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Restaurantkritik  4.Oktober 2017

Reduzierung aufs Wesentliche

Die Anzahl der Wien-Touristen, die sich bisher in den 20. Bezirk verirrt haben, dürfte an den Fingern weniger Hände abzählbar sein. Der nördlich des Augarten gelegene Stadtteil ist ein typisches Wohngebiet, welches dem Hauptstadt-Besucher nicht viel zu bieten hat. Außer natürlich, man ist auf der Suche nach kulinarischen Großtaten – so wie wir heute. 

Das Restaurant befindet sich in einem unscheinbaren Wohnblock und wären wir nicht schon mal hier gewesen, wir wären glatt vorbei gelaufen. Wir müssen klingeln, damit man uns öffnet ‒ das erinnert an die alte 'Osteria Enoteca' im Frankfuter Rödelheim oder das 'Essigbrätlein' in Nürnberg. Dieses kurze Prozedere hat seinen Charme und entbehrt nicht einer gewissen Mystik. Nach der Begrüßung durch Sohn Manuel Mraz werden wir durch das Restaurant in einen Backstein-Hinterhof geführt, wo es die ersten Grüße aus der Küche gibt. Ein ungewöhnliches Ambiente, das (bisher) aber immer hervorragend zur verspielten Küche passte. Dass hier nur die Snacks serviert werden, ist in der Lage des Innenhofs begründet: Da sich in den oberen Stockwerken Wohnungen mit konsequenten Mietern (mit ebenso konsequentem, juristischen Beistand) befinden, ist um 21.00 Uhr Zapfenstreich. Spätestens dann müssen alle Gäste ins Restaurant umziehen. Wir haben glücklicherweise noch genügend Zeit, die Atmosphäre bei einem Glas 2008 Agrapart & Fils Minéral zu genießen, und warten auf den kulinarischen Einstieg.

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Direkt aus einer Sonnenblume serviert man uns einen Sonnenblumenmüsliriegel mit geräuchertem Brimsen  (gesalzener Frischkäse aus Schafmilch) und Sauerklee. Nussig, cremig, sauer, gut.

Ein kleines Brotintermezzo folgt in Form einer sehr gelungenen Bierbrezn mit reduziertem Obers und Schnittlauch. Der großzügig portionierte Schnittlauch erscheint uns so früh am Abend zwar ein bisschen zu intensiv, doch schmecken tut’s allemal.    

Die Mraz’ sind glücklicherweise nicht auf den Trend aufgesprungen, Mocca-Latte-Frappuccinos in Avocadoschalen zu servieren, sondern ergänzen die Avocado um Auster und Kren-Ayran. Spannend, wie die Jodigkeit der Auster durch die leichte Schärfe und die Cremigkeit im Zaum gehalten wird und eigentlich nur ihre fleischige Meeresfrische beisteuert. Irgendwie eigenartig – und irgendwie gut.

Ein hübsches Gebilde von Babytomaten in Miso-Olivenölmarinade folgt. Das wirkt schon an der entlegenen Grenze des Interessanten und löst bei uns keine Begeisterungsstürme aus. Die Kombination ist zwar gefällig, doch die Paradeiser erweisen sich als nicht ausdrucksstark genug, um bei dieser Art der fokussierten Produktküche wirklich zu scheinen.    

Als letzten Gruß schickt die Küche eine Backerbse gefüllt mit Schwarzfederhuhnconfit, Mangocrème und Kapuzinerkresse. Unsere Kindheitserinnerungen lassen die Assoziation zur Backerbse hiermit zwar nicht aufflammen, aber erfreuen können wir uns an diesem süffigen Happen dennoch. Lediglich etwas knuspriger hätte er sein dürfen.

Während einige Gäste noch fröhlich im Hof weiter snacken, führt uns Manuel Mraz an den Küchentisch. Als wir es uns gemütlich gemacht haben, wird bereits der erste Gang serviert. Weintatar, Weinblatt, Ox und Apfel ist eine geschmacklich ungewöhnliche Interpretation eines Tatars. Das angenehm fette Fleisch steht zwar bei jedem Bissen im Mittelpunkt, doch die gut gewählten Begleiter drängeln sich auch immer wieder ins Rampenlicht. Wir schmecken viel Säure und Grün, was für ein angenehm leichtes Essgefühl sorgt. Die Anlehnung an die griechische Kultur findet in diesem Fall nicht nur auf dem Teller statt, sondern wird im Glas mit dem begleitenden 2016er Ovilos von Biblia Chora aus Nordgriechenland weitergeführt. Der samtig weiche Wein erweitert das Gericht nicht nur, sondern verbessert es tatsächlich. Sehr schön.    

