganelli mit Zitronenverbene, Erbsen und Hummer auf den Tisch. Der Hammer! Garganelli stammen aus der Emilia Romagna und werden traditionell mit Eiern zubereitet (wie so viele Nudeln in Norditalien). Die Entstehungsgeschichte erzählt, dass die gewellten Röhrchen im Jahr 1725 von einem Koch als Notersatz für Tortellini erfunden wurden, weil deren Füllung vom Hund gefressen worden war. 

Tusk greift diese Legende auf, indem er auch die Röllchen füllt, und zwar mit einer Hummermousse. Das allein schmeckt schon ziemlich genial. Dazu gibt es perfekt gegarte Hummerstücke von bester Qualität, umhüllt von einem leichten Verbene-Schaum; ein paar Erbsensprossen kontrastieren mit leichter Bitterkeit. So geht Drei-Sterne-Pasta.

Zurück am Tisch im Gastraum präsentiert uns ein Kellner die Abalone für den nächsten Gang – als große Kritiker dieses Produktes bleiben wir enorm skeptisch...

Auf den Teller kommt die Abalone mit Topinambur, Chicorée und Extravecchio Aceto Balsamico. Hier begeistert uns allein schon die schiere Qualität der Abalone: zart, aber mit Biss; fein und doch nachhallend im Geschmack. Die leichte Süße des Schneckentiers wird vom süßsäuerlichen Balsamico aufgegriffen und von Erdschocke sowie bitterem Chicorée kontrastiert. Klingt komplex, bleibt aber gut zugänglich und vor allem köstlich.

Jetzt gibt es nochmal Pasta – und zwar in gleich zwei Varianten: Bei den Agnolottini di Fonduta mit weißem Trüffel handelt es sich um einen Klassiker der piemontesischen Küche, natürlich in makelloser Zubereitung. Geschmeidiger Teig, eine cremige Käsefüllung und die hauchdünnen Trüffelscheiben vermengen sich zu einem Wohlgeschmack sondergleichen. Es ist die pure Wonne.

Im aufgeschnittenen, antiken Nudelholz (Tusk erzählt uns, dass er eine ganze Sammlung davon auf eBay erworben hat) sitzen Tortellini „Bologna Style“ mit Fleischfüllung, Parmesan und flüssiger Butter. Auch diese Preziosen, die fast wie Edelsteine oder Goldnuggets anmuten, pickt man mit einer Pinzette aus dem Holz – und auch hier ergibt das Sinn, denn das delikate Herausgreifen unterstreicht die Feinheit der herausragend gearbeiteten Teigtäschchen. Bissfester Teig (zwei geraten allerdings zu fest), eine kraftvolle Füllung, etwas Parmesan und Butter zum Abrunden – besser geht’s kaum.

Am Tag unseres Besuchs erschien übrigens der Michelin 2018 für San Francisco, was zu einem amüsanten Intermezzo führt: Mitten im Service wird ein riesiger Luftballon-Strauß durchs Restaurant getragen – ein Glückwunsch von Stammgast Jonathan Ive, seines Zeichens Apple-Chefdesigner, zur Verteidigung des dritten Sterns. Auch sowas gibt es wohl nur in Amerika...

Kulinarisch bleiben wir in Norditalien, mit Risotto und weißem Trüffel – das ist ein „What you see is what you get“-Gericht im besten Sinne: perfektes, cremig-fließendes Risotto („all’onda“, wie der Italiener sagt) mit exakt gegartem Reis und obendrauf hervorragendem Trüffel. Meisterhaftes Handwerk trifft beste Produkte. Auch so gehen 3 Sterne, was viele Köche leider zu vergessen scheinen.

Vor dem eigentlichen Hauptgang schiebt Chef Tusk noch einen Gang ein, der erst demnächst auf die Karte kommen soll: Jungtaube von der Paine-Farm mit Kastanie, Radicchio und Extravecchio Aceto Balsamico. Das ist einer dieser Hauptgänge, die vielleicht nicht sehr spektakulär aussehen, aber verdammt gut schmecken. Die Taube hat ein zartes Fleisch und eine krosse Haut mit dünner Fettschicht; dazu passt natürlich der fruchtige Balsamico allerbestens, während der Radicchio mit seiner Bitterkeit die Papillen spitzt. Wie gesagt ist das sehr gut, ohne umwerfend zu sein. Der unscheinbare Star ist allerdings die Kastanien-Innereien-Kugel – was für eine Wucht!

