Anzeige
Restaurantkritik  4.Dezember 2017

Swanson vom Dach

Die Berliner Spitzengastronomie ist im stetigen Wandel. Wer will, kann sich jeden Tag bei einer anderen Restauranteröffnung mit den neuesten Ernährungstrends an- oder entfreunden. Doch nur wenige Neuzugänge haben längerfristig Bestand, viele verschwinden nach einem kurzen Hype, oft schon innerhalb weniger Monate. Anders scheint es um das "Golvet" zu stehen, das sich zwar erst im April in den alten, komplett renovierten Räumen des ehemaligen Clubs "40seconds" in Berlin-Tiergarten niedergelassen hat. Bereits kurz nach Eröffnung heimste es ordentlich Lob in nennenswerten Hauptstadt-Medien ein, und darf sich nun über den ersten Stern freuen. Nicht zuletzt gibt uns der Umstand, dass der erfahrene Chefkoch Björn Swanson hier hoch über Berlin ebenso hohe Ambitionen hegt und die Inhaber langjährige Erfahrung mit Gastronomie und Barkultur mitbringen, das Gefühl, dass das "Golvet" eine Weile bleiben möchte.

Wir besteigen den Aufzug in den 8. Stock; die Fahrt dauert genau 40 Sekunden - daher auch der Name des ehemaligen Clubs und dessen Inhabers, der 40seconds Group. Das Interieur ist edel, aber nicht steif, und spätestens beim Ausblick fühlen wir uns ein klein wenig an die "Skykitchen" im Osten der Stadt erinnert: Wandhohe Fenster bieten eine wunderschöne Aussicht über die Hauptstadt, die zum Glück flach genug gebaut wurde, um Weitblick zu gestatten. Zwei ausladende Terrassen, eine 13 Meter lange Bar sowie eine gemütliche Lounge laden zum Verweilen ein, und dennoch: Der Fokus liegt eindeutig in der Küche, die Björn Swanson und sein Team mit Leben füllen. Sommelier Benjamin Becker kommt aus dem Einsunternull.

Der 34-jährige Berliner Swanson hat Erfahrung in der Sterneküche: Er erkochte das Macaron als Küchenchef im "Gutshaus Stolpe". Auch seine Stationen im "Fischers Fritz", im "Facil" und im Dresdner "Bean & Beluga" dürften ihm das nötige Handwerkszeug beigebracht haben, das die Michelin-Tester bereits in der ersten Woche der Restauranttätigkeit äußerst angetan hinterließ. Das Restaurant bietet sowohl ein Menü als eine À-la-carte-Auswahl. Wir entscheiden uns - wie fast immer - für die Speisefolge samt Weinbegleitung und sind gespannt, ob der schwedische Name des Restaurants, der sich in das deutsche "Boden" übersetzt, nur als ironischer Kommentar zur hohen Lage über der Stadt zu verstehen ist oder tatsächlich auf ein skandinavisches Nordic-Cuisine-Konzept schließen lässt. Auf geht's!

Anzeige
|

Das erste Amuse, angeräucherte Makrele mit Tomate, Brotkrumen & Kalamansi, bringt flüchtige Fischaromen und lang nachklingende Säure und Süße. Prima!

Etwas heftiger schlägt die konfierte Petersilienwurzel mit Petersiliencrème, Egerling-Eis und Sucuk gegen unsere Papillen. Die Temperierung zwischen eiskalt und lauwarm ist gewöhnungsbedürftig und wirkt nicht schlüssig, die arabische Wurstbeilage ist äußerst intensiv und zeigt auch nach dem Verzehr stetige Präsenz. Mutig, aber nicht unseres.

Den Einstieg in das Menü macht der in Nussbutter gebeizte Wildlachs mit eingelegtem Rhabarber, Miso-Mayonnaise & Dill-Sud. Was sollen wir sagen? Ein hervorragender, hochintensiver erster Gang, in dem sich vor allen Dingen der Dill, eingearbeitet in den Sud, raffiniert integriert ‒ stets präsent, ohne zu nerven oder den auf den Punkt gegarten Fisch samt krosser Haut zu überspielen. Alle Komponenten sind sorgfältig aufeinander abgestimmt. Das macht Spaß, weiter so!