Weiter geht’s ein bisschen Ge(stör)t. Wir haben uns schon gefragt, ob Markus Mraz den Gefallen an spinnerten Titeln für seine Gerichte verloren hat. Offensichtlich nicht. Hinter den Buchstaben versteckt sich Stör mit Daikonrettich und fermentiertem Rettich. Zuerst sticht die prägnante Fermentationsnote in die Nase, sodass schon leise Befürchtungen auftreten, diese könnte den Rest des Gerichts komplett überlagern. Doch dem ist glücklicherweise nicht so. Zwar ist die fermentierte Version des Rettichs sensorisch sehr präsent, doch keineswegs erschlagend. Der Stör kann es problemlos mit dem Gemüse aufnehmen, die dezent jodige Natur des Kaviars wird sogar noch zusätzlich untermalt. Das Gericht changiert gekonnt zwischen laut und leise, und eigentlich hätten wir gerne noch ein wenig länger am Regler gedreht.    

Grün in Weiß ist der Name des folgenden Gangs. Grüner und weißer Spargel wird mit Molke und Yuzu kombiniert. Was einfach als optischer Gag durchgehen könnte, entpuppt sich schnell als kopfnick-würdiger Crowdpleaser. Wie Mraz hier einerseits die Unterschiede der beiden Stängel betont und sie über die Sauce dann zusammenführt, ist ganz einfach grandios. Die nussigen Noten des Gemüses und die feinen Bittertöne werden durch die leichte, fruchtig-säuerliche Sauce wunderbar betont und gehen eine Verbindung ein, die an Eleganz kaum zu überbieten ist. In seiner Simplizität absolut spektakulär. À part wird eine Art Spargeltee aufgetischt, der mit Yuzu aromatisiert wurde. Ebenfalls ausgezeichnet. Dieser Gang zeigt uns einen Markus Mraz, wie wir ihn bisher noch nicht kannten. Wir sind gespannt, ob es in dieser Art weitergeht.    

Sehr zu unserer Freude wird der eingeschlagene Weg beim Seesaibling mit Kohlrabi, Verbene und Mandel-Beurre-blanc noch nicht wieder verlassen. Der leicht gegarte Saibling betört mit seinem distinguierten, zarten Aroma, das uns aus unerfindlichen Gründen an einen kalten, klaren Bergsee denken lässt. Gepaart mit dem hauchdünn gehobelten, knackigen Kohlrabi und der zitrussig-minzigen Frische des Eisenkrautgewächses sowie der absolut süchtig machenden Beurre blanc ist das gleich der nächste Höhepunkt des Dinners. Auch hier zeigt Papa Mraz seine sanfte und ruhige Seite, setzt auf Harmonie und Eleganz und das fein austarierte Zusammenspiel der wenigen Aromen. Und diese mit Mandeln aromatisierte Beurre blanc – zum Reinlegen gut. Davon darf kein Tropfen verschwendet werden, weswegen wir ganz ungesittet den Teller mit den Fingern blank putzen.    

Ungleich rustikaler kommt der folgende Gang daher. Schweinebauch mit Rhabarber und Pfefferblatt erfordert zuerst mal ein wenig Handarbeit – Bauch ins Reispapier, Kräuter rein, Relish drauf und ab dafür. Doch leider hält der Geschmack nicht, was die Rolle suggeriert: herzhaft, süffig und den Wunsch weckend, gleich noch ein Exemplar zu verdrücken? Fehlanzeige. Das Schwein ist nicht so saftig, wie wir uns das wünschen würden, und verfügt auch nicht über den typisch fetten Eigengeschmack. Trotz der Sauce und der Kräuter ist uns der Wrap insgesamt zu trocken und wirkt einfach nicht komplett. Eine weitere Komponente in Form von knackig-säuerlichem Gemüse oder einem dezente Schärfe beisteuernden Element würde in unseren Augen Abhilfe schaffen.

Ganz anders der Hauptgang. Alte Milchkuh, Erdäpfel und Sommertrüffel ist ein Wonneproppen, vollgestopft mit Umami, und wirkt geradezu süffig. Die alte Kuh hat langsam, aber sicher den Weg von Skandinavien und Spanien in hiesige Gefilde gefunden, was wir ausdrücklich begrüßen. Denn das Fleisch der ausgedienten weiblichen Rinder ist durchzogen von feinsten Fettadern und bringt, wie in diesem Fall, satten Geschmack mit. Da braucht es nicht viel Brimborium drumherum, und das weiß Markus Mraz. Ein bisschen Kartoffelschaum, Trüffel, Schwammerl, Champignons – fertig ist ein nahezu perfekter, puristischer Hauptgang. Neben der vollen Breitseite von kernigem Wohlgeschmack, zeigt sich auch einmal mehr das Talent der Küche bei der Portionsgröße. Trotz des umfangreichen Menüs vertilgen wir dieses Gericht ohne mit der Wimper zu zucken bis zum letzten Bissen.    

Auf das nun Kommende freuen wir uns immer schon bei der Tisch-Reservierung: Der einzigartige Käsewagen wird vorgefahren! Alle Details dazu findet Ihr übrigens in unserer Rubrik "Die besten Käsewagen".

Dem ersten Gefährt folgt alsbald der nicht minder imposante Brotwagen, den Markus Mraz ebenfalls selbst baute.

