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Restaurantkritik 12.September 2017

Bruderschaft des guten Geschmacks

Auf der Suche nach den besten und interessantesten Restaurants führen uns unsere Reisen teilweise über abenteuerliche Pfade. Nach einem exzellenten Lunch in Brail fahren wir in Richtung der Schweizer Zollfreienklave Samnaun, wo in wenigen Stunden bereits die nächste Reservierung auf uns wartet. Hoch den Berg hinauf ranken sich die Serpentinen, rechts von uns geht es Hunderte Meter in die Tiefe. Die unbeleuchteten, einspurigen Tunnel zeugen von einer gewissen Vernachlässigung seitens der Schweiz, was dieses doch ziemlich abgelegene Skigebiet am östlichen Nordrand des Kantons Graubünden betrifft. Das haben die benachbarten Österreicher um einiges besser gelöst, wie wir am nächsten Tag bei der Talfahrt sehen werden. Wie dem auch sei, der fahrerische Nervenkitzel legt sich nach einer gefühlten Ewigkeit, und die letzten Minuten der Anreise gestalten sich ungleich angenehmer. Denn hoch oben auf einem Hügel erblicken wir unser Ziel, das Hotel Homann.

Unbedingt vermuten würde man von außen nicht, dass dieser Familienbetrieb ein hochdekoriertes (2 Michelin-Sterne, 18 Gault-Millau-Punkte) Restaurant beherbergt. Das geht wohl nicht nur uns so, denn während die Gaststube brechend voll mit Halbpensionsgästen zu sein scheint, ist das Gourmetrestaurant an diesem Samstagabend mit acht Personen eher spärlich besucht. Dies tut unserer Vorfreude natürlich keinen Abbruch. Wir installieren uns in der heimeligen Stube an unserem Fenstertisch und bestellen zwei Gläser Champagner. Da die Gebrüder Homann ein Überraschungsmenü servieren, bei dem man die Anzahl der Gänge variieren kann, ist unsere Wahl schnell getroffen: Wir entscheiden uns natürlich für die komplette Tour de Force, nippen vergnügt an unserem Bubbly und stöbern ein wenig in der Weinkarte, während wir darauf warten, dass die ersten Snacks aufgetragen werden.

Und die kommen gleich mal zu fünft auf den Tisch. Wir widmen uns zuerst dem geräucherten Heilbutt-Burger mit Avocado. Delikat, leicht, überraschend und gut. Das Kalbstatar im Brotmantel mit Crème double ist gut gearbeitet und gewürzt, das knusprige Brot bringt etwas Textur ins Spiel, doch sind der Spannung bei rohem Kalbfleisch einfach natürliche Grenzen gesetzt. Ganz anders der ultrazarte, rosa gebratene Tafelspitz mit Brotmousse und Kernöl. Tolle Fleischqualität, der exquisite Geschmack durch die Begleitung schön akzentuiert wird. Sehr gut. Ein cremiges Eis von der Gänseleber mit Rosmarin-Zwetschgen-Konfitüre ist gut abgeschmeckt, punktet mit tiefem Lebergeschmack und ist entsprechend schnell verputzt. Abgeschlossen wird Snack-Armada von einem Mini-Cordon-bleu mit lokalem Käse und Schinken – saftig, knusprig, vollmundig und ein herrlich unerwarteter Volltreffer. Davon hätten wir gerne eine größere Portion auf dem Teller gehabt! Auch wenn nicht alle Snacks auf gleichem Niveau waren, ist das insgesamt doch ein unterhaltsamer Auftakt gewesen.

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Dass sich die meisten Gäste nach einem langen Tag auf der Piste auch das eine oder andere Stück Brot zu Gemüte führen, sehen wir an der üppigen Brotauswahl mit diversen Aufstrichen. Nach dem ausgiebigen Lunch halten wir uns hier brav zurück, probieren aber alles durch und halten fest: sehr gut.

Die erste etwas gehaltvollere Portion folgt nun in Form eines geräucherten Forellenschaums mit gebeiztem Seesaibling, Osietra- und Wasabikaviar und Brotcrumbles. Der luftige Schaum vermeidet gekonnt die oft unangenehme Fischigkeit solcher Zubereitungen und überzeugt wie das gesamte Gericht durch subtilen, harmonischen Wohlgeschmack. Wunderbar, wie die beiden Fischpräparationen durch die knusprigen Crumbles und den spärlich dosierten, doch jederzeit wahrnehmbaren zweierlei Kaviar akzentuiert wird. Selbst die unscheinbaren Mikrokräuter tragen ihren Teil zum Gelingen bei. Großartig.