Bei der norwegischen Jakobsmuschel mit Biryani-Curry, Spargelsalat, Sauerklee und Vinaigrette verfehlt die Küche die Balance in der Aromatisierung, die wir beim Gang zuvor noch lobten: Zwar harmoniert die Muschel (gebraten, roh und als getrockneter Abrieb) gut mit der tollen Säure des Spargelsalats ‒ leider wird dieser Zweiklang von der angelöffelten Curry-Crème durch schieren Übermut an pfeffriger Schärfe zerstört. Würde man hier ein paar Gänge runterschalten, wäre das ein toller Teller; so aber nehmen wir nichts anderes wahr als eine scharfe Gewürzmischung mit Einlage.

Dass es auch anders geht, zeigt die gebackene Kartoffel (á-part gereicht) mit Frankfurter Grüner Sauce, Wachteleiern, Ziegenquark und Gelbflossen-Makrele. Eine schöne Interpretation eines Hausfrauenklassikers, cremig, vollmundig, und dank der Hoisin-Sauce, die den gedämpften Fisch ummantelt, bekommt das Ganze einen äußerst passenden japanischen Touch. Unserer Ansicht nach könnte das gesamte Gericht ein paar Grad heißer sein, aber dennoch: sehr schmackhaft.

Nach diesen aromatischen ersten Gängen folgt nun in Form einer Gazpacho vom Burrata mit mariniertem Pfirsich, Holzkohle-Öl, Schalotte & Pulled-Karnickel-Burger mit Röstzwiebeln und BBQ-Creme etwas Abkühlung. Das Süppchen erfrischt und passt prima zu den steigenden Temperaturen in der Hauptstadt, verliert sich aber aufgrund der schieren Menge in Eindimensionalität. Das Sandwich, dem (zum Glück!) langsam abnehmenden Pulled-Pork-Trend folgend, ist eine deftige wie herzhafte Beigabe, hat aber unseres Erachtens nichts mit dem Hauptteller zu tun. In Summe ein guter Gang, dessen Proportionen unseres Erachtens noch einmal in die Feinjustierung müssen.

Dass sich Björn Swanson asiatischen, vorrangig japanischen Einflüssen nicht verschließt, merkten wir bereits an den vorherigen Gängen. Die leicht angegrillten Tranchen von der Gelbflossen-Makrele (im Japanischen "Hamachi") mit Emulsion von Grünen Äpfeln, 15 Jahre alter Soja-Sauce und Koriander-Kräuter-Salat bringt das nochmal als eigenständiger Gang auf den Punkt: Die Makrele ist von hervorragender Qualität, hat eine passende Schnittbreite und wurde mit Vorsicht gegart, der Eigengeschmack des Fisches ist dezent, aber hält lange an. Wäre da nicht wieder ein Sud, der den Wohlklang brachial stört und sich salzig-säuerlich dazwischendrängelt, um keinen Raum mehr für das Hauptprodukt zu lassen. Schieben wir den Sud beiseite, bleibt ein wunderbar reiner, produktfokussierter und hervorragend gearbeiteter Gang.

Rücken und Zunge vom Reh mit "polnischem Dim Sum", Blumenkohl und Schwarzkümmel-Jus stellt den Hauptgang. Hier geht das Team um Swanson auf Nummer sicher: Ein gelerntes Fleisch-Gemüse-Saucen-Trio lässt japanische Zutaten gänzlich hinter sich und zeugt von handwerklich solider Arbeit. Die Rückenstücke sind hauchzart, die säuerlich eingelegte Zunge eine gelungene Abwechslung und der Jus diesmal süffig und herzhaft abgeschmeckt, ohne den Kümmel allzu sehr dominieren zu lassen. An dieser Stelle müssen wir auch das passende wie intensive Pairing, einen 2015er Syrah de Saint Joseph von Hervé Souhaut von der Rhône, loben. Das schmeckt!

