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Restaurantkritik  7.September 2016

Eine eigene Welt

Zugegeben: Ein Restaurant in einem Auto-Showroom klingt nicht sehr sexy, außer vielleicht für Männer, die sowieso lieber Geld für Motoröl als für Olivenöl ausgeben. Insofern wusste zumindest einer von uns nicht, was ihn erwartet, als wir in die Münchner BMW-Welt aufbrachen, um das 'Esszimmer' zu besuchen. Ja, natürlich ist uns klar, dass sich die BMW-Welt – ähnlich der Wolfsburger Autostadt mit dem Aqua – als "Erlebnisort" versteht. Aber Essen (und vor allem: Trinken!) und Autos geht für uns trotzdem recht schwer zusammen.

Umso schöner die Überraschung beim Betreten des Restaurants: Das Esszimmer befindet sich im dritten Stock, hoch über dem eigentlichen Geschehen. Die Seite zum hallenartigen Showroom ist komplett verglast und aus dieser Vogelperspektive bereitet der Blick auf die glänzenden Karossen durchaus Freude. Das Interieur hat denn auch nichts "Technisches", im Gegenteil: dunkles Leder, flauschige Teppiche auf matten Parkettböden und auch sonst jede Menge Holz geben den hohen, luftigen Räumlichkeiten eine anheimelnde und gemütliche Atmosphäre. Der Kamin im Hauptraum lässt geradezu Skihüttencharme aufkommen. Wie das mit Vorurteilen so geht, mussten wie das Unsere über das Erscheinungsbild des Esszimmers rundweg revidieren: Ein angenehmer gestaltetes Spitzenrestaurant fällt uns in Deutschland kaum ein.

Unsere Stimmung ist also schonmal prächtig. Und mit Bobby Bräuer steht auch noch ein Mann am Herd, bei dem unsere Vorurteile sowieso eher positiv ausfallen: Bräuer, Jahrgang '61, hat zu Beginn seiner Karriere bei legendären Küchengranden wie André Jaeger in der 'Fischerzunft', in den 'Schweizer Stuben' unter Dieter Müller und schließlich als Souschef Eckart Witzigmanns in der 'Aubergine' gearbeitet. Als Küchenchef leitete er unter anderem das Düsseldorfer 'Victorian' und den Münchner 'Königshof'. Solch eine Vita schafft Vertrauen.

Ohne das hier so passende Wortspiel vom "Vollgas geben" bemühen zu wollen, sind wir bei einem Glas Egly-Ouriet gespannt, was uns an diesem lauen Sommerabend erwartet...

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Als erste Happen zum Aperitif gibt es ein Dreierlei vom Butterspargel: gebacken mit Cheddar und Parmaschinken, als Salat in gepökelter Kalbszunge mit Meerettich sowie als Essenz mit Limonenschaum. Das gefällt uns alles gut, vor allem die Kombination mit Kalsbzunge und Meerrettich kommt erfrischend rustikal daher. In gebackener Form geht der Spargel zwischen Panade, Käse und Schinken ziemlich unter. Dafür ist die Essenz wieder hervorragend spargelig – und vor allem tönt es am Tisch nach dem ersten Schluck wie aus einem Mund: "Endlich mal wieder ein richtig heißes Süppchen!"

Sehr schön auch die nächsten zwei Kleinigkeiten: Flusskrebs-Bisque und Obazda, ein ziemlich gegensätzlich anmutendes Duo, das aber durch eine Intensität und aromatische "Reinheit" zueinander findet.

Nicht ganz so stimmig finden wir "Unser Rüblikuchen mit Curryeis". Das Küchlein gefällt zwar durch lockere Beschaffenheit und gute Würze, droht aber vom Curryeis durch Kält, Cremigkeit und Curryaromen überdeckt zu werden.