Weg von der Subtilität, hin zu richtig Schmackes geht das 60-Minuten-Eigelb auf Sepia-Tagliatelle und Schinken-Espuma mit Madeiraschaum. Die Tintenfischnudeln sind auf den Punkt gegart, haben dieses unnachahmliche Mundgefühl irgendwo zwischen bissfester Soba und seidener Schlüpfrigkeit. Dazu das herrlich schlotzige Eigelb, die salzige Umamiwucht des Espumas und die fein-süßliche Note des Madeiraschaums – und fertig ist die etwas andere Winterwohlfühlschüssel. Die Brüder Homann führen den altbekannten Akkord von sämigem Eigelb und wuchtigen Beilagen mit diesem Gang zwar nicht in eine neue Geschmackswelt, erweitern ihn aber so gekonnt, dass dennoch der Eindruck eines nie zuvor genossenen Gerichts entsteht. Kann man mal so machen.

Eine Kombination, die uns in jüngerer Vergangenheit immer wieder begegnet, ist der Kaisergranat mit Karotte. Genauer gesagt wird der Edelkrebs bei den Homanns begleitet von einer Urkarotte sowie von Kürbis und Mais. Diese drei Komponenten sorgen nicht nur für etwas Textur, sondern bereichern aromatisch wie farblich auch den gelben Hummerschaum und sorgen für eine erdige-süße Untermalung. Das isst sich in Summe ganz ordentlich, löst aber keine Jubelstürme aus. Dazu fehlt es dem Gericht schlicht an Spannung, was wir vor allem der fehlenden Säure zuschreiben. Es ist alles ein bisschen einheitlich brav und süß geraten. Schade.

Alles andere als brav ist der Skrei auf Kohlrabi-Trüffelragout mit Trüffelcrème und Trüffelschaum. Die glasig gegarte Fischtranche schafft es trotz scheinbar übermächtiger Begleiter immer wieder, sich sensorisch in Szene zu setzen. Die Kombination des Winterkabeljaus mit den kräftig abgeschmeckten Trüffelzubereitungen und dem erdigen Kohlrabi funktioniert prächtig und beschert uns nach dem Eigelb einen zweiten herrlichen Winterwohlfühlteller, bei dem die Finesse keineswegs auf der Strecke bleibt. Oder anders gesagt: Hier stimmt einfach alles. Ein exzellentes Gericht und gleichzeitig der Höhepunkt des Abends.

Die gebratene Perlhuhnbrust mit Brombeerjus und Pastinake schlägt in die gleiche Kerbe, überzeugt uns dabei aber nicht so wie der Skrei. Zwar sind die einzelnen Elemente für sich genommen ganz gut, doch hapert es hier ein wenig bei den Proportionen – die einen Hauch zu lange gegarte Geflügelbrust ist zu diesem Zeitpunkt im Menü zwar genau richtig portioniert, wird aber von der schieren Menge der Mitstreiter fast immer übermannt. Man muss sich vorsichtig seine Gabeln basteln, damit es wirklich gut schmeckt. Wir empfinden das als etwas ungünstig, da das herzhafte Geschmacksbild mit seiner anregenden Säurestruktur eigentlich dazu einlädt, sich ohne große Friemelei eine fantastische Gabel nach der anderen reinzuhauen. So bleibt es zwar gut, mehr aber auch nicht.

In der Schweiz scheinen sich gewisse Klassiker momentan wieder auf einem Hoch zu befinden. Schon zum zweiten Mal auf dieser Tour wird uns als Hauptgang eine Abwandlung des Tournedo Rossini serviert. Bei den Homann-Brüdern stellt sich die nach dem italienischen Komponisten Gioachino Rossini benannte Zubereitunsgart so dar: Rindsfilet auf La-Ratte-Kartoffelschaum, Schalottenjus,  Petersilienpüree und Gänseleber. Was sollen wir sagen? Es ist nicht umsonst ein Evergreen der Weltküche. Das perfekt rosa gegarte Filet bringt einen überraschend kernigen Eigengeschmack mit, der mit der gebratenen Fettleber, dem wundervollen Kartoffelschaum, dem gehaltvollen Jus und dem kräutrigen Püree einfach (wir müssen leider diese unsägliche Vokabel benutzen) "lecker" schmeckt. Wenn Klassik, dann bitte so!

Den Einstieg in den süßen Teil des Abends macht eine Zitronen-Yuzu-Tarte mit Passionsfruchtcrème, Yuzu-Gelée und Sauerrahmeis. Nach dem durchaus üppigen Menü kommt dieses erfrischende Gericht genau richtig, um der einsetzenden Papillenmüdigkeit den Kampf anzusagen.