Wir freuen uns jedes Mal, wenn uns ein gut bestückter Käsewagen vor die Augen rollt, und so strahlen wir auch hier über die Auswahl von Affineur Waltmann aus Erlangen. Wie immer wählen wir eine kleine Käse-Reise, die mit Aprikosen-Chutney und geröstetem Brot gereicht wird.

Vor den Desserts neutralisiert ein kleiner, in die Bestandteile zerlegter grüner Bubble-Tee mit Tapioka und Kokos-Eis unsere Papillen. Leicht und nur mäßig süß, gefällt uns vor allen Dingen die Eiskugel, von den gnietschigen Tapioka-Kügelchen sind wir keine allzu großen Fans.

Das Dessert stellt eine Pavlova-Torte auf den Kopf: cremige Meringue, Lavendel-Chantilly (gesüßte Schlagsahne), Eis von gebranntem Honig, Walderdbeeren und Ananas-Erdbeeren werden um eine Consommé von Erdbeeren ergänzt. Hier steckt viel handwerklicher Aufwand drin, und obwohl die Komposition nach den vielen Gängen vielleicht eine Spur zu mächtig ist, erfreuen wir uns doch an dem zwischen Cremigkeit und fruchtiger Obstsüße changierenden und damit gelungenen Abschluss des heutigen Abends.

Die Petits Fours zum Kaffee: New-York-Cheesecake mit Rum-Gelee und Mojito-Sorbet. Ungewöhnlich, jetzt noch ein Sorbet zu servieren – dennoch eine schöne Erfrischung.

Was Björn Swanson hier bereits kurz nach Eröffnung abliefert, ist eine über weite Strecken schmackhafte und verspielte Küche, die sich auch vor ferngereisten Zutaten nicht verschließt. Ab und an schießt das Team über das Ziel hinaus: vor allem bei Jus' und Saucen sollte nochmals Hand angelegt werden, da hier ansonsten schmackhafte Teller in Ungnade gestürzt werden (Curry-Sud zur Jakobsmuschel, Sud zur Gelbflossen-Makrele). Wenn aber die Proportionen und Aromatisierungen stimmen, dann gelingen solch hervorragende Gänge wie der Wildlachs und die Frankfurter Grüne Sauce mit Hoisin-Makrele, anhand derer wir die Bewertung der Guides problemlos nachvollziehen können. Diese Kreationen zeugen nicht nur von Ambitionen, sondern ebenso von Experimentierfreudigkeit und verspieltem Geist – solche kulinarischen Freidenker sind in einer Stadt, in der ansonsten Konzept- und Diätküchen noch und nöcher aus den Boden sprießen, rar gesät und gern gesehen.

Fazit

Hoch über Berlin tischt Björn Swanson kreative, in großen Teilen schmackhafte Gerichte mit Weitblick auf, denen wir für die Zukunft lediglich etwas Feintuning im Bereich Saucen und Proportionierung wünschen.

Wein

Weine im Restaurant Golvet in Berlin

2011 Sumoll Cava Rosé brut nature, Blanc de Noir, Bodega Clos Lentiscus, Sant Pere de Ribes, Pendés

2016 Sauvignon Blanc „Penser nature“, Château de Passavant, Anjou, Loire

2014 Chardonnay „Feldstück“, Matthias Warnung, Etsdorf, Kamptal

2013 Gutedel „Köppelberg“, Weingut Uwe Lützgendorf, Naumburg, Saale-Unstrut

2012 Pinot Blanc „Paradies“, Weinmanufaktur Mario Burkhart, Malterdingen, Breisgau

2014 Chardonnay „Une Bulle”, Domaine Guillemont-Michel, Clessé, Burgund

2015 Syrah de Saint Joseph, Hervé Souhaut, Arlebosc, Vallée du Rhône

2011 Scheurebe Beerenauslese, Weingut Störrlein Krenig, Randersacker, Franken

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

Umfrage

Wie wichtig sind Euch Ambiente, Lage und Ausblick eines Restaurants?

 

Das könnte dich auch interessieren