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Restaurantkritik 12.Dezember 2018

Le Squer Le Roi

Vor drei Jahren hatten wir im Le Cinq eines der besten Essen unserer zahlreichen Parisreisen - und zwar in jeder Hinsicht: Der Speisesaal gefiel uns in seinem nicht ganz geschmackssicheren Pomp, der Service war allererste Sahne und das Essen schlichtweg grandios. Es ist immer schwierig, ein solches Erlebnis zu wiederholen. Man kann es praktisch nie toppen, wie etwa unser Besuch bei Guy Savoy zeigte, wo es sehr, sehr gut war, aber eben nicht mehr so prägend wie bei beim ersten Mal. Was nicht unbedingt nur am Restaurant liegt - man selbst wird älter, sicherlich auch abgeklärter. Manchmal vielleicht auch ein bisschen zynisch. Trotzdem hoffen wir, uns unsere Begeisterungsfähigkeit bewahrt zu haben.

Deshalb wollten wir es auch beim jüngsten Paris-Trip nochmal wissen und reservierten für den letzten Mittag einen Tisch im Le Cinq. Und siehe da, das leicht berauschende Gefühl stellte sich schnell wieder ein. Der etwas zu dick aufgetragene Luxus im Foyer des Four Seasons Hotel, die verschwenderischen Blumengestecke überall, die ultradicken Teppiche, der enorm großzügig bemessene Speisesaal mit seinem wilden Stilmix-Interieur, der lässig-elegante Service - wir mögen den Laden einfach.

Unsere Wahl fällt auf das 6-Gang-Mittagsmenü, das mit dem Abendmenü praktisch identisch ist und sich aus Gerichten der À-la-Carte-Auswahl zusammensetzt - wie übrigens in fast allen Pariser Spitzenrestaurants. Verbreitet ist nämlich noch immer der Irrglaube, man sollte in Frankreich besser keine Menüs essen, weil diese aus schwächeren Gerichten bestünden. Außer Pierre Gagnaire fällt uns ad hoc kein Dreisterner ein, bei dem das so ist. Zudem bereitet es im Le Cinq kein Problem, einzelne Gerichte des Menüs auszutauschen, wovon wir bei zwei Gängen Gebrauch machen.

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Los geht es mit einer kleinen Apéro-Trilogie. Die Praline und der Crisp sind in Ordnung, hinterlassen keinen nennenswerten Eindruck. Dafür die Campari-Ingwer-Sphäre auf dem Löffel umso mehr - nur leider keinen positiven: Die Hülle ist viel zu dick und bleibt als fieser Glibber im Mund haften, der Inhalt ist wässrig. Nicht gut.

Ungleich besser gefällt uns das Mini-Tartelette von Geflügelleber und Frühlingslauch mit seinem krossen Mürbeteigboden, der kräftigen Lebermousse und dem leicht süßen Lauch. Klassisch und gut.

Ein absoluter Knaller ist dann das Amuse: Erbsen auf Zitronen-Crème-fraîche. Hier tischt Küchenchef Christian Le Squer die ersten, knackigen Erbsen auf (unser Besuch war im Frühjahr), umspielt ihre natürliche Süße nur mit einem Hauch Zitrone und stärkt das Aroma mit Crème fraîche. Die Johannisbeeren setzten blitzartige Akzente. Das ist meisterhaft reduzierte Produktküche en miniature.

Der erste Gang des Menüs besteht aus getrüffeltem grünem Spargel mit Château-Chalon-Hollandaise und Milchhaut. Der Spargel ist sehr gut gegart (aber nicht mehr perfekt bissfest) und hat ein kräftiges Aroma. Die Trüffelcrème ist angenehm mild, die mit Vin Jaune aromatisierte Hollandaise hat eine schöne Säure und eine leicht sherryartige Note - typisch für Vin Jaune und sehr elegant. Besonders gut gefällt uns die Spargelmousse mit ihrer feinen Textur und dem verdichteten Spargelaroma. Allein der Sinn der Milchhaut erschließt sich uns nicht, denn sie trägt weder texturell noch geschmacklich sinnvoll zu der Kreation bei; sie sieht nur fies aus, erinnert an das Esskalations-Gericht "Sex on the Beach" und wirkt damit wie ein Fremdkörper auf dem Teller. Davon abgesehen (im wahrsten Wortsinn) wird der Spargel bei diesem Gericht sehr schön und harmonisch inszeniert.