Bei solch einer Käseauswahl können wir auf keinen Fall "nein" sagen! Manuel Mraz stellt uns einige perfekt gereifte Exemplare zusammen, die wir nicht missen wollen. Schön zu sehen, dass im Mraz & Sohn die Käseflagge inklusive Wagen weiterhin hochgehalten wird.

Den Start in den süßen Teil des Abends macht eine kalte Praline mit Ingwer, Kalamansi und Erdnuss. Das Spiel aus Säure, leichter Schärfe und Nussigkeit stimmt uns passend auf die Desserts ein...

Leicht, kühl und frisch wird es beim Holunder mit Sauerampfer und Nüssen. Ein Dessert ganz nach unserem Geschmack. Die floralen Noten des Moschuskrautgewächses werden durch die Säure des Knöterichs toll weitergesponnen, um dann von der nussigen Knusprigkeit schön abgerundet zu werden. Natur pur und sehr lecker.

Das zweite Dessert hört auf den Namen „Japanflagge“. Dahinter verbirgt sich Himbeere, Sushireis und Sojakaramell. Was sich im ersten Moment nach einer etwas gewagten Kombination anhört, funktioniert ganz wunderbar. Vor allem die Kombination des süßen Karamells, der nur noch bei genauem Hinschmecken die typischen Sojaaromen preisgibt, gepaart mit der süß-sauren Himbeere macht richtig Spaß. Damit dieser nicht zu kurz währt, bringt der Reis etwas Substanz und weitere subtile Süße ins Spiel. Ein erstaunlich komplexes und vor allem gelungenes kleines Gebilde.    

Auf einer Armada von Petits Fours wird im Mraz & Sohn verzichtet, dafür gibt es eine Sachertorte mal anders. Wir sind geneigt zu sagen, dass diese dekonstruierte Version die vielleicht beste Inkarnation des österreichischen Nachspeisenklassikers ist, die uns jemals auf die Gabel gekommen ist (wir sind uns der Blasphemie durchaus bewusst). Auf jeden Fall ist sie sehr schmackhaft und zeigt, dass die Neuinterpretation eines angestaubten Gerichts durchaus auch Sinn ergeben kann.

Seit unserem letzten Besuch hat sich die Küche von Markus Mraz drastisch gewandelt. Wo früher eine beinahe kindliche Experimentierfreude herrschte, die unter anderem in Gänseleberbomben und lustigen Menütiteln wie „Der stumme Fisch und das Schweigen der Lämmer“ gipfelte, findet sich nun eine oft fast schon japanisch anmutende Zurückhaltung auf den Tellern. Ist Markus Mraz erwachsen geworden? Jein. Vielmehr scheint er sich nach Jahren voller rastloser Kreativitätsausbrüche mittlerweile selbst gefunden zu haben. Die Gerichte wirken sehr durchdacht, beinahe nüchtern, und überzeugen eher durch Harmonie und präzise Feinabstimmung als durch einen Schlag voll auf die Zwölf. Von diesem Wandel kann man freilich halten, was man will. Wir finden jedenfalls, dass die neue Geradlinigkeit – bei der der für Mraz typische Spaß keineswegs verloren gegangen ist, sondern einfach etwas subtiler und gebündelter daherkommt – dem Familienbetrieb sehr gut zu Gesicht steht. Was sich sicher auch daran zeigt, dass das Restaurant eigentlich immer ausgebucht ist. Wir sind gespannt, wie diese Entwicklung weitergehen wird und wie sie sich bei unserem nächsten Besuch auf den Tellern manifestiert.

Fazit

Ein Ausflug in den 20. Wiener Gemeindebezirk gehört zum Pflichtprogramm eines jeden Wienreisenden. Markus Mraz kocht fokussierter, geradliniger und schmackhafter als je zuvor und überzeugt mit dem neu gefundenen Mut zur Reduzierung auf ganzer Linie.    

Wein

Die Weinbegleitung im Mraz und Sohn in Wien

2008 Agrapart & Fils, Blanc de Blancs, Minèral

2016 Biblia Chora, Ovilos

2014 Pranzegg, Caroline

2011 Tement, Sauvignon Blanc Zieregg

2010 J.M. Boillot, Puligny – Montrachet, 1er Cru La Truffière

2015 Commando G, Rozas 1er

2011 Schiefer, Blaufränkisch Szapary

Krug Grande Cuvée

2004 J.J. Prüm, Riesling Spätlese, Wehlener Sonnenuhr

2011 Dom. Des Enfants, Maury

Fressfreunde

The Important Stuff

"Mraz & Sohn bietet eine hochstehende, schmackhafte und reduzierte Autorenküche auf hohem Niveau. Gepaart mit lockerem Service und einer legeren, relaxten Atmosphäre. Als Zückerchen gibt es hier sogar noch einen toll bestückten Käsewagen obendrauf. Ein Pflichtbesuch, wenn man in Wien ist."

Küchenreise

"No risk, no Fun scheint bei Mraz die Devise zu sein, uns gefiel die kreativitätsgeladene Küche in der Wiener Vorstadt sehr!"

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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