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Restaurantkritik 13.April 2018

GLASS ES DIR SCHMECKEN

Verkannt, übersehen, unter dem Radar: Gerade die deutsche Hauptstadt bietet eine Vielzahl von Restaurants, die gerne als Geheimtipp gehandelt werden. Die Halbwertszeit scheint dabei der größte Entscheidungsfaktor über langhaltenden Erfolg zu sein, schließlich ist die gastronomische Landschaft Berlins einem stetigen Kommen und Gehen verfallen; was gestern noch in aller Munde war, ist heute schon wieder geschlossen. Anders verhält es sich mit Gal Ben Moshes "GLASS", das bereits seit vier Jahren von den lokalen Kritikern und Tageszeitschriften mit viel Lob überhäuft wird, dem großen Bereifer aus Frankreich allerdings noch keine (Sterne-)Bewertung Wert gewesen ist. Grund genug, uns ins Restaurant des gebürtigen Israelis zu begeben und zu ergründen, wie diese Wahrnehmungs-Schere zustande kommen könnte.

Tief im Westen Berlins stehen wir vor einer großen Glasfront im Erdgeschoss eines Wohnkomplexes in der Uhlandstraße. Innen wirkt der Raum durch eine silberne Wandverkleidung, die offenliegenden Rohre an der Decke und den allgemein eher minimalistischen Einrichtungsstil auf den ersten Eindruck etwas ungemütlich, folgt damit aber dem reduzierten Interieur-Trend vieler Restaurants in und außerhalb Berlins.

Küchenchef und Cheffe Gal Ben Moshe eröffnete das Glass 2014, zuvor durchlief er diverse Stationen in England, Tel Aviv und Chicago. So distanziert er sich denn auch von einer ausschließlich israelischen Küche und wählt seine Zutaten entgegen allen (um eine weniger abgedroschene Formulierung zu finden) Kolossal-regional-Bewegungen aus allen Teilen der Welt. Der ehrgeizige Koch serviert hier ausschließlich Menüs - mit und ohne Fleisch. Die heutige Speisefolge finden wir in einem Briefumschlag vor uns, als wir am Aperitif nuckeln.

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Als Apéro bekommen wir ein dickes Stück Schafschinken, um eine frittierte Zwiebel gerollt . Sehr fettig, das Schaf klingt sehr lange äußerst tranig nach – zu viel für unseren Geschmack, gerade für den Einstieg. Schon viel besser: das quadratische, knusprig-vollmundige Stück Falafel mit Makrele.

Eine Eiswaffel mit Gurke und Joghurt beseitigt im Anschluss die letzten Reste vom Schaf-Geschmack, ist fein gearbeitet und erfrischend.

Als Gruß aus der Küche erreicht uns eine Auster mit roter Bete und Joghurt. Eine wirklich hervorragende, kühl-schlotzige Erfrischung, bei der sich die jodigen Aromen der Auster hervorragend mit dem Joghurt und der erdigen Bete vereinen.

Blumenkohl mit Couscous, Mandeln und Weintrauben ist der Einstieg ins Menü. Der Kohl wird hier gekocht, geröstet und roh mariniert präsentiert. Gerade die Röstaromen harmonieren gut mit der Süße der Trauben, wenngleich das Gericht für uns nicht zu Ende gedacht zu sein scheint; in dieser Fassung haben wir den Gang nach einem Bissen verstanden – etwas eindimensional.

Die klassische Zwiebelsuppe bekommt dank Kunafah – einer arabischen Nachspeise aus Quark und Käse – einen exotischen Einschlag. Angegossen wird eine herzhafte, heiße und hervorragend abgeschmeckte Brühe aus Rinderknochenmark. Bei den kalten Temperaturen ein echtes Wohlfühlgericht, bei dem uns vor allen Dingen der Knusper und die Süße durch die Einlage überraschen und gefallen. Prima!

Eben traf Frankreich Arabien, nun küsst Japan Afrika: Der rohe Bonito gesellt sich zu Harissa, Zitrone, Kartoffel und Wachtelei. Letzteres vereint sich passend mit dem Fisch, und allein dieses Duo hätte uns auch gereicht, denn die anderen Komponenten schummeln sich eher sperrig in das Gericht. Die Salzzitrone zu salzig, Harissa zu sauer, und dann die unserer Ansicht unsinnige Anrichte; hier wäre weniger mehr gewesen, denn die Qualität und der Schnitt der Fischstücke stehen für sich.