Als alternative Vorspeise haben wir Spinnenkrabbe mit cremiger Corail-Emulsion gewählt. Unter einem überraschend geschmacksstarken Schaum verbirgt sich ein sensationell abgeschmecktes Krabbenfleisch, gezupft und mit einer kräftigen Emulsion vom Krabbenrogen aromatisiert. Mehr müssen wir da gar nicht sagen, das ist klassisches französisches Hochküchen-Handwerk in Bestform. Kein Fitzelchen bleibt auf dem Teller...

Als nächstes gibt es einen Hausklassiker, nämlich Zwiebelgratin "à la Parisienne". Dieses simpel klingende Gericht hat uns schon letztes Mal begeistert. Die Zwiebeln kommen als eine Art Sphäre auf den Teller und sehen im ersten Moment wie überbackene Champignonköpfe aus. Dazu gibt es Knusperstücke von altem Parmesan, geschmorte Zwiebelstückchen, schwarze Trüffelcrème und einen wunderbar dicken Jus. Die angegrillten Zwiebelkugeln platzen am Gaumen und geben eine köstliche Zwiebelbouillon frei - das ist schon pure Wonne. Parmesan und Zwiebelconfit verstärken die beinahe fleischige, aber auch süffig-süßliche Umami-Vollmundigkeit. Jeder Bissen ist leicht, hat aber eine enorme Power und dabei immer noch Finesse. Der einzige Grund, warum die Pariser Zwiebeln nicht mehr ganz den Götterspeise-Status erreichen, ist, weil sie diesmal nicht mehr richtig heiß sind, wie es sich für ein gutes Gratin gehört.

Im Menü geht es weiter mit gegrilltem Kabeljau mit mariniertem Spinat, Rosinen und Granatapfel. Wir werden nie verstehen, weshalb Kabeljau bei Köchen so beliebt ist, denn er schmeckt eigentlich nach gar nichts - oder ist das am Ende der Grund? So nämlich kann man ihn in jeden beliebigen Geschmack einhüllen. Hier sind es die kräftigen, mediterranen Aromen von Granatapfel und Rosine. Aber es nützt nichts. Der Fisch bleibt blass. Der simple Spinatsalat obenauf lässt die Kreation endgültig in die Sphären der harmlosen Bistroküche abgleiten. In einer Brasserie irgendwo in Südfrankreich wäre das ein sehr ordentlicher Gang, hier aber wirkt das Ganze einfach nur tödlich langweilig - und entspricht auch stilistisch so gar nicht dem Rest des Menüs.

Zum Glück hat einer von uns einen alternativen Fischgang gewählt. Der Wolfsbarsch in fermentierter Buttermilch mit Imperial-Kaviar ist ein Klassiker aus Le Squers Repertoire - und zwar völlig zu Recht! Der butterzarte und trotzdem kernige Fisch schwimmt förmlich in einer sämigen, ungemein delikaten, feinsäuerlichen Sauce, wird aber nicht seines Eigengeschmacks beraubt. Als schöner Gegenpart fungiert der frittierte Grünkohl mit seiner hauchfeinen Knusprigkeit und seinen Bitterstoffen. Der Kaviar schließlich setzt einen kräftigen und essenziellen Akzent und rundet das Ganze höchst edel ab. Bei diesem Gericht, das so einfach anmutet, greift alles perfekt ineinander. Wir sind begeistert.

Als Hauptgang folgt ein weiter Klassiker aus Le Squers Küche, den es schon zu seinen Ledoyen-Zeiten gab und den wir schon lange probieren wollten: Schinken, schwarze Trüffel und Morcheln im Nudelnest. Wenn man so will haben wir es hier mit einer Luxusversion des Italo-Klassikers "Pasta mit Trüffeln" zu tun. Aber was für einer! Schneidet man den Quader aus Bucatini an, kommt eine saucig-sahnige Füllung aus Schinkenwürfeln, Trüffel und Morcheln zum Vorschein. Damit so eine rustikal-luxuriöse Kreation funktioniert und nicht plump wirkt, muss im Feintuning alles stimmen - von der Produktqualität über die Würze bis zur Garung. Das ist hier der Fall, und das Ergebnis ist ein Drei-Sterne-Wohlfühlgericht: nicht sonderlich komplex, aber ungeheuer lecker.

Obwohl wir inzwischen ziemlich satt sind, lassen wir vor den Desserts noch den Käsewagen anrollen ...

Nun geht es zum süßen Teil. Der startet mit einem Pré-Dessert aus eingemachter Banane mit Passionsfrucht-Emulsion. Die Üppigkeit und die Süße der Bananenstücke und die Säure der fast puddingartigen, trotzdem aber sehr leichten Passionsfruchtcrème ergeben ein stimmiges Duo. Schmeckt gut, ohne spektakulär zu sein.