Spannend ist die Kombination von Spanferkelbauch und Schwertfisch: Nicht nur optisch, sondern vor allem texturell tun sich hier erstaunliche Parallelen auf. Geschmacklich pendelt das Duo zwischen Rustikalität und feinen Asia-Anklängen, wobei der Kimchi mit seiner säuerlichen Kohligkeit wie ein Bindeglied zwischen beiden Welten liegt. Sehr schön.

Der erste Gang des Menüs besteht aus Sattel vom Weideochsen mit Imperial Kaviar, Eigelb und Jahrgangssardine. Das Gericht sieht toll aus, unsere erste Assoziation ist ein fliegender Teppich. Leider fällt der Geschmack nicht so magisch aus: Das an sich gute Rindfleisch ist so dünn aufgeschnitten, dass es angesichts so kräftiger Aromaten wie Kaviar, gerösteter Zwiebel und Eigelb kaum zur Geltung kommt. Die Sardine, eingearbeitet in die Beigaben, konnten wir praktisch gar nicht ausmachen. So fehlte hier der Produktfokus, der das Ganze zusammengehalten hätte.

Ganz anders die separat gereichten, klassischen Cracker mit Tatar und Ei – hier schmeckt man sowohl das Fleisch, als auch das Ei in einer sehr puren, leicht rustikalen, dabei aber trotzdem fein wirkenden Form.

Umso besser kommt danach der Petersfisch aus der Vendée mit Zitrusfrucht, Erbse und Lemonpepper. Ein wunderbar fruchtig-frisches Gericht, das die Aromen des Sommers in geradezu verdichteter Weise auf den Teller bringt. Die feine Süße der Erbsen steht mit den Zitrusnoten der Fruchtfilets in einem Spannungsverhältnis, dazu eine ganz leichte Sauce, die mit feiner Cremigkeit harmonisierend wirkt. Nicht zu vergessen der exzellente Fisch, der von Säure, milder Süße und leichter Schärfe bestens nach vorne gebracht wird.

Deftiger wird es beim Kalbsbries mit rote Bete, Rettich und Pumpernickel. Hier entzückt vor allem das köstliche Bries in Verbindung mit dem herzhaften Pumpernickel und dem würzig-frischen Rettich. Die rote Bete passt mit ihren erdig-süßlichen Noten zwar bestens in dieses Geschmacksbild, aber in bissfester Form anstelle der Cremetupfer hätte sie uns noch besser gefallen. Insgesamt aber trotzdem aber ein schöner, geradliniger Gang mit einem tollen Hauptprodukt.

À part zum Bries wird ein köstliches Wassermelonensorbet mit Vermouthschaum serviert, das in einem "antiken" Unterberg-Glas daherkommt und dem Gericht eine temporäre Leichtigkeit verleiht. Auf Nachfrage, woher die ungewöhnlichen Gläsern denn kämen, erfahren wir, dass Bobby Bräuer sie aus seinem privaten Bestand mitgebracht habe. So erfahren auch derartige Sammlerstücke ein Revival auf ungeahntem Parkett – schön. 

Rundum ein Gewinner ist Kaninchen und Oktopus mit Salbei und Artischocke. Hier arbeitet Bräuer mit einer klassischen, mediterranen Berg-und-Meer-Geschmackswelt, die er in herausragender Weise umsetzt. Butterzart und exakt gewürzt das Fleisch und der Oktopus – vor allem beim oft etwas nichtssagenden Kaninchen ist dies ein nicht zu unterschätzender Faktor. Dazu die Kraft der Artischocke und als entscheidende i-Tüpfelchen die weiche Salbei-Aromatik sowie die Nussigkeit von Pinienkernen. Einfach richtig gut.