Mit dem Wiener Apfelstrudel 0.17 wagt sich die Küche (einen ausgewiesenen Pâtissier haben die Homanns nicht) auf relativ modernes Terrain vor. Der dekonstruierte Klassiker im schicken Alessi-Teller mundet vorzüglich und profitiert merklich von der progressiven Interpretation. Angefangen bei den knusprigen Elementen, die reichlich texturelle Abwechslung in dem Mund transportieren. Auch die Aufteilung der einzelnen Elemente ermöglicht uns eine Zusammenstellung nach eigenem Gusto, die uns hier sehr gut gefällt. So können wir uns viele köstliche Gabeln basteln, und auch die nicht von allen geliebten Rosinen weglassen. Apropos weglassen: Eine kleine Diskussion enbrennt am Tisch über den Einsatz von Zimt im Apfelstrudel – und zwar am Fehlen des prägnanten Gewürzes bei dieser Version. Unseren Diskurs kann auch der Wiener Koch der Homanns nicht endgültig klären. Es scheint wohl einfach eine Glaubensfrage zu sein, ob mit oder ohne. Fantastisch geschmeckt hat’s allemal.

Ein wahres Füllhorn von Petits Fours beschließt das Menü in Samnaun: Früchteminestrone mit Bananen-Joghurt-Eis, Apfel-Tonkabohnen-Shot, Milchreisschaum mit Erdbeersorbet und Haselnüssen, Linzerschnitte und Schokoladenbrownie mit Sesam, Mini-Schwarzwälderkirschtorte, Blutorangen- und Kirschfruchtgummi, Kokoseislolli mit weißer Ivoire-Schokolade, Marshmallow aus Kalamnsi, Brombeere und Erdbeere, verschiedene Kekse und Sablés, Pralinen: Kaffee-Sternanis, Rosmarin, Kokos-Zitronengras, Olivenöl-Karamell, Erdnuss, Stanitzel mit Himbeersorbet, Lollies aus Holunder und Eukalyptus sowie Zuckerwatte. Das nennen wir mal opulent! Wir versuchen, uns durch alles durchzuprobieren, doch die Sättigung und schiere Menge an größeren und kleineren Petitessen lassen das leider schlichtweg nicht mehr zu. Eine beeindruckende Batterie von Süßigkeiten und ein Schlaraffenland für alle Schleckermäuler.

Den Anfang und den Schluss kann man bei den Homanns durchaus als ausufernd bezeichnen. Entsprechend voll sitzen wir nun am Tisch und lassen die vergangenen fünf Stunden Revue passieren. Dass es überhaupt so lange gedauert hat, ist wohl der stattlichen Anzahl Gäste im Halbpensionsrestaurant geschuldet. Das führte bei uns zwar zwischen den Gängen zu teilweise relativ langen Warteperioden, doch bei nur vier Köchen in der Küche, die so viele hungrige Mäuler bekochen müssen, ist das aus unserer Sicht verzeihlich. Unsere Gläser waren stets gefüllt, und so verlief der Abend angenehm kurzweilig. 

Die hohen Auszeichnungen und ein Besuch vor fünf Jahren, dessen Fotos leider dem technischen Teufel zum Opfer gefallen sind und von dem es deshalb keinen Bericht gibt, haben große Erwartungen geschürt an den heutigen Abend. Wurden diese Erwartungen erfüllt? Jein. Die Küche der Brüder Homann und ihrer beiden Mitköche ist ohne Fehl und Tadel. Erfreulicherweise hat das gesamte Menü keinen einzigen Ausreißer nach unten, jedoch fehlt auf der anderen Seite auch ein richtiges Highlight. Klar, Gerichte wie der Forellenschaum, der Skrei oder das Rossini im Hauptgang sind toll, doch die Socken zieht uns das halt nicht aus. Muss es aber glücklicherweise auch nicht. Denn manchmal ist es auch einfach schön, eine nachvollziehbare, durchgehend schmackhafte und technisch fehlerfreie Küche mit tollen Saucen sowie tadellosen Protagonisten zu genießen. Und genau das bieten Daniel und Horst Homann. Schlemmen auf hohem Niveau, ohne dabei viel nachdenken zu müssen. 

Fazit

Dezent modernisierte Klassik in leichter, schmackhafter Ausführung, die auch mal einen Blick über den Tellerrand hinaus wagt – wer das sucht, ist hier genau richtig.

Wein

Die Weinbegleitung im Restaurant Homann in Samnaun in der Schweiz

Fressfreunde

Gourmör

"Es ist absolut beeindruckend, was die ehrgeizigen Homann-Brüder ihren Gästen servieren. Dabei wird ein riesen Aufwand betrieben um jeden Abend ein Feuerwerk an Qualität und Quantität zünden zu können. Eine tolle Adresse."

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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