Danach schieben wir noch ein Zusatzdessert ein, das wir brüderlich teilen: Die geeiste Milch mit Hefe ist von genialer Simplizität. Die Kreation besticht schon allein durch ihre "reine" Farbgebung und die wilde, beinahe architektonisch anmutende Präsentation. Und erst der Geschmack: Auf einem Boden aus Meringue mit Raspeln von weißer Schokolade und Mandeln sitzen eine Milchcrème sowie Milcheis, beides sanft, aber schmeckbar mit Hefe aromatisiert. Der Effekt ist sensationell: Die süße Frische der Milch bekommt durch die Hefe eine enorm süffige Vollmundigkeit; der Boden steuert festere Substanz und durch Mandel und Schokolade weitere Aromatiken bei. Das Pergament (aus Isomalt) erzeugt mit seiner Splittrigkeit einen spannenden Texturkontrast. Sämtliche Komponenten greifen ineinander und ergeben ein absolut stimmiges, großartiges Gesamtbild.

Das finale Dessert besteht aus knuspriger Kaffeemousse mit Whisky-Karamell und im eigenen Saft gedünsteten Brombeeren. Kaffee und Whisky, Whisky und Brombeeren, das geht alles prima zusammen und ergibt in Summe ein gefälliges Dessert. Aber auch wenn die Pâtisserie hier durchaus gekonnt mit dunklen und röstig-rauchigen Aromen spielt, bleiben uns die Geschmäcker zu zaghaft. Es ist alles sehr mild. Oder anders herum gesagt: Es fehlen uns der gewisse Pep und etwas mehr Wucht, um uns zu begeistern.

Die Petits Fours aus Himbeere, Mandel und Zitrone stimmen uns dann wieder versöhnlich.

Zum Kaffee gibt es noch ein paar Pralinen und "Kouign-Amann", wobei das traditionelle Hefegebäck aus Christian Le Squers bretonischer Heimat leider etwas zu lange im Ofen war. Zum Glück wissen wir noch vom letzten Mal, wie sensationell die Teilchen schmecken, aber weshalb man sie mit solch schwarzen Kanten überhaupt serviert, bleibt uns ein Rätsel.

So geht ein überaus glücklich machendes Mittagsmenü zu Ende. Und wir können guten Gewissens sagen, dass dieses Erlebnis unserem Erstbesuch in (fast) nichts nachstand. Die Apéro-Happen waren diesmal schwach bis ungenießbar, ein Fischgericht war irritierend banal und das Hauptdessert (wie so oft) auf der langweiligen Seite. Dem gegenüber stand aber eine Reihe von Highlights, vom Amuse über die Spinnenkrabbe und den Wolfsbarsch bis zu den Trüffel-Bucatini.

Schwachpunkte zeigt Le Squer oft dort, wo er forciert modernistisch wird, etwa bei der Apéro-Sphäre und der Milchhaut zum Spargel. Am stärksten ist er umgekehrt bei klassischen Kompositionen, denen er lediglich ihre Schwere nimmt und die er in der Feinabstimmung auf die Höhe der Zeit bringt - denn so mächtig etwa die sahnigen Bucatini auch aussehen mögen, waren sie doch überraschend leicht und bekömmlich.

Geradezu absurd mutet es daher für uns an, was kurz nach unserem Besuch Starkritiker Jay Rayner in der renommierten britischen Tageszeitung "The Guardian" über seinen Besuch im Le Cinq veröffentlichte - einen herben Verriss, um es milde auszudrücken. Spannend daran war, dass es bei seinen Gerichten einige Überschneidungen mit unserem Menü gab. Und er hasste sie alle. Uns kam der Text weniger wie eine Restaurantkritik, sondern vielmehr wie die Fortführung der britisch-französischen Erbfeindschaft mit anderen Mitteln vor. Passenderweise in einem nach dem Britenkönig George V benannten Lokal. Aber sei's drum, die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich sind heute bekanntlich prima und so werden auch wir dem feudalen Prunkpalast nahe den Champs-Élysées sicher wieder die Ehre erweisen.

Fazit

Auch nach dem Zweitbesuch zählt das Le Cinq zu unseren liebsten Restaurants in Paris. Wer sanft modernisierte Klassik in exzellenter Umsetzung sucht, ist hier genau richtig

Wein

Weine im Restaurant Le Cinq in Paris

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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