Ein wenig hin- und hergerissen sind wir beim Schwarzfederhuhn mit Miso, Pak Choi und Galgant. Das Huhn ist qualitativ makellos und die asiatisch geprägten Beigaben passen ebenfalls gut zusammen. Allein, es fehlt uns etwas an Spannung und Kraft. Wo bei den vorherigen Gängen durch clever gesetzte Aromaten nicht nur eine schöne Süffigkeit sondern auch Spannung erzeugt wurde, wirkt hier alles etwas zu gefällig. Kein Zweifel, es schmeckt alles rund und ist souverän gemacht, aber es fehlt das gewisse 'Etwas', das uns voll begeistert.

Purismus pur ist dann der "Hauptgang": Geschmorter Lammbauch mit Auberginen-BBQ und Ruccola. Wir mögen diese Form von Minimalismus sehr. Er zeugt von Mut und Selbstvertrauen, denn bei so einem Teller muss wirklich alles von bester Güte sein – denn es gibt keine Nebenschauplätze und keine kleinteiligen Ablenkungsmanöver. Und was sollen wir sagen: Es funktioniert glänzend. Das Fleisch, links als eine Art Krautwickel, ist herrlich mürbe und saftig, die Würzung perfekt. Dazu lediglich ein bisschen rauchige Auberginencrème und ein paar Raukeblätter für etwas pfeffrige Frische. Simple Perfektion, direkt auf den Punkt. Und wir wollen mehr davon, gerne mehr…

Ein klitzekleine Auswahl vom Käsewagen – bestückt von Maître Bernard Antony – darf es trotz einer gewissen Sättigung immer gerne sein...

Ein kulinarischer Wolf im Schafspelz ist das erste Dessert: Cheesecake mit Buchweizen, Grünem Tee und Amalfi Zitrone. Was wie ein harmloses, etwas mächtiges Törtchen aussieht, erweist sich beim Probieren als grandiose Interpretation eines Klassikers. Die Quarkmasse ist ungleiblich fein und leicht, der Boden hat eine perfekt mürbe Beschaffenheit. Die Zitrone macht das Ganze frisch, der Buchweizen steuert mit getreidiger Herbheit gegen. Und das Aroma des grünen Tees ist hier jene kleine Zugabe, die Spannung bringt. Sogar die kleinen Blättchen erfüllen einen Zweck jenseits der Deko: der frisch-saure Apple Blossom (rot) und die nach einer Mischung Limone, Anis und Minze schmeckende Limonenkresse (grün) wirken wie hauchfeine Blitze, bei denen man zwar genau hinschmecken muss, ohne die die Gesamtwirkung aber bestimmt eine andere wäre.

Geradezu konventionell fällt im Direktvergleich Fichtensprosse, Rhabarber, Waldmeister und Joghurt saus. Rein optisch mutet die Komposition mit ihrem wilden Texturspielen wie ein Dessert, von vor fünf Jahren an. Das muss nicht schlecht sein, wenn denn der Geschmack stimmt. Für sich genommen sind die Komponenten auch gut gemacht. Aber letztlich bleibt die Kreation bemüht und wirkt wie ein Sammelsurium diverser Techniken ohne echten Fokus. Bezeichnenderweise wirken die "traditionellsten" Elemente, nämlich das Eis und der Rhabarber, am nachhaltigsten.

Ganz hervorragend dafür wieder die Petits Fours: Baba au Rhum, Baileystartelette, hausgemachte Schokolade mit Sonnenblumkern.

Und zum Abschluss noch eine schöne Pralinenauswahl mit dem Kaffee.

In gewisser Weise passt die Küche im Esszimmer perfekt zum Interieur des Restaurants: Die Kreationen wirken entspannt, alles schmeckt wohlig, die Konzentration liegt auf hervorragenden Produkten, die in angenehm natürlicher Weise inszeniert werden. Zugleich passt die Küche auch gut zum Umfeld der BMW-Welt, nämlich insofern, dass die unaufgeregte Souveränität des eher klassisch-modern gestalteten Menus dem Image der traditionsreichen Automarke entspricht. Auch die uns wohlgefallende Tendenz der Küche zu einer gewissen Bodenständigkeit (etwa bei Kaninchen und Pulpo) oder einer, sagen wir, "schnittigen" Rustikalität (etwa beim Lamm) fügt sich in dieses Bild. Weniger stimmig wird es, wenn die Bräuer und sein Team einen kleinteiligen Modernismus forcieren, der ihnen eigentlich nicht recht entspricht, etwa beim Carpaccio oder dem zweiten Dessert.