Aber wir haben noch einen Hauptgang vor uns: Den Millbrook-Rehrücken mit Granatapfel und Schwarzwurzeln. Das sieht schon sehr hübsch aus, wie der Rehrücken von den bunten Gemüsezylindern, Kräuterblättchen und Granatapfelkernen umringt wird. Das Fleisch mit seiner milden Würzkruste steht dabei auch geschmacklich im Mittelpunkt: zart, trotzdem bissfest und vor allem nicht so mild, wie wir es bei Reh oft erleben. Die Beigaben umspielen das sehr stimmig mit Säuerlichkeit, Süße und Würze. Sehr klassisch, sehr gut.

Auf zu den Desserts! Die Île Flottante mit Maracuja, Tonkabohne und Nougat schmeckt angenehm leicht, nicht zu süß und hat eine wohltuend präsente Säure. Ein klassisches Dessert, das uns nicht von den Socken haut, aber trotzdem zu den gelungensten unserer Kalifornien-Reise zählt. Übrigens mutet es nicht zufällig eher französisch an, denn Pâtissier Yannick Dumonceau ist Franzose und hat vor dem Quince sieben Jahre lang die Pâtisserie im L’Ambroisie geleitet.

Als Allergiker-Alternative gibt es ein Soufflée von Guanaja-Schokolade – das sieht toll aus, ist aber auch enorm mächtig. Wir knacken den leicht knusprigen Deckel und sind etwas überrascht, denn das Innere erinnert eher an eine extrem flaumige Mousse als an ein Soufflée. Ungeachtet dessen schmeckt es zwar gut, ist aber letztlich ein Dessert für Hardcore-Schokoholics, die wir bekanntlich nicht sind.

Trotzdem gönnen wir uns zum Espresso noch eine kleine Auswahl vom reich bestückten Petits-Fours-Wagen, allesamt sehr gut.

Oh Boy! Das hatten wir so grandios nicht erwartet. Das Quince ist natürlich nicht so radikal wie das Saison und nicht so modernistisch wie das Coi, aber was sollen wir sagen: Rein vom Genuss war es zusammen mit dem Manresa das beste Erlebnis unseres Trips in die Bay Area. Ist es dabei ein Zufall, dass beide Chefs, Michael Tusk und David Kinch, ihre Lehr- und Wanderjahre in Europa absolvierten? Tusks Stil ist durchaus der klassischen italienischen Spitzenküche verbunden, mit süffigen Geschmacksbildern und klaren Kompositionen – das exzellente Handwerk müssen wir gar nicht erst erwähnen. 

Trotzdem hat man nie das Gefühl, dass sich hier einer auf der Klassik ausruht. Bei aller Harmonie schmeckte alles auch spannend. In unserem 14 Gerichte umfassenden Menü gab es tatsächlich keinen einzigen Ausreißer nach unten. Okay, die ersten Apero-Happen waren schwach und die beiden Desserts nicht wirklich unser Fall – aber sie waren gut gearbeitet und auch geschmacklich keine überzuckerten Totalausfälle wie in manch anderen Restaurants dieses Trips. Der Rest war durch die Bank hervorragend bis grandios. Ob das Quince ein rein italienisches Restaurant ist, darüber ließe sich lange diskutieren – von Pasta, Risotto und ein bisschen Balsamico abgesehen würden wir eher sagen, dass die Küche mediterran mit norditalienischem Einschlag ist; bei den Produkten (Abalone, Seeigel) ist sie klar kalifornisch und bei den Desserts deutlich Französisch.

Im Detail spielt das aber eigentlich gar keine Rolle. Das Gesamtbild ist rund. Souveräne 3 Sterne, wie man es auch dreht und wendet. Und bei der nächsten Stadt ohne Michelin-Guide vertrauen wir gleich auf unseren Instinkt – es dürfte das kulinarisch spannende Los Angeles werden...

Fazit

Meravigliosa! Michael Tusk begeistert uns im Quince mit einer italienisch geprägten Spitzenküche, zwischen Finesse und Vollmundigkeit. Für uns das kulinarisch konstanteste und beste Restaurant in San Francisco.

Wein

Die Weinbegleitung im Quince in San Francisco

NV Pierre Morlet brut, Champagne

2012 Chablis Grand Cru "Bougros", Vignoble Dampt, Burgund

2015 "Iphöfer Kalb" Silvaner, Hans Wirsching, Franken

2010 "Grand Siècle" Laurent Perrier, Champagne

2015 Crozes-Hermitage, Alain Graillot, Rhône

2014 "Vorberg" Riserva Pinot Bianco, Terlan, Südtirol

2012 Moulin à vent, Philippe Pacalet, Burgund

1978 Barbaresco, Produttori del Barbaresco, Piemont

1997 Chateau Branaire, Saint-Julien, Bordeaux

2015 "Graacher Himmelreich" Riesling Auslese, Willi Schaefer, Mosel

2009 Vin Santo del Chianti Classico, Badia a Coltibuono, Toskana

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