Einen eindeutig israelischen Einschlag erhält das Weidelamm-Tatar durch Aubergine, Artischocken und Tahina. Letzteres ist eine bittere Paste, die aus schwarzem Sesam gewonnen wird und sich gut gegen das intensive, rohe Fleisch behaupten kann, es gar um nussige Aromen ergänzen. Die säuerliche Artischocke erfrischt und bringt den nötigen Biss in diese äußerst runde Komposition.

Als erster Teil der Hauptgang- Trilogie erreicht uns die Ente mit Feigen, Hafer, Sellerie und Kaffee-Schokolade. Ein handwerklich hervorragend gearbeiteter Teller, die Ente saftig und intensiv, die Sauce mit einem Hauch Süße und der Hafer, der einen schönen Crunch bei jedem Bissen des Vogels beschert. In Summe zwar nicht außergewöhnlich, aber sehr schmackhaft.

Bei Wolfsbarsch, Frekeeh (im frühen Stadium geernteter Weizen), Okra, Calamaretti und Tomaten ist, ähnlich wie beim Thunfisch einige Gänge zuvor, eine Menge los. Diesmal geht die Idee allerdings gut auf, alle Elemente schmiegen sich hervorragend aneinander und ergeben ein Gesamtbild, das einer gelungenen, lauwarmen Bouillabaisse ähnelt. Das gefällt!

Einer der Sternefresser war schon einmal Gast im Glass und kritisierte damals die Qualität und die Garstufe des Lamms im Hauptgang. An beidem wurde gearbeitet: das Lamm mit Kirschen, roter Bete und Zwiebel ist nicht nur auf den Punkt gegart, sondern auch sehr zart. Ähnlich wie bei der Ente setzt Gal Ben Moshe auf die Paarung mit Süße, schmeckt klassisch-geradlinig ab und kreiert einen in sich harmonischen Gang ohne Spielerei oder Ablenkung.

Das erste Dessert, Manjari mit Kreuzkümmel, schwarzem Sesam und Banane, ist äußerst gelungen: Der Süße der luftigen Schokolade und der Banane wird durch den Kreuzkümmel und die schwarze Sesampaste Einhalt geboten, so dass sich in Summe ein exotischer, komplexer Aromen-Vielklang herausbildet, mit dem wohl nicht jeder Gast, der sich nach einer typisch süß-sauren Erfrischung sehnt, glücklich sein wird, der uns aber sehr überzeugt.

Der letzte Gang des Tages besteht aus Joghurt, Pistazien, Salzzitrone und Sumac. Eine erfrischende Komposition, wenngleich dieser Gang in Sachen Komplexität und Einfallsreichtum nicht an das erste Dessert herrankommt und nach einigen Bissen in Eindimensionalität verfällt, aus der wir uns durch gezielte Proportionierung des Pistazienbodens befreien.

Gal Ben Moshe (3.v.l.) ist ein weltoffener und talentierter Koch, der uns gezeigt hat, dass er sich kulinarisch nicht festlegen will. So sprang er munter durch Länder, Zutaten und Tierwelten. Nur bei der Zwiebelsuppe und den Hauptspeisen begab er sich auf klassische Pfade. Das schmeckte in Summe sehr gut, wenngleich wir uns hier und dort etwas mehr (Blumenkohl) oder weniger (Apéros, Bonito) Verspieltheit gewünscht hätten. Betrachten wir allerdings die Highlights wie die Auster, die Zwiebelsuppe, die Hauptgänge und das erste Dessert im Verhältnis zu anderen besternten Lokalitäten der Hauptstadt, darf durchaus die Frage gestellt werden, warum hier nicht bereits der erste Macaron die Eingangstür schmücken darf. 

Erwähnt werden muss unbedingt der sympathische Service durch Sommelière Jaqueline Lorenz, der das kühle Interieur mit Wärme füllt. Verständlich, aber dennoch irritierend finden wir lediglich den permanenten Einsatz des Coravin-Portionierers, der die Weine der Premium-Begleitung zwar dem Sauerstoff fernhält, aber bei jedem Einschenken unschön und tröpfchenweise ins Glas – pardon – pullert.

Fazit

Das Berliner Glass wartet mit kosmopolitischer Küche auf, die manchmal verspielt, manchmal geradlinig schmeckt. Mit kleinen Optimierungen dürfte es bald auch eine Einladung vom Michelin geben...

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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