Der überaus gut gelaunte und humorvolle Service zeigte einmal mehr, wie entscheidend die schwarze Brigarde zum Gelingen eines Dinners beitragen kann. Stets schlagfertig und immer professionell nimmt dabei die neue Maître d' Helene Löwe (3.v.r., zuvor bei Sven Elverfeld im Wolfsburger Aqua) die Gäste an der Hand. Kompentent steht ihr dabei Sommelier Frank Glüer (3.v.l.) zur Seite, der uns mit einer durchdachten und Akzente setzenden Weinbegleitung begeisterte, die den Gerichten jedoch niemals die Show stahl.

Fazit

Klasse Essen im Esszimmer: Bobby Bräuer überzeugt uns in seinem wunderschönen Restaurant mit Kreationen, die immer dann am stärksten und vor allem köstlichsten sind, wenn sie Rustikales mit moderner Eleganz verbinden – ein Stil, den wir gerne öfter sehen würden.

Wein

Weinauswahl im Restaurant Esszimmer in München

Egly-Ouriet Grand Cru Brut Tradition Champagne

2014 Scheurebe ZweiMännerWein, Winzerhof Stahl, Franken

2014 Fiefs Vendéens "Le Poiré" Blanc, Domaine Saint Nicolas, Loire

2014 Ribolla Gialla "Pettarin", Miani, Friaul

2013 Collioure Blanc "L’Argile", Domaine de la Rectorie, Roussillon

2002 Riesling Steinriesler, Nikolaihof, Wachau

2008 Cabernet Sauvignon Ungererbergen, Weingut Prieler, Burgenland

2004 Dorsheimer Pittermännchen Riesling Auslese, Schlossgut Diel, Nahe

2015 Red Roses, Weingut Alois Kracher, Burgenland 

Fragen an den Suffmeister (a.k.a. Sommelier) Frank Glüer

Anzahl Positionen auf der Weinkarte:
Wir verfügen über ca. 550 Positionen.

Haben Sie einen besonderen Fokus bezüglich der Weinkarte?
Deutschland, Frankreich, Österreich, aber auch Italien und das generelle Europa. 

Die ungewöhnlichste Rarität?
1957 Vouvray "Le Mont" Moelleux von der Domaine Huet an der Loire.    

Wie teuer sind die Weine auf Ihrer Karte?
Die günstigste Flasche ist der 2014 Damaszenerstahl Müller-Thurgau "Hasennest" vom Winzerhof Stahl aus Franken für 35€. Der 2006 Meursault "Les Narvaux" von der Domaine d'Auvenay aus dem Burgund kostet hingegen 1400€. 

Welches ist der meistverkaufte Wein der letzten 12 Monate?
Das ist der Champagner "Cuvée des Crayères" von Eric Rodez 

Ihre Entdeckung der letzten 12 Monate?
2014 Chardonny Réserve von Tobias Knewitz aus Rheinhessen. 

Ihr Lieblingswein? Weshalb?
Im Moment der 2014er Zeltinger Sonnenuhr Riesling Spätlese (weiße Kapsel) von Markus Molitor. Dieser Wein hat eine enorm eigenwillige, charaktervolle Stilistik, die ihn schlichtweg einzigartig macht. 

Der ausgefallenste (vinophile) Gästewunsch, mit dem Sie je konfrontiert wurden?
Da ich nun schon seit über 20 Jahren in der Spitzengastronomie arbeite, kommt mir nichts mehr ungewöhnlich vor.

Hinweis

Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt. Details zum Umgang mit Pressekonditionen findet Ihr hier.

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